Zusammenfassung
Bisher hatten wir unser Augenmerk so gut wie ausschließlich auf Anfangswertprobleme gerichtet; unsere theoretische Arbeit jedenfalls war allein ihnen gewidmet gewesen. Hin und wieder jedoch hatten uns physikalische und technische Aufgaben auch Fragen ganz anderer Art aufgedrängt, Fragen, bei denen es darum ging, Lösungen von Differentialgleichungen zu finden, die nicht mehr vorgegebenen Anfangsbedingungen, sondern gewissen Randbedingungen genügen. In Nr. 18 hatten wir z. B. die Temperaturverteilung in einem Stab der Länge L studiert, wenn sein linkes Ende auf der konstanten Temperatur υ 0 , sein rechtes auf der ebenfalls konstanten Temperatur υ L gehalten wird. Dabei waren wir auf das Problem gestoßen, Integrale der Differentialgleichung
zu bestimmen, die den Bedingungen υ(0)=υ 0, υ (L)= υ L genügen (s. die Ausführungen nach (18.92)). Die Frage nach der Knicklast einer Säule hatte uns in Nr. 33 vor die Aufgabe gestellt, die Differentialgleichung
unter den Bedingungen u’(0)= 0, u(l)= 0 zu lösen (s. (33.33) und (33.35)). Wir haben also handfeste Gründe, „Randwertaufgaben“ auch theoretisch näherzutreten.
Die Imagination arbeitet in einem schöpferischen Mathematiker nicht weniger stark als in einem schaffenden Dichter... Vielleicht gebührt Archimedes mit größerer Berechtigung als allen großen Männern des Altertums der Platz neben Homer.
Jean Baptiste le Rond d’Alembert
Den Herrn d’Alembert halte ich für einen großen mathematicum in abstractis; aber wenn er einen incursum macht in mathesin applicatam,so höret alle estime bei mir auf... und wäre es oft besser für die realem physicam, wenn keine Mathematik auf der Welt wäre.
Daniel Bernoulli über den Gegner seiner Methode der Eigenschwingungen
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Literatur
Mertins (1987). Der Satz ist dort allgemeiner formuliert und wird auf allgemeinere Situationen angewandt. S. dazu Aufgabe 1. Der genannten Arbeit schließen wir uns auch im Fortgang dieser Nummer an.
S. etwa Galilei: „Unterredungen“ (Discorsi). Darmstadt 1973, S. 87f. Vgl. dazu die Aufgaben 20 und 21 in Nr. 18.
De motu nervi tensi. Phil. Trans. 28, No. 337 (1713) 26–32 (veröff. 1714 ).
Opera III, 124–130. Beweise in Meditationes de chordis vibrantibus, cum pondusculis aequali intervallo a se invicem dissitis, ubi… quaeritur numerus vibrationum chordae pro una oscillatione penduli datae longitudinis D. Comm. acad. sci. Petrop. 3 (1728) 13–28 (veröff. 1732) = Opera III, 198–210.
Recherches sur la courbe que forme une corde tendue mise en vibrations. Hist. acad. sci. Berlin 3 (1747) 214–219 und 220–249 (veröff. 1749 ).
Seine Habilitationsschrift aus dem Jahre 1854 „Lieber die Darstellbarkeit einer Function durch eine trigonometrische Reihe“ eröffnet Riemann mit einem geschichtlichen Abriß; in ihm spielt die schwingende Saite eine wichtige Rolle (wir werden noch sehen, warum). Wir zitieren aus diesem Abriß (und passen dabei nur die Fußnotennumerierung unserem Text an). Siehe Riemanns Gesammelte mathematische Werke, Nachdruck 1953 bei Dover Publications, S. 227–234.
Mémoires de l’académie de Berlin. 1750. pag. 358. En effet on ne peut ce me semble exprimer y analytiquement d’une manière plus générale, qu’en la supposant une fonction de t et de x. Mais dans cette supposition on ne trouve la solution du problème que pour les cas où les différentes figures de la corde vibrante peuvent être renfermées dans une seule et même équation.
Zitiert nach Truesdell, a.a.O., S. 273f. Noch schroffer äußert sich Euler über Alembertus und dessen Scheinruhm bei den Halbgebildeten (fucus semidoctis) in einem lateinisch geschriebenen Brief an Lagrange vom 2. Oktober 1759 (in Lagranges Oeuvres 14, S. 162f). Gewiß ist er mit solchen Verzeichnungen d’Alembert nicht ganz gerecht geworden.
Weniger Glück hatte er mit Johann Bernoullis Problem der Brachistochrone: über de l’Hospital lieferte er eine falsche Lösung ab (s. den Brief Johann Bernoullis an Leibniz vom 19. Januar 1697 in Leibniz: Math. Schriften III/1, S. 356ff).
Theoremata de oscillationibus corporum filo flexili connexorum et catenae verticaliter suspensae. Comm. acad. sci. Petrop. 6 (1732/33) 108–122 (veröff. 1740). Siehe dazu den Abschnitt über die Schwingungen eines herabhängenden Seiles in unserer Nr. 33.
Zitiert nach Truesdell, a.a.O., S. 158. Daniel ist hier zu großzügig: weder Taylor noch sein Vater kannten die höheren Eigenschwingungen und Eigenfrequenzen. Den Sauveurschen Ausdruck „Schwingungsknoten“ benutzt Daniel nicht, obwohl er in der angeführten Passage offensichtlich an Sauveurs Experimente denkt.
De propagatione pulsuum per medium elasticum. Novi comm. acad. sci. Petrop. 1 (1747/48) 67–105 (veröff. 1750) = Opera (2), 10, S. 98–131.
Sur la vibration des cordes. Hist. acad. sci. Berlin 4 (1748) 69–85 (veröff. 1750) = Opera (2), 10, S. 63–77.
Réflexions et éclaircissemens sur les nouvelles vibrations des cordes exposées dans les mémoires de l’académie de 1747 and 1748. Hist. acad. Berlin 9 (1753) 147–172 (veröff. 1755 ). Zitiert nach Truesdell, a.a.O., S. 255f.
Nova acta acad. sci. Petrop. 11 (1793) 114–132 (veröff. 1798) = Opera (1), 16, Teil 1, S. 333355. Euler betrachtet hier allerdings nur Kosinusreihen, die Ausdehnung auf allgemeine trigonometrische Reihen liegt aber auf der Hand.
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© 1989 B. G. Teubner, Stuttgart
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Heuser, H. (1989). Rand- und Eigenwertaufgaben. In: Gewöhnliche Differentialgleichungen. Mathematische Leitfäden. Vieweg+Teubner Verlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-93992-0_7
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Publisher Name: Vieweg+Teubner Verlag, Wiesbaden
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