Zusammenfassung
Weil ein Gemeinwesen, das um die Gunst von Großinvestoren und Finanzmagnaten buhlt, kein Sozialstaat im herkömmlichen Sinne sein kann, wurde der nach innen gerichtete Wohlfahrtsstaat unter der Regierung Kohl/Kinkel/Waigel von einem nach außen gewandten „Wettbewerbsstaat“ abgelöst.1 Wissenschaftler/innen verkannten jedoch die Ambivalenz der Entwicklung, wenn sie die „Umbau“-Formel des Liberalkonservatismus zum plumpen Etikettenschwindel erklärten: „Was heute unter dem Stichwort Umbau des Sozialstaats diskutiert wird, ist kein Umbau, sondern ein Rückbau des sozialen Sicherungssystems, der in nie dagewesener Weise einseitig die sozial Schwächsten belastet.“2 Bei der neoliberalen Restrukturierung des Wohlfahrtsstaates fand nicht bloß eine „soziale Demontage“ oder ein „Abbau“, sondern eben auch ein „Umbau“ des Sozialsystems statt. Fahrlässig wäre es, den qualitativen Aspekt dieses Prozesses gegenüber dem quantitativen zu unterschätzen, wie dies manche Gewerkschaftsfunktionäre und Vertreter/innen von Wohlfahrtsverbänden oder Betroffenen-Initiativen taten, wenn sie „Einschnitte in das soziale Netz“ kritisierten, ohne differenziert genug zu argumentieren. Es ging nie um eine „heimliche Liquidation“ des Sozialstaates3, vielmehr um seine Reorganisation nach privatwirtschaftlichem Muster, also um seine Transformation in einen kapitalistischen „Sozialmarkt“. Falsch ist auch die Reduktion dieses Prozesses auf ein institutionelles Bestandsmotiv, das Frank Nullmeier und Friedbert W. Rüb mit dem Begriff eines Wandels vom Sozial- zum Sicherungsstaat zu fassen suchen: „Im Sicherungsstaat dient Sozialpolitik der Sicherung des staatlichen Institutionengefüges statt der Förderung sozialer Sicherheit.“4
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Literatur
Siehe Elmar Altvater, Operationsfeld Weltmarkt oder Die Transformation des souveränen Nationalstaats in den nationalen Wettbewerbsstaat, in: PROKLA 97 (1994), S. 517ff.; Joachim Hirsch, Der nationale Wettbewerbsstaat. Staat, Demokratie und Politik im globalen Kapitalismus, Berlin/Amsterdam 1995; neuerdings: Rolf G. Heinze u.a., Vom Wohlfahrtsstaat zum Wettbewerbsstaat. Arbeitsmarkt-und Sozialpolitik in den 90er Jahren, Opladen 1999
Siehe Rudolph Bauer/ Eckhard Hansen, Die Liquidation des Sozialstaats. Horst Seehofer bittet Sozialeinrichtungen zur Kasse: Ein Überblick zur Sozialgesetzgebung seit 1993 und zum jüngsten BSHG-Regierungsentwurf, in: Sozial Extra 12/1995, S. 16. Trotz ihrer mißverständlichen Formulierung leisten die Autoren einen wichtigen Beitrag zur Analyse der liberalkonservativen Transformation des Wohlfahrtsstaates.
Vgl. Hagen Kühn, Wettbewerb im Gesundheitswesen und sozial ungleiche Versorgungsrisiken, in: Sozialer Fortschritt 6/1998, S. 134
Bert Rürup, Internationalisierung der Wirtschaft und ihre Folgen für den Wohlfahrtsstaat, in: Soziale Sicherheit 12/1995, S. 449
Vgl. Johannes Steffen, Sozialstaat in der Reichtumsfalle, in: Z — Zeitschrift für marxistische Erneuerung 26 (1996), S. 42
Klaus-Bernhard Roy, Globalisierung der Ökonomie und nationalstaatliche Politik — Europäisierung als tragfähige Perspektive sozialstaatlicher Demokratie?, in: Sozialer Fortschritt 3/1997, S. 57
Dieter Schewe, Der Rückbau des Sozialstaats und die Euro-päische Arbeitslosigkeit, in: Sozialer Fortschritt 3/1997, S. 52
Vgl. Bernhard Blanke/ Helga Kania, Die Ökonomisierung der Gesundheitspolitik. Von der Globalsteuerung zum Wettbewerbskonzept im Gesundheitswesen, in: Leviathan 4/1996, S. 514
Susanne Renzewitz, Möglichkeiten zur Weiterentwicklung des sozialen Gesundheitswesens — Diskussion aktueller Lösungsansätze, in: Zeitschrift für Sozialreform 3/1998, S. 190
Tomas Steffens, Die Zukunft der Gesetzlichen Krankenversicherung zwischen Markt und Strukturkonservatismus, in: PROKLA 106 (1997), S. 52
Vgl. Hans-Ulrich Deppe, Wenn der Patient zum Kunden wird. Wettbewerb und Markt in der Krankenversorgung, in: Forum Wissenschaft 1/1998, S. 12
Vgl. dazu die überzeugende Kritik von Thomas Ebert, Familienfundamentalismus und Alterssicherung, in: WSI-Mitteilungen 6/1995, S. 366ff.
