Zusammenfassung
Es gibt bislang keine ausgearbeitete Methode und kein Modell der Analyse, das tauglich erscheint, die sprachliche Konstruktion von Feindbildern zu beschreiben, sie systematisch zu erfassen. Der Begriff ‘Feindbild’ taucht auch — im Verhältnis zu anderen verwandten Begriffen wie ‘Vorurteil’37 oder ‘Stereotyp’38 — nur relativ selten in sprachwissenschaftlich orientierten Arbeiten39 auf. Er wird dann zumeist nicht näher definiert, sondern schlicht vorausgesetzt.40 In keiner der mir bekannten Arbeiten finden sich ausgearbeitete und praktikabel erscheinende Überlegungen, wie sich der Begriff für sprachwissenschaftliche Analysen politischer Texte nutzbar machen ließe. Man könnte wohl argumentieren, daß vielleicht auch gar kein Bedarf besteht, mit ihm zu arbeiten; er ist jedoch, wie mir scheint, hervorragend geeignet, um in den beiden großen Themenbereichen ‘Varietätenlinguistik’ und ‘Sprache und Politik’ Verwendung zu finden. ‘Feindbild’ könnte zu einem Begriff werden, der dazu dient, die verschiedenen, sich in der Varietät einer Gruppe manifestierenden Bilder und Vorstellungen zu kennzeichnen, die politische und ideologische Gruppen von ihren Gegnern und Feinden entwerfen — und die durch diese Negativbilder von anderen und Fremden die eigene Gruppe stabilisieren und sich agitatorisch an die Außenwelt, an Sympathisantenzirkel und die Öffentlichkeit41 im allgemeinen wenden
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References
Ein Vorurteil ist in der wissenschaftlichen Literatur definiert als ein vorgefaßtes Urteil über Personen, Gruppen, Sachverhalte, Ideen, das positiv oder negativ sein kann. An einem Vorurteil wird, ungeachtet aller Möglichkeiten der Korrektur und Relativierung, unbeirrt festgehalten. Zur genaueren Bestimmung des Begriffs siehe das nach wie vor grundlegende Buch von Allport (1971), S. 20–23 und auch Flohr (1991), S. 25ff.
Den Begriff des Stereotyps hat Lippmann im Jahre 1922 in die Psychologie eingeführt. Er versteht unter einem Stereotyp noch recht ungenau ein Geflecht von Einstellungen, Meinungen, Überzeugungen, geläufigen Denkschemata und festen Kategorien, die die Wahrnehmung vorstrukturieren. In der Kognitionspsychologie wird ‘Stereotyp’ heute als klischeehafte, verallgemeinernde Vorstellung verstanden, die starr wiederholt und an der festgehalten wird. Stereotypen können sowohl positive als auch negative Einschätzungen umfassen. Die Sozialpsychologie unterscheidet darüber hinaus zwischen einem ‘Autostereotyp’ (Vorstellung von der Eigengruppe) und einem ‘Heterostereotyp’ (Vorstellung von der Fremdgruppe). Siehe Lippmann (1964), S. 61ff. und Flohr (1991), S. 23ff. Zur wechselseitigen Bezogenheit von Auto- und Heterostereotyp und ihrer Kopplung an eine sogenannte Wir-Gruppe und eine Die-Gruppe siehe Hofstätter (1971), S. 115. Die linguistische Bedeutung des Begriffs ‘Stereotyp’ behandeln Hannappel/Melenk (1979), S. 262ff.
Die sprachwissenschaftlich ausgerichteten Beiträge, auf die ich bei den bibliographischen Recherchen gestoßen bin und die mit dem Begriff ‘Feindbild’ arbeiten, seien an dieser Stelle in alphabetischer Reihenfolge genannt: Fuchs (1988), Huhnke (1993), Kischkel (1989), Knobloch (1992), Koselleck (1994) und Pasierbsky (1983).
Der Beitrag von Kischkel bildet hier eine Ausnahme. Siehe Kischkel (1989), S. 201.
Zur Definition des Begriffs ‘Öffentlichkeit’ siehe Bergsdorf (1980), S. 16.
Siehe Hennig/Huth (1975), S. 65ff.
Heuristische Annahmen haben einen provisorischen und vorläufigen Charakter; sie dienen der Erkenntniserweiterung, enthalten Hypothesen, die in der Anwendung zu neuen Beobachtungen führen sollen.
Siehe Hennig/Huth (1975), S. 67.
Siehe Maletzke (1988), S. 56f.
