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Relevanz — Erkenntnisinteresse — Aufbau der Studie

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Europäische Sozialpolitik

Part of the book series: Grundlagen für Europa ((GRUNDE,volume 4))

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Zusammenfassung

Die Aktualität und Relevanz des eher unscheinbaren, eigentlich unspektakulären Themas „soziales Europa“ wird erneut verdeutlicht durch die Forderung nach einer sozialen „Flankierung“der Europäischen Währungsunion1. Der „erste Eurostreik der Geschichte“, „the first ‚Euro-demonstration‘“ die transeuropäischen, grenzüberschreitenden Aktionen im Frühjahr 1997 bei Renault2 gaben schlagartig der Forderung nach einem „sozialen Europa“ und generell den „Europa-Debatten“ während der Regierungskonferenz 1996/97, die den Amsterdamer Vertragsentwurf ausarbeitete, Auftrieb3. Auf einem Transparent der streikenden Renault-Arbeiter war zu lesen: „L’Europe cimetière social!“, und der damalige französische Außenminister Hervé de Charette äußerte die Befürchtung, das Fehlen eines „sozialen Europas“ nähre die „antieuropäische Skepsis“4.

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Literatur

  1. Schröder zufolge nimmt die Arbeitslosigkeit in Europa ohne gemeinsame Beschäftigungspolitik, ohne Harmonisierung der Steuern und Sozialstandards nicht ab (FAZ 24. April 1998, 1). Lafontaine wünscht sich keinen Euro ohne Sozialunion, lehnt eine Transferunion hingegen ab (FAZ 30. April 1998, 17). Fast gleichlautend spricht sich Kohl dafür aus, im künftigen Euro-Gebiet „ein Stück [sic!] Sozialpolitik auf den Weg“zu bringen, jedoch zusätzliche Transferleistungen zu vermeiden (FAZ 22. April 1998, 2). Die SPD stellt sich in Europa-Debatten als die Partei dar, die den Euro sozial machen wird (FAZ 27. April 1998, 19), die Modernitätschancen mit sozialer Verantwortung verbindet. Jean-Paul Fitoussi erwartet eine Rückkehr des Politischen als Folge der Einführung des Euro (Fitoussi 1998, 1, 15). Der zum Gemeinplatz gewordene Feldzug gegen Transferleistungen blendet aus, daß die gemeinsame Agrarpolitik und die Strukturfonds auf Transferleistungen beruhen. An dieser Stelle sei davon abstrahiert, daß die Zuschreibung einer bloßen „Flankierungsrolle“die Gestaltungsrolle von Sozialpolitik erheblich reduziert (cf. Herrmann 1997, 77).

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  2. Die Renault-Leitung kündigte die Schließung des Werks in Vilvoorde bei Brüssel an, ohne die Richtlinien 94/45 über den Europäischen Betriebsrat und 92/56 über Massenentlassungen zu beachten, die Gespräche mit den Belegschaftsvertretern vorschreiben. Auf die Schließung reagierten die Beschäftigten in Belgien, Frankreich, Spanien mit Arbeitsniederlegungen: „the first trans-European industrial action“(Financial Times 8 march 1997). Die Auseinandersetzungen entzündeten sich nicht zuletzt an der Frage der Information, Konsulation und Mitentscheidung der Arbeitnehmer.

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  3. „L’exigence d’une Europe sociale progresse à droite et à gauche“, in: Le Monde 9–10 mars 1997, 1 bzw. tageszeitung nach: metall 4/97, 7 („erster Eurostreik“; cf. Süddeutsche Zeitung vom 10. März 1997, 27, und vom 7. April 1997, 6) bzw. Financial Times 12 march 1997 bzw. Frankfurter Rundschau vom 10. März 1997, 13 („Europa-Debatte“).

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  4. Le Monde 5 mars 1997, 14 bzw. de Charette in: Le Figaro du 8 mars 1997, nach: Le Monde 9–10 mars 1997, 1.

