Zusammenfassung
An die Rationalisierungsvorstellungen Max Webers1) und den Strukturfunktionalismus Talcott Parsons’2) anknüpfend wurden eine Reihe von soziologischen Modemisierungstheorien3) entworfen, nach denen Entwicklung hin zur Moderne “als ein Bündel gleichgerichteter Wachstumsprozesse” (Flora 1974:13) zu verstehen ist. Die “Modernität” ist nach Berger (1988:226f.) durch vier formale Komponenten gekennzeichnet: Durch (1.) die bewußte Abtrennung von der bis dahin vorherrschenden Tradition; (2.) die funktionale Differenzierung in Teilsysteme; (3.) die Rationalisierung der differenzierten Bereiche und (4.) den daraus entspringenden Imperativ zur immanenten Leistungssteigerung der Teilsysteme.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literatur
Die Modernität einer Gesellschaft bemißt sich nach Max Weber (1976:12 u.a.) am Umfang einer spezifischen Form menschlicher Tätigkeit, nämlich des zweckrationalen Handelns. Dieses zeichnet sich aus durch Zielgerichtetheit, Planmäßigkeit und Nachvollziehbarkeit.
Nach Talcott Parsons (1952, 1960a, 1969a:35ff., 1969b:55ff., 1977a) besteht der Modernisierungsprozeß aus einem kombinierten Zusammenspiel mehrerer Faktoren, die voneinander abhängig sind. Entscheidend sind hierbei die Duchsetzung genereller universalistischer Normen, die Rationalisierungs-, Bürokratisierungs- und Säkularisierungsprozesse auslösen. Für die theoretische Inhaltsbestimmung des Begriffspaares Traditionalität und Modernität verwendet Parsons einen Komplex von “pattern variables” (vgl. Parsons u. Shils 1965:48ff., Parsons 1960b: 192ff.).
Neben sozialpsychologischen Ansätzen (Motivations- und Leistungstheorien) (vgl. z.B. Hagen 1962, 1969; Lerner 1958, 1969; McClelland 1961) können Nation-building Ansätze (vgl. z.B. Huntington 1968; Deutsch 1953; Lipset 1963; Rokkan 1969), ökonomische (vgl. z.B. Rostow 1961, 1963 u.a.; Streeten 1959; Hirschmann 1967; Nurske 1953) und gesellschaftstheoretische Ansätze (vgl. z.B. Bendix 1969a u. b, 1977; Deutsch 1969a u. b) unterschieden werden. Zur Kritik an den Modernisierungstheorien und zur neueren Diskussion vgl. u.a. Mansilla 1974; Geiger u. Mansilla 1983; Nuscheier 1986; Barnett 1988; Berger 1986a u. b, 1988; Hauck 1988, 1990; Zapf 1991; Berger 1993. Gute Theoriezusammenfassungen bieten Zapf 1969, Hemmer 1990, Menzel 1991b, Boeckh 1993.
Nohlen und Nuscheier (1993b:54) definieren: “Unterentwicklung bedeutet formelhaft die ungenügende Entwicklung der Produktivkräfte.” Zur Begriffsentwicklung und Definitionsproblematik vgl. eben dort. Der Entwicklungsbegriff hat normative Implikationen, die “abhängig von individuellen und kollektiven Wertvorstellungen in Raum und Zeit” sind (Nohlen u. Nuscheier 1993c:56). Der Begriff ist deshalb einem ständigen Wandel unterworfen und nicht allgemeingültig definierbar. Zur Ermittlung eines empirischen Entwicklungsbegriffs mit Hilfe eines “magischen Fünfeckes” mit den Komponenten Wachstum, Arbeit, Gleichheit, Partizipation und Eigenständigkeit vgl. ebenda:63ff.
