Zusammenfassung
Nach Ansicht des Sprachwissenschaftlers Hermann PAUL vermag die Sprachwissenschaft — als eine Art Kulturwissenschaft auf naturwissenschaftlicher Grundlage — nur auf der Basis einer geschichtlichen Sprachbetrachtung zu „sinnvollen“ Aussagen zu gelangen.1 Diese postulierte Reduzierung der Sprachwissenschaft auf Sprachgeschichte mit einer Verabsolutierung einer diachronen Perspektive, besonders durch Vertreter der positivistisch ausgerichteten junggrammatischen Schule — zu denen auch PAUL zählte — wurde mit der Neuorientierung durch DE SAUSSURE und seiner Betonung der synchronen Perspektive abgelöst. Aufgrund dieser Umorientierung galt eine Beschäftigung mit diachronen Aspekten der Sprachen, wie der Frage nach dem Ursprung der Sprache, lange Zeit als verpönt. Im Jahre 1866 beschloß sogar die Pariser Linguistische Gesellschaft die kategorische Ablehnung der Ursprungsfrage in ihren Sitzungen.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literatur
Hier sei an die selbstkritischen „Philosophischen Untersuchungen“ WITTGENSTEINS gedacht und an AUSTINs „How to do things with Words“, deutsch: „Zur Theorie der Sprechakte“, übersetzt und bearbeitet von Eike VON SAVIGNY 1972.
Betrachtungen zur Geschichte dynamischer Sprachauffassungen stellt WILDGEN 1985 an, der selbst versucht, durch Aufnahme von Elementen der Katastrophentheorie (insbesondere der Arbeiten René THOMs) zu einem dynamischen Ansatz zu gelangen.
Zur Dokumentation der Entwicklung diachronischer Sprachwissenschaft vom Ende des 19. Jahrhunderts bis heute vergleiche den Reader von CHERUBIM 1975.
Hypothesen zur Entstehung der Sprache sollten allerdings nicht allein auf interne, neuronale Prozesse verweisen, wie z. B. EIGEN 1979: 184. „Auch die Entstehung der Sprache des Menschen ist ein Selbstorganisationsprozeß, der sich in den menschlichen Gehirnen vollzogen hat. Die hierdurch in Gang gesetzte kulturelle Entwicklung der Menschheit ist bis heute ebensowenig abgeschlossen wie der genetische Evolutionsprozeß, wenngleich unser zukünftiges Schicksal nahezu ausschließlich von jener auf der Ebene des Geistes sich abspielenden Evolution bestimmt sein dürfte.“
Auf die allgemein herausragende Bedeutung von Verhaltensumstellungen, die zu ökologischen Anpassungen führen und dadurch bereits vorhandenen Strukturen neue Funktionen geben, wies ausdrücklich MAYR hin. Verhalten erscheint in dieser Sichtweise als „Schrittmacher der Evolution“. MAYR 1970: 335f.
Vor den ersten theoretischen Klärungen zum Sukzessionsbegriff von COWLES 1899 und CLEMENTS 1916 war es wohl THOREAU 1860 (der Autor von ‚Walden„), der den Sukzessionsbegriff als erster benutzte.
So beschreibt EIGEN die Entstehung des Lebens und damit auch den Ausgangspunkt der Evolution auf diesem Planeten als Selbstorganisationsprozeß. Genauer: als autokatalytischen Prozeß, d. h. als chemischen Prozeß mit positiven Rückkoppelungen, Hyperzyklus genannt, der schließlich zu hochkomplexen Molekülen führt. EIGEN 1971. BALLMER/WEIZSÄCKER 1974 sprechen in Anlehnung an EIGEN bei der Evolution von Ökosystemen vom Ultrazyklus, wobei sie das Konzept der Koevolution übernehmen und mit dem Nischen-Modell in Beziehung setzen.
Auf die Darstellungen weiterer Implikationen, z. B. Absinken der Nettoproduktivität, Anstieg der Bruttoproduktivität und Einpendeln innerhalb eines Schwankungsbereiches, sei pauschal auf ODUM 1983 verwiesen.
Anthropogene Ökosysteme sind allgemein Gegenstand der Humanökologie, deren Vertreter sich zum Teil stärker, zum Teil weniger stark von der biologischen Ökologie entfernen: z. B. PARK 1952, EHRLICH/EHRLICH/HOLDREN 1975, CAMPBELL 1985. Aber auch anthropologische bzw. ethnologische Forschungsrichtungen wie die Kulturökologie (z. B. BARGATZKY 1986) stellen bei dem Entwurf ökologischer Kulturtheorien anthropogene Ökosysteme in den Mittelpunkt der Betrachtung. Die Bedeutung der Sprache für anthropogene Ökosysteme fand bislang keine adäquate Berücksichtigung.
Zum Zeitbegriff z. B. MÜLLER 1986, der sich hauptsächlich mit der Zeitphilosophie Georg PICHTs auseinandersetzt.
Typische Beispiele für eine regressive Sukzession von Sprache-WeltSystemen sind die von PÖRKSEN sog. „Plastikwörter“, die vielfältige sprachliche Ausdrucksformen immer mehr zu verdrängen scheinen: „Im Reich der Sprachen zeichnet sich offensichtlich das gleiche wie in dem Reich der Pflanzen und Tiere ab. Mono-Kulturen werden durchgesetzt und überwuchern den Erdball.“ PÖRKSEN 1988: 16.
Die Erforschung von sprachlich-alternativen Minoritätseinflüssen auf andere Sprache-Welt-Systeme bedürfte einer eigenen empirischen Untersuchung. In der Sozialpsychologie steckt die Erforschung von Minoritätseinflüssen noch in ihren Anfängen, z. B. MOSCOVICI 1979.
Die Suche nach diachronen Universalien, sogenannten D-Universalien, wurde bereits aus funktionalistischer Perspektive thematisiert: KANNGIESSER 1982: 288. „Die Aufgabe der diachronen Linguistik besteht… in der Erklärung und Beschreibung der Veränderung jener Wechselwirkungen, die zwischen der Ausbildung bestimmter Formen der sprachlichen Kommunikation und der Ausbildung bestimmter Lagen des Kommunikationsbedarfs bestehen.“
Author information
Authors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 1990 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen
About this chapter
Cite this chapter
Trampe, W. (1990). Diachronie in einer Ökologischen Linguistik: Sukzession. In: Ökologische Linguistik. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-94182-4_7
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-94182-4_7
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-531-12134-5
Online ISBN: 978-3-322-94182-4
eBook Packages: Springer Book Archive