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Das Scheitern leib-seelischer Selbstaneignung, der Prozeß der Rationalisierung und unser Forschungsparadigma

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Book cover Krankheit, Konflikt und soziale Kontrolle

Zusammenfassung

Wir diskutieren hier einige zentrale Probleme gesundheitlicher Versorgung, vor allem aus der Sicht derjenigen, die auf die Einrichtungen des Gesundheitswesens verwiesen sind und doch in großer sozialer Distanz dazu leben. Darüber hinaus wird dieses in verschiedener Hinsicht problematische Verhältnis zwischen einzelnen und Institutionen in einen historischen Kontext gestellt: Wir versuchen, gegenwärtige Versorgungsschwierigkeiten im Gesundheitssektor aus der Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft, ihren Strukturbildungen und Anforderungen an die Menschen zu begreifen. Insgesamt wird also ein weiter Bogen gespannt. Es ist uns wichtig, gesamtgesellschaftliche Perspektiven gerade an jene Fragestellungen anzulegen, die politisch bereits klar gelöst scheinen, indem man beispielsweise mit sozialpolitischen Restriktionen gleichsam einzelne Schuldige definiert statt Strukturreformen anzugehen, wenn die Mittel knapp werden. Wir betreiben also eine an die Wurzeln der medizinischen Versorgungsschwierigkeiten gehende Kritik.

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Literatur

  1. Rolf-Richard Grauhan beschrieb zur Massenverkehrsplanung einer Großstadt (in: Lindner 1973, S. 1–6) für jenen Sektor strukturell ganz ähnliche Sachverhalte, wie wir sie in der medizinischen Versorgung angetroffen haben: Die Belastung einzelner mit Problemen, die aufgrund vielfältig eingespielter bürokratischer Regulierungen, d. h. aufgrund „struktureller Gewalt“ als ihre definiert und behandelt werden.

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  2. Vgl. dazu die vorbereitenden Überlegungen über im engeren Sinn den Gegenstand bzw. das Problem „feststellendes“ und „veränderndes” empirisches Vorgehen im Bereich Gesundheitsverhalten von Unterschichtpatienten, insbesondere im Hinblick auf Psychotherapie bei Horn 1980b.

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  3. In einer weiteren Untersuchung haben wir unser empirisches Verfahren ausgedehnt und verbessert. Ausgedehnt insofern, als wir auch mit Familien gesprochen haben; verbessert aufgrund der Erfahrungen aus dieser Studie. So wurden bis zu drei Interviews mit den gleichen Probanden gemacht. Insofern wir diese Interviews professionell kontrollieren lassen konnten wie in der psychoanalytischen Ausbildung Erstinterviews diskutiert werden, gingen die Ergebnisse der Kontrollen bereits ins jeweils nächste Inverview ein. — Inhaltlich liegt hier der Akzent auf der Frage, ob Patienten aus der Unterschicht auch im herrschenden Medizinsystem, gleichsam gegen dessen Strich, von einer Redemedizin profitieren könnten. Für gewöhnlich wird diese Frage ja verneint. Im vorliegenden Band ist der theoretische Aufwand zur Empirieform, aber auch zum Zusammenhang zwischen Versorgungspolitik und Gesundheitsverhalten besonders groß. In der zweiten Untersuchung ging es — auf dem Hintergrund dieser theoretischen Erörterungen — um die Frage, weshalb die Menschen der Gesundheitsaufklärung einen so klaren Widerstand entgegensetzen, ja sich geradezu eine Aufklärungsresistenz und Bereitschaft zur Selbstschädigung zeigt. Diese zweite Studie wurde für die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung gemacht, vgl. Horn/Beier/Kraft-Krumm 1984.

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  4. Um von vornherein Irrtümer zu vermeiden: Keine kritische Auseinandersetzung mit der sich naturwissenschaftlich verstehenden Medizin (die das Beziehungsmoment beim Erkranken und Gesunden natürlich auch kennt, es aber naturwüchsig handhabt, d. h. es eben nicht so streng kontrolliert, wie sie das von ihren eigenen Mitteln verlangt), kann vernünftigerweise darauf aus sein, die Errungenschaften der naturwissenschaftlichen Medizin ignorieren zu wollen. Es kann nur darum gehen — und das ist ein politisches Problem, das im Zentrum unserer Erörterungen über die gesellschaftliche Funktion der Medizin stehen wird — gegen die erdrückende und in der Gesundheitsproduktion nicht mehr funktionale Vorherrschaft der „pills and needles“ die Relevanz des Beziehungsmoments fürs Gesundheitssystem wieder zu verdeutlichen — und in dieser Bedeutung auch das Element Eigenaktivität bzw. Selbstaneignung.

