Zusammenfassung
In der Bundesrepublik herrscht — wie Anfang des 10. Kapitels gezeigt — ein breiter Konsens über die Wichtigkeit von Lebensbereichen. Familie, Zuneigung und Gesundheit sowie Arbeit und Erfolg bilden den Kern dessen, was für die Bundesbürger in ihrem Leben wichtig ist. Dieser allgemeine Grundkonsens ist der kleinste gemeinsame Nenner von differenzierten Lebensmodellen. Er gibt die Prioritäten und Werte für ein Spektrum von Lebensweisen und -modeilen vor. Auf dem „traditionelleren“ Pol dieses Spektrums liegen Lebensweisen, in denen die Ordnung der Familie, die traditionellen Männer-und Frauenrollen und die Arbeit als Pflicht im Mittelpunkt stehen. Auf dem „moderneren“ Pol stehen Lebensweisen, in denen die Selbstverwirklichung in der „selbstreflexiven Beziehung“ und im beruflichen Erfolg betont werden. Der Wertewandel spielt sich innerhalb dieses allgemeinen Grundkonsenses ab, er wird durch ihn nicht aufgekündigt. Das, was als allgemeiner Konsens bezeichnet wird, ist ein statistisches Artefakt, ein Durchschnitt aus den jeweils individuell abweichenden Lebensweisen. Aber dieser statistische Durchschnitt kann nur entstehen, weil die persönlichen Lebensweisen und die gesellschaftlichen Institutionen von entsprechenden Werten geleitet sind. Um diese leitenden Werte zu beschreiben, wurde das Modell der modernen Identität entwickelt.
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Literature
Blasi bezeichnet Erikson als „den letzten organismischen Optimisten“, weil dieser der Ansicht ist, daß „die große Mehrheit der Menschen eine adäquate Befriedigung ihrer unbewußten Bedürfnisse zu erreichen und ein Gefühl für ihre Wurzeln und ihre Zugehörigkeit und auch eine Empfindung der Sinnhaftigkeit in dem von ihnen gewählten Beruf und in ihren Idealen aufrechtzuerhalten vermögen, während sie zugleich an der Vorstellung von ihrer persönlichen Individualität und letztendlichen Autonomie festhalten“. (Blasi 1993, 122) Diese Einschätzung führt Blasi dazu, alle gesellschaftlichen Dimensionen auszublenden und Identität strikt als Selbst-Gefühl zu definieren. Das hat die Konsequenz, daß er seine eigenen Forschungsergebnisse — daß nämlich viele Menschen ihre Identität auf einer Moral gründen — nicht mehr interpretieren kann, weil Moral eine Kategorie außerhalb dieses Ansatzes ist.
Martin Walzer untersucht in ähnlicher Weise die wichtigsten Konzeptionen des guten Lebens (vgl. Walzer 1992 S. 64ff.).
Ein auch Beispiel für partikulare Identitätsfigurationen sind protestantische und islamische Fundamentalisten. Vgl. Lohauß 1994.
Die Kritik nationalistisch-rassistischer Positionen kann nicht lauten, daß die Menschen von Natur aus gleich sind. In ethnischer Hinsicht sind sie verschieden. Da das Spezifische des Menschen in seiner Kultur besteht, sind die Menschen auch in dieser Hinsicht tatsächlich ungleich. Die universellen Menschenrechte sind kein natürliches, sondern ein politisches Projekt. Es legitimiert sich mit Gründen der Vernunft und des Gefühls, nicht biologisch. Es geht ihm um die Anerkennung, nicht um die Leugnung von Differenz.
Bellah und die amerikanischen Kommunitaristen sehen sich in einer „republikanischen“ Tradition. Die Sorge um das Gemeinwesen als höchste Tugend führen sie mit Tocqueville bis zu den puritanischen Gründervätern der USA zurück und sehen sich letztlich gar in einer Tradition, die bis in das antike Athen zurückreicht.
Eine anregende Untersuchung dieses Problems von „Engagement und Enttäuschung“ aus einem ganz anders gearteten Ansatz gibt Albert O. Hirschmann (1982).
Vgl. auch Lohauß 1995.
Für diesen Ansatz gibt es noch ein zweites Argument. Aus der Funktion der Werte und der Bewertungsmaßstäbe folgt, daß es keine andere Möglichkeit der Definition des guten Lebens gibt, als die aristotelische „Mitte“ der empirisch vorhandenen Werte zu treffen.
Zur Diskussion eines dieser Position entsprechenden Gerechtigkeitsbegriffs vgl. Walzer (1983).
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Lohauß, P. (1995). Gesellschaftliche Integration und moderne Identität. In: Moderne Identität und Gesellschaft. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-93695-0_13
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-93695-0_13
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
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