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Bevölkerungspolitische Maßnahmen am Beispiel Geburtenkontrolle

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Part of the book series: Forschung ((FS,volume 143))

Zusammenfassung

Dieses letzte Kapitel behandelt das im Diskurs der International Conference on Population and Development (ICPD) zentrale Thema der Geburtenkontrolle. Hier möchte ich mittels ethnographischer Beispiele zeigen, wie Gesellschaften und Subjekte1 — auch ohne ‘moderne’2 Methoden — die Geburten regulieren, und wie sie heute mit ‘modernen’ Kontrazeptiva umgehen.

„In meinem Land sind Verhütungsmittel viel leichter zu bekommen als Schulbücher“ (‘Afrikanerin’ auf einer ‘Frauen’-Pressekonferenz zit. n. Ruf 1994: 21).

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Literatur

  1. Zur Sicht auf die lokalen Verhältnisse und die Subjekte stütze ich mich v.a. auf Aussagen und Berichte von ‘Frauen’ aus dem ‘Süden’ und dem ‘Norden’ — aus Büchern, Medien und Filmen.

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  2. Ich setze ‘modern’ und ‘traditionell’ in Anführungszeichen, weil ich diesen Dualismus als Unterscheidungsprinzip infragestelle und eher differenziere zwischen neueren medizinisch-reproduktionstechnologischen, industriell produzierten Verhütungsmethoden und anderen, meist älteren, kulturspezifischen Geburtenkontrollmethoden. Da ich mich hier jedoch auf die bevölkerungspolitischen Diskurse beziehe, verwende ich deren Bilder.

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  3. Die !Kung — oder !Kung San’, wie sie genannt werden, ‘Zhuntwasi’, wie sie sich selbst nennen — lebten zur Zeit von Shostaks Forschung als eine der letzten Wildbeutergesell-schaften — Jäger- und Sammlerinnen — in abgeschiedenen Gegenden von Botswana, Angola und Namibia.

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  4. Bei der Lektüre dieser ethnographischen Biographie war ich sowohl von der Stärke, der Offenheit und der Erinnerungs- und Erzählkunst von Nisa beeindruckt, als auch vom Versuch Shostaks, Nisa in ihrer Übersetzung reden zu lassen und v.a. über Nisa die !Kung-’Frauen’ und ihre Kultur ein Stück weit vorzustellen. Shostaks Buch gilt als Beispiel für das steigende Interesse an einer ethnographischen Neubewertung subjektiver Aspekte durch die New Ethnography. Es ist ein paradigmatisches Text-Beispiel einer reflektierten intersubjektiven Beziehung, das die herkömmliche Subjekt-Objekt-Dichotomie aufzuheben vermag (vgl. Clifford 1993b: 214). Dabei hebt Shostak v.a. das ‘Frau’-Sein als Gemeinsames der Begegnung zwischen der Informantin und der Forscherin hervor, weshalb Clifford (a.a.O.: 209) Nisa als „westliche feministische Allegorie“bezeichnet. Dieser Bezug auf Gemeinsamkeiten unter ‘Frauen’ entspricht dem feministisch-ethnologischen Trend zu Beginn der 80er Jahre, der heute durch das Problematisieren bestehender Differenzen infrage gestellt wird (s. 2.1.2).

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  5. Laut Grohs (1990:25) gebären ‘Frauen’ selten allein. Die !Kung — und die Bambu ti — seien diesbezüglich Ausnahmen.

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  6. Nahezu 20% der Kinder sterben im Lauf des ersten Lebensjahres, und nur 54% werden alt genug, um heiraten zu können. Nisa hatte auch Fehlgeburten. Sie beschreibt, wie sie alle ihre Kinder verloren hat, und wie sie um sie trauert; zwei starben sehr früh, zwei später (151ff., 247).

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  7. Die ersten Lebensjahre dürfen !Kung-Kinder ständig, Tag und Nacht, an der Mutterbrust trinken. Als Nisas Mutter mit ihr als Kleinkind wieder schwanger wurde, rieb sie sich die Brustwarzen mit einer Salbe aus einer bitteren Wurzel ein, damit die Kleine nicht mehr davon trinken sollte. Nisa litt sehr darunter, weil sie noch gern trinken wollte und noch so klein war.

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  8. Durch die Sesshaftigkeit und die Assimilation an die Bantus haben sich allgemein die Lebensverhältnisse der !Kung stark verändert: Der Nahrungswandel führt zu mehr Krankheiten und zur früheren Menarche (vgl. Howell n. Kolata 1975: 100). Auch der egalitäre Status von ‘Frauen’ und ‘Männern’, von Fried/Fried (1980: 28) als egalitärstes aller bekannten Geschlechterverhältnisse bezeichnet, konnte sich nicht halten (vgl. Draper n. Kolata a.a.O.: 99). 9 Kolata (1975: 100f.) berichtet auch von einer These, wonach die Nahrung der nomadisierenden !Kung zu wenig Körperfett produziere, um eine Ovulation zu ermöglichen (vgl. auch MacCormack 1982: 6ff.).

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  9. Den Begriff ‘negative Geburtenregulierung’ benutze ich als Gegensatz zur geburtenfördernden, bspw. durch Rituale und magische Bräuche, von denen Ethnographien vorwiegend berichten (vgl. Loux 1991; Gélis 1989). In Volksbräuchen ist laut Loux’ ethnographisch-historischer Untersuchung über das Kind in der westeuropäischen Volksmedizin praktisch nur von der Unfruchtbarkeit die Rede, was m.E. nicht allein mit der Erwünschtheit von Kindern zu tun hat, sondern auch mit der gesellschaftlichen, religiösen und politischen Verfolgung der verhütenden oder abtreibenden Geburtenkontrolle (s. 4.3). Des Weiteren nehme ich an, dass die Ethnographinnen nicht nach dem Verhütungswissen und den -praktiken geforscht haben.

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  10. Historisch und ethnographisch betrachtet gehören Verhütung und Geburtshilfe zusammen. Die ältesten erhaltenen Dokumente von antikonzeptionellen Praktiken stammen aus Ägypten. Vom griechisch-römischen Wissen über Geburtenkontrolle erfahren wir v.a. von Aristoteles, Plinius und Soranus von Ephesus (vgl. Dumont du Voitel a.a.O.: 180f.). Das Wirken von Soranus im 172. Jh. gilt als Höhepunkt der antiken Geburtshilfe (vgl. Kuntnerl991: 15).

