Zusammenfassung
Die Westdeutschen waren über lange Jahre EG-europäische Musterknaben. Im Anlauf auf die dritte Direktwahl des Europäischen Parlaments jedoch zeigten die Eurobarometer 2 in international- und zeitvergleichender Perspektive für die Bundesrepublik eine zunehmend EG-kritische Tendenz.3 Eine von Anfang an in der Eurobarometer-Serie gestellte Frage, die bei aller Allgemeinheit erfahrungsgemäß recht sensibel auf Veränderungen in der öffentlichen Meinung über die Gemeinschaft reagiert, lautet in der deutschen Fragebogenversion: “Ist allgemein gesehen die Mitgliedschaft der Bundesrepublik in der Europäischen Gemeinschaft eine gute Sache, eine schlechte Sache, oder weder gut noch schlecht?” Vergegenwärtigen wir uns für die Bundesrepublik und für die EG insgesamt die Entwicklung der Anteile4 derjenigen, die auf diese Frage mit ‘gute Sache’ antworten, so lassen sich zwischen 1973 und 1989 grob vier Phasen unterscheiden:
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1.
Die Phase vor der ersten direkten Wahl des Europäischen Parlaments, abgeschlossen etwa 1976/77. Die deutsche EG-Zustimmung fluktuiert in dieser Zeit um den EG-Durchschnittswert (vgl. Schaubild).
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2.
Die Phase der Europawahl-Euphorie der Deutschen, etwa zwischen 1977 und 1980. Die EG und insbesondere das Europäische Parlament waren in dieser Zeit Hoffnungsträger nicht nur für wirtschaftliche Interessen, sondern auch für Bürger, die sich um die demokratische Kontrolle von dem Nationalstaat aus den Händen geglittenen Vorgängen (etwa im Bereich des Umweltschutzes, der Politik multinationaler Konzerne, etc.) sorgten. Die bundesrepublikanischen Werte liegen in dieser Phase deutlich über dem EG-Schnitt.
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3.
Die Phase der post-elektoralen Normalisierung, die etwa ab 1981 — über die zweite Direktwahl hinweg — bis 1985/86 währt. Die politischen Erwartungen, die mit der Direktwahl von 1979 verknüpft waren, haben sich nicht erfüllt. Viele kritische junge Leute, vermehrt solche mit linkem Selbstverständnis und postmaterialistischen Politikprioritäten, wenden sich enttäuscht von der Gemeinschaft ab (vgl. z.B. Schmitt & Metsch 1986). Erneut fluktuiert die deutsche EG-Zustimmung in dieser Phase um den EG-Durchschnittswert.
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4.
1986/87 etwa beginnt ein neuer Abschnitt, den man als Phase der westdeutschen EG-Ernüchterung bezeichnen könnte. Erstmals ist die bundesrepublikanische Zustimmung zur Gemeinschaft über einen längeren Zeitraum unterdurchschnittlich. Die Probleme der Gemeinsamen Agarpolitik, später auch die bundesrepublikanischen Befürchtungen vor Industrieabwanderung und Sozialabbau im Zuge der Binnenmarkt-Entwicklung mögen hierfür ursächlich gewesen sein (vgl. Schmitt & Knigge-McKenna 1989; Knigge-McKenna, Metsch & Schmitt 1989). Die Deutschen nähern sich in dieser Zeit eher den EG-kritischen Dänen und Briten als den europositiven Italienern an.5 Dies ist mit Blick auf die Europäische Gemeinschaft der ‘meinungsklimatische’ Hintergrund der dritten direkten Wahlen zum Europäischen Parlament in der Bundesrepublik Deutschland.
Dies ist eine überarbeitete Version eines Aufsatzes, der zuerst in der Beilage Aus politik und Zeitgeschichte (B43/89, pp. 39–51) der Wochenzeitschrift Das Parlament veröffentlicht wurde.
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Literatur
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Schmitt, H. (1994). Was war ‘europäisch’ am Europawahlverhalten der Deutschen? Eine Analyse der Europawahl 1989 in der Bundesrepublik. In: Niedermayer, O., Schmitt, H. (eds) Wahlen und Europäische Einigung. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-94159-6_5
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