Zusammenfassung
Im Zusammenhang mit der Diskussion ökonomischer Phänomene, insbesondere auf der Ebene der Austauschbeziehungen, ist schon auf die Bedeutung der relevanten politischen Regelungen hingewiesen worden. Damit ist auch die intensive Verflechtung von „Politik“ und „Ökonomie“ in den hier behandelten Gesellschaften deutlich geworden, die nicht nur den besonderen Charakter derselben deutlich macht, sondern auch erhebliche analytische Schwierigkeiten bereitet hat. An mindestens drei Stellen wird die wechselseitige Funktionalität von „Ökonomie“ und „Politik“ erkennbar: zum einen machen die über entsprechende Subsistenztechnologie und soziale Austauschbeziehungen gewonnenen „Überschüsse“ in der Produktion die Freisetzung und Spezialisierung von Personen für soziale Positionen möglich, deren Geschäft explizit „Politik“, bzw. entsprechende Tätigkeit, ist. Zum anderen tragen diese sozialen Positionen und deren explizite Sanktionsbefugnisse entscheidend dazu bei, die genaue Verwendung dieser „Überschüsse“ festzulegen und zusätzliche auf Dauer erbringen zu lassen. Schließlich sichern alle Maßnahmen, die im Zuge dieser Reglementierungen vorgenommen werden, auch die Weiterexistenz der gesellschaftlichen Gruppe, die von ihnen betroffen ist nach außen, d.h. im Verhältnis zu anderen analogen oder übergeordneten, bzw. fremden Gruppen. Eine solche Veranschaulichung der Funktionsverflechtungen ist — obwohl Bestimmungen eines Gegenstandes über seine Wirkungen eigentlich nicht sehr hilfreich sind — geeignet, aufzuzeigen, wie schwierig es ist, sinnvoll „Politik“ in Gesellschaften abzugrenzen, in denen es einen solchen besonderen „politischen“ Bereich nicht gibt. Für unsere Zwecke mag er vorläufig festgelegt werden, als die Gesamtheit aller Regelungen und Ordnungen in einer sozialen Gruppe (Gesellschaft), die nach innen hin die sozialen Beziehungen, nach außen hin die Existenzbedingungen gegenüber anderen Gruppen gewährleisten sollen.
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Literatur
Die Reduktion der vielfältigen sozialen Wirklichkeit der ‘Anderen’ auf eine einfache Struktur, die sich eindeutig auf die eigene Gesellschaft beziehen läßt, ist die Grundform des bürgerlichen Ethnozentrismus, besonders wenn sie mit einer Beteuerung der Fremdartigkeit verbunden wird“ (KRAMER, 1978, S. 20).
Die einschlägigen Diskussionen spielten sich vorwiegend im Bereich der deutschsprachigen Soziologie und Ethnologie ab, wobei besonders als Vertreter der Überlagerungstheorie aus dem soziologischen Bereich hervorzuheben sind: L. GUMPLOWICZ, G. RATZENHOFER, F. OPPENHEIMER und A. RUSTOW, sowie P. W. SCHMIDT und P.W. KOPPERS aus dem Bereich der Völkerkunde.
Zur Kritik siehe MÜHLMANN 1964, S. 253 ff. und 262 ff., sowie GOETZE, 1969, S. 89 ff.
Genauer befaßt sich der Sammelband von J. MIDDLETON und D. TAIT (1958) mit sog. segmentären Lineage-Systemen, also Gesellschaften mit Lokalgruppen segmentärer Organisation, die durch tatsächliche oder angenommene unilineare Deszendenz gebildet werden, also: Lineages, Klans oder Sub-Klans; dabei gilt eine Lineage als körperschaftliche unilineale Deszendenzgruppe mit einem formalisierten Herrschaftssystem (vgl. dazu die Einleitung von EVANS-PRITCHARD zu: MIDDLETON und TAIT, 1958, S. 3 ff.).
Vgl. das Vorwort von A.R. RADCLIFFE-BROWN in: M. FORTES und E.E. EVANS-PRITCHARD, 1940, S. XI - XXIII. Dort schreibt er: “In studying political organization, we have to deal with the maintenance or establishment of social order, within a territorial framework, by the organized exercise of coercive authority through the use, or the possibility of use, of physical force” ( RADCLIFFEBROWN, in: FORTES und EVANS-PRITCHARD, 1940, S. X IV ).
