Zusammenfassung
Um die Entwicklungschancen und -barrieren abschätzen zu können, die der Freizeitbereich heute für junge Frauen und Männer bietet, wird sich dieses Kapitel der Frage widmen, ob Jungen und Mädchen bzw. junge Frauen und Männer in ähnlichem Umfang über Freizeit verfügen, ob freie Zeit also gerecht verteilt ist. Auch wird hier der Frage nachgegangen, wie wichtig Jugendlichen die Freizeit neben anderen Lebensbereichen ist und ob die Jugendlichen mit ihren zeitlichen und finanziellen Spielräumen und mit den Freizeitangeboten zufrieden sind.
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Literatur
Opaschowski ermittelte 1992 viele Aktivitäten, die von einem Teil der Befragten „in jedem Fall“ als Freizeitaktivitäten verstanden wurden, von anderen „teilweise” und von wieder anderen „gar nicht“ als Freizeit empfunden wurden (vgl. Opaschowski 1992: 10).
Ob sich in diesen Antwortmustern handlungsrelevante Einstellungen zu Freizeit und anderen Lebensbereichen abbilden oder ob Geschlechtsstereotype wie Bescheidenheit und Fürsorglichkeit Frauen besonders im Osten daran hindern, ebenso selbstverständlich wie Männer ihr Freizeitbedürfnis zu artikulieren, muß dahingestellt bleiben.
Diese Studie ist die bislang aktuellste Repräsentativität anstrebende Erhebung zur Zeitverwendung in Deutschland. Die Befragung erfolgte zu vier Erhebungszeiträumen vom Herbst 1991 bis zum Sommer 1992 bei Personen ab 12 Jahren in 7.200 Haushalten. In Tagebuchaufzeichnungen beschrieben die Teilnehmer/innen der Untersuchung ihre Aktivitäten mit eigenen Worten, wobei als zeitliche Untergrenze für die einzelnen Aktivitäten 5 Minuten vorgegeben waren. Die Hauptaktivität und eine gleichzeitig ausgeübte weitere Aktivität konnten getrennt eingetragen werden.
Ehlich beschreibt die Zuordnung wie folgt. „Danach zählen die folgenden Aktivitäten zur Freizeit: direkte Gespräche und Kontakte, Telefonate, Geselligkeit wie z.B. zu Besuch gehen, Besuch empfangen, Familienfestlichkeiten oder Ausgehen, Ausflüge, Mediennutzung wie z.B. Fernsehen, Radio hören, Lesen, Spiel und Sport, Musik und Kultur. Nicht zur Freizeit zählen in unserer Studie die hauswirtschaftlichen und handwerklichen Arbeiten, ehrenamtliche Tätigkeiten, Zeiten, die mit Kinderbetreuung zugebracht werden und der gesamte Bereich physiologischer Regeneration wie z.B. Schlafen, Essen und Körperpflege.“ (vgl. Ehlich 1996: 221 )
Die Ergebnisse der Mädchenstudie ‘82 deuteten darauf hin, daß die 14- bis 19jährigen jungen Frauen mit zunehmendem Alter zum Teil in erheblichem Umfang Hausarbeit leisteten. 25% der 18jährigen Mädchen gaben an, mehr als 10 Stunden Hausarbeit pro Woche zu leisten (vgl. Brigitte: Mädchen ‘82, Tabellenband: 42). Auch 1996 erweist sich in einer Münsteraner Jugendstudie die Freizeit von Mädchen und jungen Frauen gegenüber der von jungen Männern als beschränkter. Für Jungen wird am Wochenende eine durchschnittliche Freizeit von 19,9 Stunden errechnet, für die gleichaltrigen Mädchen und Frauen (16 bis 29 Jahre) ein Budget von 18,2 Stunden (vgl. Oesterdiekhoff/Papcke 1999:21). Strzoda und Zinnecker kommen 1996 zu dem Ergebnis, daß Jungen zwischen 15 und 20 Jahren an normalen Werktagen 5,4 Stunden Freizeit zur Verfügung stehen, den gleichaltrigen Mädchen dagegen 5,0 Stunden (Strzoda/Zinnecker 1996, zit. nach Lange 1997: 90 ).