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  11. Vgl.: „Die Idee, dass alle Lebewesen durch den Einfluss eines Samens auf ein primordi-um (ein ‘Ei’) entstehen, war seit dem späten 17. Jahrhundert Gemeingut des aufgeklärten Denkens; (…). In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts herrscht ein gelehrter Konsens über die Universalität sexueller Fortpflanzung“(Duden 1991a: 223). Dadurch hat sich auch die Vorstellung von Geburtenkontrolle geändert.

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  12. Vgl. Malinowski (1979: 131) zu den matrilinearen Trobriand: „Das Geistkind wird vom Überbringer (meist ein mutterseitiger Verwandter MK) auf den Kopf der Frau gelegt. Blut aus ihrem Körper strömt in den Kopf, und auf diesem Blutstrom rutscht das Kind allmählich nach unten, bis es sich im Schoß festsetzt. Das Blut hilft den Körper des Kindes aufbauen — es ernährt ihn. Aus diesem Grunde versiegt bei der Schwangeren der Menstruationsfluss“.

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  13. Sexuelle Askese wurde in theologischen Schriften recht unterschiedlich bewertet; so gab es z.B. jüdische Schriften dazu, die den zölibatären Stand der Mönche und Priester als „den Samen verkommen lassen“und Nichterfüllung der Pflicht der Kinderzeugung auffassten (Ranke-Heinemann 1993: 42). Ähnlich wird im Katholizismus bis heute Verhütung mit Mord assoziiert.

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  14. Verschiedenartige Formen sexueller Vorschriften, Verbote und Tabus sind Teil gesellschaftlichen Ordnungen. Sie beziehen sich auf Rituale und Zeremonien (vgl. bspw. Paul 1990: 38). Häufig ist auch die Phase nach der Geburt eines Kindes mit einem Sexualtabu für die Eltern belegt (vgl. bspw. Clastres 1984). Meidungsgebote und die vielfach erwähnte Angst der Männer vor der weiblichen Unreinheit können als Formen „ideologischer Geburtenkontrolle“betrachtet werden (Lindenbaum n. Dumont du Voitel 1994: 169).

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  15. Dass bspw. in Neuguinea und Melanesien z.T. eine rituelle Homosexalität und die Furcht vor Menstrualblut gefördert wird, könnte darauf hinweisen, dass Gesellschaften mit „negativer Einstellung zur Reproduktion“tendenziell homosexuelle oder andere nicht der Fortpflanzung dienende Formen der Sexualität akzeptieren und fördern (Harris 1989: 360, diese These stimmt überein mit 4.3.2).

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  16. Lévi-Strauss (1977: 204ff.). Hier geht es um die Wirksamkeit der Symbole bei der Geburtshilfe. Vgl. auch Oppitz (1993: 87ff.); Nadig (1998: 23ff.).

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  17. Bei den Yuma z.B., die den nordamerikanischen Mohave verwandt sind, kann sich eine ‘Frau’ steril machen, indem sie auf einen Ameisenhaufen uriniert (vgl. Devereux 1986: 177). Soranus machte ‘Frauen’ Empfehlungen, herumzuspringen, sich hinzuhocken, zu niesen oder beim Orgasmus des ‘Mannes’ die Luft anzuhalten. In der europäischen Alltagskultur gab/gibt es vielerlei ähnliche Ratschläge (vgl. Hoonakker 1994: 33).

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  18. Die Meinungen über die verhütende Wirkung des Stillens sind allerdings geteilt. Plausibel scheint mir, dass Bruststillen nur verhütend wirkt bei regelmässigem und vollständigem Stillen ohne einsetzende Menstruation (Vgl. Maier 1994: 252; Engelhardt 1989: 11f.). -Das Aktionsprogramm der ICPD (51) fordert dazu auf, „das Brustnähren zu fördern“.

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  19. Der Coitus Interruptus war in Europa weitverbreitet üblich (vgl. Schneider/Schneider 1995: 177ff.).

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  20. Genital angewandt werden sie z.B. mechanisch als klebrige Massen, die den Muttermund verschliessen, oder chemisch durch Störung des normalen Säuregrades der Vagina. Honakker beschreibt in seiner Geschichte der Empfängnisverhütung eine Vielzahl an Rezepten und Anwendungen (1994: 30ff.): Feinzerriebene Akazienblätter, Koloquinten und Datteln wurden mit Honig und Baumwollfäden vermengt und in die Vagina eingeführt.

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  21. Für die Anwendung solcher Mittel setzen sich, da sie nicht gesundheitsschädigend wirken und ‘Frauen’ eine autonome Handhabung bei Bedarf ermöglichen, besonders ‘Frauen’-Gesundheitsgruppen ein. Die Offensichtlichkeit des Verhütungsvorgangs mag allerdings dazu beitragen, dass diese Methoden heute wenig Anklang finden. Hartmann (1995: 179f.) nennt als Hauptgründe für deren geringe Verbreitung den Sexismus — wobei es darum gehe, eine Selbstkontrolle von ‘Frauen’ zu verhindern — und das Profitinteresse der Pharmaindustrie — die daran weniger verdiene als an hormonellen Kontrazeptiva. Barrieremethoden werden heute häufig mit hormonellen Mitteln — Sprays, Zäpfchen oder Gels — kombiniert, die ihrer Nebenwirkungen wegen fragwürdig sind (z.B. kann Non Oxinol 9 Geschwüre und Entzündungen in der Vagina hervorrufen und ist auch in der Muttermilch nachweisbar, vgl. Düppertal 25.6.90).

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  22. Früher wurden Kondome z.B. aus Fischblasen oder aus dem Blinddarm von Schafen hergestellt. Gegenwärtig erlangen Kondome v.a. als Schutz vor AIDS eine wichtige Funktion.

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  23. Scheidenduschen gab es z.B. schon zu Soranus’ Zeiten (im 172. Jh.).