Vgl. Heinz Niedrig, Auf dem Wege in eine andere Republik?, in: Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit 10/1995, S. 365
Vgl. Rolf G. Heinze/ Gerhard Naegele, Die sozialen Dienste vor neuen Herausforderungen, in: WSI-Mitteilungen 6/1995, S. 409
Vgl. Annette Zimmer/ Stefan Nährlich, Krise des Wohlfahrtsstaates und New Public Management, in: Zeitschrift für Sozialreform 9/1997, S. 672
Achim Trübe, Freiheit oder Sicherheit. Sozialarbeit als abhängige Beschäftigung und als selbständiges Unternehmertum — Konsequenzen für die Profession und für die Gesellschaft, in: Blätter der Wohlfahrtspflege 5–6/1998, S. 112
Vgl. Hartmut Tofaute, Erfahrungen mit Privatisierungen von Bundesunternehmen und-beteiligungen aus der Sicht betroffener Betriebs-und Personalräte, in: WSI-Mitteilungen 5/1994, S. 317
Dieter Plehwe, Schlanker Staat wird teuer. Gesellschaftliche Kosten der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, in: Forum Wissenschaft 4/1995, S. 23
Fritz Riege, Entsolidarisierung im Gesundheitswesen, in: spw — Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft 93 (1997), S. 10
Vgl. Robert Paquet, Die Versicherten werden auf Trab gebracht. Soziale Krankenversicherung vor dem Systemwechsel, in: Sozialer Fortschritt 11/1996, S. 259f.
Siehe Anthony Giddens, „Schöne neue Welt“. Der neue Kontext von Politik, in: Berliner Journal für Soziologie 4/1994, S. 454
Siehe Volker Offermann, Sozialstaat und Massenarbeitslosigkeit. Tendenzen einer regressiven Modernisierung des Wohlfahrtsstaats, in: Sozialer Fortschritt 9–10/1997, S. 205
Bernd Guggenberger u.a., Initiative für Bürgersinn. Entwurf eines kommunitaristischen Manifests, in: Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte 7/1997, S. 653
Amitai Etzioni, Im Winter einen Pullover ablehnen, weil es im Sommer warm war? — Ein kommunitaristischer Versuch, den Wohlfahrtsstaat neu zu definieren, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 2/1997, S. 234
Siehe Jürgen Neyer/ Martin Seeleib-Kaiser, Arbeitsmarktpolitik nach dem Wohlfahrtsstaat. Konsequenzen der ökonomischen Globalisierung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 26/1996, S. 40
Vgl. Martin Seeleib-Kaiser, Der Sozialstaat und die Ware Arbeitskraft, in: Widersprüche 64 (1997), S. 44/46
Vgl. Johannes Steffen, Fatale Billig-Lohn-Ökonomie. Wer die Sozialhilfe kürzt, hat die Löhne im Visier, in: Soziale Sicherheit 10/1994, S. 372ff.
Stephan Lessenich, Umbau, Abbau, Neubau? — Der deutsche Sozialstaat im Wandel. Eine Provokation, in: Leviathan 2/1996, S. 214
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© 1999 Leske + Budrich, Opladen
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Butterwegge, C. (1999). Die liberalkonservative Restrukturierung des Wohlfahrtsstaates zum nationalen Wettbewerbsstaat. In: Wohlfahrtsstaat im Wandel. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-95118-2_5
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