Zusammenfassung
Im zehnten Jahr nach der Wiedervereinigung Deutschlands vermittelt die politische Berichterstattung in Presse, Funk und Fernsehen ein beunruhigendes Bild der politischen Verhältnisse. Kaum eine Woche vergeht, in der die Schlagzeilen der Zeitungen und die Nachrichtensendungen des Fernsehens nicht über Gewaltaktionen gegen Ausländer oder Randgruppen berichten. Demonstrationen von Neonazis am Brandenburger Tor rufen fatale Erinnerungen an die Endphase der Weimarer Republik wach. Auch wenn rechtsextreme Parteien bei Wahlen bisher keinen Durchbruch auf breiter Front erzielten, haben die Aktivitäten der Rechtsextremen nach der Vereinigung eine neue Qualität gewonnen. Vor allem in den neuen Bundesländern weisen die Statistiken des Bundesamtes für Verfassungsschutz eine große und wachsende Gewaltbereitschaft der rechtsextremen Szene aus1. Auch die westdeutsche Bevölkerung erweist sich keineswegs als immun gegen rechtsextremes Gedankengut, jedoch treten rechtsextreme Ausschreitungen seltener auf als im Osten und lassen auch kein vergleichbar starkes Gewaltpotential erkennen.
Wie gefestigt ist die Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland zehn Jahre nach der Vereinigung, wie selbstverständlich sind zentrale Wertvorstellungen verinnerlicht? Welchen Anklang findet rechtsextremes, aber auch linksextremes Gedankengut? Fragen, die nicht nur in Deutschland gestellt werden. Die empirische Sozialforschung vermag darauf recht genaue Antworten zu geben, und das nicht nur als Momentaufnahmen, sondern auch im Zeitvergleich. Da sind allerdings deutliche Unterschiede zwischen Deutschland Ost und Deutschland West auszumachen. Die Gründe dafür liegen auf der Hand, fehlte doch den Menschen im Bereich der DDR über Jahrzehnte hinweg der konkrete Umgang und die Erfahrung mit der Demokratie, schwierige ökonomische Rahmenbedingungen kommen hinzu. Doch ein Verweis auf „Weimar“ wäre abwegig — gibt es doch eine deutliche Mehrheit von Menschen, die den Wert einer demokratischen Ordnung zu schätzen weiß, gerade auch im Bewusstsein um die Schwächen demokratischer Praxis.
Red.
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Literatur
Laut FAZ vom 15.8.2000 war die Zahl von Gewalttaten mit rechtsextremem Hintergrund je 100.000 Einwohner in den neuen Bundesländern erheblich höher als in den alten Bundesländern.
Vgl. Thomas Gensicke: Die neuen Bundesbürger. Eine Transformation ohne Integration. Opladen 1998, S. 170ff.
Vgl. Petra Bauer: Politische Orientierungen im Übergang. Eine Analyse politischer Einstellungen der Bürger in West-und Ostdeutschland 1990/91, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 43, 1991, S. 433 - 453;
Dieter Fuchs: The Democratic Culture of Unified Germany, in: Pippa Noms, (Hrsg.): Critical Citizens. Global Support for Democratic Governance. Oxford 1999, S. 123 - 145;
Oscar W. Gabriel: Demokratie in der Vereinigungskrise? in: Zeitschrift fir Politikwissenschaft 3, 1999, S. 827-861.
Wilhelm P. Bürklin: Die politische Kultur in Ost-und Westdeutschland: Eine Zwischenbilanz, in: Gerhard Lehmbruch, (Hrsg.): Einigung und Zerfall. Deutschland und Europa nach dem Ende des Ost-West-Konflikts. 19. Wissenschaftlicher Kongress der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft. Opladen 1995, S. 11 - 24.
Vgl. Paul M. Sniderman: Personality and Democratic Politics. Berkeley u.a. 1975.
Zur Anwendung sozialisationstheoretischer Überlegungen auf Ostdeutschland: Robert Rohrschneider: Learning Democracy. Democratic and Economic Values in Unified Germany. Oxford 1999.