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  24. Es werden mechanische, symbolische, orale und invasive Schwangerschaftsabbruch-Methoden beschrieben. Eine mechanische Art beschreibt Clastres (1984) bei den Guayaki/Aché, nomadischen Jägergesellschaften in Paraguay, wo Ehemänner ihren Ehefrauen auf deren Bitte hin helfen, mittels Stößen in den Bauch die Frucht abzutreiben. Bsp. einer symbolischen Methode der !Kung/Zhuntwasi ist das Kochen an anderen Feuern (s.o.). Oral eingenommen werden z.B. Sadebaum (vgl. Leibrock-Plehn 1993: 78) und Mutterkorn (vgl. Seybolt 1988: 105). Invasive Methoden sind Eingriffe der Schwangeren selbst, z.B. Aufstechen der Fruchtblase, oder durch sog. Engelmacherinnen oder Ärztinnen mittels gynäkologischen Absaug- oder Ausschabmethoden. Der Ethnopsychoanalyti-ker Devereux (1974) hat in einer vergleichenden Studie von rund 400 kulturellen Gruppen gezeigt, wie verschiedene Varianten der Abtreibung als bekannte Techniken der vorzeitigen Beendigung der Schwangerschaft transkulturell verbreitet waren und sind. Daraus lässt sich schließen, dass fast alle bekannten Gesellschaften Möglichkeiten der Abtreibung kannten. In vielen Gesellschaften ist es Devereux (vgl. a.a.O.: 9) zufolge üblich, nicht mehr als eine bestimmte Anzahl von Kindern zu gebären und weitere abzutreiben. Er nennt politische, soziale, ökonomische und emotionale Gründe für die Abbrüche. Durch neuere pränatale Diagnostik kommen eugenische Selektion und Geschlechterselektion als Gründe hinzu (s. 4.4).

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  25. Z.B. bei den !Kung, den Guayaki (Clastres 1984), den Baruya (Godelier 1987), aber auch bei deutschen Kindermörderinnen auf dem Lande (Schulte 1984: 113ff.). Bei den Eipo in Irian-Jaya bestimmt die Gebärende weitgehend über das Leben des Kindes. Schiefenhövel (vgl. 1983: 41ff.; Filme, 1976) zeigt, wie hier eine ‘Frau’ ihr Neugeborenes mit Blättern bedeckt, um den Sichtkontakt zu verhindern, und wie sie sich später dazu entschließt, das Kind, das kräftig ist, doch anzunehmen. Kindstötungen können ökonomische, ökologische, soziale oder auch rituelle Funktionen haben (vgl. Clastres 1984: 156, 179; s. auch Kinderopfer, z.B. bei den Inkas n. Dürr 1984: 357, und Kindsaussetzungen, z.B. Moses oderÖdipus). Mädchen sind im Kulturvergleich häufiger Opfer von Infanti-zid (vgl. Dumont du Voitel 1994: 122; Lambrecht/Mertens 1989: 108ff.; Böcker/Simson 1989: 90ff.).

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  26. Sie wurden möglich durch die wissenschaftliche Erforschung des Eisprungs und des weiblichen Fruchtbarkeitszyklus mittels neuer Einblicke ins Körperinnere durch Erfindung des Mikroskops im 17. Jahrhundert (vgl. Hoonakker 1994: 58f.) 1672 sah de Graaf kleine Blasen mit einem Ei. 1674 sah von Leeuwenhoek die „kleinen Tierchen…”., die Spermatozoen. 1685 ‘bewies’ Spalanzani, dass Befruchtung ohne Sperma unmöglich sei. Zeitwahlmethoden erfordern und fördern eine sensible Körperwahrnehmung. Bei der Kalender-Methode wird der individuelle Zyklus über längere Zeit aufgezeichnet, um daraus die fruchtbaren Tage abzuleiten. Bei der Temperaturmess-Methode wird hier die morgendliche Körpertemperatur (Basaltemperatur) gemessen. Auch das Testen der Schleimkonsistenz im Gebärmutterhals ist eine damit kombinierbare Methode, um den Moment des Eisprungs zu erkennen.

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  27. Diese zeitweilige Sterilisation ist eine — männlicherseits — aufwendige Verhütungsmethode, da während dreier Wochen täglich, möglichst zur selben Zeit, die Hoden eine Dreiviertelstunde bei 45° gebadet werden müssen, damit ein ‘Mann’ für ca. sechs Wochen unfruchtbar ist (vgl. Hodenbaden-Gruppe 1987).

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  28. In Indien wurden allerdings in den 70er Jahren im Rahmen von Indira Gandhis Not-standssprogramm Sterilisationskampagnen zwangsweise auch an ‘Männern’ durchgeführt, was große Proteste und breiten Widerstand hervorrief (Lambrecht/Mertens 1989: 85; Dhanraj, Film 1991). Solche eindeutig gewaltsamen Aktionen und der dadurch hervorgerufene Widerstand trugen sowohl zur heutigen Eufeminisierung bevölkerungspolitischer Strategien als auch zur verstärkten Ausrichtung der Programme auf ‘Frauen’ bei. Dhan-rajs Film zeigt, wie sich in Indien Menschen gegenseitig zur Sterilisation treiben. Mittels der lokalen Panchayat-Selbstverwaltungsstruktur werden im Multiplikatorinnen-System Dorflehrer, Hebammen, Gemeinderäte u.a. für die Programme ausgebildet und finanziell abhängig gemacht von ihrer Jagd nach „Fällen“. „Fälle“werden die zur Sterilisation einwilligenden ‘Frauen’ aus der Zielgruppe unterer sozialer Gruppen genannt (vgl. auch Schmied 3.2.95; Sen 1994: 7). Der Film zeigt auch, wie die Sterilisationen industriell, wie am ‘Fließband’ durchgeführt werden: Viele ‘Frauen’ mit Nummern auf der Stirn warten schweigend auf den Gängen auf die Sterilisation. Dann liegen sie da, gesichtslos mit dem Kopf nach unten, was medizintechnisch die Operation erleichtert, und der sterilisierende Arzt spricht, während er die ‘Frauen’ operiert, stolz zur Kamera. Er betont seine Effektivität: Nur noch 45 Sekunden brauche er pro Eingriff und könnte demnach 150 Sterilisationen am Tag durchführen. Doch die gesetzlichen Vorschriften würden ihm nur 100 erlauben. Dabei wäre es doch ein Segen für die Nation. Danach werden die ‘Frauen’ geführt, um sich nebeneinander auf den Boden zu legen. Ihre Gesichter drücken Angst, Schmerz und Ohnmacht aus.

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  29. Bspw. 1993 bei Plantagenarbeiterinnen in Vietnam. Quinacrine, einst als Malariamittel entwickelt und in Chile bereits Mitte der siebziger Jahre zur Sterilisierung von ‘Frauen’ verwendet, wird in Form von Kügelchen durch den Muttermund in die Gebärmutter eingeführt, möglichst in der Nähe der Eileitereingänge, um dort Entzündungen und Vernarbungen hervorzurufen, die zum Verschluss der Eileiter führen (vgl. Turnheer 26.8.94; Sprenger 1994: 115ff.; Hartmann 1995: 256f.).