Ergebnissen einer Repräsentativumfrage des B.A.T. Freizeit-Forschungsinstituts zufolge war diese Arbeitsteilung Ende der 80er Jahre zumindest beim berufstätigen Teil der Bevölkerung im Fluß. Die Freizeit berufstätiger Frauen nahm zwischen 1988 und 1991 um eine knappe Viertelstunde zu, die der Männer sank um diesen Betrag (vgl. Opaschowski 1992: 9). Eine derzeit vorbereitete neuerliche Zeitbudgetstudie des Statistischen Bundesamtes wird klären können, ob ein solcher Trend auch für die 90er Jahre zu bestätigen ist.
Die Befragungsergebnisse vermitteln den Eindruck, daß ein sehr großer Teil der Eltern mit den Freizeitaktivitäten ihrer Töchter und Söhne einverstanden ist und ihnen freie Hand läßt und/oder daß die Jugendlichen die Ge-und Verbote ihrer Eltern zum großen Teil als so plausibel erleben, daß sie die elterlichen Anweisungen vergleichsweise selten als Einschränkung wahrnehmen. Möglich wäre allerdings auch, daß es Jugendliche schon relativ früh verstehen, ihr Freizeitverhalten elterlicher Kontrolle zu entziehen. Ein offener Konflikt um die Freizeitgestaltung der 14- bis 19jährigen scheint jedenfalls selten.
Die Tatsache, daß sich eine jugendliche Gegenbewegung unter dem Motto „No Logo“ artikuliert, belegt, daß einigen die Vereinnahmung durch die Mode-und Textilindustrie zu weit geht. Auch Opaschowski meint den eigenen Befragungen von Jugendlichen entnehmen zu können, daß die ständig steigende Bedeutung von Mode und Konsum im Verlauf der 90er Jahre kippte. Er konstatiert seit 1993 einen „deutlichen Einbruch der Konsumorientierung” (vgl. Opaschowski 1997: 36).
Auf die Frage: „Manche Leute haben Spaß, einmal Dinge zu tun, die,vernünftige Menschen’ eigentlich nicht tun. Machen Sie/Machst Du auch solche Dinge?“ bekennen sich weit mehr Jugendliche als Erwachsene zu „unvernünftig viel Alkohol trinken”, „mit anderen die Nacht his zum Morgen durchmachen“, oder zu „seinen Körper mal his zum letzten verausgaben (z.B. Training, Sport)” (vgl. Fuchs 1985, Bd. 2: 28).
Die Ende der 90er Jahre von Raithel durchgeführte Studie, die zu diesem Befund kommt, basiert auf einer Befragung von knapp 300 männlichen Jugendlichen im Alter von 16 bis 18 Jahren an Berufsschulen. Das hier referierte Ergebnis basiert auf den Antworten von 137 jugendlichen Motorzweiradfahrern; es bedürfte also einer breiteren empirischen Basis.
Freizeitaktivitäten, die in den repräsentativen, gut nachvollziehbaren Jugendstudien vernachlässigt wurden, finden hier höchstens am Rande Beachtung. Das gilt zum Beispiel für das Reisen im Jugendalter, für das nur wenig verläßliche Daten vorliegen.
Vorbild für die deutschen Sprayer, die in den 80er Jahren begannen, der Bundesbahn zu schaffen zu machen, waren die Sprayer, die die New Yorker U-Bahn mit ihren bunten Gemälden „verzierten“. Dabei waren deutsche Graffiti-Künstler sicher nur vereinzelt selbst in den USA gewesen. Viele kannten Graffiti erst einmal nur aus den Medien (vgl. Janke/Niehues 1994: 34 ).
Dieses Verfahren gibt über die Konturen der Freizeitgestaltungen mit Sicherheit weniger genau Auskunft als die Tagebuchaufzeichnungen der Zeitbudgetstudie des Statistischen Bundesamtes.
