Zusammenfassung
Der Blick geht in eine oberbayerische Gasthofstube: Vier Männer — darunter der Wirt — sitzen in einer Ecke und konzentrieren sich auf ein Stück Papier, eine Zeitung. »Die Dorfpolitiker« nannte der Maler Wilhelm Leibl sein schon 1875 vorgestelltes Gemälde. Doch würden sich die vier Dargestellten nur mit den Geschehnissen in ihrem damals noch überschaubaren Dorf beschäftigen, so könnten sie auf eine Zeitungslektüre verzichten. Dem Begriff Dorfpolitiker kommt deshalb auch hier ein anderer Bedeutungsinhalt zu. Leibl will damit ausdrücken, daß sich die von ihm Porträtierten mittels einer Zeitung für die politischen Ereignisse außerhalb ihres Dorfes interessieren. Könnten wir diese befragen, so würden sie mit Sicherheit die Auffassung bestreiten, es könne so etwas wie einen eigenen Bereich Dorfpolitik geben. Mehr als hundert Jahre später ist eine solche Meinung noch immer weitverbreitet. Im Verständnis vieler Dorfbewohner reduziert sich Politik weiterhin auf die Vitalfragen eines Volkes wie Sicherheit, Auswärtiges, Konjunktur. Die Politik hat in ihren Augen deshalb im Dorf keinen Platz. Dabei wird nicht zur Kenntnis genommen, daß es selbst bei einer räumlichen Übereinstimmung zwischen dem sozialen Wirkungszusammenhang eines Dorfes und seinen kommunalen Körperschaftsgrenzen nicht ausreicht, auftauchende Probleme auf dem Wege traditionellen Routinehandelns lösen zu wollen; es bedarf hierzu in einem immer größeren Umfange politischer Lösungsstrategien, wenn wir unter Politik eine willensbestimmte Auswahlentscheidung unter verschiedenen Alternativen und auch deren Durchsetzung gegen widerstrebende Interessen verstehen. Politik im und für das Dorf setzt jedoch zweierlei voraus: zunächst einmal das Vorhandensein von eigenen Entscheidungsspielräumen und deren Ausschöpfung durch selbstbestellte Organe. Ist aber Dorfpolitik darüber hinausgehend nicht auch das Bemühen, auf übergeordnete Organe Einfluß auszuüben? So gelangen wir zu einem komplexeren Verständnis von Dorfpolitik, wenn damit auch noch nicht ausreichend geklärt ist, ob ihr Stil, ihre Instrumente und ihre Arbeitsfelder es rechtfertigen, Dorfpolitik von der Stadtpolitik zu unterscheiden.
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Schneider, H. (1994). Dorfpolitik. In: Roth, R., Wollmann, H. (eds) Kommunalpolitik. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-93826-8_9
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