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  30. Vgl. Prange de Olivera 17.1.92; Markmeyer 23.5.92; Gaserow 21.2.94. Trotz deutschem Antidiskriminierungsgesetz berichten ‘Frauen’ bei Diskussionen immer wieder davon, dass sie bei Stellenbewerbungen über ihre Kinderwünsche und ihre diesbezüglichen Absichten in der Lebensgestaltung ausgefragt worden sind.

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  31. Die von Pinkus 1951 erfundene Enovid der US-amerikanischen Pharmafirma Searle wurde an ca. 1000 ‘Frauen’ in den Slums von San Juan (Puerto Rico) und in der Karibik erprobt. „Die ersten Experimente waren ein Fiasko. Die daran teilnehmenden ‘Frauen’ hatten keinen Eisprung, dafür häufige Zwischenblutungen mit hohem Blutverlust“(Hoonaker 1994: 116).

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  32. Heute sind 60% der ‘Pillen’, die in ‘südlichen’ Ländern vertrieben werden, Schering-Produkte.

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  33. Z.B. hat 1995 das deutsche Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte eine Anwendungsbeschränkung für sog. Mikro-Pillen erlassen bis Studien über die Wahrscheinlichkeit eines erhöhten Thromboserisikos ausgewertet seien (vgl. taz/AP 2.7.96). Sog. ‘Mini’- und ‘Mikropillen’ (der ‘zweiten’ und ‘dritten Generation’) enthalten nur Gestagene und wirken nicht über eine Ovulationshemmung, sondern über die Veränderung des Zervixschleims (vgl. Maier 1994: 256). Sie erfordern genauere Einnahmen und werden v.a. jüngeren und stillenden ‘Frauen’ empfohlen.

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  34. Laufend gibt es neue Klagen wegen massiver Nebenwirkungen (s.o.). ‘Frauen’ berichten über Brustveränderungen, Spannungsgefühle, Kopfschmerzen, Erbrechen, Gewichtszunahme und Depressionen, Ärzte berichten auch über Lungen- und Herz-Kreislauferkrankungen sowie Thrombosen. 1994 wurde in der deutschen Öffentlichkeit diskutiert, ob die Schering-Produkte Androcur und Diane Leberkrebs erzeugen würden. Dabei ging es um den Wirkstoff Cyproteronacetat, mit dem die Schering AG jährlich 400 Millionen Mark einnimmt, ein Zehntel ihres Jahresumsatzes (vgl. Bräutigam 26.8.94; Schießl 19.8.94). Die Schering-Neuentwicklung Yasmin, die im Jahr 2000 auf den deutschen Markt gebracht wurde, präsentiert sich als Mittel zur Erhöhung ‘weiblicher’ Leistungsfähigkeit. Es soll ähnlich wie ein Antidepressivum wirken und selbst das sog. prämenstruelle Syndrom (PMS) zum Verschwinden bringen (vgl. Oestreich 16.11.00).

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  35. Von „freier Wahl“kann aber Helfferich (1994: 14) zufolge nicht die Rede sein. Sie weist darauf hin, dass die Handlungsspielräume durch Interessen beschränkt werden, die sich hinter dem Rücken von ‘Frauen’ durchsetzen, z.B. die der Pharmaindustrie.

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  36. Helfferich (1992: 21ff.) untersucht das Sprechen ‘deutscher Frauen’ über Verhütung als Form des Sprechens über den ‘Körper’ und stellt dabei fest, dass sich das Verhütungsverhalten der ‘Frauen’ zwischen zwei Polen bewege: Frauen’ mit einem sensiblen, reflexiven Verhältnis zu ihrem Körper, die sog. natürliche Verhütungsmethoden praktizieren, und ‘Frauen’ mit einem instrumenteilen Bezug zu ihrem Körper, die ‘Pillen’ und Spiralen als Mittel zur Körperkontrolle bevorzugen. M.E. streben beide Richtungen nach Körperkontrolle, die einen autonom, die anderen mittels der Hilfe von Ärztinnen und Pharmakolo-glnnen.

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  37. Genannt werden Blutungsanomalien, Gebärmutterkrebs, Immunsystemschwächung, Diabetes und Schädigungen von Nieren und Leber (vgl. Hadorn 16.6.89). Von Fachleuten wird positiv hervorgehoben, dass Spritzen im Gegensatz zu den Pillen die Leber nicht passieren und deshalb keine Übelkeit hervorrufen würden.

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  38. Auch die Schering AG stellt eine ‘Spritze’ her, Noristerat, auch Net-En benannt, eine Zweimonatsspritze (vgl. Mertens 1989: 55).

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  39. Vgl. auch Flores (1993: 45f.); Luger (1994: 33ff.).

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  40. Außer z.B. durch Herausschneiden mit einer Rasierklinge (vgl. Buchczik et al., Film 1985). „Obwohl viele Frauen über unregelmäßige Blutungen berichten, werden diese Vorfälle (von Forschern MK) nicht als medizinisch bedeutend angesehen“(Townsend 1990 zit. n. Richter 1993: 51; vgl. auch Schneider 2.7.93).

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  41. Die Entwicklung hormoneller Implantate wurde v.a. vom New Yorker Population Council gefördert. Erfinder der Norplant ist Segal, Mitglied der Rockefeller Foundation, der 1984 den Entwicklungspreis Bevölkerungspolitik der Vereinten Nationen erhalten hat (vgl. Wichterich 1985: 17).

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  42. Z.B. in Indonesien und Thailand. „1984 begannen in Brasilien Tests mit dem Langzeitverhütungsmittel Norplant. Über 3500 Frauen im ganzen Land wurden die fünf Jahre wirksamen Hormonkapseln eingesetzt. Koordinator der Studie war der Vertreter des US-Population Councils in Brasilien, Dr. Anial Faundes von der Universität UNI-CAMP. Nachdem Frauengruppen bekannt machten, dass dabei nicht einmal die Mindestkriterien für klinische Versuchsreihen eingehalten wurden und die beteiligten Frauen unter schweren Nebenwirkungen litten, entzog das Gesundheitsministerium Anfang 1986 die Erlaubnis für die Weiterführung der Studie. Fünf Jahre später machten sich die Ärztin Giselle Israel und Solange Dacach vom Frauenprojekt REDEH (Netzwerk zur Verteidigung der menschlichen Gattung) auf die Suche nach den Frauen, die in Rio de Janeiro an den Tests beteiligt waren“(Schneider 2.7.93). In einem Interview (ebd.) berichten die Autorinnen über zahlreiche Nebenwirkungen und Nachwirkungen bei den betroffenen Frauen’. Oftmals hätten sie Krankheiten, die sie bekamen, nicht mit Norplant in Verbindung gebracht, weil die Ärzte ihnen gesagt hätten, das sei alles normal.