Diese Liste ist sicher nicht sehr befriedigend, gehören doch „Musik hören“ und „Lesen”, die hier zusammengefaßt wurden, völlig unterschiedlichen jugendkulturellen Stilen an. Ferner fehlen auf der Liste Aktivitäten, von denen man annehmen muß, daß sie im Alltag der Jugendlichen sicher eine größere Rolle spielen als der Besuch von Sportveranstaltungen.
Medieninhalten rekonstruieren. Die geschlechtsspezifische Aneignung von medialen Präsentationen findet dabei nur gelegentlich Beachtung (vgl. Cornelißen 1998 ).
Besonders hervorzuheben ist hier die Studie „Jugend, Information, (Multi-)Media“ (JIM) des medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest, die den Medienumgang 12- bis 19jähriger in Deutschland im jährlichen Abstand, im Jahr 2000 zum dritten Mal, erhob. Sie basierte im Jahr 2000 auf einer repräsentativen Stichprobe von 1.200 Jugendlichen in West-und Ostdeutschland, die telefonisch befragt wurden.
Diese Studie orientiert sich an der sehr viel engeren Fassung der Jugendphase in der Medienforschung. Dort wird die Jugendforschung in der Regel auf die 14- bis 19jährigen begrenzt.
Wobei die Mädchen RTL und VIVA mehr Interesse entgegenbringen als die Jungen und die Jungen PRO7 besonders bevorzugen.
Bekannt ist auch, daß insbesondere bei Jugendlichen die „Musikfarbe“ das entscheidende Kriterium für die Wahl „ihrer” Sender ist. Dabei gibt es deutliche Hinweise auf geschlechtsspezifische Präferenzen für verschiedene Musikrichtungen (vgl. Lange 1997: 98 ).
Dieses Ergebnis ist für sich betrachtet unglaubwürdig, erhalten doch Jungen in der Schule sicher den gleichen Zugang wie Mädchen. Vermutlich aber erwähnen Mädchen ihren Computerzugang in der Schule häufiger als Jungen, weil dieser für Mädchen häufiger als für Jungen den einzigen Zugang zu diesem Medium darstellt.
Der Spiegel machte kürzlich zum Beispiel auf Internet-Foren aufmerksam, auf denen auch Minderjährigen Anleitungen zum Selbstmord zugänglich sind und tödliche Medikamente angeboten werden (vgl. Der Spiegel 9/2001: 78 ff).
Da der Begriff „pornographisch“ in der Befragung nicht definiert war, ist natürlich fraglich, welche Inhalte die Jugendlichen dieser Rubrik zuordnen. Dies ist auch den Autorinnen und Autoren der Studie JIM 2000 bewußt (vgl. ebd.).
Auch Eltern wissen den Vorteil von Handys zu schätzen, kann ein Anruf der Kinder doch manche Sorge über deren Verbleib nehmen und „Abholdienste“ können flexibel organisiert werden. Manche Unzuverlässigkeit öffentlicher Verkehrsmittel kann so durch erhöhte private Verfügbarkeit kompensiert werden.
Während 12- bis 15jährige Mädchen im Durchschnitt täglich eine halbe Stunde und die Jungen eine dreiviertel Stunde Sport treiben, liegen diese Werte für die 16- bis 19jährigen schon deutlich niedriger. Junge Frauen treiben in dieser Altersgruppe täglich noch durchschnittlich 17 Minuten Sport, die gleichaltrigen jungen Männer noch 25 Minuten. Bis zum Ende des zweiten Lebensjahrzehnts nimmt die Zeit, die für den aktiven Sport aufgewandt wird, weiter ab (eigene Berechnungen nach Daten der Zeitbudgetstudie 1991/92).
Es ist natürlich nicht auszuschließen, daß sich in solchen Antwortmustern weniger tatsächliche Verhaltensmuster als geschlechtsstereotype Selbstkonstruktionen widerspiegeln.
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Cornelißen, W. (2002). Freizeit — freie Zeit für junge Frauen und Männer?. In: Junge Frauen — junge Männer. DJI-Reihe, vol 12. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-95057-4_4
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-95057-4_4
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
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