Die unauflösbare Einheit von Ideologie und der dazugehörigen Sprache kann als eine Spezifizierung des Zusammenhangs von Denken und Sprache gesehen werden. Und auch hier gilt: Denken vollzieht sich in Sprache; Sprache ist Instrument und Ausdruck des Denkens; Sprache und Denken lassen sich nur künstlich voneinander trennen. Bei Rubinstein heißt es pointiert: “Die Sprache ist mehr als das äußere Werkzeug des Gedankens. Sie ist im Prozeß des Denkens als Form, die mit seinem Inhalt verbunden ist, mitenthalten.” Zitiert nach Dieckmann (1981 a), S. 44.
Zur Interdependenz von Ideologie und Sprache und den Möglichkeiten, Sprache auf ideologische Positionen zu beziehen, siehe auch Dieckmann (1964), S. 28.
Synonym ist auch von einer Ideologiegruppe die Rede.
Siehe auch Wulff(1992), S. 109.
Siehe Nolting (1981), S. 113.
Fetscher (1989 a), S. 5.
Sommer(1991), S. 48.
Siehe Frei (1985), S. 123.
Spillmann und Spillmann (1989), S. 2.
Keen (1993) kann als ein Vertreter dieser Orientierung gelten. An keiner Stelle finden sich in seiner Analyse archetypisch fundierter Feinddarstellungen Hinweise auf die Berechtigung oder fehlende Realitätshaltigkeit einzelner Feindbilder — die Negativdarstellungen von SS-Männem und Juden sind ihm gleichermaßen Gegenstand der Analyse. Sein Feindbildbegriff enthält keine Disposition, die ihn dazu verpflichten würde, sachlich-inhaltlich über die Feindbilder zu reflektieren und Fragen der Angemessenheit von bestimmten propagandistischen Stilisierungen zum Thema zu machen.
Siehe hierzu auch Hörner (1993), S. 38 und auch Wagenlehner (1992), S. 63f.
Zu diesem Begriff und seiner Verwendung in der Sozialpsychologie siehe Busse (1997), S. 24.
Siehe Flohr (1991). S. 29f. und auch Lißmann u.a. (1975), S. 42.
Grundlegend für die Theorie von der kognitiven Dissonanz ist die Annahme, daß der Mensch Inkonsistenz, die gleichzeitige Existenz von miteinander nicht zu vereinbarenden Vorstellungen, nur schwer ertragen kann. Er wird deshalb versuchen, die kognitive Konsistenz zu erreichen — Informationen werden entsprechend ignoriert, umgedeutet, verändert, um die psychische Unbequemlichkeit der kognitiven Dissonanz zu vermindern. Siehe Flohr (1991), S. 47ff.
In der Kognitionspsychologie bedeutet ‘selektive Wahrnehmung’, daß Informationen verzerrt oder gar nicht wahrgenommen werden, daß sie ignoriert werden, wenn sie nicht mit bereits vorgefaßten Auffassungen übereinstimmen. Zur genaueren Erläuterung der Mechanismen selektiver Wahrnehmung und ihrer Relevanz für die Stabilität von Feindbildern siehe Flohr (1991), S. 53ff.
Siehe Spillmann und Spillmann (1989), S. 31.
Siehe Sommer (1992), S. 12.
Siehe Nicklas (1992), S. 33.
Münkler (1994), S. 34.
Nolting (1992), S. 71.
Siehe Flohr (1991), S. 124ff
Siehe Fetscher (1989 b), S. 10f.
Flohr (1991), S. 63.
Flohr (1991), S. 106f.
Watzlawick (1994), S. 192.
Allerdings muß man an dieser Stelle hinzufügen, daß diese Bestimmung des Ideologiebegriffs als ein mit absolutem Wahrheitsglauben vertretenes System von Deutungen quer zu einer Tradition von Begriffsbeschreibungen steht, die gerade von einem strengen Gegensatz von Ideologie und Wahrheit ausgehen. Vielfach wird in der entsprechenden Literatur zwar auch konzediert, daß der Ideologe an den Alleinbesitz der Wahrheit glaubt, aber seine Annahmen, so wird dann in einem zweiten Schritt festgestellt, sind nicht die Wahrheit, sondern stellen eben eine Verzerrung und Verfälschung des Realen dar. Der Ideologiekritiker selbst ist es dann, so kann gefolgert werden, der — im Gegensatz zur Wahrheitsanmaßung des Ideologen — im Besitz tatsächlicher Wahrheit ist.