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  43. „Eine halbe Million Amerikanerinnen tragen es inzwischen unter der Haut. Selbst in upper-class-Kreisen galt es zeitweise als schick, die fächerförmigen Stäbchen am Arm unterm Cocktaildress hervorlugen zu lassen“(Schneider ebd.).

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  44. Während z.B. Ärzte vor deren Folgen warnen, die Frauen’ in einen Zustand wie in den sog. Wechseljahren versetze, seien besonders pillenmüde, junge Trauen’ daran interessiert, entsprechend der Propaganda: „Sorgenfreie und sichere Empfängnisverhütung ohne tägliches Pillenschlucken — ein Wunsch vieler Frauen“(Stollorz 27.4.00). Sie fänden die Implantate chic wie Tattoos und Piercing.

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  45. Die RU 486 wurde vom französischen Hormonforscher Beaulieu entwickelt, wird von der Höchst-Tochterfirma Roussel-Uclaf gefördert und produziert und in der BRD durch die Femagen-Arzneimittel GmbH vertrieben (Ubben 23.11.99).

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  46. Vgl. z.B. Dr. Karande, leitende Mitarbeiterin des Indischen Bevölkerungsprojekts Nr. 5 (O-Ton Schaz/Schneider 1991): „Damit das Programm effektiver wird, brauchen wir auch unbedingt einige über einen langen Zeitraum wirkende Methoden, die wenig Kontrolle und Überwachung benötigen. Also z.B. hormonelle Kapseln oder Implantate, die alle drei bis sechs Monate ausgetauscht werden. Hat man diese einmal unter die Haut der Nutznießerin eingepflanzt, braucht sich die Patientin um nichts mehr zu kümmern. Das wäre sehr viel einfacher zu überwachen“.

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  47. Zur folgenden Darstellung der Idee, Erforschung, Anwendung und Auswirkungen immunologischer Verhütungsmittel stütze ich mich insbesondere auf die Studie der Pharmazeutin und M.A. in’Development Studies’Judith Richter (1993). Desweiteren beziehe ich mich auf zwei Filme über die Anwendung von Sterilisationen sowie von chemischen und immunologischen Verhütungsmitteln als bevölkerungspolitische Maßnahmen in Indien: Dhanraj 1991; Schaz/Schneider 1991. Schaz und Schneider gehörten zum Feminist International Network of Resistance to Reproductive and Genetic Engineering (FINRRAGE) (s. 5.2.3).

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  48. Die kanadischen Mittel wurden inzwischen gestoppt, die indischen halbiert (vgl. Suter 19.11.98)

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  49. Die meisten immunologischen Mittel sind auf ‘Frauen’ ausgerichtet. In den USA wurden Versuche an ‘Männern’ sogar verboten. — Ein Grundproblem immunologischer Verhütungsmittel besteht darin, dass sich gerade an neueren Krankheiten, am unheimlichsten an AIDS, zeigt wie komplex, unbekannt und verletzlich unser Immunsystem ist (vgl. Martin 1994).

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  50. HCG, Humanes Choriongonadotrophin, ist ein Hormon, das von der befruchteten Eizelle und später von der Plazenta produziert wird (vgl. Richter 1994a: 70).

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  51. ‘Sogenannte’ klinische Versuche, da damit das Bild entsteht, die Versuche würden unter klinischer Betreuung ablaufen. In Wirklichkeit werden die ‘Frauen’, zumindest in jenen indischen Versuchsreihen, über die die Filme von Danraj und Schaz/Schneider berichten, nicht betreut, sondern abgefertigt. Forschungsstadien der Verhütungsmittelforschung nach WHO-Richtlinien (n. Richter a.a.O.: 13): 1) Labortests, 2) Tierversuche, 3) Phase I der klinischen Versuche mit Menschen (10–20 sterile Freiwillige, Test über Gesundheitsschädlichkeit), 4) weitere Tierversuche, 5) Phase II der klinischen Versuche (an einigen hundert fruchtbaren Personen für 6 Monate bis 2 Jahre, Gesundheitsschädlichkeit und Wirksamkeit), 6) Phase III (an bis 1000 Personen, meist in mehreren Ländern, auch über Dosis und Nebenwirkungen), Akzeptanzstudien (innerhalb von Familienplanungsprogrammen), 7) staatliche Zulassung und Registrierung, 8) Vertrieb und Marketing, 9) Überwachung nach Vermarktung (Nebenwirkungen, Langzeiteffekte). ‘Klinische Versuche’ fanden bisher in Indien, Brasilien, Schweden, Finnland, der Dominikanischen Republik, Chile und Australien statt (vgl. Papier der Gegenkampagne). In Indien stehen die Versuche in Phase III, d.h., kurz vor der Zulassung; in Schweden begann die WHO-Versuchsreihe Ende 1993 mit der Phase II (vgl. 2. Kampagnenreport des Women’s Global Network for Reproductive Rights (WGNRR) 1994: 5; Richter 1994a: 166).

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  52. Bei den ‘klinischen Versuchen’ zeigt sich erneut ein verschiedenes Maß der Anwendung, hier bestimmt durch nationale und internationale Rechtsgremien: Dem indischen Forscher Talwar wurde von der US-amerikanischen Behörde für die Zulassung von Arzneimitteln die Genehmigung für ‘klinische Versuche’ mit dem Antigen wegen des Risikos von Kreuzreaktionen verweigert. Die entsprechende indische Behörde dagegen genehmigte die ‘klinischen Versuche’. Die indischen Forschungen machen sogar vor stillenden Müttern nicht halt und testen, ob die Autoimmunisierung gegen bestimmte Hormone nach dem Gebären das Ausbleiben der Menstruation verlängert. Weder wird auf mögliche Nebenwirkungen für die Säuglinge, auf mögliche Folgewirkungen für zukünftige Kinder noch auf die Gefahr, dass die Test-’Frauen’ für immer unfruchtbar bleiben, Rücksicht genommen (vgl. Richter a.a.O.: 22f.; Sutter 19.11.98).