Anknüpfend an die marxistische Imperialismustheorie (vgl. Lenin 1961) führen Paul A. Baran (1966) und Paul M. Sweezy (1971) die mangelnde Dynamik der unterentwickelten Länder auf den ständigen Transfer von Surplus aus der Dritten in die Erste Welt zurück.
Folgende dependenztheoretischen Ansätze lassen sich unterscheiden: Theorie des strukturellen Imperialismus (vgl. z.B. Galtung 1972, 1975), Theorie der strukturellen Unterentwicklung (vgl. z.B. Frank 1969; dos Santos 1970, 1972; Cardoso 1974), Theorie der unterbrochenen Entwicklung (vgl. z.B. Baran 1966, 1971), Theorie des peripheren Kapitalismus (vgl. z.B. Senghaas 1974, 1977, 1979; Senghaas u. Menzel 1979), Weltsystemtheorie (vgl. z.B. Frank 1983, Wallerstein 1979, 1983).
Vgl. u.a. Riddel 1981; Brundüand 1987; Redelift 1987, 1991; Tisdell 1988; Harborth 1991, 1993; Weizsäcker 1989; Hein 1990a; Simonis 1990; Braun 1993; Brown u.a. 1991; Gilbert u. Braat 1991; Stiftung Entwicklung und Frieden 1992; Stahl 1992; Schmidheiny 1992.
Nohlen und Nuscheier (1993c:61) irren allerdings, wenn sie glauben, daß sich die Modernisierungstheorien nur in den Köpfen der Eliten festgesetzt habe. Der Wachstums- und Fortschrittsglauben ist bei der Mehrheit der Bevölkerung in den Ländern der Dritten Welt weiterhin ungebrochen.
Dies hat eine umfangreiche Diskussion über den Begriff “Dritte Welt” ausgelöst. Während Menzel (1993a:154, 1993b:201, 1991a:16), Boeckh (1993:111), Wöhlcke (1991b:6), Scheuch (1984:105) u.a. für die Abschaffung des Begriffs plädieren sind Brock (1992:15ff., 1993:451), Nohlen u. Nuscheier (1993a:30), Elsenhans (1991:483) u.a. der Auffassung, daß die “Dritte Welt” noch immer ein “nützlicher Begriff” ist.
Ziebura (1988:26), Marmora und Messner (1989:1211), Altvater (1989:442) und Boeckh (1993:125) sprechen sogar von einem Scheitern der Entwicklungstheorien. Boeckh (1993:111) weist außerdem darauf hin, daß der Theoriebegriff in der Entwicklungsforschung recht locker gebraucht wurde und daß es zu Paradigmen im Sinne der Wissenschaftstheorie nie gereicht hat, obwohl die Modernisierungs- und Dependenztheorien als solche Paradigmen ausgegeben werden.
Zum Konzept “Theorien mittlerer Reichweite” vgl. Robert K. Merton (1957:9 u. 280). Vgl. hierzu auch Boudon 1991:519f.
Wegweisend sind die Arbeiten von Stein Rokkan (1968, 1969, 1993), Merritt u. Rokkan (1966), Eisenstadt u. Rokkan (1973), Flora (1981, 1986).
Hervorzuheben sind dabei vor allem die entwicklungsgeschichtlichen Untersuchungen von Menzel und Senghaas 1986, Senghaas 1982, Menzel 1985 u.a.. Vgl. auch DIW 1985.
Negativ hat sich eine extreme “Schulenbildung” ausgewirkt, die sich teilweise bis ins Sektiererhafte steigerte (z.B. Wallersteins Welterklärungsmodell) und aufgrund einer ausgeprägten Lagermentalität zu einem Mangel an diskursivem Lernen rührte (vgl. Boeckh 1993:115, Menzel 1991a:27f.). Hinzu kommt, daß die Theoriediskussion durch eine enorme Unstetigkeit geprägt ist. Einzelne Themen nahmen im Verlaufe der Diskussion ungewöhnlich viel Platz ein, um dann aber wieder plötzlich zu verschwinden und dies teilweise sogar ohne nachhaltige theoretische Spuren zu hinterlassen (vgl. Menzel 1991a:26). Vgl. z.B. die Diskussion um die Terms of Trade, die Rolle der multinationalen Konzerne, die neue Weltwirtschaftsordnung oder die Beschäftigung mit einzelnen Entwicklungsländern und ihren “dritten Wegen” zwischen Sozialismus und Kapitalismus (z.B. Tansania, Peru, Nicaragua).
