Zusammenfassung
Die Entscheidungsprozesse im Zuge der deutschen Vereinigung werden später einmal zu den wichtigen Themen der Geschichtswissenschaft gehören, und es bedarf keiner Fantasie, um vorherzusagen, dass die Bilanz der Vereinigungspolitik kontrovers bleiben wird. Eine der zentralen Streitfragen wird sein, inwieweit der Übergang vom „real existierenden Sozialismus“ zur Marktwirtschaft als „Kaltstart“ (Sinn/Sinn 1991) oder gar „Fehlstart“ (Hickel/Priewe 1994) zu charakterisieren war und inwiefern diese frühen Weichenstellungen für Fehlentwicklungen wie die weitgehende De-Industrialisierung der ehemaligen DDR verantwortlich sind. Weit mehr als die Hälfte der früheren Arbeitsplätze ist ja verloren gegangen, und dieser Verlust wurde durch die Entstehung neuer Arbeitsplätze bei weitem nicht kompensiert. Das steht in starkem Kontrast zu den optimistischen Ankündigungen der Politik im Jahre 1990, die man leicht nachlesen kann, wenn man in den Zeitungen jenes Jahres blättert.
Die deutsche Vereinigung war improvisiert: Niemand hatte sie überhaupt noch für möglich gehalten. Entsprechend gering war das Wissen über die DDR und ihre politischen, wirtschaftlichen und verwaltungsmäßigen Strukturen. Die Bereitschaft, für die Vereinigung auch finanzielle Opfer zu bringen, hielt sich ebenfalls in Grenzen. Eventualplanungen gab es nicht. Doch es mangelte nicht nur an Wissen, sondern auch an Zeit: um den Kollaps der DDR aufzufangen, vor allem auch, um sie — angesichts der labilen Machtverhältnisse in der Sowjetunion — außenpolitisch möglich zu machen. Zudem fiel die deutsche Vereinigung in eine Zeit des Vorwahlkampfes. Das alles gilt es zu berücksichtigen, wenn man den Prozess der deutschen Vereinigung würdigen will.
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Literaturhinweise
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Lehmbruch, G. (2002). Einheit als Improvisation. In: Wehling, HG. (eds) Deutschland Ost — Deutschland West. Reihe: Der Bürger im Staat, vol 3. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-94933-2_2
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