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  53. Bemerkenswert finde ich nun die indische Art der Überbrückung der ersten, noch fruchtbaren Phase von drei bis vier Monaten: „Wir sind auf eine interessante Kombination von Kräuterextrakten aus unseren traditionellen Pflanzen gestoßen, die eine örtlich begrenzte Kontrolle der Fruchtbarkeit bewirken. Es handelt sich dabei um Bestandteile, die seit Jahrhunderten in unserer Kultur verwendet werden. Sie sind verträglich und das Interessante ist, dass eine einmalige Verabreichung einer kleinen Menge dieser Extrakte in die Gebärmutter dazu führt, dass die Fruchtbarkeit für etwa vier Monate lokal begrenzt blockiert wird. Ohne Beeinflussung des Eisprungs, ohne irgendeine Veränderung der weiblichen Hormone. Der Eisprung verläuft normal, die Tiere paaren sich normal, alles ist absolut normal“(Talwar, Koordinator der indischen Forschungen, O-Ton, Schaz/Schneider). Talwar bezieht sich also auf eine Pflanze mit sicherer lokal verhütender Wirkung, den Neem-Baum — Neem oder „Nim: ‘Azadrachta indica’ großer immergrüner Baum aus der Mahagoni-Familie“, in Sanskrit: „der Heiler aller Leiden“, in muslimischer Tradition „der gesegnete Baum“(Holla-Bhar/Shiva 1989: 251).- Für Indien gilt: „Neemöl ist als ein 100% wirksames, starkes Spermizid bekannt (d.h. Samen tötend), das vor dem Geschlechtsverkehr intravaginal angewendet wird. Interessanterweise nehmen auch Asketen das Öl ein, um ihr sexuelles Verlangen zu verringern“(Holla-Bhar/Shiva 1994: 7; vgl. auch Lambrecht/Mertens 1989: 164f.). Neemöl ist also ein ‘traditionelles’ indisches Langzeit Verhütungsmittel.

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  54. Nach Haraway sind die biomedizinischen und biotechnologischen Immunsystemdiskurse heute von außerordentlicher Wichtigkeit, denn: „Immunolgie wird einen Brennpunkt internationaler Ungleichheit und der Auseinandersetzung um ‘Technologietransfer’ bilden. (…) Der Diskurs über AIDS ist Teil der Mechanismen, die bestimmen, was allgemein als ‘Bevölkerung’ gilt. Sieht man einmal von den globalen Dimensionen der Ansteckung ab, könnten allein in den USA mehr als eine Million infizierter Menschen so klassifiziert werden, dass sie nicht Teil der allgemeinen Bevölkerung sind, was für die medizinische Versorgung, Krankenversicherung und Gesetzgebung auf nationaler Ebene bedeutende politische Konsequenzen hat. (…)Die Bestimmung, wer ein Individuum ist, ist nicht unabhängig davon, was als Bevölkerung gilt“(a.a.O.: 216; zur kulturellen Bedeutung des Immunsystems s. auch Martin 1994).

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  55. Deren Existenz 1901 von Morgenroth und Ehrlich erstmals vermutet und als horror autotoxicus bezeichnet wurde (vgl. Haraway a.a.O.: 188f.).

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  56. Haraway (a.a.O.: 193) verweist diesbezüglich auf eine Vielfalt an postmodernen Selbstkonstruktionen: „Immunität lässt sich auch vorstellen als gemeinsame Eigenschaften; als Fähigkeit des semipermeablen Selbst, unter der Bedingung der Endlichkeit Beziehungen mit menschlichen und nichtmenschlichen, inneren und äußeren Anderen einzugehen; als situationsbezogene Möglichkeiten und Unmöglichkeiten von Individuation und Identifikation und als partielle Fusionen und Gefahren“.

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  57. S. 2.2.1. Von betroffenen”Frauen’ ist in Diskursen der Verhütungsforscherinnen und -vertreiberlnnen als „Nutznießerinnen“und „Patientinnen“(Karande, O-Ton Schaz/ Schneider) oder als Eierstöcke“und”Gebärmütter“(Griffin, O-Ton ebd.) die Rede.

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  58. Auch den führenden indischen Forscher zu immunolgischen Verhütungsmitteln, Talwar, wird berichtet: „Talwar betrachtet die Bevölkerung als eine Epidemie, ähnlich wie Tetanus-, Diphterie- und Pocken-Epidemien, die einst die Menschheit heimsuchten. Und auf dieselbe Weise kann man sie auch besiegen, erklärt er, nämlich mit einem Impfstoff. (…) Bei einem Impfstoff müsste man sich nicht täglich erinnern wie bei der Pille. Kein chirurgischer Eingriff. Kein Kampf mit dem Kondom. Eine Schwangerschaft würde mit denselben machtvollen immunologischen Waffen abgewehrt wie man sie für die Bekämpfung von Krankheiten verwendet“(Kanigel 1987 zit. n. Richter 1993: 6).

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  59. Als voraussichtliche Gesundheitsrisiken immunologischer Verhütungsmethoden nennt Richter (a.a.O.: 37ff.): Autoimmunkrankheiten (evtl. werden auch Immunreaktionen gegen andere Körperstrukturen ausgelöst), Allergien, Immunkomplex-Krankheiten und die Verschlimmerung oder Auslösung von vorhandenen oder latenten Krankheiten (z.B. bei HIV-Infektion oder bei Gelbsucht).

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  60. Wissenschaftler aus dem Bereich sog. Entwicklungszusammenarbeit äußern ethische Bedenken, z.B. ein langjähriger Mitarbeiter der WHO Europa: „Vor Jahren, als ich noch in endokrinologischer Forschung arbeitete, wurden solche Impfideen aufgebaut und sofort als unethisch und gefährlich abgetan; ich glaube nicht, dass die Sachlage sich geändert hat, außer dass die Gefahr näher gekommen ist und Menschen nun tatsächlich diesen Mitteln ausgesetzt werden“(Dukes 1993 zit. n. Richter 1994: 178). Vgl. auch Bergström: „We should not be hostile towards technology, but I am afraid that the anti-pregnancy vaccine will be part of the ‘coercive methods’ that are used against women in the third world countries to make them have fewer children.(…) Contraceptive devices that women themselves are not able to take out or remove, deprive her of the possibility to self-determination. For women in third world countries the possibility to decide for themselves is important because they often have little access to health services and follow-up services“(WGNRR11/94: 4).

