Über die soziale Funktion von Verantwortung und Verantwortlichkeit

Zusammenfassung

„Der Begriff der Verantwortung (scil: wird) eigenartigerweise in der Soziologie (wie übrigens auch in der Pädagogik) trotz seiner eminenten sozialen Bedeutung kaum diskutiert.“ An der Richtigkeit dieser Beobachtung von Dieter Claessens (1963:12) hat sich bis heute ebensowenig geändert wie an derjenigen Ernst von Schenks (1956:179) über die „durchaus lebendige Vielfalt und Häufigkeit bis zum Überdruß, in der heute die Vokabel der Umgangssprache einverleibt ist“. Die Ubiquität des Wortes, seit seiner Aufwertung zum „Prinzip Verantwortung“ (Jonas 1979, Saladin 1984) noch gesteigert, steht in einem auffallenden Gegensatz zum Fehlen systematischer Erörterungen des gemeinten Sachverhalts außerhalb von Philosophie und Theologie. Aber auch dort ist die Kategorie recht neuen Datums: die grundlegende Studie Wilhelm Weischedels datiert von 1933, die früheste Erwähnung in einem philosophischen Wörterbuch nach F. v. Schenk von 1954. „In der Theologie gewinnt der Begriff der Verantwortung seit dem Ende des Ersten Weltkrieges zunehmend an Gewicht. Er wird nach dem Zweiten Weltkrieg, ergänzt durch den der verantwortlichen Gesellschaft, zum Gemeinplatz.“ (Evangelisches Soziallexikon 1980:1358). Lediglich in der Jurisprudenz ist ein älterer kategorialer Gebrauch nachzuweisen: Man hat sich vor dem (Straf-)Richter zu verantworten, man wird für das feierlich verpfändete Wort zur Rede gestellt.