Zusammenfassung
Selbsternannte Futurologen geben Sprach- und Literaturwissenschaft am Beginn des dritten Jahrtausends geringe Überlebenschancen — selbst unter Vorbehalt nostalgischer Artenschutz-Maßnahmen. Denn wo wäre noch gesellschaftlicher Nutzen einer Wissenschaft ausmachbar, die Gesetzmäßigkeiten des Sprachlichen nachspürt, wenn Sprachregeln weithin als repressiv und undemokratisch, emanzipations- und kreativitätsfeindlich gebrandmarkt werden, wenn man Verstöße gegen solche Regeln schon jetzt bei Grundschulaufsätzen nicht mehr wertet? Wozu sollte Literaturwissenschaft gut sein in einer Welt, für die lautstarke Propheten vorhersagen, die ‘Gutenberg-Galaxis’ stehe vor ihrer Ablösung durch eine Milchstraße der Multimedia,1 und die kompliziert-elitäre Textkultur werde nun endlich verdrängt durch eine allgemein spontan verständliche, folglich demokratische Kultur der Bilder?
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Literatur
So etwa H.-U. Gumbrecht, Bolz, Kittler.
Frz., “la langue envisagée en elle-même et pour elle-même” (Saussure).
Interview mit C. Infante, in: Revista Iberoamericana 76–77 (1971), S. 549 f.
Vgl. F. Coulmas, Der Berggorilla lebt. Aber viele kleine Sprachen sterben, in F.A.Z. v. 7. 10. 1992, S. N5.
H.-M. Gauger, Ziehen die Wissenschaften aus dem Deutschen aus? In: Mitteilungen des Hochschulverbandes Nr. 1, Febr. 1992, S. 6 (vgl. dort auch zum Folgenden; M. Haspelmath, ebd. Nr. 2, April 1992, ‘Leserforum’ S. 98 f.). Lange galt es als Binsenweisheit der Sprachforscher, daß jede Sprache auf
Zitiert nach R. Ahrens, Eine europäische Kulturakademie, in: Mitteilungen des Hochschul-verbandes Nr. 1, Febr. 1992, S. B. Daß “jeder Sprachwechsel immer auch einen Diskurs-und Kulturwechsel impliziert”, ruft erfreulicherweise neuerdings etwa auch U. Schulz-Buschhaus in Erinnerung (Sprachkunst 28, 1997, S. 386), und er bedauert andernorts, daß Geisteswissenschaftler dies oft “nicht einmal mehr als hemieneutisches Problem wahrzunehmen” vermögen (Die Zukunft der französischen Literaturwissenschaft, in: Zs. für französ. Sprache und Literatur 1997, S. 338 f.).
Vgl. zu alledem Gauger (Anm. 5), S. 6 f. und U. Ammon, Die internationale Stellung der deutschen Sprache, Berlin u.a. 1991.
Vgl. etwa die Versicherung von Bundespräsident Herzog, Forschung sei “internationaler als jede Politik”, in seinem Grußwort zur DFG-Jahresversammlung 1995, zitiert nach forschung 23 (1995), S. 11.
Obwohl die Ausschreibungsbedingungen verschämt auch andere Fremdsprachen zulassen, wurden bis 1998 ausschließlich englischsprachige Studiengänge eingerichtet.
Informationsschrift des Präsidenten der TU Hamburg-Harburg August 1996, S. 1 u. 4.
Bundesminister des Auswärtigen/Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Technologie, Studienstandort Deutschland attraktiv machen, 24.5. 1996, S. 9.
Als Hauptzielgruppen galten bei Lancierung der Studiengänge unverkennbar “Studierende aus den Wachstumsregionen des asiatisch-pazifischen Raums”, den “wirtschaftlich dynamischsten Teilen der Welt”, die allerdings von ihrem ökonomischen Nimbus inzwischen einiges eingebüßt haben. (Vgl. dazu und zum Folgenden ebd. S. 2,4 und HRK, Attraktivität durch internationale Kompatibilität, Dokumente zur Hochschulrefonn 112/1996, S. 7,11).
Mitteilung von W. Nitz vom Frühjahr 1998 über die Entwicklung in Japan. Ähnliches gilt für andere ostasiatische Länder wie Korea, aber auch große Wissenschaftsnationen der westlichen Welt wie die USA oder Nachbarnationen wie Großbritannien und Frankreich.
Siehe dazu Studienstandort Deutschland (Anm. 11) S. 5.
Vgl. dazu und zum Folgenden K. Ehlich, Internationale Wissenschaftskommunikation 2000 ff. Eine Verlust-und Suchanzeige. In, W. Moelleken/P. Weber (Hrsg.), Neue Forschungsarbeiten zur Kontaktlinguistik, Bonn 1997, S. 128–38.
Nach G. Drosdowski, Veränderungen der deutschen Gegenwartssprache - Wandel oder Verfall? In: Politische Studien 48 (1997), S. 74.
Eine “Stärkung des Deutschen in der Welt als Wissenscharts-und Konferenzsprache ohne nationalistische Fanfarenstöße” wünscht sich auch G. Drosdowski, Vorsitzender des wissenschaftlichen Rates der Duden-Redaktion (Anun. 16, S. 77).
