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Moderne Identität und gesellschaftliche Gemeinschaft

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Book cover Moderne Identität und Gesellschaft
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Zusammenfassung

In vielen, vor allem auch älteren soziologischen Untersuchungen werden die Veränderungen der sozialen Beziehungen von vormodernen zu modernen Gesellschaften in der Weise beschrieben, daß sich die Formen der Integration von der Gemeinschaft auf die Gesellschaft verlagern. Häufig unterliegt den Darstellungen der Entwicklung zur Moderne eine kontrastierende Auffassung von gemeinschaftlicher und gesellschaftlicher Integration. Zusammenfassend finden sich häufig Beschreibungen der folgenden Art: Die Entwicklung der Moderne hat die Art der sozialen Beziehungen tiefgreifend geändert. In Stammesgesellschaften oder klassengegliederten traditionellen Gesellschaften wurde die gesellschaftliche Integration überwiegend durch Sozialintegration hergestellt, durch „Interaktion in Kontexten der Kopräsenz“ (Giddens 1984, 196 u. 80f.). Gesellschaftliche Integration vollzog sich also in personalen Beziehungen, durch direkte gemeinschaftliche Kontrolle in einer Lebensweise, die noch keine Privatsphäre kannte. Die sozialen Einheiten der Sozialintegration waren die Familie, der Stamm, je nachdem auch das Dorf, der Herrschaftsverband und der Stand. Die Abhängigkeitsverhältnisse waren personengebunden. Sie waren offensichtlich und die soziale Hierarchie — soweit vorhanden — wurde nicht nur ausdrücklich gerechtfertigt, sondern wurde auch symbolisch aufgeladen und im sozialen Verkehr inszeniert und betont. Die Individuen konnten nicht von ihren sozialen Beziehungen getrennt werden. Die Menschen waren zwar ungleich, aber alle sozialen Beziehungen waren in einem sinnvollen Kosmos integriert. Am deutlichsten war dies in der Entsprechung von Gottvater, Herrscher und Familienoberhaupt ausgedrückt. Die Hierarchie bezog sich auf ein Zentrum und war doch auf diese Weise dezentralisiert.

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Literature

  1. Noch früher als die soziologische Kritik setzt die antimodernistische Kritik der Konservativen ein (vgl. Kondylis 1986). Auch Marx und Engels beschreiben im Kommunistischen Manifest bereits 1848 den Untergang der Gemeinschaften, wenn sie konstatieren, daß die Bourgeoisie alle feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört und kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen habe als das nackte Interesse und die gefühllose bare Zahlung. Zum Verlauf des Modernisierungsprozesses siehe auch Braig/Lohauß/Polster/Voy (1991) und Lohauß (1991).

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  2. Nur anekdotisch will ich an dieser Stelle erwähnen, daß die Selbstmordrate, deren Höhe und soziale Verteilung Durkheim zum Ausgangspunkt seiner Studie über die Anomie in der Moderne machte, 100 Jahre später selbst im vollständig modernisierten Berlin deutlich niedriger lag, als in den damaligen Problemgebieten.

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  3. Es ist falsch, wenn man aus den Beschreibungen des psychotherapeutischen Klienteis und der dort konstatierten zunehmenden Selbst-Problematik umstands-los auf den psychischen Zustand der Gesamtgesellschaft schließt und sich somit der soziologischen Analyse enthebt. Die Frage der gesellschaftlichen Integration muß empirisch an der Reproduktion der Gesamtgesellschaft überprüft werden. Solange wir in einer Wachstumsgesellschaft leben, können zwar Widersprüche und Spannungen anwachsen, aber schon die Tatsache des wachsenden ökonomischen Reichtums spricht dagegen, daß es fundamentale soziale Auflösungserscheinungen gibt. Die Frage, ob die Moderne die Menschheit glücklicher oder unglücklicher, psychisch gesünder oder kränker gemacht hat, hat damit nichts zu tun.

