Zusammenfassung
Wenn man, um die Verbindung von Handlungsabläufen und dem Unfallgeschehen herzustellen, das vermeintliche Schicksal, das persönliche Pech, die ökonomischen Bedingungen, die bekannten äußeren Umstände und die schwer zugänglichen unbewußten Anteile von der Fallhöhe des Unfalls abzieht, dann wird er zum aussagekräftigsten Fall über die Welt der Dinge bzw. das systemische Zusammenspiel zwischen der Dingwelt und der Wirkwelt auf den Menschen. Anhand eines literarischen Dokumentes (Bloch 1979, 160f.) soll dieser Gedanke illustriert werden:
“Gar über Stephensons Debut läuft folgende wilde Legende. Soeben hatte er den ersten fahrenden Kessel aus dem Schuppen gezogen. Die Räder rührten sich und der Erfinder folgte seinem Geschöpf die abendliche Straße. Aber schon nach wenigen Stößen sprang die Lokomotive vor, immer schneller, Stephenson vergebens hinter ihr her. Vom anderen Ende der Straße kam jetzt ein Trupp fröhlicher Leute, hatten sich beim Bier verspätet, junge Frauen und Männer, ihr Dorfpfarrer darunter. Denen also rannte das Ungeheuer entgegen, zischte in einer Gestalt vorüber, die noch niemand auf der Erde gesehen hatte, kohlschwarz, funkensprühend, mit übernatürlicher Geschwindigkeit. Noch schlimmer, wie in alten Büchern der Teufel abgebildet wurde; da fehlte nichts, es kam nur etwas hinzu. Denn eine halbe Meile weiter machte die Straße eine Biegung, gerade einer Mauer entlang; auf diese fuhr die Lokomotive los und explodierte mit großer Gewalt. Drei von den Heimkehrern, wird erzählt, fielen am nächsten Tag in ein hitziges Fieber, der Pfarrer wurde irrsinnig. Nur Stephenson hatte alles verstanden und baute eine neue Maschine, auf Geleisen und mit Führerstand; so wurde ihre Dämonie auf die rechte Bahn gebracht, ja schließlich fast organisch. [...] Am Irrsinn des Pfarrers sah man, wie einer der größten Umwälzer der Technik aussah, bevor man sich daran gewöhnte und die Dämonie dahinter verlor. Nur der Unfall bringt sie zuweilen noch in Erinnerung: Krach des Zusammenstoßes, Knall der Explosionen, Schreie zerschmetterter Menschen, kurz ein Ensemble, das keinen zivilisierten Fahrplan hat. [...] Kein Weg geht zurück, aber die Krisen des Unfalls (der unbeherrschten Dinge) werden ebenso länger bleiben wie sie tiefer liegen als die Krisen der Wirtschaft (der unbeherrschten Waren).”
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Literatur
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Wehner, T. (1993). Über den Zusammenhang von Fehlhandlungen und Gefährdungen in Abhängigkeit vom Automatisierungsniveau. In: Weißbach, HJ., Poy, A. (eds) Risiken informatisierter Produktion. Beiträge zur sozialwissenschaftlichen Forschung, vol 122. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-94237-1_11
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
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