Zusammenfassung
Der amerikanische Parteienforscher Leon D. Epstein hat zwar die Entwicklung der Parteien und des Parteiensystems der Bundesrepublik niemals zum Gegenstand eigener und exklusiver empirischer Untersuchungen gemacht, aber seine breit angelegte vergleichende Studie über „Political Parties in Western Democracies“ (1967) muß in die Diskussion über die „Volkspartei“ als Typus und reale historische Erscheinung einbezogen werden. 1 Vier Gründe sprechen dafür:
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(1)
Epstein stellt in seiner vergleichenden Studie 1967 die heutzutage nicht mehr akzeptierte Konvergenz-These auf, wonach unter bestimmten Bedingungen und in bestimmter Hinsicht die westeuropäischen Parteiensysteme und Parteien eine „Amerikanisierung“ erfahren, während die amerikanischen Parteien eine „Europäisierung“ erleben könnten. Seine Konvergenz-These mündet in die kühne Prognose: „The West at least may yet become one world“.2
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(2)
Damit war gleichsam automatisch die Frage aufgeworfen, ob in der Entwicklung der beiden westdeutschen Großparteien, CDU/ CSU und SPD, zu „Volksparteien“ und in der Entwicklung eines fast dualen „Volksparteien-Systems“ in der Bundesrepublik eine „Amerikanisierung“ wirksam und erkennbar war.3
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(3)
Epstein, der in seinem Amerika/Europa-Vergleich seine Aussagen über die Entwicklung des westdeutschen Parteiwesens nach 1945 in wesentlichen Punkten auf Otto Kirchheimers Befunde gründet,4 betrachtet die westdeutschen Entwicklungstendenzen noch mehr als Kirchheimer aus der Perspektive eines amerikanischen Forschers und erörtert multivariate Wirkungszusammenhänge, die aus der deutschen Perspektive möglicherweise wegen des verengten nationalen Blickwinkels nicht ohne weiteres erkannt werden können. Epstein, der wenig vertraut ist mit der ideologischen und organisatorischen Realität der westdeutschen Parteien, läuft aber Gefahr, diese Realität überzuinterpretieren oder falsch zu gewichten.
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(4)
Epstein kommt in einer Passage seines Buches, in der er die „Entideologisierung“ der SPD, die Verminderung der ideologischen Distanz zwischen den beiden Großparteien und die Entwicklung zu einem Zweiparteien-System erörtert, zu Aussagen über die „West German party platforms“, die dahin interpretiert werden können, daß in der Bundesrepublik seit Ende der fünfziger Jahre zwei „Plattformparteien“ amerikanischen Musters dominieren.5
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Anmerkungen
Leon D. Epstein: Political Parties in Western Democracies, Pall Mall Press London, 1967. Eine komprimierte Zusammenfassung seines Buches: Leon D. Epstein: „Political Parties in Western Democratic Systems“, in: Political Parties. Contemporary Trends and Ideas, Harper Torchbooks, New York, Evanstone and London 1967, S. 118–148.
Leon D. Epstein: Political Parties in Western Democracies (Anm. 1), S. 7.
Zu dieser Problematik: Peter Haungs: „Ober politische Parteien in westlichen Demokratien“, in: Peter Haungs (Hrsg.): Res Publica. Studien zum Verfassungswesen. Dolf Sternberger zum 70. Geburtstag, München 1977, S. 142 ff.; ders.: Parteiendemokratie in der Bundesrepublik (Beiträge zur Zeitgeschichte. Hrsgg. von Peter Haungs und Eckhard Jesse), Colloquium Verlag: Berlin 1980, S. 68.
Leon D. Epstein: Political Parties in Western Democracies (Anm. 1), siehe z.B. S. 182, 286.
Siehe ebd., S. 3 ff.; Leon D. Epstein: „Political Parties in Western Democratic Systems“ (Anm. 1 ), S. 120.
Leon D. Epstein: „Political Parties in Western Democratic Systems“ (Anm. 1), S. 126.
Leon D. Epstein: „Political Parties in Western Democratic Systems“ (Anm. 1), S. 136, 143 f.; ders.: Political Parties in Western Democracies (Anm. 1 ), S. 19–45.
Solche Konspirations-Thesen werden im Teil C näher betrachtet.
Günter Gaus: Staatserhaltende Opposition oder Hat die SPD kapituliert? Gespräche mit Herbert Wehner (rororo 942), Reinbek bei Hamburg, November 1966, S. 57.
Hierzu gibt es eine umfangreiche Literatur. Siehe z.B.: David S. Broder: „The Case for Responsible Party Government“, in: Jeff Fishel (Ed.): Parties and Elections in a Anti-Party Age. American Politics and the Crisis of Confidence, Indiana University Press, Bloomington and London 1978, S. 22–32; Evon M. Kirkpatrick: „Toward a More Responsible Party System Political Science, Policy Science, or Pseudo-Science”, in: Jeff Fishel (Ed.): Parties and Elections in a Anti-Party Age., Indiana University Press, Bloomington and London 1978, S. 3354; Toward a More Responsible Two-Party System: „Report of the Committee on Political Parties, American Political Science Association“, in: The American Political Science Review, Supplement: Vol. 44, September 1950, No. 3, Part 2.
Leon D. Epstein: „Political Parties in Western Democratic Systems“ (Anm. 1), S. 119/120; ders.: Political Parties in Western Democracies (Anm. 1 ), S. 36.
Die zugrundeliegenden Schemata kommen als Gliederungspunkte besonders deutlich in Epsteins Artikel über „Political Parties in Western Democratic Systems“ (Anm. 1), S. 130145, zum Ausdruck. In seinem Buch über Political Parties in Western Democracies entsprechen die klassifikatorischen Schemata den Gliederungsprinzipien des Buches.
Leon B. Epstein: „Political Parties in Western Democratic Systems“ (Anm. 1), S. 132.
Vgl. hierzu Elmar Wiesendabl: Parteien und Demokratie. Eine soziologische Analyse paradigmatischer Ansätze der Parteienforschung, Opladen 1980, S. 13–40.
Leon D. Epstein: „Political Parties in Western Democratic Systems“ (Anm. 1), S. 132 f.
Leon D. Epstein: Political Parties in Western Democracies (Anm. 1), S. 6.
Leon D. Epstein: „Political Parties in Western Democratic Systems“ (Anm. 1), S. 146.
Leon D. Epstein: Political Parties in Western Democracies (Anm. 1), S. 356.
Leon D. Epstein: „Political Parties in Western Democratic Systems“ (Anm. 1), S. 146.
Otto Kirchbeimer: „Der Wandel des westeuropäischen Parteisystems“, in: Politische Vierteljahresschrift, 6. Jg. 1965, S. 27.
Leon D. Epstein: Political Parties in Western Democracies (Anm. 1), S. 286.
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Mintzel, A. (1984). Exkurs: Leon D. Epsteins Konvergenzthese — Die „West German Party Platforms“. In: Die Volkspartei. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-93569-4_7
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-93569-4_7
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