Beispielhaft genannt seien hier Verlautbarungen der (inzwischen allerdings bereits abgelösten) Kultusminister Schwier in Nordrhein-Westfalen und Götter in Rheinland-Pfalz.
Aus eher defensiver Einstellung heraus empfiehlt auch W. Voßkamp, Geisteswissenschaftler sollten sich künftig “einer Zweisprachigkeit anbequemen”. Zitiert aus: W. Voßkamp, Für eine Kultur des Möglichkeitssinns, in: Pandaemonium Germanicum2 (1998), S. 113).
E. Schepper in der Sektion “Grammatik romanischer Sprachen” des Romanistentags 1985 in Siegen (nach F. Nies/R. Grimm, Ein’ unmögliches’ Fach, Tübingen 1988, S. 150 ).
Vgl. zu dieser Grundforderung Ehlich (Anm. 15), S. 862. - Das Angewiesensein der Geisteswis-senschaften “auf eine Öffentlichkeit, die weit über die Fachöffentlichkeit hinausgeht”, betont auch W. Frühwald, Altlasten des Geistes, in: Die Zeit v. 3.5. 1996, S. 44.
Zum Zusammenhang innerhalb der Romania vgl. etwa M. Wandruszka, Deutsche Romanistik, in: Nies/Grimm (Anm. 20), S. 37 f.
Zu alledem, mündliche Beiträge von J. Lallemand und W. Pfeiffer bei der Pariser Tagung “L’allemand et le français en Europe” am 13./14.11.1992, veranstaltet von Radio France, Sender Freies Berlin und Saarländischem Rundfunk.
Als Hauptvertreter dieser von der ‘Konstanzer Schule’ entwickelten Theorie nenne ich W. Iser und H.-R. Jauß, dessen programmatische Studie in 16 Sprachen übersetzt wurde.
Vgl. dazu das Interview mit W. Voßkamp (Anm. 19), S. 117.
Nach H. Berschin, Kontinuität oder Wende? In: Zs. für Dialektologie und Linguistik 63 (1994), S. 317.
dpa-Meldung ‘Jugendliche sehen am liebsten fern’, in: Rheinische Post v. 12.12.1996. Zum Folgenden, A Uzulis, Defizite beim kleinen Einmaleins, in: Welt am Sonntag 3.11. 1996, S. 36.
La littérature est l’expression de la société, comme la parole est l’expression de l’homme“ (Louis de Bonald: Maximes et Pensées). - Zum Folgenden, Verlautbarung anläßlich des deutschfranzösischen Kulturgipfels 1986.
Nach einer unlängst erschienenen, im Auftrag des Kultusministeriums Nordrhein-Westfalen erstellten Denkschrift. Zu der dort vorgeschlagenen “Atomisierung und Individualisierung unseres Bildungssystems”, der damit einhergehenden “Verabschiedung aus der sozialen Verantwortung” vgl. H. Reul, Politische Anmerkungen zum Autonomie-Postulat der Denkschrift, in: Aktuelle Fragen der Politik 37 (1996), S. 86.
Er wurde dadurch, ähnlich wie zahlreiche weitere Merksätze, längst zum geflügelten Wort. (Siehe etwa K. Petit: Le Dictionnaire des Citations du Monde entier, Verviers 1960 ).
Zu dieser “individualistischen Seite’ der deutschen Bildungskonzeption, ihrem Anliegen der ”Vollendung des eigenen Ich“ vgl. Voßkamp (Anm. 19), S. 107 f.
Vgl. dazu und zum Folgenden H. Harth, “Das Auge und die Idee” (Ms.) S. 1; F. Rötzer, Digitale Weltentwürfe. Streifzüge durch die Netzkultur, München 1998.
Nach df-magazin 8 (1995), S. 9.
Von den 50er bis zu den 80er Jahren (nach Buch und Buchhandel in Zahlen).
Vgl. zu alledem F. Nies, Verschämte Verdeutscher, in: R. Baum u.a. (Hrsg.), Lingua et Traditio, Tübingen 1994, S. 709, 713.
Nach Ulrich’s International Periodical Directory. Zum Folgenden, P. Pulzer, Aus dem britisch-akademischen Obstgarten, in: Politische Studien 1 (1997), S. 43; Ein Quantensprung für die Wissenschaft, df-magazin 7 (1995), S. 6.
Vgl. zu alledem und zum Folgenden etwa D. Matejowski, Mode oder Megatheorie? Kulturwissenschaften und neue Medien, in: Das Magazin (Wissenschaftszentrum Nordrhein-Westfalen) 2 (1995), S. 29.
Zum “Legitimationsdefizit” als Kernproblem der EU und dem Mitwirken der Kulturwissenschaften bei dessen Überwindung vgl. W. Loth, Europa vor der Staatswerdung? In: Das Magazin 1 (1995), S. 11.
Zur verbreiteten Angst vor der hiformationsflut siehe df-magazin 5 (1995), S. 16.
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Nies, F. (1999). Sprach- und Literaturwissenschaft im Informationszeitalter. In: Stüwe, K., Weber, G., Witetschek, H. (eds) Geisteswissenschaften und Wissenschaftspolitik an der Schwelle zum dritten Jahrtausend. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-95157-1_4
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