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  61. Die Menschenrechtskonvention fordert bezüglich Verhütungsmittelanwendung ein „informiertes Einverständnis“der Beteiligten und die jederzeit freie Entscheidung, die Zustimmung zur Teilnahme zurückzuziehen (Deklaration von Helsinki 1975 n. Richter a.a.O.: 61). Dass ein ‘informiertes Einverständnis’ oftmals unterlaufen wird oder unter bestimmten Umständen gar nicht möglich ist, bezeugen die Filmbeispiele. Im Film von Schaz/Schneider sagt bspw. eine Verabreicherin zu einer ‘Frau’: „Wir haben hier eine neue Spritze…die Wirkung der Spritze verhindert ein Jahr lang Kinder. Sie brauchen keine Angst davor zu haben. Diese Spritze hat keine Nebenwirkungen. Sehen sie, diese Spritze ist absolut hundertprozentig wirksam… Wir werden außerdem eine Kupferspirale (eine Sprirale zur Schwangerschaftsverhütung) einführen. Auf Dauer ist die Kupferspirale nicht so gut. Wenn Sie sie drei Jahre lang haben oder sechs Jahre, dann besteht ein Krebsrisiko. Deshalb wollen wir, dass sie umsteigen (…)“. Schaz/Schneider zeigen auch, wie die indischen Frauen dazu aufgefordert werden, die englische Einverständniserklärung zu unterschreiben, obwohl von ihnen nur wenige englisch verstehen und lesen können. Auch die verabreichende Ärztin beklagt ihre mangelhafte Informiertheit.

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  62. In Delhi z.B. sind v.a. die ‘Frauen’-Organisation Saheli (vgl. WGNRR 2/94:3) und das Projekt Paridhi (vgl. Flugblatt 1994) aktiv. Letztere informieren bspw. — entgegen den „hightech Kontrazeptiva“mit ihren „untragbaren Nebenwirkungen“— über das Dia-phragma und machen es für ‘Frauen’ erhältlich 64 Eine Auswirkung der breiten Kritik an der Erforschung immunologischer Verhütung zeichnete sich in Schweden bereits ab, wo die WHO-Versuche der zweiten klinischen Phase abgebrochen wurden, da sich bei den meisten der ersten sieben behandelten freiwilligen Testfrauen „unerwartete Nebeneffekte“eingestellt hatten (Progress in Human Reproduction Research der UNDP/UNFPA/WHO 30/94). Die Test-Frauen’ leiden u.a. an der Injektionsstelle unter Schmerzen und Abszessen (WGNRR 3/1995). Es soll nun in Tierversuchen herausgefunden werden, weshalb es zu den Nebenwirkungen kam, und, wenn diese Untersuchungen erfolgreich gewesen sind, mit der Phase II, d.h., mit den Versuchen an ‘Frauen’, fortgefahren werden.

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  63. Heute gibt es weltweit rund 50 CSM-Projekte, wobei sich fünf US-amerikanische und britische Organisationen den Markt teilen (57). Dass CSM in der BRD und anderen europäischen Ländern erst in den letzten Jahren aufkam, führen die Autorinnen auf die Öffnung der sog. Entwicklungszusammenarbeit für den Privatsektor, den Rückzug von USAID aus bestimmten Ländern und das verstärkte bevölkerungspolitische Engagement der Bundesrepublik zurück (11f.).

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  64. „Wenn Social Marketing dabei auch materielle Produkte vertreibt, so sind diese nicht das eigentliche Ziel, sondern diese dienen als Mittel, den neuen Verhaltensweisen und Werten Ausdruck zu verleihen“(51f.).

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  65. Angewandt werden v.a. Kondome, Pillen, Spiralen, injizierbare Hormonpräparate und Spermizide (61, 78). Durch die Kondomwerbung und den Vertrieb wird auch die AIDS-Prävention mittels CSM betrieben.

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  66. Die Feststellung des ‘ungedeckten Bedarfs’ bezieht sich auf das Aktionsprogramm der ICPD, wonach 120 Mio. ‘Frauen’ Kontrazeptiva anwenden wollten, aber nicht die Möglichkeit dazu hätten. Wie an der ICPD werden auch hier ‘Frauen’ und ihr soziokulturelles Umfeld einander entgegengestellt (72).

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  67. Die Autorinnen empfehlen, gegenüber dem konventionellen Gebrauch isolierter Medienträger komplexe Medienstrategien einzusetzen, um deren Gebrauch voll auszuschöpfen (75). Aber die Werbung soll sich an den Kunden orientieren und die Glaubwürdigkeit der Produkte betonen. Als Kommunikationsstrategien benutzt CSM (73): 1. schicht- und kulturspezifische Produkt-Logos, Markennamen, Slogans und Claims; 2. Werbung (Anzeigen, Plakate, Hörfunk- und TV-Spots); 3. Edutainment (TV-’soap-operas’, ‘radio-drama’ Theatergruppen, Lieder und Konzerte); 4. Public Relations (‘advocacy’, ‘Lobbying’, Einflussnahme auf politische, religiöse und berufsständische Schlüsselpersonen und -Organisationen).

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  68. Vermutlich sind in Ghana weitere Faktoren für die Expansion der staatlichen Bevölkerungspolitik verantwortlich. Pearce (1995: 195ff.) z.B. beschreibt für Nigeria dass es bis Mitte der 80er Jahre trotz des Einflusses supranationaler Bevölkerungspolitik kaum staatliche Interessen an Verhütung gab. Es herrschte eine pronatalistische Haltung vor. Erst seit die Regierung durch die wachsende ökonomische Krise, verschlimmert durch die sog. Strukturanpassungsprogramme des IWF und der Weltbank und durch zunehmenden Druck internationaler entwicklungspolitischer Organisationen dazu gezwungen wird, Kontrazeptiva als ‘Entwicklungsstrategie’ einzusetzen, kam es zu Änderungen der offiziellen Haltung. Seither wird die nigerianische Bevölkerung überschüttet mit neuen Verhütungsmitteln. Angewandt werden v.a. hormonelle Mittel und die Sterilisation.

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  69. Er werde für Ghana mit fast 39% der verheirateten ‘Frauen’ angegeben, wobei 23% die Geburtenabstände vergrößern und 13% die Zahl der Kinder verringern möchten (ebd.).

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  70. NRO und Mitglied der IPPF (s. 5.2).