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  5. Der Begriff „Sozialstaat“- wie auch „soziale Marktwirtschaft“(im EG-Vertrag, Art. 102a, ist von „offener Marktwirtschaft“die Rede) - ist eine spezifisch deutsche Bezeichnung (cf. Müller-Armack 1966). In vergleichender Perspektive und im internationalen Sprachgebrauch ist der Begriff „Wohlfahrtsstaat“verbreiteter (cf. Schulte 1997c, 733).

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  6. Die historischen Änderungen (Überführung der EWG in die EG etc.) sowie die Parallelität von EG und EU stehen der Verwendung einer einheitlichen Begrifflichkeit entgegen. „Gemeinschaftliche Sozialpolitik“im engeren Sinne bezieht sich auf die EG, die supranationale Säule der EU. Die Begriffe „Europa“, „europäisch“, „Gemeinschaft“, „gemeinschaftlich“im weiteren Sinne beziehen sich in der Regel auf das Europa der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), Europäischen Gemeinschaft(en) (EG) bzw. Europäischen Union (EU), also auf die Strukturen der europäischen Integration in ihrer jeweiligen historischen Gestalt und territorialen Ausdehnung. Unberücksichtigt bleibt die Tatsache, daß Begriffe wie System (bspw. EWS) oder Union (bspw. Wirtschafts- und Währungs- oder Europäische Union) eine andere Konnotation haben als Gemeinschaft. Gemeinsame oder gemeinschaftliche Politik steht für die gemeinschaftlich beschlossene und implementierte Politik wie bspw. die gemeinsame Agrarpolitik.

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  7. Unter Sozialpolitik im europäischen Kontext ist im Unterschied zum deutschen Sprachgebrauch nicht nur soziale Sicherheit, soziale Gerechtigkeit, Sozialrecht zu verstehen, sondern auch Arbeitsrecht. Die Verträge enthalten keine explizite Definition von Sozialpolitik, der Begriff erfaßt neben dem Sozial- auch das Arbeitsrecht (cf. Balze 1994, 35). Nach dem EWG-Vertrag gehört Arbeitsrecht zur Sozialpolitik (Birk 1990c, 2). Das Gemeinschaftsrecht nimmt — in Übereinstimmung mit den romanischen Rechtssystemen und der Mehrzahl der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten — die im deutschen Recht gebräuchliche Unterscheidung und Trennung zwischen Arbeits- und Sozialrecht nicht vor, so daß die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften über Sozialpolitik sowohl Arbeits- als auch Sozialrecht im Sinne der deutschen Begrifflichkeit und Systematisierung abdecken (Schulte 1990a, 277; cf. Bödding 1996, 20; Arl 1997, 27).

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  8. Das „Protokoll über die Sozialpolitik“ist ein Protokoll zum EU-Vertrag, der in Maastricht am 7. Februar 1992 unterzeichnet und zum 1. November 1993 in Kraft gesetzt wurde. Dieses Protokoll wird dem EG-Vertrag beigefügt (Sozialpolitik gehört zum ersten Pfeiler, der EG); es enthält das „Abkommen“über die Sozialpolitik und wird fortan abgekürzt als „Sozialprotokoll“bezeichnet.

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  9. Integration als Zustand, Prozeß und (normative) Ziel(-größe) verstanden (cf. Kohler-Koch et al. 1996a, 152; Heumann 1980, 2ff.). Der Begriff „Integration“enthält somit analytische und normative Elemente. Integration meint den Prozeß der Herausbildung und Entwicklung horizontaler und vertikaler Verknüpfungen zwischen sozialen, ökonomischen und politischen Akteuren (Interessengruppen, Eliten, Unternehmer etc.). Vertikale Verbindungen sind stabile Beziehungen oder Interaktionsverhältnisse zwischen Akteuren auf Niveau der Gemeinschaft und Akteuren auf nationalstaatlicher oder unterhalb dieser Ebene; horizontale Verbindungen sind solche zwischen Akteuren aus verschiedenen Mitgliedstaaten (cf. Stone Sweet et al. 1997, 304). „Soziale Integration“ist kein eingeführter Ausdruck, wie Kaelble (1996, 304) konstatiert.

