Zusammenfassung
Woran nun ging die Weimarer Republik zugrunde? Scheiterte sie an der Zerklüftung der Gesellschaft in verschiedene, sich scharf gegeneinander abgrenzende, feindlich gesonnene politisch-kulturelle Milieus, deren Existenz jeden für die Funktionsfähigkeit einer Demokratie unabdingbaren Konsens verhinderte? Scheiterte Weimar also nicht zuletzt an der Fragmentierung seiner Politischen Kultur, wie Detlef Lehnert und Klaus Megerle seit einiger Zeit mit Nachdruck und mit nicht geringem wissenschaftlichen Aufwand hervorheben?1 Oder ist eher das Gegenteil richtig: Begann nicht der Aufstieg der Nationalsozialisten mit dem Niedergang der klassischen Milieus? Ja, hatte nicht die industriell-urbane, massenkulturell durchwirkte Moderne, die die Weimarer Gesellschaft während der zwanziger Jahre immer mehr und tiefer durchdrang, den aus dem Kaiserreich überkommenen Milieus allmählich, aber sicher den Garaus bereitet? Wie stand es mit demjenigen politischen, sozialen und weltanschaulichen Lager, das wohl lange die größte Stabilität, Dichte und Abgrenzungsneigung aufwies und auf das wir uns im folgenden konzentrieren wollen, das sozialdemokratische: Hatte es nicht in den Weimarer Jahren seinen Zenit längst überschritten? Hatte sich nicht die einstige sozialdemokratische Sonder- und Lebenskultur durch den staatstragenden Kurs der SPD in die Republik eingepaßt, sich gleichsam integriert und säkularisiert und dadurch selbst überflüssig gemacht?
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Literatur
Vgl. D. Lehnert/K. Megerle (Bearb.): Forschungsprojekt “Politische Kultur in der Weimarer Republik. Identitäts- und Konsensprobleme in einer fragmentierten Gesellschaft”, Berlin 1985 (Fachbereich Politische Wissenschaft der FU Berlin, Occ.Papers No. 13.)
Dies.: Identitäts- und Konsensprobleme in einer fragmentierten Gesellschaft. Zur Politischen Kultur in der Weimarer Republik. In: D. Berg-Schlosser/J. Schissler (Hrsg.): Politische Kultur in Deutschland. Bilanz und Perspektive der Forschung, Opladen 1987, S. 80ff.
Dies. (Hrsg.): Politische Identität und Nationale Gedenktage. Zur Politischen Kultur der Weimarer Republik, Opladen 1989.
Diese Antworten speisen sich aus den Ergebnissen eines breit angelegten Forschungsprojekts über die sozialdemokratischen und katholischen Arbeiterorganisationen in der Weimarer Republik.Wir verzichten in diesem Aufsatz auf einen umfangreichen Belegapparat, da die einzelnen Resultate (mit Quellenhinweisen) unserer Untersuchungen bald ausführlich und detailliert in speziellen Monographien veröffentlicht werden.
D. Langewiesche: Freizeit und ‘Massenbildung’. Zur Ideologie und Praxis in der Weimarer Republik. In: G. Huck (Hrsg.): Sozialgeschichte der Freizeit. Untersuchungen zum Wandel der Alltagskultur in Deutschland, Wuppertal 1980, S.223ff.
D. Langewiesche Ders.: Politik-Gesellschaft-Kultur. Zur Problematik von Arbeiterkultur und kulturellen Arbeiterorganisationen in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg. In: AfS 22 (1982), S. 359ff.
D. Langewiesche Ders.: “Arbeiterkultur”, Kultur der Arbeiterbewegung im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. In: Arbeiterkultur in Deutschland Hamburg 1984, (Ergebnisse, H.26), S.9ff.
Vgl. etwa M. Kluck und R. Zimmermann (Bearb.): Arbeiterkultur. Forschungs- und Literaturdokumentation 1979–1982, Bonn 1984, S. VII.
H. Wunderer: Arbeitervereine und Arbeiterparteien. Kultur- und Massenorganisationen in der Arbeiterbewegung(1890–1933), Frankfurt u.a. 1980, S.74f. u. 224.
Auf der Ebene der Symbolanalyse sozialdemokratischer Kultur kommt der Volkskundler Gottfried Korff zu einem ähnlichen, wenn auch normativ nicht so überladenen Urteil wie Wunderer. Nach Korff waren die Metaphern und Symbole sozialdemokratischer Kulturveranstaltungen in der Weimarer Republik realistischer und gegenwartsbezogener als zu Zeiten des Kaiserreichs; der Grund für diese von ihm angenommene Säkularisation des Sozialismus sieht Korff in der Funktionsveränderung der Sozialdemokratie von einer Partei der fundamentalen Opposition zu einem Träger der Regierungsverantwortung. Vgl. G. Korff: Rote Fahnen und geballte Faust. Zur Symbolik der Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik. In: Fahnen, Fäuste, Körper. Zur Symbolik und Kultur der Arbeiterbewegung. Hrsg. vom Institut zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Essen 1986, S.27ff.
Vgl. P. Lösche und M. Scholing: Solidargemeinschaft im Widerstand: Eine Fallstudie über “Blick in die Zeit”. In: IWK 19 (1983), H.4, S.517ff.
Dies.: Sozialdemokratie als Solidargemeinschaft. Eine Fallstudie. In: R. Saage (Hrsg.): Solidargemeinschaft und Klassenkampf, Frankfurt/M. 1986, S. 365ff.
F. Walter: Nationale Romantik und revolutionärer Mythos. Politik und Lebensweisen im frühen Weimarer Jungsozialismus, Berlin 1986
F. Walter Ders.: Jugend in der sozialdemokratischen Solidargemeinschaft. Eine organisationssoziologische Studie über die Sozialistische Arbeiterjugend Deutschlands (SAJ). In: IWK 23 (1987), H.3, S. 311ff.
Vgl. Wunderer, Arbeitervereine, S.221.
Volksgesundheit 1922, S.106
Der abstinente Arbeiter 1926, S.41
Der Jugendliche in der Großstadtfamilie. Auf Grund von Niederschriften Berliner Berufsschüler und -Schülerinnen. Im Auftrag des Deutschen Archivs für Jugendwohlfahrt Berlin, bearbeitet von G. Krolzig, Berlin 1930, S.122.
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Lösche, P., Walter, F. (1990). Zwischen Expansion und Krise. In: Lehnert, D., Megerle, K. (eds) Politische Teilkulturen zwischen Integration und Polarisierung. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-94187-9_8
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