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Der Autor des Leviathan und das Recht gegen den Staat

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Furcht und Freiheit

Zusammenfassung

Der zweite Abschnitt von Kants Schrift Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis trägt die Überschrift „Vom Verhältnis der Theorie zur Praxis im Staatsrecht (Gegen Hobbes)“. Gegen Hobbes wird zu zeigen versucht, daß das Volk „seine unverlierbaren Rechte gegen das Staatsoberhaupt habe, obgleich diese keine Zwangsrechte sein können“ (VIII, 302).1 Nach Hobbes dagegen ist „das Staatsoberhaupt dem Volk durch Vertrag zu nichts verbunden und kann dem Bürger nicht Unrecht tun (er2 mag über ihn verfügen, was er wolle)“ (VIII, 303), bei ihm also kann es aufgrund der Staatskonzeption kein Recht des Volks gegen den Souverän geben. Dieses Recht nun ist bei Kant konkret die Befugnis, „seine Meinung über das, was von den Verfügungen desselben ihm ein Unrecht gegen das gemeine Wesen zu sein scheint, öffentlich bekannt zu machen“; als Begründung erfährt der Leser: Jeder Mensch hat unverlierbare Rechte, „die er nicht einmal aufgeben kann, wenn er auch wollte, und über die er selbst zu urteilen befugt ist“; sodann muß der nicht-widerspenstige Untertan annehmen können, daß das Staatsoberhaupt nicht Unrecht tun will, also ein Interesse daran hat, über Irrtümer aufgeklärt zu werden. Zwischen Begründung und Konklusion klafft eine seltsame Lücke, denn bewiesen wird allenfalls das Recht der Beschwerde über ein Unrecht, „das ihm (sc. dem Bürger) seiner Meinung nach widerfährt“, ein Recht der Beschwerde, wie es auch im Kantischen Staatsrecht (vgl. VI, 319) verankert ist; die Beschwerde jedoch hat einen partikularen Charakter und braucht nur beim Hof abgeliefert zu werden; sie bedarf keiner Verallgemeinerung in Form eines Sprunges vom Unrecht, das dem Untertan selbst seiner Meinung nach widerfährt, zum „Unrecht gegen das gemeine Wesen“, und sie benötigt keine Öffentlichkeit; die Petition schließt ihre Publizität nicht ein.

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Anmerkungen

  1. Kant wird zitiert nach der Akademie-Ausgabe der Gesammelten Schriften, Hobbes nach folgenden Editionen: Leviathan, ed. A.D. Lindsay, London 1914 u.ö.; The Elements of Law Natural and Politic, ed. F. Tönnies, London 19692; De Cive or The Citizen, ed. S. P. Lamprecht, New York 1949.

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  2. Sc. das Staatsoberhaupt

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  3. Kants „Freiheit der Feder“ entsteht aus zwei Komponenten; einmal wird die Freiheit der Publikation von Theorien beliebigen Inhalts gefordert, weil nur durch die Kritik anderer Gelehrter die Bildung von Irrtümern verhindert werden kann, vgl. XXIV, 93; 151; 391; 721; refl. 2127 (XVI, 245); refl. 2174 (XVI, 258); VII, 219. In der Reflexion 1482 wird ein Bezug der Publikationsfreiheit zu den „Lehrern des Rechts“ hergestellt: „Prüfung der Wahrheit durch anderer Beifall. Daher alte (Grundsätze) Lehrer des Rechts. Daher Freiheit der Feder...“ (XV, 672), wobei Kant entweder an das bei Grotius genannte „Heraklit“-Motiv der gemeinsamen Welt (De iure belli ac pacis I, 1, 12, 2) denken kann oder an den usus, daß „die Juristen die sententias anderer juris consultorum zitieren“ (refl. 2173: XVI, 258). Die Vorstellung der Freiheit der Feder als eines spezifischen natürlichen Rechts gegen den Staat jedoch verknüpft mit dieser ersten Komponente die ganz andere Idee eines Korrektivs der Staatsgewalt durch die Rechtsphilosophie; der Philosoph wird hier zum zweiten Repräsentanten des Volks (das, obwohl es selbst nicht denkt, doch gehört werden will, vgl. VII, 144 und 145).

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  4. Vgl. Leviathan V, Abs. 1–4 und XX Schluß. Die Hobbessche scientia ist ein Beweisverfahren analytischer Art; falsch ist in ihr, was widersprüchlich ist. Prudence dagegen „is a Praesumtion of the Future, contracted from the Experience of time Past“ und als solche nur guessework, III, Abs. 10.

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  5. Symptomatisch ist folgende Äußerung von Leo Strauß: „Hobbes erschien mir als der Begründer der modernen politischen Philosophie. Das war ein Irrtum: nicht Hobbes, sondern Machiavelli gebührt diese Ehre... Ich berücksichtige nicht die Möglichkeit, daß Machiavelli noch eine Art der Zurückhaltung übte, die auszuüben Hobbes verschmähte: daß der Unterschied in dem Grad, in dem Machiavellis und Hobbes’ Ansprüche auf Originalität hörbar werden, auf einen Unterschied des Grades... der Freimütigkeit zurückzuführen sind“ (Leo Strauß, Hobbes’ politische Wissenschaft, Neuwied 1965, 9–10) — gibt es bei Machiavelli auch nur eine Reflexion über die Rechtsbegründung des Staats? Das Ziel der gesamten Überlegungen von Hobbes ist Machiavelli völlig unbekannt. Sich um den Grad ihrer Originalität zu streiten zeigt das Unverständnis wenigstens eines der beiden Autoren.