Eckard Jesse: Zwei verschiedene politische Kulturen in Deutschland, in: Hartmut Jäckel, (Hrsg.): Die neue Bundesrepublik. Baden-Baden 1994, S. 97 - 125;
Erwin K. und Ute Scheuch: Wie deutsch sind die Deutschen? Eine Nation wandelt ihr Gesicht. Bergisch Gladbach 1991.
Ausführlich: Kendall L. Baker, Russell J. Dalton und Kai Hildebrandt: Germany Transformed: Political Culture and the New Politics. Cambridge, Mass. 1981;
Dieter Fuchs: Die Unterstützung des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. Opladen 1989.
Dieter Fuchs, Giovanna Guidorossi und Palle Svensson: Support for the Democratic System, in: Hans-Dieter Klingemann und Dieter Fuchs, (Hrsg.): Citizen and the State. Beliefs in Government, Volume 1. Oxford 1995, S. 323 - 353;
Oscar W. Gabriel: Politische Einstellungen und politische Kultur,in: Oscar W. Gabriel und Frank Brettschneider, (Hrsg.): Die EU-Staaten im Vergleich. Strukturen, Prozesse, Politikinhalte. 2. erweiterte und überarbeitete Auflage. Opladen 1994, S. 96 - 133.
Ebda.
1997 lag die Zufriedenheit mit der Demokratie erstmals seit dem Anfang der 80er Jahre wieder unter der 50-Prozent-Marke (tabellarisch nicht ausgewiesen, entsprechende Daten finden sich u.a. im Eurobarometer 47).
Vgl. die Belege in der in den Anmerkungen 3, 7 und 8 angegebenen Literatur.
Dieter Fuchs: Welche Demokratie wollen die Deutschen? Einstellungen zur Demokratie im vereinigten Deutschland, in: Oscar W. Gabriel, (Hrsg.): Politische Orientierungen und Verhaltensweisen im vereinigten Deutschland. Opladen 1997, S. 81 - 113.
Stanley Feldman: Structure and Consistency in Public Opinion: The Role of Core Beliefs and Values, in: American Journal of Political Science 32, 1988, S. 416-440;
Paul M. Sniderman, Richard E. Brody, und Philip E. Tetlock: Reasoning and Choice. Explorations in Social Psychology. Neuaufl. Cambridge u.a. 1994.
89% der ostdeutschen Befragten mit einer negativen Einstellung zur Idee der Demokratie und 79% der betreffenden Personengruppe in Westdeutschland befürworteten das Recht zur freien Meinungsäußerung und die Legitimität der Opposition. Bei den Personen mit einer positiven Einstellung zur Idee der Demokratie betragen die betreffenden Anteile im Osten 97% und im Westen 94%.
Jack Citrin: Comment: The Political Relevance of Trust in Government, in: American Political Science Review 68, 1974, S. 973-988.
Wie die Eurobarometer-Umfragen seit 1973 dokumentieren, dominiert in den Mitgliedsstaaten der EU tatsächlich eine reformistische Grundstimmung.
Pippa Norris, (Hrsg.): Critical Citizens. Global Support for Democratic Governance. Oxford 1999, S. 1 - 27;
Susan J. Pharr und Robert D. Putnam, (Hrsg.): Disaffected Democracies. What’s Troubling the Trilateral Countries? Princeton 2000;
Paul M. Sniderman: A Question of Loyalty. Berkeley et al. 1981.
Hinweise auf die Relevanz dieser beiden Grunddimensionen in einem rechtsextremen Überzeugungssystem bei: Jürgen W. Falter: Wer wählt rechts? Wähler und Anhänger rechtsextremistischer Parteien im vereinigten Deutschland. München 1994.
Ausführlicher hierzu: Gabriel, Oscar W.: Demokratie in der Vereinigungskrise, a.a.O.
So Hans Joachim Veen: Innere Einheit — aber wo liegt sie? Eine Bestandsaufnahme im siebten Jahr nach der Wiedervereinigung Deutschlands, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“, B40-41/97, 26. September 1997, S. 21.
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Gabriel, O.W. (2002). Ein demokratischer Konsens in Ost und West?. In: Wehling, HG. (eds) Deutschland Ost — Deutschland West. Reihe: Der Bürger im Staat, vol 3. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-94933-2_4
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