Zusammenfassung
Der Prozeß der deutschen Vereinigung wird seit dem Frühjahr 1991 in zunehmendem Maße als krisenhaft erlebt.1 Das hat dazu geführt, daß ein politisch-administratives Steuerungsrepertoire reaktiviert wurde, in dem Verbände mit stark entwickeltem Repräsentationsmonopol eine zentrale Rolle spielen. Die Beteiligung von Spitzenverbänden der Wirtschaft bei der Bearbeitung wirtschafts- und finanzpolitischer Krisensituationen ist nichts Neues: Sie läßt sich schon nach dem ersten Weltkrieg und dann erneut in den Anfangsjahren der alten Bundesrepublik beobachten.2 Insbesondere im Zusammenhang der Koreakrise füllten „Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften ... die ‘Lenkungslücke’ aus, welche die Wirtschaftsreform von 1948 bewußt offen gelassen hatte“ (Abelshauser 1983: 81; vgl. auch Abelshauser 1981). Ging aber in der Frühphase dieser „korporativen Marktwirtschaft“ (Abelshauser) die Initiative zunächst eher von den Verbänden aus, so war seit den sechziger und siebziger Jahren der Staat in zunehmendem Maße bemüht, seinerseits Verbände in Aushandlungsprozessen auf das „Gemeinwohl“ zu verpflichten und damit in den Dienst seiner Steuerungsintentionen zu stellen, insbesondere bei der Bearbeitung von Verteilungskonflikten, die staatliche Politikziele gefährden könnten. Auf das seither entwickelte „korporatistische“ Repertoire hat die deutsche Politik auch im Vereinigungsprozeß zurückgegriffen: Spitzenverbände, denen — explizit oder implizit — eine beträchtliche Verpflichtungsfähigkeit unterstellt wird, sollen die Folgebereitschaft ihrer Mitglieder für die Bearbeitung von Verteilungskonflikten mobilisieren, die sich aus der Vereinigung ergeben.
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Lehmbruch, G. (1994). Dilemmata verbandlicher Einflußlogik im Prozeß der deutschen Vereinigung. In: Streeck, W. (eds) Staat und Verbände. Politische Vierteljahresschrift, vol 25. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-94220-3_13
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