Zusammenfassung
Otfried Höffe: Es mag hilfreich sein, noch einmal an die uns aus der Literatur bekannte Unterscheidung von formaler und materialer Interpretation zu erinnern, auch: die „autonome“ Struktur der Liberty herauszustellen. Doch liegt der Kontroverspunkt nicht hier, wohl in der Frage, worauf genau Hobbes’ Theorie vom Naturzustand und seiner Überwindung durch die Staatsgewalt basiert. Auf diese Frage ist eine zweifache Antwort zu geben, und in beiden Aspekten bin ich anderer Meinung als Herr Willms: Einerseits, nämlich im Gesamtzusammenhang des Hobbesschen Systems der Philosophie, gründen die De Cive-Teile auf den De Homine- und die De Homine- auf den De Corpore-Teilen. In De Corpore geht es aber nicht um eine subjektiv oder intersubjektiv gewendete Anthropologie, sondern um „matter in motion“. Folglich basiert Hobbes’ Anthropologie oder, wenn Sie es vorziehen, seine Theorie der conditio humana (aber im Griechischen heißt „Anthropologie“ nicht viel anderes als „de homine“ im Lateinischen, nämlich „[Lehre] vom Menschen“) auf einer kinematischen Theorie, auf einer Bewegungsmechanik. Dann aber kann und muß Hobbes auch als Mechanist angesprochen werden, freilich nicht in einem naiv realistischen oder unmittelbar metaphysischen, aber doch zumindest in einem methodischen Sinn (bedingt durch die resolutiv-kompositive Methode, genauer: durch die annihilatio aus De Corpore, cap. 7 [1]. Andererseits setzt Hobbes’Argumentation, um es philologisch zu formulieren, im Leviathan, Kap. 13, in gewisser Hinsicht noch einmal neu an. Hobbes greift hier nicht direkt auf Aussagen der Kapitel 6 oder 11 über die menschlichen Affekte und Leidenschaften oder das ruhelose Machtstreben zurück. Er geht vielmehr davon aus, daß die Menschen glauben, hinsichtlich ihrer körperlichen und geistigen Kräften hinreichend gleich begabt zu sein, so daß sie sich — und sei es durch List oder Verbindung mit andern — wechselseitig bedrohen, ja töten können. Danach sind die Menschen schon ein gut Stück durch ihre Affekte und Leidenschaften konstituiert. Gleichwohl gelten sie nicht schon durch ihre eigenen Affekte und Leidenschaften als bedroht; die Bedrohung kommt erst durch die soziale Perspektive. Hätte das Individuum vor sich selbst Angst, so müßte man nach einer ganz anderen Lösung suchen: Triebverzicht, Gelassenheit — oder auch ein Sich-Austoben, das sich irgendwann erschöpft. Nicht die Konstitution der Selbste, sondern ihre Koexistenz, nicht in der Subjektivität, wohl in der Inter-subjektivität liegt das direkte Problem. Und die institutionalisierte Rechtsordnung, der Staat, löst auch nur das soziale Problem, das der Koexistenz von Wesen, die sich gegenseitig bedrohen. Die Lösung des subjektiven Problems, daß wir aufgrund unserer Reflexivität vielleicht „arme Schlucker“ sind, ist keine Rechtsaufgabe, weder bei Hobbes noch bei Kant oder Fichte.
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© 1982 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen
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Bermbach, U., Kodalle, KM. (1982). Diskussion. In: Bermbach, U., Kodalle, KM. (eds) Furcht und Freiheit. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-94334-7_6
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Print ISBN: 978-3-531-11567-2
Online ISBN: 978-3-322-94334-7
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