So vor allem die Autoren, die sich stärker mit dem ereignishaften Ablauf von Politik auf die Mikroebene beschäftigt haben. Vgl. etwa R. COHEN: “Thus structure in the hands of these early workers turns out to be the constitutional arrangements of a political system… (…)(8)ecause of an insufficient view of political systems and political process, the early structuralists gathered good data on the constitutional formats of non-western societies, but not on the actual behavior of political actors in real political systems ” (COHEN, 1973, S. 867 ).
Der Aspekt der Legitimität von Verfahrensweisen folgt M. WEBERS Überlegungen zur Legitimität von Herrschaft. Legitimität meint dann vor allem die “Geltung” dieser Verfahrensweisen aufgrund ihrer “Vorbildlichkeit” und “Verbindlichkeit” (vgl. WEBER, 1964, S. 22 ff.). Diese Verfahrensweisen werden dann “akzeptiert, positiv bewertet und für rechtmäßig gehalten” (W. FUCHS, 1973, S. 396 ).
Die Kriterien sind hier bewußt an das Argument der “Ordnung” angelehnt, das oben als Kennzeichen strukturfunktionalistischer Ansätze angeführt worden ist. Formenklassifikationen sind diesem Ansatz folgend konsistent zu erstellen. Vgl. zum folgenden: J. BEATTIE, 1966, S. 143 ff.
Jede Gemeinschaft hat deshalb eine Waffe zur Erzwingung ihrer Rechte: die Gegenseitigkeit“ (B. MALINOWSKI, 1978 b, S. 136).
Vgl. dazu: E. SERVICE, 1966, S. 49 ff.
Bossiness’ is not tolerated, and humility, as in other contexts, is valued. Anyone in authority in any particular endeavor is clearly there with the consent of the governed, so to speak.“ (SERVICE, 1966, S. 51). Zu Recht wird Führung daher hier als eines ”primus inter pares“ gekennzeichnet.
Im Zusammenhang mit den Andamanesen hat RADCLIFFE-BROWN vom “Einfluß” gesprochen, den der Führer einer solchen Lokalgruppe ausübt und der dadurch weitere Gefolgsleute anzieht. (RADCLIFFE-BROWN, 1948, S. 45). Diese Anziehungskraft ist bedeutsam, baut sie doch auch auf der Verfügung des Führers über mehr Frauen auf, deren zusätzliche Arbeit ihm die wirkungsvollere Sammeltätigkeit erlaubt (Vgl. dazu auch LEVI-STRAUSS, 1967 und HART und PILLING, 1960, wo entsprechende Beispiele geschildert werden). Diese ständige Neu-und Umverteilung des demographischen Bestandes auf die verschiedenen Horden und Untergruppen ist durchaus funktional angesichts der demographischen Bestandsschwankungen bei den einzelnen Gruppen und den kaum vorhersagbaren Variationen im Nahrungsmittelangebot. Die Aufspaltung von Gruppen ist daher auch ein übliches Phänomen.
SAHLINS und vor allem SERVICE unterscheiden verschiedene Niveaus der “soziokulturellen Integration” von Gesellschaften: Horden, Stamm, Häuptlingtümer, Staaten (Vgl. SERVICE, 1962, S. 5–33 und 59 ff.). Der Begriff des “Niveaus der soziokulturellen Integration” ist seinerzeit von J. H. STEWARD (1955, S. 43–63) als methodologisch-heuristischer Rahmen geprägt worden und bezieht sich auf die jeweils größte autonome, kollektiv handelnde soziopolitische Einheit.
SAHLINS stellt dementsprechend fest, that personal kinship with a member of the association is a common basis of recruitment, and that the idiom of group solidarity is frequently kinship (…). Where peace is necessary or desirable, kinship is extended to effect it“ (SAHLINS, 1968, S. 11).
