Zusammenfassung
Im Gegensatz zu dem insgesamt wesentlich national zentrierten Futurismus zeigt die Bewegung des Dadaismus von allem Anfang an eine stark expansive und internationale Tendenz. Was da zwischen 1915 und 1922 in den verschiedenen Hauptzentren Dadas seine gewaltige Sogwirkung entfaltet, in Zürich und etwa gleichzeitig in New York, in Berlin, Hannover, Köln, in Barcelona und schließlich in Paris sich vehement Bahn bricht und zum Teil unter der Ägide von Tristan Tzara, dem in manchem Marinetti nacheifernden dadaistischen Enfant terrible, zeitweise epidemische Ausmaße annimmt, ist eine radikale und bis zum Negativismus gesteigerte uneinheitliche Literatur- und Kunstrevolte, die im Spannungsfeld von Anti-Kunst-Bewegung und A-Kunst-Proklamation zwischen reduktionistischem Selbstzweck und politischem Programm sich erstreckt, von der Demontage der Kunst bis zur ästhetischen Innovation reicht. Die Radikalität dieser Revolte besteht darin, daß Dada nicht bloß das bürgerliche Erbe ausschlägt, sondern in Gestalt seiner konsequenten Negativität die Gesamtheit des ästhetisch Tradierten — mit Ausnahme weniger protodadaistischer Werke, denen Jarrys etwa — prinzipiell ignoriert. Kulturell subversiv und rebellisch gegen die Kategorie des Sinns verweigert Dada tendenziell die Kommunikation und kündigt dem Betrieb die Gefolgschaft auf. Waren die Futuristen bei allem negatorischen Gestus letztlich auf eine Modernisierung und Erweiterung des Schönheitsbegriffs aus, geht es den Dadaisten vielfach um die Demütigung der Kunst, sind Hohn und Spott Indizien für die als sinnlos erachteten ästhetischen Werte selbst; und noch wo der Hauch eines in sich Beruhigten, Positiven vernehmbar scheint, war bestimmte Negation das punctum saliens dessen.
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Anmerkungen
Vgl. P. Pörtner: Dada vor Dada: Das war Dada. Dichtungen und Dokumente, hrsg. von P. Schifferli, München 163, S. 14.
Vgl. E. Roters: fabricatio nihil oder die Herstellung von Nichts. Dada Mediationen, Berlin 1990, S. 234.
H. Ball: Die Flucht aus der Zeit (1927), Luzern 2/1946, S. 149;
H. Richter: Dada. Kunst und Antikunst. Der Beitrag Dadas zur Kunst des 20. Jh. (1964), Köln 4/1978, S. 33, 36, 49, 220;
E. Roters, Dada. Kunst und Antikunst. Der Beitrag Dadas zur Kunst des 20. Jh. a.a.O., S. 16;
R. Huelsenbeck: Dada. Eine literarische Dokumentation (1964), Hamburg 2/1984, S. 34, 44, 82.
H. Ball, Dada. Eine literarische Dokumentation (1964), Hamburg 2/1984, a.a.O., S. 71.
H. Ball, Dada. Eine literarische Dokumentation (1964), Hamburg 2/1984, A.a.O., S. 88.
R. Huelsenbeck, Dada. Eine literarische Dokumentation (1964), Hamburg 2/1984, a.a.O., S. 52.
Das war Dada, R. Huelsenbeck, Dada. Eine literarische Dokumentation (1964), Hamburg 2/1984, a.a.O., S. 171f.;
R. Huelsenbeck: En avant Dada (1920), Hamburg 3/1984, S. 10;
M. Sanouillet: Die Ursprünge des Dadaismus, Zürich/New York 1967;
R. Lebel/M. Sanouillet/P. Waldberg: Der Surrealismus. Dadaismus und metaphysische Malerei, Köln 1987, S. 76;
vgl. H. Richter, Der Surrealismus. Dadaismus und metaphysische Malerei, Köln 1987, a.a.O., S. 30f.; vgl. W.S. Rubin, Dada (1968), Stuttgart 2/1978, S. 85ff.
H. Arp: Dadaland, zitiert nach W.S. Rubin, a.a.O., S. 84.
Vgl. H. Ball, a.a.O., S. 150.
A.a.O., S. 91f.; vgl. Ders.: Die Kulisse. Das Wort und das Bild, Zürich 1971, S. 100f.; zu Balls Nietzsche-Verständnis vgl. H. Ball: Zur Kritik der deutschen Intelligenz (1919), Frankfurt/M. 1980, passim.
