Zusammenfassung
In den folgenden Ausführungen werden zunächst gesellschaftstheoretische Bezugspunkte einer soziologischen Risikokonzeption eingeführt. Deren Stoßrichtung zielt auf die Verzahnung von selbstreproduktiven (autopoietischen) Funktionssystemen der Gesellschaft und Risikoproduktion (2.). Im Anschluß daran werden die hier im Mittelpunkt stehenden Überlegungen zu ‚Rationalität und Risiko‘ eingegrenzt (3.) und auf einen Begriffsrahmen bezogen, der zwei grundlegende Typen technischökologischer Risikopotentiale (‚normale Unfälle‚/‘schleichende Katastrophen‘) und ein Grundmuster kausaltechnologischer Rationalität miteinander verbindet (4.). Diese begrifflichen Verknüpfungen werden dann an zwei Fallbeispielen demonstriert (5.). Abschließend wird das Verhältnis von institutioneller (formale Organisationen) und sozialer (neue soziale Bewegungen) Entscheidungs- und Handlungsrationalität diskutiert (6./7.).
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Anmerkungen
Zum Begriff ‘impressionistische Rationalität’ versus formaler Entscheidungsrationalität: Brunsson 1985.
Soziale Rationalität i.S. von Perrow 1987 und Wynne 1982 (s. Anmerkung 18).
Zur Differenz von Risiko und Gefahr: Luhmann 1986a: Risiko wird auf Entscheidung, Gefahr auf Erleben (Betroffenheit) zugerechnet.
Im Sinne von Luhmann 1984: 593 ff: Systemrationalität als Wiedereinführung der Differenz von System und Umwelt rekonstruieren wir im folgenden als Wiedereinführung der Differenz von Risiko und Gefahr.
Daran schließt der gesamte Problemkreis der ‘Umsetzung’ von Systemproblemen durch ‘kollektive Akteure’ (Rammert 1986 ) - i.u.S. handlungsfähige Sozialsysteme - an. Wenngleich auf dieser Ebene die ‘Regulierung von Anschlußfähigkeiten’ durch Einbezug von Interessenkonstellationen, Konfliktstrategien, etc. empirisch greifbarer wird, halten wir in diesem Beitrag weiter am Bezug auf Funktionssysteme fest. Es geht ja gerade darum, ob dieser Bezug ein soziologisches Risikokonzept zu klären hilft. Mit demselben Interesse aus der Akteursperspektive: Schimank in diesem Band.
Diese Definition gilt natürlich für alle möglichen Systeme. Zum Beispiel auch für Familien, Schulen oder Sportvereine. Der Absicht dieser Arbeit folgend konzentrieren wir den Risikobegriff im weiteren auf technisch-ökologische Kontexte.
Diese Definition gilt ersichtlich für den externen Beobachter. Innerhalb eines Entscheidungssystems wird die qualitative Dimension von Gefahr/Katastrophe in die soziokulturelle Umwelt externalisiert. Damit ist der (nicht mehr zu behebende) Dissens zwischen Risikoakteuren und denen, die sich an der Gefahr selbst orientieren, weil sie sich von ihr betroffen fühlen, bereits vorprogrammiert. Man kann sich das an der Risiko-Definition des konventionellen risk assessment klarmachen (Ropohl 1985 ): Risiko = Eintrittswahrscheinlichkeit x Schadensgröße. Für einen Kernkraftwerksunfall wird die Eintrittswahrscheinlichkeit als gering, die Schadensgröße als hoch bewertet. Was zählt, sind kontextneutrale Prozente und Kosten, die den GAU mit dem Risiko des Autofahrens vergleichbar machen: hohe Eintrittswahrscheinlichkeit bei geringer Schadensgröße. Die konkrete Gefahr der radioaktiven Kontaminierung wird neutralisiert bzw. erst in der sozio-kulturellen Umwelt zur konkurrierenden Deutung des Risikos (Douglas/Wildavsky 1983 ).
Allerdings immer im Kontext systemspezifischer Anschlußfähigkeiten. So wird etwa die Option auf Sonnenenergie marginalisiert. Sie ‘ist’ nicht anschlußfähig, insofern (kurz-bis mittelfristig) keine zusätzlichen Zahlungs-und Machtgewinne ‘gesehen’ werden. Dementsprechend gering fällt das forschungspolitische Interesse aus. Andererseits kann zahlungsbezogene Anschlußfähigkeit regelrecht her estelllt~t bzw. durchgesetzt werden. Vgl. am Fall des schnellen Brüters:eIecc 1985.
Daß diese Präferenz sich nur über Interessen realisieren kann, bedarf wohl keiner weiteren Erwägung (s. Anmerkung 5).
Der Verzicht, die ‘Null-Option’ wird dann zur Utopie: Offe 1986.