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  4. Der Entwurf dieser Vorstellungen vom modernen Individuum vollzog sich innerhalb eines patriarchalischen Bezugsrahmen, in dem nur Männer als Haushaltsvorstände vollwertige Menschen sein konnten und in dem die Menschen sich noch nicht so weit wie heute von als natürlich empfundenen familiären Rollen gelöst hatten. Die Gleichberechtigung von Frauen und die Entwicklung hin zu persönlichen Beziehungen, die persönliche Autonomie vor familiäre Tradition setzen, führt deshalb zur tiefgreifenden Veränderung der sozialen Beziehungen im 20. Jahrhundert.

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  5. Genau dies war allerdings die These Rousseaus, die er in seinem Traktat über den „Ursprung der Ungleichheit zwischen den Menschen“ ausführte und die bis heute die Grundlage der romantischen Kritik der Gesellschaft geblieben ist.

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  6. vgl. dazu Hennig (1989), der eine plastische Beschreibung der Geschichte deutscher Alternativkulturen gibt.

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  7. Die rechtlichen, demokratischen und sozialen Rahmenbedingungen freier Individualität werden im folgenden Kapital näher untersucht.

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  8. Auf der Ebene des allgemeinen Begriffes des Austauschs ist noch nichts darüber in Erfahrung zu bringen, ob und wenn ja unter welchen Formen sich Marktgemeinschaften konstituieren. Zweifellos gibt es Marktwirtschaft und Kapitalismus ohne Marktgemeinschaft — ungleichen Tausch, internationale Ausbeutung usw.

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  9. Die marxsche Kritik an den so beschriebenen Verhältnissen war radikal: Im ersten Band des Kapital wird sie mit dem Übergang von der Darstellung des Austauschs zur Darstellung des Kapitals geradezu dramatisch präsentiert. Sobald der Proletarier das Fabriktor durchschreitet, ist Schluß mit den hehren Idealen von Freiheit und Gleichheit und die Reproduktion des Kapitals entläßt die Arbeiterklasse beraubt und verelendet. Gleichheit und Freiheit seien als Ideen bloß idealisierte. Ausdrücke des Austauschs von Tauschwerten und als entwickelt in juristischen, politischen, sozialen Beziehungen nur diese Basis in anderer Potenz. Die bürgerliche Demokratie bediene sich ihrer allein zur Apologetik der bestehenden ökonomischen Verhältnisse. In der Tat kommt alles auf die Frage an, ob Freiheit und Gleichheit auch in den Lebensverhältnissen aller Menschen wirklich werden. Hierfür bedarf es freilich mehr Bestimmungen, als aus dem abstrakten Wertverhältnissen abgeleitet werden können.

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  10. Vgl. zu den Argumenten, daß die Interessen des Marktes die traditionelle Ethik ablösen Hirschmann (1977).

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  11. Es wird später gezeigt, daß die utilitaristische Ethik sowohl die Struktur entwik-kelter moderner Gesellschaften verfehlt als auch absolut unzureichend für die allgemeine Konstitution moderner Identität ist. Noch weniger können die „Marktwirtschaft“ oder gar das „Wirtschaftswachstum“ soziale Integration stiften.

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  12. Parsons prägte den Begriff der „societal community“.

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  13. „Jeder Tausch mit Geldgebrauch (Kauf) ist überdies Gemeinschaftshandeln, kraft der Verwendung des Geldes, welches seine Funktion lediglich kraft der Bezogen-heit auf das potentielle Handeln anderer versieht. “ (Weber 1921, 382)

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© 1995 Leske + Budrich, Opladen

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Lohauß, P. (1995). Moderne Identität und gesellschaftliche Gemeinschaft. In: Moderne Identität und Gesellschaft. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-93695-0_10

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-93695-0_10

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-8100-1407-8

  • Online ISBN: 978-3-322-93695-0

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