T. Tzara: Dada Manifest, in: R. Huelsenbeck: Dada, a.a.O., S. 54.
Vgl. R. Meyer: Dada in Zürich. Die Akteure, die Schauplätze, Frankfurt/M. 1990, S. 217; vgl. H. Richter, a.a.O., S. 80ff.
T. Tzara, Chronique Zurichoise 1915–1919, in: Dada Almanach, Berlin 1920, S. 26f.,
zitiert nach M. Sanouillet, Chronique Zurichoise 1915–1919, in: Dada Almanach, Berlin 1920, a.a.O., S. 78f.
F. Picabia in 392, zitiert nach M. Sanouillet, a.a.O., S. 87; zum Übergang dadaistischer in postdadaistisch-surrealistische Produktion vgl. Die Zeichnungen von Hans Bellmer. Mit einem einf. Essay von C. Jelenski, Berlin 1969.
S. Alexandrian: Man Ray, Berlin 1973;
A. Schwarz: Marcel Duchamp, Luzern 1974;
L. V. Masini: Man Ray, Luzern 1975;
A. Schwarz: man ray (1977), München 1980.
Zur in diesem Zusammenhang aufschlußreichen Entwicklung der Photographie vgl. A. Haus: Raoul Hausmann, Kameraphotographien 1927–1957, München 1979;
Man Ray: Photographien Paris 1920–1934. Mit Texten von Man Ray, Paul Eluard, André Breton, Marcel Duchamp und Tristan Tzara, eingel. von A. Haus, München 1980; Man Ray: 1890–1976, mit einem Vorwort von L.F. Gruber, Berlin 1989. Surrealismus in Paris 1919–1939. Ein Lesebuch mit Abb., hrsg. und mit einem Essay von K. Barck, Leipzig 2/1990.
T. Tzara in 391, zitiert nach M. Sanouillet, a.a.O., S. 89f.
R. Hausmann: Am Anfang war Dada, hrsg. von K. Riha und G. Kämpf, Gießen 1972, S. 23ff.; vgl. R. Huelsenbeck: Dada, a.a.O., S. 31ff.
R. Hausmann, Am Anfang war Dada, hrsg. von K. Riha und G. Kämpf, Gießen 1972, a.a.O., S. 24f.
R. Hausmann, Am Anfang war Dada, hrsg. von K. Riha und G. Kämpf, Gießen 1972, A.a.O., S. 8.
Vgl. E. Roters, Am Anfang war Dada, hrsg. von K. Riha und G. Kämpf, Gießen 1972, a.a.O., S. 52.
Vgl. K. Riha: Da Dada da war ist Dada da. Aufsätze und Dokumente, München 1980, S. 57.
M. Sanouillet, Da Dada da war ist Dada da. Aufsätze und Dokumente, München 1980, a.a.O., S. 109.
M. Sanouillet, Da Dada da war ist Dada da. Aufsätze und Dokumente, München 1980, A.a.O., S. 114.
M. Sanouillet, Da Dada da war ist Dada da. Aufsätze und Dokumente, München 1980, A.a.O., S. 114. A.a.O.
M. Nadeau: Geschichte des Surrealismus, Aragon, Artaud, Breton, Dali, Eluard, Ernst, Péret, Queneau, Reverdy, Soupault, Tzara (1945), Hamburg 1965, S. 39;
vgl. M. Sanouillet, Geschichte des Surrealismus, Aragon, Artaud, Breton, Dali, Eluard, Ernst, Péret, Queneau, Reverdy, Soupault, Tzara (1945), Hamburg 1965, a.a.O., S. 121.
Vgl. H. Arp/R. Huelsenbeck/T. Tzara: Dada Gedichte. Dichtungen der Gründer, Zürich 1957, S. 97ff.
Vgl. H. Arp/R. Huelsenbeck/T. Tzara: Dada Gedichte. Dichtungen der Gründer, Zürich 1957, a.a.O., S. 60f.; vgl. S. 14.
Vgl. H.-G. Kemper: Vom Expressionismus zum Dadaismus. Eine Einführung in die dadaistische Literatur, Kronberg 1974, S. 138.
Vgl. H. Arp/R. Huelsenbeck/T. Tzara, Vom Expressionismus zum Dadaismus. Eine Einführung in die dadaistische Literatur, Kronberg 1974, a.a.O., S. 35.