Ein Teil der empirischen Entwicklungsforschung (vor allem im Bereich der Politikberatung und der Evaluation der Entwicklungszusammenarbeit) ist hingegen gerade durch eine gewisse Theorieabstinenz geprägt. Daneben gibt es jedoch auch “Hunderte von Fallstudien” die allein zu dem Zweck angefertigt wurden, ein “a priori abgelehntes Paradigma zu widerlegen oder das eigene zu bestätigen” (Menzel 1991a:27, Cassen 1990:264).
Walter Hoffmann geht sogar soweit, daß er in einer vergleichenden Studie über Kolonialexperten und Fachkräfte der Entwicklungszusammenarbeit die These vertritt, daß Anforderungsprofile und Funktionen der Kolonialexperten und der heutigen Experten einschließlich der Inhalte und Formen ihrer Ausbildung in kolonialer und heutiger Zeit weitgehend identisch seien (vgl. Hoffmann 1980:2).
Andere Kritiker betonen stärker die Bedeutung der Entwicklungshilfe als ein Instrument zur Sicherung nationaler außenpolitischer und außenwirtschaftlicher Interessen (vgl. Pater 1985, Falk 1986:121, Dams 1974:16, Nissen 1974:47, Hack 1982:2, Dauderstädt 1984:13, Hofmeier 1985:25, Pater u. Striepke 1986:7, Nuscheier 1986a:32 u. 1987:15).
Bauer (1986:11) nennt hierfür als Beispiele die negative Beeinflussung oder gar Zerstörung des Handelssystems, Beschränkungen des Zuflusses von Kapital und des Unternehmungsgeistes, die Zwangskollektivierung, eine der Nahrungsmittelproduktion abträgliche Preispolitik und allgemein die Auferlegung von Wirtschaftskontrollen, die die Kontakte mit dem Ausland und die Mobilität im Inland beschränken und so die Verbreitung neuer Ideen und Methoden verzögern.
Dieser Auflassung sind Dankwortt 1970; Brandt 1980, 1983; Koch 1984; Agarwal u.a. 1984; Schubert u.a. 1984; Böll 1985; Köhler 1985; Bohnet 1986, 1987; Kaiser u. Wagner 1986; Oberndörfer 1987; Kappel 1990; Nolte 1991; Nuscheier 1991; Stockmann u. Gaebe 1993; Stockmann 1993e; Carlsson 1993 u.v.a.m..
Zwischen 1987 und 1989 wurden vom BMZ keine Ex-post-Evaluierungen durchgeführt, 1990 zwei (Stockmann u. Resch 1990 a u. b), 1991 eine (BMZ 1991b) und 1992 und 1993 nach Auskunft des Inspektionsreferats keine.
Die von Sabine Grashoff (1987) verfaßte Studie gibt einen ausgezeichneten Überblick zur Evaluierungspraxis in Deutschland, anderen westlichen Industrieländern und der Weltbank. Zur Evaluierungspraxis des BMZ vgl. auch BMZ 1986 und 1988b.
Rights and permissions
Copyright information
© 1996 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen
About this chapter
Cite this chapter
Stockmann, R. (1996). Einleitung und Problemstellung. In: Die Wirksamkeit der Entwicklungshilfe. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-93528-1_1
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-93528-1_1
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Print ISBN: 978-3-531-12863-4
Online ISBN: 978-3-322-93528-1
eBook Packages: Springer Book Archive