Klassische Fälle einer solchen Form, politische Regelungen zu organisieren, sind z.B. die Nuer im Sudan und die Tallensi in Nord-Ghana’ die von E.E. EVANS-PRITCHARD (1940) bzw. M. FORTES (1945) untersucht worden sind. Vgl. dazu auch die übersichtlichen Kurzfassungen des Materials in EVANS-PRITCHARD (1978), sowie L. BOHANNAN (1978) zur segmentären Sozialstruktur der Tiv in Nigeria. Es ist allerdings auch darauf aufmerksam zu machen, daß gerade die Interpretation der Sozialorganisation der Nuer durch EVANS-PRITCHARD in letzter Zeit heftig kritisiert worden ist, soweit, daß sogar die Existenz von Lineages bestritten wird. Vgl. VERDON 1982 und für die Diskussion von segmentären Lineage-Systemen allgemein die Beiträge in HOLY 1979.
Die “Leopardenfell-Häuptlinge” bei den Nuer sind daher eben keine “Häuptlinge”, sondern durch persönlichen Einsatz und Beteiligung an Blutgeld-Zahlungen reich und angesehen gewordene Personen, die inhaltlich eher dem Typ des “Big-man” nahekommen, weil ihre Einflußmöglichkeiten auf der Mobilisierung an der Beilegung von Konflikten interessierter Personen beruht (vgl. GREUEL 1971 und HAIGHT 1972).
SAHLINS’ Analyse ist treffend: “The tribal superstructure is a political arrangement, a pattern of alliances and enmities, its design shaped by tactical considerations. Overarching relations of clanship or regional confederacy seem most often compelled by competitive threats, in connection with which large-scale economic and ritual cooperation may play the derivative role of underwriting cohesion in the face of external dangers.. ( … ). Higher unity has to contend with the segmentary divisions of the infrastructure..” (SAHLINS, 1968, S. 17 ).
Den Altersklassen bei den Nuer entspricht in diesem Sinne die Teilnahme an gemeinsamen Erdkulten bei den Tallensi.
Im Zusammenhang mit den sozialstrukturellen Prozessen bei den Nuer - einem Prototyp segmentärer Organisation - spricht EVANS-PRITCHARD wiederholt von “fission” und “fusion” als parallelen Vorgängen. Sie kennzeichnen begrifflich auch die Tendenzen beginnender Zentralisierung, die hier interessieren (vgl. EVANS-PRITCHARD, 1940, S. 158 ff.).
E. LEACH (1964) hat die Entwicklung des Verhältnisses zwischen zwei unterschiedlichen Rangprinzipien (hierarchisch vs. egalitär) bei den Kachin in Birma untersucht, wo dieses Verhältnis in zyklischer Hinwendung zu diesen beiden Prinzipien (“gumsa” und “gumlao”) fortlaufend Zentralisation und deren Auflösung hervorruft.
Vgl. dazu die ältere Arbeit von M. HARRIS (1962) und auch 1965.
Manche afrikanische Bantu-Königtümer, z.B. Swazi, haben ihre Herrschaft in dieser Weise organisiert.
Staat soll ein politischer Anstaltsbetrieb heißen, wenn und insoweit sein Verwaltungsstab erfolgreich das Monopol legitimen physischen Zwanges für die Durchführung der Ordnungen in Anspruch nimmt“ (M. WEBER, 1964, S. 39).
Wie etwa der Abspaltung von Toro von Buganda im ostafrikanischen Zwischenseenbereich.
die Unterscheidung von frühen (“early”), bzw. ursprünglichen (“pristine”) Staaten von sekundären Staaten ist wichtig bei der Beurteilung von Entstehungsprozessen. Sekundäre Staaten sind immer Staatsbildungen, die durch andere, ihnen zeitlich vorangehende Staaten beeinflußt sind im Hinblick auf die spezifische staatliche Organisationsform und die zugrundeliegenden prinzipiellen Arrangements. Ursprüngliche Staaten sind notwendige Entstehungsbedingungen für sekundäre Staaten.
Siehe zum folgenden CLAESSEN und SKALNIK, 1978, S. 21.
Vgl. dazu grundsätzlich WEBER, 1964, S. 157–188. Für WEBER ist “Herrschaft”: “die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden” (S. 38). WEBER unterscheidet dabei auch zwischen Legitimitätsglauben gegenüber der Herrschaft und dem Legitimitätsanspruch der Herrschaft. Klassifikationsrelevant ist dabei, “daß ihr eigener Legitimitätsanspruch (der Herrschaft) der Art nach in einem relevanten Maß ‘gilt’, ihren Bestand festigt und die Art der gewählten Herrschaftsmittel mit bestimmt” (WEBER, 1964, S. 158 ).