Watzlawick (1994), S. 192ff.
Siehe MaturanaNarela (1992), S. 21f.
Foerster (1993), S. 19.
Siehe auch Finlay u.a. (1967), S. 10.
Siehe Möhn/Pelka (1984), S. 11 f.
Zur Fremdeinschätzung als Kriterium zur Feststellung von Gruppenzugehörigkeit siehe Nabrings (1981), S. 139. (Nabrings bezieht sich hier auf Frese).
Zur Definition der sozialen Gruppe siehe Schäfers (1980), S. 20 und Frindte u.a. (1994), S. 125f.
Diesen Begriff entnehme ich: Frindte u.a. (1994), S. 124f.
Frindte u.a. (1994), S. 124.
Siehe Fenner (1981), S. 99.
Die Idee, Ideologiesprache als Begriff zur Kennzeichnung politischer Gruppensprachen zu verwenden, geht auf Grünert und auf Hermanns zurück. Siehe insbesondere Grünert (1974), S. 13ff. und Hermanns (1982), S. 99.
Eine ’Gruppensprache kann als der überindividuelle Sprachgebrauch, als die Varietät einer Gruppe definiert werden; sie ist in unterschiedlichem Ausmaß gemeinschaftsstiftend und in unterschiedlichem Ausmaß für Außenstehende verständlich. Möhn hat Gruppensprachen auf der Basis funktionaler Kriterien beschrieben und auf diese Weise ‘Sondersprachen’ (überwiegend gemeinschaftsorientiert und primär sozialgebunden), ‘Berufssprachen’ (an der Grenze zwischen sondersprachlicher und fachsprachlicher Differenzierung) und ‘Fachsprachen’ (primär sachorientiert) voneinander unterschieden. Zur genaueren Definition der Begriffe Gruppensprache, Sondersprache, Berufssprache und Fachsprache siehe Möhn (1980, 1985 und 1990).
Zu den diversen Prototypen siehe insgesamt Möhn (1980, 1985, 1990 und 1998 b).
Zum Begriff der Weltanschauung — verstanden als einer besonderen Sicht und Deutung der Welt — siehe Gerl (1994), S. 1136.
Von der politischen und theologischen Fachsprache unterscheidet derartige Weltanschauungssprachen vor allem die Sachbezogenheit der Terminologie von Politologie und Theologie, womit ein hohes Maß an Wertfreiheit verbunden ist. Politische und theologische Fachtermini sind als solche nicht wertend determiniert.
Das bedeutet, daß die Differenzierungskriterien ‘Sach- und Gemeinschaftsorientierung’ um das Kriterium der ‘Öffentlichkeitsorientierung’ (verstanden als Ausmaß gruppenextern ausgerichteter Persuasionsversuche) ergänzt werden müssen.
Grünert (1974), S. 13.
Exemplarisch sei hier auf Rittes faszinierende Untersuchung der Gruppensprache der letzten Sensenhändler im Hochsauerland verwiesen: Man kann ihre Gruppensprache genauer als eine geheime Sondersprache klassifizieren. lütte (1978).
Siehe hierzu die Ausführungen von Nabrings: “Zum sprachtheoretischen Status der Varietäten: ihre Stellung zwischen System und Rede”. Nabrings (1981), S. 240–249.
Pörksen, U. (1986), S. 204.
Siehe Nabrings (1981). S. 244f.
Zum Vielschichtigkeit und Problematik des Begriffs der Norm in der Sprachwissenschaft siehe Gloy (1980), S. 363–368.
Zu dieser Definition von ‘Persuasion’ siehe Dieckmann (1981 b), S. 139; zur vielschichtigen Verwendung des Begriffs siehe den Beitrag von Nickl (1998).
Siehe Nickl (1998), S. 27.
Siehe Tillmann (1989), S. 44.
Siehe die Ausführungen, die Tillmann zum Begriff des ‘kommunikativen Mittels’ referiert. Tillmann (1989), S. 44f.
Wenn in dieser Arbeit von einem ‘Feind’ die Rede ist, so ist selbstverständlich immer mitgemeint, daß dieser ‘Feind’ das Ergebnis einer ideologisch bestimmten Konstruktionsarbeit darstellt.
Siehe hierzu Brinker (1992), S. 93f. Brinker unterscheidet zwischen der wahren Absicht eines Emittenten und derjenigen, die man aus seinem Text herauslesen kann.