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  71. Social Marketing wurde in Ghana, als zweitem Land nach Indien, von der Ford Foundation gefördert. Das Ghana Social Marketing Programme war in 1980er Jahren Bestandteil eines bilateralen Projektes zwischen dem Gesundheitsministerium und USAID zur Lieferung von Kontrazeptiva. Heute ist die Verteibung privatisiert unter dem Monopol der Danish African Company Ltd., einer Vertiebsfirma für pharmazeutische Produkte (152). Die Einfuhr der Kontrazeptiva ist zollfrei. Die Werbe- und Promotionskampagnen werden durch die in Ghana ansässige Werbeagentur Limas durchgeführt. Finanziell unterstützt wird die 1993 gegründete GSMF durch das Family Health Project von USAID und das Ghana Population and AIDS Program, ebenfalls unterstützt von USAID (156f.).

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  72. Als CSM-Strategie werden den Beteiligten in der „Distributionskette“hohe Gehälter bezahlt, damit es „in ihrem eigenen Interesse liegt“, den Absatz zu fördern (52).

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  73. Ghana nahm dann an der „sog. panfrikanischen Werbekampagne für Protector- und Panther-Kondome“teil, einem Versuch, Werbemittel für mehrere Länder gleichzeitig zu entwickeln, um die Kosten niedriger zu halten. Die Lintas-Werbung zeigte animierte Strichmännchen in Anlehnung an südafrikanische Höhlenmalereien. Trotz westafrikanischer Namen der Hauptfiguren hatten die Werbespots in Ghana keinen Erfolg, worauf Lintas für Ghana eigene Werbekampagnen entwickeln musste (153). Dies gibt ein weiteres Beispiel dafür, wie in bevölkerungspolitischen Programmen kulturelle Eigenheiten zu Werbezwecken funktionalisiert werden (s. 5.1.1).

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  74. Ich würde hier gern mehr zur Perspektive der Subjekte schreiben. Leider bleiben hinsichtlich des Umgangs mit modernen Verhütungsmethoden und mit transnationaler und staatlicher Bevölkerungspolitik selbst in ethnologischen Studien die Aussagen dürftig, obwohl Ethnographien zunehmend für bevölkerungspolitische Zwecke in Anspruch genommen werden (vgl. Greenhalgh 1995: 3ff.). Ein Bsp. einer solchen Studie ist die von Bonnet (1988) über die westafrikanischen Mossi.

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  75. Das Projekt beschäftigte sich mit der Integration ‘traditioneller’ Heiler und Hebammen in das Gesundheitssystem.

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  76. Menschen ohne Nachkommen können nicht wiedergeboren werden und bleiben für immer tot (vgl. auch Paul 1990: 31; Fleischer 1990: 9ff.; Grohs 1990: 23ff.).

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  77. S.o. Caplan und zahlreiche Ethnographien, die — wie Shostak s. 6.1.1 — die Wichtigkeit von Kindern in afrikanischen Gesellschaften beschreiben (z.B. Smith Bowen 1988; Behrend 1985; Turner 1989: 9ff.; Heischer 1990: 9ff.; Grohs 1990: 23ff.).

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  78. Laut Moore (1994a: 32) gilt für zahlreiche afrikanischen Gesellschaften, dass ‘Person’ und ‘Selbst’ mit ‘Anderen’ zusammengedacht wird (vgl. auch Parins Theorie zum Gruppen-Ich der Dogon 1978: 153ff.). Zudem gilt oftmals der Körper — nicht wie im ‘Westen’ als Embodiment, Quelle der Identität und wichtigste Charakteristik einer Person, sondern — als temporärer Ort.

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  79. Schon 1967 hat z.B. der Demograph Davis eine Angleichung anderer Kulturen an die westlichen gefordert, dies gerade auch hinsichtlich derer Sichtweisen von ‘Geschlechter’-Beziehung und Sexualität (vgl. Grimes 1994: 210).

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  80. Transnationale Einflüsse wirken auch in umgekehrter Richtung, aber sind dabei nicht gebunden an Macht- und Kontrollinstanzen: z.B. wird ‘traditionelles’ Wissen aus verschiedensten Gesellschaften zur Erleichterung des Gebärens im Bereich ‘nördlicher’ alternativer Geburtshilfe übernommen (vgl. Kuntner 1991; 1994: 141 ff; vgl. auch das von Maya Nadig 1992–96 an der Universität Bremen durchgeführte Projekt Hebammen damals und heute).

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  81. Shellee Colen (1995: 78ff.), von der ich diesen Begriff übernehme, benutzt ihn für die von ihr untersuchte reproduktive Arbeitsteilung zwischen ‘westindischen Kinderfrauen’ und ihren ‘weißen, US-geborenen Arbeitgeberinnen’ und definiert ihn folgendermaßen: „By stratified reproduction I mean that physical and social reproductive tasks are accomplished differentially according to inequalities that are based on hierarchies of class, race, ethnicity and gender, place in global economy, and migration status and that are structured by social, economic and political forces“.

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  82. Vgl. Buko-Pharmakampagne 1984; Helwerth 1.6.91. Die „2. Wahl für die 3. Welt“gilt allgemein für den Medikamentenexport (vgl. taz-epd 22.11.94 mit Bezug auf eine Studie der Buko-Pharmakampagne, Bielefeld).

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  83. Auch für die Schönheit bekommen ‘Frauen’ Hormone. Hormoneinnahmen begleiten westeuropäische ‘Frauen’ heute durch ihre Lebenszyklen: Für die Pubertät gibt’s die Pille gegen Akne, für die Phase des Menstruierens die Pille gegen Schwangerschaften, für die Menopause die Pille oder Crèmes gegen das Altern.

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  84. Die ideale Geburtenkontrollmethode gibt es im feministischen Alternativbereich nicht. Mess- und Körperbeobachtungsmethoden beinhalten zwar ein Stück weit Eigenverant-wortung und Selbstbestimmung — diese positiven Aspekte sehe ich insbesondere als Folgen von ‘Selbst’-Erfahrungs- und ‘Selbst’-Untersuchungs-Experimente der Neuen Frauenbewegung -; aber sie beinhalten auch ein instrumentalisiertes Verhältnis zum Körper mit ‘Selbst’-Kontrolle und -Versuchen und erfordern Zeit, sich um sich selbst zu kümmern. Die Bereiche des potentiellen Schwangerwerdens und des Verhütung können dadurch wieder als leibliches Erleben und Erkunden erfahren werden, aber es besteht auch hier die Gefahr, den Leib als Körper v.a. im Griff haben zu wollen.

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Kaufmann, M.E. (2002). Bevölkerungspolitische Maßnahmen am Beispiel Geburtenkontrolle. In: KulturPolitik — KörperPolitik — Gebären. Forschung Soziologie, vol 143. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-94956-1_8

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