Das ist auch der Grund dafür, daß in vielen Fällen in der Literatur nicht von “Herrschaft”, sondern von “Macht” (“power”) ausgegangen wird. Von WEBER ist “Macht” festgelegt als “jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht” (WEBER, 1964, S. 38).
Vgl. dazu v.a. E. LEACH 1954 und M. GLUCKMAN 1965 und 1967.
Vgl. v.a. SMITH 1956, LLOYD 1965 und 1968, SWARTZ, TURNER und TUDEN 1966, SWARTZ 1968.
Vgl. dazu auch die Diskussion in WINCKLER 1969, S. 329 ff. Das gilt auch ungeachtet der Meinung von SWARTZ, TURNER und TUDEN z.B. bei der Beurteilung einer religiösen Zeremonie: “If we look at the religious ceremony from the point of view of the process by which the group goals are determined and implemented (...) and by which power is differentially acquired (...), we are studying politics.” Daraus die Folgerung: “The study of politics, then, is the study of the processes involved in determining and implementing public goals and in the differential achievement and use of power by the members of the group concerned with those goals” (SWARTZ, TURNER, TUDEN, 1969, S. 7, Hervorhebung im Original).
o z.B. die Arbeiten von SOLENBERGER (1979) und CLAESSEN (1979), vgl. auch den programmatischen Artikel von KURTZ (1979).
Typische Beispiele dafür sind die Beiträge von SWARTZ (1966), LAMBERT (1966, MILLER (1966), TURNER (1966), TUDEN (1966).
An egalitarian society is one in which there are as many positions of prestige in any given age-sex grade as there are persons capable of filling them. (...) An egalitarian society does not have any means of fixing or limiting the number of persons capable of exerting power“ (FRIED, 1967, 5. 33).
A rank society is one in which positions of valued status are somehow limited so that not all those of sufficient talent to occupy such statuses actually achieve them. Such a society may or may not be stratified“ (FRIED, 1967, S. 109).
A stratified society is one in which members of the same sex and equivalent age status do not have equal access to the basic resources that sustain life. (...) different societies may be said to have different basic resources.. Central are the things to which access must exist in order for life to be maintained for the individual… In stratified societies there are impairments in the way of access“ (FRIED, 1967, S. 186–188).
Beim Übergang von der egalitären zur Ranggesellschaft handelt es sich vor allem um das Zusammenwirken von relativ günstigen ökologischen Bedingungen (höhere Nahrungsproduktion), zunehmender demographischer Dichte, Redistribution als Prinzip der Güterverteilung und die Kombination von Verwandtschaftsrang in Deszendenzgruppen mit der produktiven Funktion der Häuptlinge. Beim Übergang von der Ranggesellschaft zur geschichteten Gesellschaft handelt es sich insbesondere um die Kombination von Bevölkerungsdruck, Verschiebungen in den üblichen Residenzmustern nach der Heirat, Schrumpfung oder scharfe natürliche Veränderung der grundlegenden Ressourcen, Verschiebungen in den Subsistenzmustern durch technologischen Wandel und Entwicklung von Leitungsrollen im sozialen und zeremonialen Bereich (FRIED, 1967, S. 196 ff.).
Vgl. zum folgenden: HARRIS, 1979, S. 100 ff. und 1980
S. 304 ff., sowie SAHLINS, 1960.
Vgl. dazu: HARRIS, 1979, 5. 89 ff.
Siehe dazu auch die interessanten Einzeldiskussionen in HARRIS, 1974, S. 61–110 und 1977, S. 41–77. Vgl. auch DIVALE und HARRIS 1976.
Only if population is pressing against resources does it more sense not to rear as many females as males“ (HARRIS, 1977, S. 60).
Vgl. v.a. FRIED u.a. 1971, NETTLESHIP u.a. 1975 als brauchbare Übersichten zu ethnosoziologischen und verwandten Ansätzen zur Beurteilung des Phänomens Krieg und zwischengesellschaftlicher Gewaltanwendung.
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Goetze, D., Mühfeld, C. (1984). Ethnosoziologie der Politik. In: Ethnosoziologie. Studienskripten zur Soziologie, vol 123. Vieweg+Teubner Verlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-94923-3_5
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