Zum Begriff der Macht bei Weber siehe Tillmann (1989), S. B.
Diese Auffassung vertreten etwa Bergsdorf (1983), S. 27 und S. 34, Frese (1972), S. 105f., Grünen (1983), S. 44 und auch Tillmann (1989), S. 9.
Grünert (1974), S. 3.
Lübbe (1975), S. 107.
Siehe hierzu Tillmann (1989), S. 111 und auch S. 126.
Der Begriff ‘Kontext’ bezeichnet hier die sprachliche “Umgebung einer linguistischen Einheit” und die situativen Bedingungen einer Äußerung. Lewandowski (1990), Bd. 2, S. 595.
Tillmann (1989), S. 45. (Tillmann spricht allerdings von kommunikativen Mitteln).
Insgesamt wird es bei der Interpretation von Sprachphänomenen vermieden, Wirkungsaussagen irgendwelcher Art zu machen, die sich auf tatsächlich eintretende Effekte beziehen. Einer sprachbezogenen Manipulationstheorie soll hier nicht das Wort geredet werden, denn diese überschätzt — wenn sie ganz absolut gemeint und nicht mehr als Ausgangshypothese und bewußt überpointierter Gefahrenhinweis verstanden wird — womöglich die Macht der Sprache: Die Konsequenz ist, daß die Rezipienten zu unmündigen Verführten erklärt werden und daß man sie auf diese Weise aus der Verantwortung für ihre Handlungen entläßt. Man bürdet der Sprache moralische Schuld auf, anstatt das Verhalten und das Bewußtsein ihrer Sprecher zu verurteilen. Um nicht in die Gefahr zu geraten, die Macht der Sprache zu über- und die Mündigkeit der Emittenten und Rezipienten zu unterschätzen, sollen deshalb in dieser Arbeit einzelne sprachliche Äußerungen und ganze Texte als ’Wirkungspotentiale’ aufgefaßt werden. Sämtliche Aussagen und Interpretationen von Sprache beziehen sich somit auf die Möglichkeit, die Eventualität einer entsprechenden Wirkung. Was die zu analysierenden Beispiele tatsächlich auslösen, wen sie verführen, manipulieren, zum Haß und zur Gewalt aufstacheln, kann hier nicht geklärt werden. Zum Begriff des Wirkungspotentials siehe Hennig (1994), S. 1.
Unter einem Ideologem verstehe ich eine Vorstellung, die Bestandteil einer Ideologie ist.
Siehe hierzu auch den Kapitelabschnitt über die Tiermetaphorik. Hier findet sich auch die entsprechende Literatur, die den folgenden Ausfiihrungen zugrundeliegt. 110 Allerdings haben verschiedene Autoren betont, daß der Referenzbegriff nicht mit der Basisannahme der konstruktivistischen Epistemologie harmoniert, da Semantiktheorien vielfach auf realistischen Erkenntnistheorien aufbauen. Referenz, die Bezugnahme auf einen Wirklichkeitsausschnitt, liegt dann vor, so nimmt man an, wenn dieser tatsächlich existiert. Und das bedeutet eigentlich, daß die Frage der Referenz erst entscheidbar ist, wenn man geklärt hat, ob die Objekte und Personen, die jeweiligen Sachverhalte und Eigenschaften, tatsächlich und in der jeweils beschriebenen Form bestehen. Aus einer konstruktivistischen Sicht muß dieser Referenzbegriff zurückgewiesen werden. Das Referenzobjekt ist an den Beobachter, der referiert, zu koppeln: Er ist es, der mit den Mitteln der Sprache beispielsweise einen Katalog bestimmter Eigenschaften konstruiert, die er einem vermeintlichen Feind zuweist. Das Mitglied einer ideologischen Gruppe verhält sich so, als seien die beschriebenen Realitätsausschnitte real und als würden sie der Wirklichkeit des Gegebenen entsprechen. Ob dies in einem absoluten Sinne zutrifft, muß aus konstruktivistischer Sicht als unentscheidbar gelten. Von Referenz in einem konstruktivistischen Verständnis ist also immer dann die Rede, wenn ein Sprecher glaubt, eine von ihm vorgenommene und in Sprache gefaßte Beobachtung entspreche der Wirklichkeit und sei als wahr zu klassifizieren. Siehe Hannapel/Melenk (1990), S. 185–187.
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Pörksen, B. (2000). Ein Modell zur linguistischen Analyse von Feindbildern. In: Die Konstruktion von Feindbildern. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-93544-1_3
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