Zusammenfassung
Das französische Geschichtsbewusstsein wurde recht früh mit Hilfe von Ursprungsmythen konstituiert. Schon im Mittelalter sind Mythen von Geistlichen systematisch zum Zweck der dynastischen Legitimation eingesetzt worden. Es waren jedoch die Geschichtswissenschaftler des 19. Jahrhunderts, die „ethnischen Unternehmer“ bzw. „Gedächtnis-Unternehmer“ (Halbwachs) des französischen Nationalstaats, welche, wie Suzanne Citron überzeugend gezeigt hat (Citron 1991), aus früheren Teilmythen einen einheitlichen, in sich konsistenten „Nationalmythos“ kreiert haben. Mit Hilfe dieses Mythos wollte man dem frischgebackenen französischen Nationalstaat Beständigkeit verleihen, denn aufgrund der industriellen Revolution, der damit verbundenen Landflucht und der zahlreichen politischen Umbrüche war die neue kollektive Identität in eine Krise geraten. In einem Land, das sich in einem Säkularisierungsprozess befand, nahm außerdem der einheitliche Nationalmythos die Form eines Religionsersatzes an. Nicht ohne Grund betrachtete der Historiker Jules Michelet Frankreich als ein „Dogma“, eine „Legende“, einen „Glauben“ und eine „Religion“. 1Die Schulen der Dritten Republik wurden zu den Hauptvermittlungsstellen der Weitertradierung des einheitlichen, die politischen Lager übergreifenden Nationalmythos — und zwar zum Zweck des politischen Systemerhalts.
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Bizeul, Y. (2000). Die Nation als mythisches Konstrukt in Frankreich. In: Albertin, L., et al. Frankreich-Jahrbuch 2000. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-94986-8_3
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