Zusammenfassung
Situationsgebundenheit und Vergangenheitsbezug von Präferenzen lassen Politikkonzepte als unterkomplex erscheinen, die allein auf die Überwindung von Realisierungshindernissen setzen, welche den Wünschen negativ Betroffener im Wege stehen. In einer Gesellschaft, deren Fragmentierung in selbstbezügliche Teilsysteme zu physischen Bestandsproblemen in der natürlichen Umwelt geführt hat, würde selbst ein uneingeschränktes Direktionsrecht der Arbeitnehmer in den marktabhängigen Organisationen des selbstreferentiellen Wirtschaftssystems nicht wesentlich mehr als die Konfliktsemantik verändern. Die ‘bessere’ Verwirklichung des durch ‘schlechte’ Kontextbedingungen geprägten Wollens ist ein gerechtfertigtes, aber nicht immer ein kollektiv rationales Ziel.1 Aus diesem Grund ist, was sozialverträgliche Arbeitszeitpolitik sein könnte, nicht nach der Trägerschaft von Interessen oder der Herkunft von Präferenzen entscheidbar. Das unterlegene Einflußgewicht von Arbeitnehmern und die moralische Dignität ihrer u.U. unter Deprivationsbedingungen generierten Wünsche sind wegen der Multidimensionalität der Interessen, der Instabilität und Inkonsistenz von Präferenzordnungen sowie der Interdependenzen komplexer Systeme und der daraus entstehenden ‘trade-offs’ der Zielverwirklichung lediglich Hinweise auf die Dringlichkeit, aber nicht für die zweckmäßige Ausgestaltung von Handlungsstrategien.
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Literatur
Als kollektiv rational wird hier i.S. der Spieltheorie diejenige Gleichgewichtslösung eines Gefangenendilemmas bezeichnet, die für alle Beteiligten vorteilhafter als das Ergebnis beiderseitiger Kooperationsenthaltung wäre, aber von isolierten, nach Risikominimierung strebenden Spielern nicht erreicht werden kann.
Auch hier wird kollektive Rationalität nicht in einem emphatischen, sondern im spieltheoretischen Sinne verstanden: als diejenige Lösung, die die Bedingung der ParetoOptimalität erfüllt. Vgl. auch Anmerkung 1.
Außerdem tendiert Nachtarbeit dazu, die Möglichkeiten zu gemeinsamen Aktivitäten mit anderen, zumal wenn diese regelmäßig tagsüber arbeiten, drastisch zu verringern. Sie kann zu ungewollter Vereinzelung, partieller Abschottung von sozialen Zusammenhängen beitragen. Das gilt natürlich auch für Schichtarbeit (vgl. Alheit et al. 1988 ). Zumindest sollte durch die Bewahrung des Anspruchs auf Wochenendfreizeit (wenigstens an Sonn-und Feiertagen) jenes Maß an Sozialintegration garantiert bleiben, das sich der besonderen Wahrscheinlichkeit sozialer Kontaktchancen im Rahmen der „Wochenendkultur“ (Rinderspacher 1987) verdankt.
So berichten z.B. betriebliche Interessenvertretungen häufig von Unzufriedenheit über unzureichende Spielräume von Gleitzeitregelungen, obwohl vor deren Einführung keinerlei Arbeitnehmerwünsche an individueller Zeitplanung bemerkt wurden (vgl. Wiesenthal 1987: 2650.
Hier ist an die berechtigten Warnungen von Gewerkschaftsvertretern vor einer weder arbeitsrechtlich noch kollektivvertraglich geregelten Individualisierung der Arbeitszeit zu erinnern.
Dieselbe Skepsis erscheint angebracht, wenn drastische Arbeitszeitverkürzungen bei vielen Arbeitnehmern nur auf Tarifvertragsänderungen ‘auf dem Papier’ hinauslaufen, während die tatsächliche Arbeitszeitdauer zu einem differenzierten Gratifikations-und Statusprivileg wird - nach dem Motto „Je länger die Arbeitszeit, umso höher Einkommen und Ansehen“. Hinweise auf eine solche soziale Differenzierung von Arbeitszeitmustern finden sich in der Implementation der 1984 vereinbarten 38,5Stunden-Woche: Technische und kaufmännische Angestellte behielten vielfach die 40Stunden-Norm (bzw. nahmen sich selbst als Vorgesetzte von der Arbeitszeitverkürzung aus), während das Personal für betriebsinterne Dienstleistungen und Nebenfunktionen auf 37 Wochenstunden gesetzt wurde (vgl. Schmidt’Trinczek 1986a ).
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Wiesenthal, H. (1991). Aspekte sozialverträglicher Arbeitszeitdifferenzierung. In: Neue Technologien — verschenkte Gelegenheiten?. Sozialverträgliche Technikgestaltung. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-94142-8_6
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-94142-8_6
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
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