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  5. Von den Menschenversuchen, die im Dritten Reich von deutschen Ärzten (in aller Regel auf Befehl der SS) vorgenommen wurden, konnten deshalb auch Mitscherlich und Mielke (1947) sagen, daß „Menschlichkeit und ärztliche Souveränität untergehen, wenn eine Wissenschaft im Menschen nur noch das Objekt sieht und ihn als solches behandelt“ (Umschlagtext).

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  6. Wir sehen hier von der bereits kurz mit Hilfe von Balint (1957) charakterisierten Zugabe der „ärztlichen Kunst“ ab, die individuelle Subjektivität in aller Regel ja keineswegs kontrolliert ins herkömmliche Arzt-Patient-Verhältnis einbringt.

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  7. Marginal“ bezieht sich insbesondere auf die Konsequenzen einer noch darzustellenden gesellschaftlichen Entwicklung und die Bedeutung von Gesundheit als Leistungsfähigkeit in diesem Zusammenhang. Im Schlußkapitel 7 werden hierzu auch Zahlen gebracht.

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  8. McKinlays (1975) Frage, wer unwissender sei, Arzt oder Patient, wurde zwar nur gestellt, nachdem sich in einer nichtrepräsentativen Untersuchung (die allerdings keine anderen Ergebnisse brachte als repräsentative Erhebungen gleicher Art) ergeben hatte, daß Unter-schichtangehörige wesentlich mehr medizinische Begriffe verstehen als Ärzte annehmen. Aber diese Frage läßt sich angesichts dieser Fallgeschichte generalisieren. Zumindest erweisen sich die hier konsultierten Ärzte nicht als Experten, die solch eine Geschichte hören wollen und entziffern können für den Fall, daß ihre herkömmliche ärztliche Kunst, seien das nun pills and needles oder autoritatives Auftreten, versagt.

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  9. Cousins (1981) schildert, wie er zwar mit Hilfe medizinischer Mittel, aber diese mit der freundlichen Assistenz medizinischer Fachleute in eigene Regie nehmend, sich selber instandsetzt, von einer schweren, praktisch als unheilbar geltenden Krankheit soweit zu genesen, daß er seinen Zustand lebenswert fand. Offenbar vermag der Mensch, so wie er den Voodoo-Tod sterben kann, psychosomatische Einflüsse auf den eigenen Körper auch positiv geltend machen. Man kann, sofern es nur um diese methodische Problematik geht, von der besonderen Privilegierung des Autors jenes Buches absehen.

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  10. Zepf ( 1981, S. 13 f.) schildert, wie oberflächlich Psychosomatische Medizin gesellschaftlich akzeptiert worden ist: „Die Entwicklung, welche die psychosomatische Medizin in den letzten 25 Jahren durchlaufen hat, scheint in der Tat unverkennbar. Ob sich diese Entwicklung allerdings auch als Fortschritt diagnostizieren läßt, ist zumindest fraglich. Durchaus werden die psychosomatischen Abteilungen heute an universitären Institutionen toleriert, allerdings nur solange, wie der praktisch ausschließlich naturwissenschaftliche Zugriff auf die menschliche Krankheit durch sie nicht infrage gestellt wird, wie die Belange der klinischen Kernbereiche, der Inneren Medizin und der Chirurgie, durch ihre Existenz nicht beeinträchtigt werden, solange also, wie alles beim Alten bleibt. Jeder Kliniker, der etwas auf sich hält, wird heute in Vorlesungen, Festvorträgen, auf Fortbildungsveranstaltungen und im Unterricht am Krankenbett zwar betonen, wie wichtig der „psychosomatische Aspekt“ sei. In seiner Alltagspraxis jedoch bleibt er unverändert einer strikt somatologischen Sicht auf menschliche Krankheit verpflichtet. Allerdings hat die Betonung der Psychosomatik durch die klinische Medizin die Funktion einer „Maquillage”, wie Jürgen Rhode das treffend formulierte. Der Geist der Kliniken als Forschungs-, Lehr-und Behandlungsstätten, so Rhode, bleibt von den gleichsam mit einer,cosmetic pad’ aufgetragenen psychosomatischen Farbtupfern unberührt, die im übrigen, den Regeln guter Kosmetik entsprechend, äußerst sparsam appliziert werden. Die personellen, sachlichen und finanziellen Aufwendungen für die somatischen Bereiche der klinischen Medizin dürfen jedenfalls durch die Bedürfnisse der psychosomatischen Medizin nicht eingeschränkt werden.“ — Wir werden auf die Organisation des gesellschaftlichen und persönlichen Widerstandes und deren Zusammenspiel gegen eine Wiedereinführung individueller Subjektivität und Intersubjektivität in die Heilkunde in diesem Kapitel noch eingehen.