Auf diesen Aspekt gehen wir weiter unten noch ein. Insbesondere auf die Tendenz, daß Entscheidungssysteme Risiken hervorbringen und ihre soziale Umwelt mit den Folgen in Form von (z.B. ökologischen) Gefahren belasten. Die Differenz zwischen System und Umwelt fällt dann mit der von Risiko und Gefahr zusammen (s. auch Anmerkung 7).
Man vergleiche etwa die vormalige Situation im Veltlin: “Die Unsicherheit der Wissenschaftler und Techniker, darauf (auf möglichen Katastrophenschutz, d.V.) eine Antwort zu geben, war so groß, daß nur glückliche Umstände den Politikern zur richtigen Entscheidung verhelfen konnten” (FAZ, 2.9.1987). Ahnliches wird weiter unten für den Harrisburg-Unfall aufgezeigt. Diese Bemerkungen zeigen schon, daß wir impressionistisch geführte Entscheidungen vor allem für ‘lokale’ Bewäl-tigung von Risiken in Anschlag bringen. Ob sich ähnliches auch i ‘globale’ Einstiegs-und Ausstiegsszenerien sagen läßt, lassen wir hier offen. Unzweifelhaft _ lassen sich für den Kernenergieeinstiegsprozeß Elemente impressionistischer Entscheidungen finden. Inses~amt aber muß er wohl eher als ‘satisficing’ (Sharkansky 1972), alsrauchbar insbesondere für die interne Konflikt-und Interessenstruktur des staatlichen Entscheidungssystems bewertet werden (Esser/Fach 1987). Vergleiche mit dem Einstieg in die Gentechnologie und dem Kernenergieausstieg bieten sich an. Der letztere Fall zeigt im übrigen an, daß brauchbare Entschei-dungen sich zu einem späteren Zeitpunkt als unbrauchbar erweisen können: typischerweise, wenn der Gefahrenaspekt in den Vordergrund tritt und die Semantik des ’tragbaren Risikos’ unglaubwürdig wird.
Ob ’Ökosysteme’ Systeme sind, also identifizierbare Umweltgrenzen aufweisen (wo hört ein Teich auf?), lassen wir hier undiskutiert. ‘System’ soll an dieser Stelle nur heißen: Struktur, Kontext, Interdependenz, etc..
Diese Sichtweise (Gleichgewichtsorientierung im Mißverhältnis zu Ungleichgewichtslagen) ist inzwischen sogar in die (umwelt-und technikrelevante) Rechtssoziologie eingewandert (vgl. Ladeur 1988 ). Ebenso - in bescheidenem Maße - in die Theorie zur Forschungs-und Technologiepolitik (Lorenzen 1985: 159 f). S. auch weiter unten. Thematisiert werden jeweils Strategien der Temporalisierung und Prozeduralisierung (von Recht, Forschungs-und Technologie-Förderungen
Ebensogut könnte man sich auf die ‘Schadensabwicklung’ einer chemisierten Landwirtschaft (etwa: Spiegel 1987) oder auf das (bereits zitierte) Krisenmanagement im Veltlin beziehen. Die soziale ‘Geschichte der Rationalität’ bis hin zum (impressionistischen) Greifen nach Notbremsen ist immer dieselbe.
Und auch das gilt nur äußerst relativ. In dem hier durch komplexe Interaktion und feste Verkopplung gekennzeichneten Systemtyp kann man immer nur vorläufig lernen: der nächste Störfall kommt deshalb nicht weniger überrasc end. Darüber hinaus hängt damit auch der Umstand zusammen, daß technisch orientierte Verbesserungsstrategien bei diesem Systemtyp katastrophale Auswirkungen haben können (Perrow): bricht der Damm, wenn das abgeleitete Wasser in ihm versickert? Wie unsicher reagiert der Reaktor auf Sicherheitsexperimente?
Im Sinne von Anmerkung 4. Den Bezug auf die Differenz von Risiko und Gefahr hat Dirk Baecker angeregt. Wie die Differenzbildung von Risiko und Gefahr sich die Differenz von System und Umwelt zunutzemachen kann, zeigt Kitschelt (1979) am Beispiel der Kernenergie: Es geht nur um das technisch bestimmbare Risiko (System), die Gefahr bleibt draußen (Umwelt).
Im Gegensatz zu ‘rationalen’ Entscheidungskalkülen (des konventionellen risk assessment etwa) kombiniert soziale Rationalität qualitative, kontextgebundene Orientierungen auf (die Vermeidung von) Gelii ren mit mehrdeutigen Präferenzordnungen, die kooperativ-flexible Handlungsformen (vom impressionistischen Typ) erlauben (s. Anmerkung 2).
In einem primären Sinne aufgrund der Erosion von auch nur näherungsweise homogenen Beziehungen zwischen Ligaturen und Optionen: Dahrendorf 1979.
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Japp, K.P. (1990). Das Risiko der Rationalität für technisch-ökologische Systeme. In: Halfmann, J., Japp, K.P. (eds) Riskante Entscheidungen und Katastrophenpotentiale. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-94149-7_2
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