Zusammenfassung
„Wir haben zu viele Soziologen [...]. Wir brauchen mehr Studenten, die sich für anständige Berufe entscheiden, die der Gesellschaft nützen“ (Helmut Schmidt 1968; zit. nach Brüderl/Reimer 2002: 199). Der diplomierte Volkswirt und spätere Bundeskanzler stand mit dieser Äußerung nicht allein; sein politisch-intellektueller Widerpart Franz-Josef Strauß sah sich in solcher Einschätzung mit ihm einig. Tatsächlich war die bundesrepublikanische Soziologie seinerzeit in erster Linie eine — zudem in sich gespaltene — Wissenschaft und weit weniger ein Beruf, mit dem man außerhalb des Wissenschaftsbetriebes etwas anfangen konnte, und nur wenige Soziologen waren außerhalb der Universität fachorientiert bzw. ausbildungsadäquat beschäftigt. Der gesellschaftspraktische Nutzen der Disziplin blieb darüber hinaus auch aufgrund der Fachsprache, des sprichwörtlichen „Soziologenchinesisch“, für Außenstehende weitgehend im Dunkeln. In Verbindung mit den Studentenunruhen Ende der 60er und der folgenden Jahre war es dann ein Leichtes, Soziologen von interessierter Seite in der Öffentlichkeit zu diskreditieren. Den Wandel der Soziologie zu dem, was sie heute ist; hat eine breite Öffentlichkeit nicht mitbekommen, wie in den Vorurteilen erkennbar wird, denen man auch gegenwärtig noch begegnet:
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Insbesondere Soziologen monierten bekanntlich „unter den Talaren den Muff von tausend Jahren“ und forderten entsprechende Reformen des Wissenschaftssystems und der Gesellschaft (vgl. Stockmann 2002a: 14). Das Vorurteil vom Soziologen als „Revoluzzer“ und „Sozialschmarotzer“ ist ein Erbe der 68er-Bewegung. Als Zerrbild eines Images formuliert: „Soziologen sind links, radikal und streben eine Veränderung der Gesellschaft an. Eine wichtige Aufgabe sehen sie darin, auf Straßen oder in Hörsälen zu randalieren [...]. Soziologiestudenten ziehen ihr Studium auf Kosten der Steuerzahler übermäßig in die Länge. Sie sind schlampig gekleidet, langhaarig, ungepflegt, haben ein schnoddriges Auftreten und spotten allen bürgerlichen Konventionen“ (Lamnek 1988: 31).
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Auf eine institutionelle Expansionsperiode der akademischen Soziologie in den 60er und 70er Jahren folgte in den 80er Jahren eine Stagnation, die in den 90em durch die Wiedervereinigung von einer erneuten Expansionsphase abgelöst wurde. Bis Mitte der 70er Jahre fand rund die Hälfte aller Soziologie-Absolventen im Wissenschaftsbetrieb eine Beschäftigung. Ende der 70er Jahre waren es gerade noch 20–25% der Graduierten, die von sozialwissenschaftlichen Fachbereichen absorbiert wurden, „ohne dass im außeruniversitären Bereich gleichzeitig ausreichend alternative Arbeitsplätze zur Verfügung standen [...]. Diese mussten in den Folgejahren erst erkämpft werden“ (Stockmann 2002a: 14f.). Die Vorstellung von Soziologie als „brotloser Kunst“, die Rede von „Dr. Arbeitslos“ bzw. der Spott über den „Taxifahrer Dr. phil.“ sind ein Vermächtnis der „Soziologenschwemme“ Ende der 70er Jahre. Soziologen gelten auch heute noch als „schwer vermittelbar“.
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Die beiden Vermächtnisse in Kombination mit dem ebenfalls weit verbreiteten Vorurteil vom „Alibi-Studium“ bzw. „Laberfach“, das aus Verlegenheit, nicht aus Interesse, sondern wegen seiner Simplizität studiert wird (vgl. Alemann 1995b: 278), ergeben ein Gesamtprofil vom Soziologen, das — als Stereotyp gepflegt — Aussagen in politischer Absicht wie die eingangs zitierte des Ex-Kanzlers plausibel macht: „Wenn die Soziologie in der Öffentlichkeit überhaupt wahrgenommen wird, so häufig als Karikatur eines wirtschaftlich gänzlich überflüssigen Fachs, welches hauptsächlich als Sammelstelle leistungsunmotivierter und unserer Gesellschaftsordnung kritisch gegenüber stehender junger Menschen dient [...] Soziologen studieren außergewöhnlich lang, sie betreiben wenig Aufwand für ihr Studium und ihre im Studium erlernten Kenntnisse lassen sich am Arbeitsmarkt nicht oder nur für einige wenige exotische Tätigkeiten sinnvoll verwerten“ (Meyer 2002: 45).
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Lamnek, S., Ottermann, R. (2003). Professionalisierung, Berufsbild und Berufschancen von Soziologen. In: Orth, B., Schwietring, T., Weiß, J. (eds) Soziologische Forschung: Stand und Perspektiven. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-95017-8_3
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