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  11. Zur jüngeren Geschichte vgl. Brede 1972, 1974 sowie Zepf, 1981. Erst in allerjüngster Zeit deutet sich an, wie man den psycho-somatischen Hiatus argumentativ zugänglich machen kann, indem zwischen den Positionen von Freud, Pawlov und Selye vermittelt wurde (Stadler 1982), was ermöglicht, das Problem nicht selber organisch verursachter organischer Krankheit nicht nur als Sachverhalt erster, sondern als Resultat ganz spezifischen Zusammenwirkens erster und zweiter Natur erfahrungswissenschaftlich zu begreifen.

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  12. Etwa im Unterschied zur Gesprächstherapie, vgl. Köhler-Weisker/Horn 1981. Daß dieser Anschluß an sozialwissenschaftliche Argumentation in unterschiedlicher Weise vorgenommen werden kann, zeigt die Anlage unseres Konzepts im Vergleich mit dem von Parsons. Dessen geradliniger Funktionalismus ist etwas ganz anderes als der hier präsentierte Versuch, das begriffliche Verschwindenlassen von Widersprüchen zwischen persönlichen Motiven und gesellschaftlichen Zwecksetzungen zu rekonstruieren und darin eine besonders prekäre Kostenquelle zu vermuten, die nicht wirklich zu beseitigen sein wird, solange eine falsche Zuschreibung erfolgt.

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  13. Diese Krankheitsrelevanz menschlicher Beziehungen betrifft hier insbesondere die persönliche Ebene, in der die Menschen über alle gesellschaftliche Vermitteltheit hinaus Momente der Unmittelbarkeit einbringen. Ober das Verhältnis dieses interaktionistischen Moments zu mehr organisierten Ebenen menschlicher Beziehungen, wie sie in der Arbeits-und Sozialmedizin behandelt werden, wird im Schlußkapitel noch einiges zu sagen sein.

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  14. Nämlich auf der physiologischen, der persönlichen, der interaktionistischen und der sozialstrukturellen Ebene, die allerdings immer als aufeinander bezogen zu denken sind, wenngleich schwerpunkthaft zu argumentieren ist.

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  15. Sozial-und arbeitsmedizinisch wird in dieser Studie nicht argumentiert. Vgl. Kapitel 7, in dem der Stellenwert dieser Aspekte erörtert wird.

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  16. Diese Erweiterungsmöglichkeit der Argumentation wird im Abschlußkapitel entwickelt werden.

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  17. Vor allem erzeugt die zwar berechenbare, aber eben nur mit soundsoviel Prozent ausgestattete Wahrscheinlichkeit des Betroffen-werden-Könnens beim einzelnen keine wirkliche Betroffenheit, vor allem keine prophylaktisch wirksame. Es liegt in der Logik sowohl des Risikofaktorenmodells als auch in der des normalen persönlichen Widerstands, daß eine(r) denken kann, sie oder er käme auch bei riskantem Leben gut weg.

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  18. In dieser Arbeit wird nicht von jenen Erkrankungsformen gesprochen, die gemeinhin als „psychiatrische“ verstanden werden, sondern, nach Maßgabe herkömmlicher Medizin, nur von körperlichen Erkrankungen. Aus der Perspektive psychoanalytisch-psychosomatischer Medizin sieht diese Einteilung, wie der Leser bemerkt haben wird, ohnehin ganz anders aus. Im nächsten Abschnitt wird auf das Problem des Verhältnisses psychischer und körperlicher Erkrankungen noch kurz eingegangen.

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  19. Der psychisch Gestörte hingegen ist nicht mehr in der Lage, die Ebene der Rollenerfüllung selber (also nicht nur einzelne Rollenaufgaben nicht) zu realisieren. Er kann also in aller Regel auch nicht die Krankenrollenanforderungen (freiwillig) erfüllen. Deshalb ist er noch ganz anderen Sanktionen ausgesetzt als die (vermeintlich lediglich) körperlichen Kranken.

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  20. Das Entstehen insbesondere des technokratischen Zweiges Politischer Psychologie kann auf dieses zentrale gesellschaftliche Problem zurückgeführt werden, das unter verschiedenen Überschriften aufgetreten ist. Eines davon ist die Entwicklung des Faschismus gewesen (Horn 1982); „Politische Sozialisation“ insbesondere die einschlägige amerikanische Literatur, wird ja seit langem kritisch in diesem Sinn diskutiert. Holzkamp (1972) hat die messende Psychologie überhaupt unter diesem Aspekt diskutiert.

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Horn, K., Beier, C., Wolf, M. (1983). Das Scheitern leib-seelischer Selbstaneignung, der Prozeß der Rationalisierung und unser Forschungsparadigma. In: Krankheit, Konflikt und soziale Kontrolle. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-94340-8_2

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-94340-8_2

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

  • Print ISBN: 978-3-531-11677-8

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