Zusammenfassung
Zwei Konzeptionen haben die wissenschaftliche Auffassung des Selbst in der Moderne stark geprägt: der amerikanische Sozialbehaviorismus, der das Selbst als Reflex der gesellschaftlichen Anpassung versteht und die psychoanalytische Theorie, die das Selbst in einem strukturellen Konflikt zwischen den Ansprüchen der Triebe und denen der Kultur sieht. An diese beiden „klassischen“ Positionen soll zunächst die soziologische Grundfrage gestellt werden, wie sich Individuum und Gesellschaft zueinander verhalten. Der Schnittpunkt zwischen Individuum und Gesellschaft kommt nicht erst dann in den Blick, wenn das fertige Subjekt der Gesellschaft gegenübertritt, sondern bereits, wenn gefragt wird, was das Ich oder die Persönlichkeit eigentlich ausmacht. Das soll einleitend an einer einfachen Überlegung gezeigt werden.
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Literature
Zur Terminologie: In der deutschen Ausgabe von Meads Schriften wird „I“ mit „Ich“ und „Me“ mit „ICH“ übersetzt. Dem folge ich hier nicht, sondern behalte die englischen Begriffe bei. Meads Begriff „self“ wurde in der Übersetzung mit „Identität“ wiedergegeben. Hier träfe m. E. der Begriff „Selbst“ besser.
Habermas nimmt den Meadschen Begriff „verallgemeinerter Anderer“ als Synonym für Kollektivbewußtsein oder Gruppenidentität (Habermas 1981, Bd.2, 73). Das sind aber Begriffe der Außenperspektive, während Mead ganz eindeutig die Innenperspektive meint. Habermas entgeht deshalb die Integrationsleistung des Selbst bei der Konstitution des „verallgemeinerten Anderen“.
Ein interessantes Argument zum Verhältnis von Persönlichkeit und Individualität entwickelt Durkheim: „Was wir aber von der Gesellschaft erhalten, haben wir mit unseren Mitmenschen gemeinsam. Es stimmt also nicht, wenn wir glauben, um so persönlicher zu sein, je individualistischer wir sind. Die beiden Begriffe sind keineswegs synonym: in einem gewissen Sinn behaupten sie eher Gegenteiliges, als sie auseinander ableitbar wären. Die Leidenschaft individualisiert, aber sie unterjocht uns auch. Unsere Gefühle sind wesentlich individuell; aber wir sind um so mehr Person, je mehr wir uns von den Sinnen befreit haben, je mehr wir nach Begriffen denken und handeln. Wer also auf alles hinweist, was im Individuum sozial ist, verneint oder erniedrigt daher nicht die Persönlichkeit. Er wehrt sich nur, sie mit der Tatsache der Individuation zu verwechseln“ (Durkheim 1968, 369).
vgl. dazu vor allem Kapitel 8.3. „Die Marktgemeinschaft und die gesellschaftliche Gemeinschaft“.
Es wird in späteren Kapiteln entwickelt, daß dieser Hintergrund mit dem Begriff Werthorizont oder Wertehintergrund präziser bezeichnet wird, als mit Meads Begriff des „verallgemeinerten Anderen“. Vgl. insbesondere Kapitel 11 „Moderne Identität und Werte“.
Zu den vorödipalen Vorstadien der Über-Ich-Bildung vgl. auch Jacobson (1964).
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© 1995 Leske + Budrich, Opladen
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Lohauß, P. (1995). Die Problemstellung Individuum und Gesellschaft. In: Moderne Identität und Gesellschaft. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-93695-0_2
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-93695-0_2
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-8100-1407-8
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