Vgl. H. Arp/R. Huelsenbeck/T. Tzara, Vom Expressionismus zum Dadaismus. Eine Einführung in die dadaistische Literatur, Kronberg 1974, a.a.O., S. 39ff.
Vgl. H. Arp/R. Huelsenbeck/T. Tzara, Vom Expressionismus zum Dadaismus. Eine Einführung in die dadaistische Literatur, Kronberg 1974, a.a.O., S. 44.
Vgl. H. Arp/R. Huelsenbeck/T. Tzara, Vom Expressionismus zum Dadaismus. Eine Einführung in die dadaistische Literatur, Kronberg 1974, a.a.O., S. 78ff.;
vgl. R. Huelsenbeck: Dada, Vom Expressionismus zum Dadaismus. Eine Einführung in die dadaistische Literatur, Kronberg 1974, a.a.O., S. 174ff.
Vgl. H. Richter, Vom Expressionismus zum Dadaismus. Eine Einführung in die dadaistische Literatur, Kronberg 1974, a.a.O., S. 150ff.
H. Arp, zitiert nach K. Thomas: Bis Heute — Stilgeschichte der bildenden Kunst im 20. Jh., Köln 1971, S. 101.
Vgl. J. Dech: Hannah Höch — Schnitt mit dem Küchenmesser Dada durch die letzte Weimarer Bierbauchkulturepoche Deutschlands, Frankfurt/M. 1989, passim;
zum Komplex der Photomontage und Photocollage vgl. John Heartfield: Dokumentation, hrsg. von der Arbeitsgruppe Heartfield, Berlin 1969/70; Lazio Moholy-Nagy, mit Beiträgen von H. Weitemeier, W. Herzogenrath, T. Osterwald, Stuttgart 1974;
E. Billeter: Fotomontage — Fotocollage. Von Dada bis heute, in: dumont foto 1, Fotokunst und Fotodesign international, Köln 1978, S. 228ff.,
I.-Ch. Lusk: Montagen ins Blaue. Lazio Moholy-Nagy. Fotomontagen und -collagen 1922–1943, Gießen 1980;
A. Jürgens-Kirchhoff: Technik und Tendenz der Montage in der bildenden Kunst des 20. Jh., Gießen 1980;
W. Pudowkin: Über die Montage, in: Theorie des Kinos, hrsg. von K. Witte, Frankfurt/M. 1972, S. 113ff.
Vgl. R. Hausmann: Am Anfang war Dada, Über die Montage, in: Theorie des Kinos, hrsg. von K. Witte, Frankfurt/M. 1972, a.a.O., S. 34, 43, 67.
K. Schwitters, zitiert nach H. Wescher: Die Geschichte der Collage. Vom Kubismus bis zur Gegenwart, Köln 1974, S. 183;
vgl. K. Schwitters: The Tate Gallery. Catalogue with an introduction by R. Humphreys, London 1985, S. 13ff.;
zum Prinzip der Collage vgl. J. Wissmann: Collage oder Die Integration von Realität im Kunstwerk, in: Immanente Ästhetik — Ästhetische Reflexionen im Kunstwerk, hrsg. von W. Iser (Poetik und Hermeneutik 2, 1966), München 2/1983, S. 327ff.; Jiři Kolář: Eine Monographie von M. Lamac und D. Mahlow, Köln 1968; Jiři Kolář:…unterwegs ins Paradies, Ausstellungskatalog, hrsg. vom Gutenberg-Museum Mainz (15.8.–29.9.) 1980; Prinzip Collage. Eine Ausstellung des Instituts für Auslandsbeziehungen Stuttgart, hrsg. von D. Mahlow, Stuttgart 1981.
K. Schwitters, zitiert nach H. Wescher, a.a.O., S. 187.
M. Ernst: Die Nacktheit der Frau ist weiser als die Lehre des Philosophen, Köln 1970, O.S.; zum frühen Max Ernst vgl. J. Russell: M. Ernst, Leben und Werk, Köln 1966; M. Ernst — Frottagen, Collagen, Zeichnungen, Graphik, Bücher, Ausstellungskatalog Zürich (1978), Frankfurt/M. (1979), München (1979), hrsg. von U. Perrucchi und W. Spies, Zürich 1978.
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Mathy, D. (1994). Europäischer Dadaismus oder: Die nichtige Schönheit. In: Piechotta, H.J., Wuthenow, RR., Rothemann, S. (eds) Die literarische Moderne in Europa. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-93605-9_7
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