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  6. Vgl. schon Leslie Stephen, Hobbes, London 1904, 106-107.

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  7. D.D. Raphael, Hobbes. Morals and Politics, London 1977, 32. Karl-Heinz Ilting hat vor Raphael versucht, die Naturgesetze von Hobbes als hypothetische Imperative zu bestimmen, und zwar mit genauer Lokalisierung innerhalb der Kantischen Lehre von möglichen Imperativen (Hobbes und die praktische Philosophie der Neuzeit, in: Philosophisches Jahrbuch 72, 1964/65, 84-119). Es gibt jedoch keinen Imperativ außer dem kategorischen bei Kant, der im Gewissen bindet. Trotz eines historischen Zusammenhangs der Kantischen Moralphilosophie mit der Hobesschen Rechtslehre sind die systematischen Voraussetzungen so unterschiedlich, daß eine genaue Transposition der Hobbesschen Vorstellungen in die Kantische Theorie sich verbietet. Das Gebot des exeundum est e statu naturali, das die Basis der Hobbesschen Naturgesetze bildet, gehört darüber hinaus nicht in die ethischen Pflichten, sondern ist eine Rechtspflicht.

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  8. Die Verletzung eines Naturgesetzes und Vernunfttheorems ist für Hobbes ebenso widersprüchlich wie für Richard Cumberland (De legibus naturae (1672), vgl. bes. Kap. V, 16)

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  9. Das „consider as“ ist ein, soweit ich sehe, bisher nicht für sich untersuchter terminus technicus in der englischen Philosophie. Hobbes benutzt ihn in seiner neuen Personentheorie: „A Person, is he, whose words or actions are considered, either as his own... When they are considered as his own...“ (XVI, Abs. 1, 2). Bei Locke wird das „consider as“ zu einem entscheidenden Begriff der Abstraktionstheorie, vgl. Michael R. Ayers, Locke’s Doctrine of Abstraction, in: Locke-Symposium 1979, ed. R. Brandt, Berlin—New-York 1981. — Im lateinischen Text des Leviathan fehlt ein Äquivalent für den Begriff des consider as, der oben zitierte Schluß von Kapitel XV lautet: „Lex autem, proprie dicta, est vox imperantis; vel prolata vel scripta, ita ut omnes, qui obedire tenentur, sciant vocem eius esse“ (Opera Philosophica... Vol. III, ed. G. Molesworth, London 1841, 122).

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  10. A.E. Taylor, The Ethical Doctrine of Hobbes: in: Philosophy 12, 1938, 406–424, zitiert nach Klaus-Michael Kodalle, Thomas HobbesLogik der Herrschaft und Vernunft des Friedens, München 1972, 16. Kodalle radikalisiert die Taylorsche Sentenz und These in der Weise, daß nicht nur der Gott der natürlichen Theologie, sondern der der biblischen Offenbarung erforderlich ist, um den Hobbesschen Gedanken die vom Autor intendierte Konsistenz zu verleihen. Es sprechen viele Indizien für die Richtigkeit der Interpretation Kodalles (die wir hier nicht zu prüfen brauchen), bedenklich jedoch scheint der Versuch, die Notwendigkeit der Einbeziehung der Offenbarung folgendermaßen zu begründen: „Hobbes weist hin auf die Grundlage aller natürlichen Gesetze: Erhaltung der menschlichen Natur. Wo also keine Sicherheit der Einhaltung der Gesetze seitens aller gewährleistet ist — wie im Naturzustand —, wird man nur der Grundintention dieser natürlichen Gesetze gerecht, wenn man sie unbeachtet läßt; sie befolgen hieße, sich als Beute anzubieten“ (50). Nach Kodalle soll die Sanktionierung der dictates of reason durch Gott die so vorgestellten Gebote absoluter Unvernunft vernünftig machen — aber die dictates of reason müssen schon für sich vernünftig, also auch praktikabel sein, und sie sind es nach der Hobbesschen Theorie tatsächlich. Man sollte sich wohl doch scheuen, „um der Vernunft des Hobbesschen Gedankens willen die Akzente in seinem Werk entscheidend zu verlagern“ (1980).

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  11. Vgl. dazu Vf., Rechtsverzicht und Herrschaft in Hobbes’ Staatsverträgen, in: Philosophisches Jahrbuch 87, 1980, 41-56.

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  12. Hobbes denkt auch an die Möglichkeit einer unmittelbaren Einwirkung auf die bestehenden Universitäten, vgl. Abs. 16 der Review and Conclusion, und Adressaten sind natürlich die Fachkollegen im In-und Ausland.

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© 1982 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen

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Brandt, R. (1982). Der Autor des Leviathan und das Recht gegen den Staat. In: Bermbach, U., Kodalle, KM. (eds) Furcht und Freiheit. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-94334-7_11

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-94334-7_11

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

  • Print ISBN: 978-3-531-11567-2

  • Online ISBN: 978-3-322-94334-7

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