Zusammenfassung
Die Psychoanalyse Sigmund Freuds gehört zu jenen einflußreichen geistigen Bewegungen, deren Impetus sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegen einen doppelten Mythos richtete: zum einen gegen den Mythos eines vernunftgesteuerten bürgerlichen Fortschritts im Zeichen wissenschaftlich-technischer Rationalität und Verfügbarkeit, den Freud im Namen eines prinzipiell unverfügbaren Unbewußten infragestellte; zum andern gegen den Mythos von der Prädominanz eines Geistigen schlechthin, wie sie etwa der Deutsche Idealismus postuliert hatte, den Freud im Namen einer prinzipiell unhintergehbaren Leiblichkeit des Menschen widerrief. Für beide (freilich miteinander zusammenhängende) Kritikpositionen, die sich als „materialistisch“ bzw. „naturalistisch“ charakterisieren lassen, konnte sich der Begründer der Psychoanalyse auf eine Reihe von Vorläufern und Mitdenkern berufen. In der naturalistisch gebrochenen Philosophie Schellings, erst recht in der pessimistischen Welt-Lesart Schopenhauers, in welcher ein dunkler „Wille“ über die bewußte „Vorstellung“ triumphiert, und in Nietzsches dionysischer Entzauberung des okzidentalen Zivilisationsprozesses waren jene Fundamente der Kritik an einem bürgerlichen Fortschritts- und Vernunftoptimismus gelegt, auf die Freud zwanglos aufbauen konnte. Im Physikalismus der Schule von Emil Du Bois-Reymond, Hermann von Helmholtz und seines Mentors Ernst Wilhelm von Brücke fand Freud die seine gesamte Lehre prägende Gewißheit, daß der Mensch kein Geist-, vielmehr ein Naturwesen ist, dem nur mit naturwissenschaftlichen Erkenntnismethoden beizukommen ist.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literatur
5.1. Verwendete Literatur
Adorno, Theodor W. 1951: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben, Frankfurt am Main 1969.
Dahmer, Helmut 1973: Libido und Gesellschaft. Studien über Freud und die Freudsche Linke, Frankfurt am Main.
Duerr, Hans Peter 1988ff.: Der Mythos vom Zivilisationsprozeß, 4 Bde., Frankfurt am Main.
Freud, Sigmund 1900: Die Traumdeutung, G.W. II1III.
Freud, Sigmund 1901: Zur Psychopathologie des Alltagslebens, G.W. I V.
Freud, Sigmund 1905a: Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, G.W. V.
Freud, Sigmund 1905b: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten, G.W. V I.
Freud, Sigmund 1908: Die „kulturelle“ Sexualmoral und die moderne Nervosität, G.W. VII, 143 - 167.
Freud, Sigmund 1909: Bemerkungen über einen Fall von Zwangsneurose, G.W. VII, S. 379 - 465.
Freud, Sigmund 1910: Über Psychoanalyse, G.W. VIII, S. 1 - 60.
Freud, Sigmund 1912/13: Totem und Tabu, G.W. IX.
Freud, Sigmund 1914: Der Moses des Michelangelo, G.W. X, S. 171-2o1.
Freud, Sigmund 1915: Zeitgemäßes über Krieg und Tod, G.W. X, S. 323 - 355.
Freud, Sigmund 1923: Das Ich und das Es, G.W. XIII, S. 235 - 289.
Freud, Sigmund 1928: Kurzer Abriß der Psychoanalyse, G.W. XIII, S. 403-427. Freud, Sigmund 1930: Das Unbehagen in der Kultur, G.W. XIV, S. 419 - 506.
Freud, Sigmund 1933: Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, G.W. X V.
Jones, Ernest 1953: Das Leben und Werk von Sigmund Freud, Bd. 1, Bern/Stuttgart/Wien 1978.
Lacan, Jacques 1986: Das Seminar Buch VII: Die Ethik der Psychoanalyse, Weinheim/Berlin 1996.
Lohmann, Hans-Martin 1998: Sigmund Freud, Reinbek 2001.
Marcuse, Herbert 1955: Triebstruktur und Gesellschaft. Ein philosophischer Beitrag zu Sigmund Freud, Frankfurt am Main 1970.
Ziek, Slavoj 1999: Liebe deinen Nächsten? Nein, danke! Die Sackgasse des Sozialen in der Postmoderne, Berlin.
Zi2ek, Slavoj 2001: Die Tücke des Subjekts, Frankfurt am Main.
5.2. Primärliteratur
Dahmer, Helmut (Hg.) 1980: Analytische Sozialpsychologie, Frankfurt am Main. Freud, Sigmund 1916/17: Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, G.W. XI. Freud, Sigmund 1920: Jenseits des Lustprinzips, G.W. XIII, S. 1 - 69.
Freud, Sigmund 1921: Massenpsychologie und Ich-Analyse, G.W. XIII, S. 71 - 161.
Freud, Sigmund 1939: Der Mann Moses und die monotheistische Religion, G.W. XVI, S. 101 - 246.
Fromm, Erich 1962: Jenseits der Illusionen. Die Bedeutung von Marx und Freud, Reinbek 1981.
Fromm, Erich 1979: Sigmund Freuds Psychoanalyse — Größe und Grenzen, Stuttgart.
Gasser, Reinhard 1997: Freud und Nietzsche, Berlin/New York.
Horkheimer, Max/Adorno, Theodor W. 1947: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Amsterdam.
Horney, Karen 1967: Die Psychologie der Frau, Frankfurt am Main 1984.
Lohmann, Hans-Martin 1986: Freud zur Einführung, Hamburg 1999.
Marcuse, Herbert 1965/66: Kulturkritik und Gesellschaft, Frankfurt am Main.
Schmidt, Alfred/Görlich, Bernhard 1995: Philosophie nach Freud. Das Vermächtnis eines geistigen Naturforschers, Lüneburg.
Schöpf, Alfred 1982: Sigmund Freud, München.
5.3. Einstiegstext
Sigmund Freud 1908: Die „kulturelle“ Sexualmoral und die moderne Nervosität, G.W. VII, S. 143 - 167.
Editor information
Rights and permissions
Copyright information
© 2002 Leske + Budrich, Opladen
About this chapter
Cite this chapter
Lohmann, HM. (2002). Die Konflikttheorie der Psychoanalyse. In: Bonacker, T. (eds) Sozialwissenschaftliche Konflikttheorien. Friedens- und Konfliktforschung, vol 5. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-94989-9_22
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-94989-9_22
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Print ISBN: 978-3-8100-3002-3
Online ISBN: 978-3-322-94989-9
eBook Packages: Springer Book Archive