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Kriminologie, Jugendstrafe und Gerechtigkeit

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Part of the book series: Studien zur Sozialwissenschaft ((SZS,volume 122))

Zusammenfassung

Seit mehr als zwanzig Jahren hat die Debatte um den Etikettierungsansatz in der Kriminologie zu einer heilsamen Beunruhigung eingefahrener Sanktionspraxen im Bereich nicht nur des Jugendstrafrechts geführt. Der “labeling approach” hat mit seiner phänomenologischen Grundorientierung und seinem stetigen Beharren auf dem konstruktiven Charakter aller kriminologischen Daten nicht nur das konventionelle Vertrauen in die Häufigkeit und das Vorkommen von Straftaten heilsam geschwächt, sondern darüber hinaus mit seinem Hinweis auf die kulturelle Einbettung unserer moralischen und juristischen Maßstäbe die normative Grundlage zumal des Strafrechts erschüttert. Vor diesem Hintergrund erscheint der größte Teil jeder strafrechtlichen Sanktion als Ausdruck einer unreflektierten, barbarischen Selbstgerechtigkeit, die sich im Lauf der Geschichte der Moderne zum Funktionszusammenhang eines Herrschaftssystems zusammenschließt, das die Individuen über allgemeine Rechtsnormen zunächst ihrer Konflikte enteignet, um sie dann psychisch zu brechen und physisch zu schwächen. Mit solchen Argumenten wurde der “labeling approach” auch systematisch zu dem, als was er genetisch Mitte der 60er Jahre entstand: zu einer Partisanenwissenschaft im Interesse der Ausgegrenzten, Eingesperrten, der Abweichler und Aufrührer. Mit Durkheims Vermutung gewappnet, daß Abweichung nicht nur normal ist, sondern die Abweichler von heute oft genug die Schöpfer moralischer Werte von morgen sind, konnten die Verfechter des “labeling approach” somit ein zentrales Thema romantischer Sozialkritik aufnehmen und mit guten Gründen auch wissenschaftlich untermauern: Das Unrecht des gesellschaftlichen Zwangszusammenhanges verkörpert sich im Abweichler, der — gerade in jenen Taten, die die Konformisten als Verbrechen brandmarken — in seiner Tat die Wahrheit über jenen Zwangszusammenhang zutage fördert. Die Abweichler: Als Opfer und Märtyrer der bürgerlichen Gesellschaft wurden sie zum Lieblingsobjekt nicht nur einer phänomenologischen Betrachtung von Asylen, Karrieren von ’peers und queers’ und Subkulturen, sondern auch zu Kronzeugen wider die Menschenfeindlichkeit formal-abstrakten Rechts, objektivierender Wissenschaft und einer auf unsichtbarer Herrschaft und disziplinierenden Praktiken beruhenden Gesellschaft, der nicht mehr durch Revolution, sondern nur noch durch beharrliche negative Reformen, durch Abolitionismen beizukommen sei.

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© 1993 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen

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Brumlik, M. (1993). Kriminologie, Jugendstrafe und Gerechtigkeit. In: Peters, H. (eds) Muß Strafe sein?. Studien zur Sozialwissenschaft, vol 122. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-94252-4_12

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-94252-4_12

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

  • Print ISBN: 978-3-531-12449-0

  • Online ISBN: 978-3-322-94252-4

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