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Einleitung „Verdrängung des Todes?“

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Politik und Tod
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Zusammenfassung

Es ist ein bis zum Überdruss wiederkehrender, besonders billig zu habender und in allen Feuilletons, Festreden und Fernsehtalkshows universell verwendbarer Refrain modernen kulturkritischen Räsonierens, dass der Mensch von heute — oder „unsere Gesellschaft“ — ein notorischer Todesverdränger sei; seit man nicht mehr wie in der guten alten Zeit in der guten Stube, umgeben von traurigen, aber gefaßten und durch uralte Rituale stabilisierten Freunden und Verwandten, seinen für alle Beteiligten tröstlich-schönen Tod sterbe, ja, dirigierend inszeniere, um schließlich ein letztes Mal eine tragende oder besser: getragene Rolle zu spielen, nämlich die der Hauptperson eines Leichenzugs1, habe unser Endlichsein, habe der Tod keinen Platz mehr in unserem Bewußtsein.

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Literatur

  1. Geradezu abgestoßen von den fast täglich zu hörenden und zu lesenden einschlägigen kulturkritisch sein wollenden Jeremiaden karikiere ich damit zugegebenermaßen Philippe Ariès, der allerdings mit seiner Romantisierung des Sterbens im Mittelalter und der frühen Neuzeit daran alles andere als unschuldig ist (siehe insbesondere seine „Studien zur Geschichte des Todes im Abendland, München: Hanser, 1976 ).

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  2. Hier lassen sich Parallelen z.B. zum öffentlichen Moraldiskurs, speziell zum Reden über den angeblichen Moralverfall bei der Jugend, herstellen. So zeigte sich, wie der Soziologe Dirk Kaesler berichtet, auf dem Soziologenkongress 2000 seine Münchner Kollegin Nunner-Winkler überzeugt, „dass das ganze öffentliche und private Gerede über den Verlust von Normen und den Verfall jeglicher Moral heutiger Jugendlicher nur diffamierendes Geschwätz ist“, während ernsthafte Untersuchungen zeigten, dass drei Viertel der Jugendlichen Moral ernst bis sehr ernst nähmen (Dirk Kaesler, Pfadfinder wieder auf festem Boden, Süddeutsche Zeitung, 14.10.2000). Ich bin überzeugt, dass eine gewissenhafte, tiefgehende und breit angelegte empirische Studie zur Einstellung der Bürger zu Tod und Sterben auch das oft an Diffamierung grenzende Gerede über die „Verdrängung des Todes” erledigen würde.

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  3. Siehe dazu Klaus Bergdolt, Der Schwarze Tod in Europa. Die Große Pest und das Ende des Mittelalters, München (C.H.Beck ), 1994

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  4. Sehr zu recht hat kürzlich Klaus Feldmann (Sterben und Tod, Sozialwissenschaftliche Theorien und Forschungsergebnisse, Opladen (Leske + Budrich), 1997 ) einige wichtige Gegenthesen gegen die These von der Verdrängung des Todes ins Feld geführt, die in der Summe zu dem Schluß führen, „dass Tod und Sterben [heute] realitätsgerechter betrachtet werden als in früheren Zeiten und produktiv kulturell einbezogen werden..“(S. 39) — Und „um einer kulturkritischen Pauschalbewertung die Spitze zu nehmen”, was den Verlust von Primärerfahrungen im allgemeinen und vom Tod im besonderen anbelangt, führt er ins Feld: „In vielen Fällen, z.B. was Krieg, Hunger oder Sterben von Säuglingen betrifft, wird der Verlust der Primärerfahrung als Segen empfunden“. Und selbst wenn es die Primärerfahrungen gäbe, führte dies nicht notwendigerweise zu „realitätsgerechterem” Verhalten, vielmehr bedeute es „nur andere und häufig auch engstirnigere, dogmatischere Realitätskonstruktion.“ (S. 73 )

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  5. Vgl. z.B. Norbert Ohler, Sterben und Tod im Mittelalter, München (Artemis), 1990, sowie die Studien von Ariès.

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  6. Siehe als neueren Überblick: Richard van Dülmen, Historische Anthropologie. Entwicklung — Probleme — Aufgaben, Köln, Weimar, Wien (Böhlau ), 2000.

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  7. Vgl.: Gottfried Fischer und Peter Riedesser, Lehrbuch der Psychotraumatologie, München Basel (Ernst Reinhardt), 1988. Es wäre sicher nützlich, diese psychologische Traumaforschung z.B. mit dem Sonderforschungsprojekt „Kriegserfahrungen“ in Verbindung zu bringen, das im Jahre 1999 an der Universität Tübingen begann.

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  8. Wolfgang Matz, Julien Green, München (edition text und kritik), 1997, S. 15

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  9. Millar we in politics wish to know is whether Mr. X understands his business, whether he has initiative, whether he is informed, whether he steals more than is absolutely necessary, whether he lies more than is publicly beneficial, and so on, but not that the state is the reality of the modern idea. That is completely uninteresting in politics. So in politics we have to do with human things, and if in place of the men who are the representatives we put the state as cliché in this way, as Hegel does…, then we have already got completely away from political reflection.“ Eric Voegelin, Hitler and the Germans, The Collected Works of Eric Voegelin, Vol. 31, Columbia and London (University of Missouri Press), 1999, S. 83

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  10. John J. Medina, Die Uhr des Lebens: wie und warum wir älter werden, Basel; Boston; Berlin (Birkhäuser), 1998, S. 11 u. 13

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  11. Thomas Luckmann, Die unsichtbare Religion, Frankfurt (Suhrkamp) 1991 (englisch u.d.T. „The Invisible Religion“, New York 1967 )

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  12. Peter Berghoff, Der Tod des politischen Kollektivs. Politische Religion und da Sterben und Töten für Volk, Nation und Rasse, Berlin (Akademie Verlag), 1997, S. 17. Freilich ist Berghoff zu widersprechen, insofern er, kurzschlüssig und verkürzend, anschließt: „Die Angst (Hervorh. i.O.; WK) mag mitunter geleugnet werden, aufzulösen ist sie indessen nicht. Die Angst hinsichtlich des Todes muss als Moyens für die Genese der kompensierenden Phantasmen hinsichtlich einer vitalen politischen Kollektivität ins Blickfeld gestellt werden.“ (ibid.) — Berghoff leitet praktisch übergangslos von der — zu recht erfolgenden — Thematisierung der Todeserfahrung zur Todesangst über und unterstellt damit, dass beide quasi identisch seien bzw. letztere automatisch aus ersterer resultiere. Aber man muss die Möglichkeit offenhalten, dass es andere als Angstreaktionen auf die Todeserfahrung gibt!

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© 2001 Leske + Budrich, Opladen

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Kremp, W. (2001). Einleitung „Verdrängung des Todes?“. In: Politik und Tod. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-94972-1_1

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-94972-1_1

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

  • Print ISBN: 978-3-8100-3024-5

  • Online ISBN: 978-3-322-94972-1

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