Rationalisierungsprozesse in der Textilindustrie: Arbeitspolitische Risiken und Chancen

Zusammenfassung

Seit 200 Jahren dient die Rationalisierungsgeschichte der Textilindustrie als Paradebeispiel für die Entfaltung der Produktivkräfte durch den Industriekapitalismus. Nicht die Entwicklung der Dampfmaschine oder der Eisenbahn, der Werkzeugmaschine (im engeren Sinne, nicht im Sinne des umfassenden Marxschen Werkzeugbegriffs verstanden) oder des Kohlebergbaus waren die entscheidenden Schritte zur Entfaltung der Produktivkräfte des englischen Kapitalismus, sondern die Verbreitung neuer Spinn- und Webtechnologien. Diese ermöglichten die Produktion billiger Baumwollbekleidung für die englischen Arbeiter und führten zur Freisetzung zahlloser Beschäftigter in der Wollmanufaktur und Hausindustrie — beides entscheidende Voraussetzungen für die Dynamik kapitalistischer Industrialisierung. Technisch realisiert wurde die Umwälzung durch die Emanzipation der Zahl der Werkzeuge von den organischen Schranken der menschlichen Bedienungskraft: “Die Jenny spinnt (...) von vorneherein mit 12–18 Spindeln, der Strumpfwirkerstuhl strickt mit vielen tausend Nadeln auf einmal” (Marx 1968, S. 394). Die Spindelzahl pro Kopf und pro Fabrik war für Marx ein wichtiger Gradmesser kapitalistischer Entfaltung der Textilindustrie (S. 586): Bei Erhöhung der Zahl der Spindeln pro Kopf und steigender Arbeitsintensität steigen zwar die Löhne, dafür fällt der Anteil der Löhne an den Gesamtkosten des Produkts überproportional.