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  10. Innerhalb der „linken“politikwissenschaftlichen Europaforschung (zur Verwendung der Links-Rechts-Terminologie im europäischen Kontext cf. Genschel 1998) stehen sich eine optimistische und eine - so ihre Selbstbezeichnung - „europessimistische“Gruppe gegenüber, deren Bruchlinie die gegensätzliche Bewertung der bisherigen Sozialpolitik einerseits als Chance, andererseits als Sieg des Kapitals bildet: Europessimisten sehen eine gigantische „Deregulierung“(bspw. Däubler 1990c, 23; cf. Keller 1997, 72) am Werk und diagnostizieren eine irreversible „Niederlage“der Arbeiterbewegung (bspw. Silvia 1991, Streeck 1994a, 1995a, 1996a), während Eurooptimisten als vorrangige Ursache sozialpolitischer Rückstände einen Mangel politischen Willens ausmachen (bspw. Jacobi 1991, 1992, 1993, Goetschy 1993, 1994). Ich versuche, Distanz sowohl zur skeptisch-pessimistischen als auch zur euphorisch-optimistischen Beurteilung zu wahren und bin durch beide Positionen „hindurchgegangen“, um zu einer differenzierteren Sicht zu gelangen, mit Delors zu sprechen: „Optimismus des Willens und Pessimismus der Klarsicht“(Delors 1996). Europessimistisch meint im folgenden die pessimistisch-skeptische Beurteilung der sozialpolitischen Perspektiven der europäischen Integration (cf. Kim 1997, 7; Dølvik 1997, 16f.), die zu unterscheiden ist vom neoliberalen, negativen Urteil über Wünschbarkeit und Notwendigkeit europäischer Sozialpolitik.

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  11. Die Singularität des europäischen „transnationalen Integrationsregimes“wird nicht zuletzt daran deutlich, daß kein terminologischer Konsens über eine prägnante typologische Bezeichnung erzielt wird. Selbst der Begriff „Supranationalität“wurde als „Verlegenheitsmetapher“bezeichnet (Bach 1995, 308), obwohl diese Kritik eher auf unspezifische Ausdrücke wie „Mehrebenensystem“, „Gebilde sui generis“etc., die den europäischen Integrationsprozeß in seiner Spezifik nicht zu erfassen vermögen, zutrifft. Supranational steht hier für die Aktivitäten auf Ebene der Gemeinschaftsinstitutionen, die - über intergouvernementale Absprachen hinausreichend - eine gemeinsame europäische Politik begründen (cf. Mickel 1994, 330). Von daher ist es nicht überzeugend, die Bestellung von Präsident und Mitgliedern der Kommission als Argument vorzubringen, um den supranationalen Charakter der Kommission als Institution in Frage zu stellen (Merkel 1998, 7).

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  12. Beliebt ist der Verweis auf die griechische Mythologie, den Traum der Tochter des Königs Agenor, Europa, daß zwei Frauen an ihr herumzerren, ihre Mutter und eine Fremde, die sie fortzog und sprach: „Ich trage dich als Beute dem Ägiserschütterer Zeus entgegen; so ist dir’s vom Geschicke beschieden!“Dieser Alptraum wurde wahr und Zeus erschien in Gestalt eines Stieres, der die Jungfrau entführte. Analog wird Skepsis gegenüber dem sozialen Integrationsprozeß mit der Befürchtung begründet, ein Alptraum der Arbeitnehmer und ein Wunschtraum des Kapitals werde wahr (cf. Zachert 1989, 161).

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  13. Die Analysen von Wolfgang Streeck, Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln, der seit längerer Zeit die Entwicklungen europäischer Sozialpolitik verfolgt, verdienen eine ausführliche Erörterung, da er sich im Unterschied zu vielen anderen nicht mit einer Deskription des Bestehenden zufrieden gibt, sondern sich um eine theoretisch anspruchsvolle Interpretation bemüht (Leibfried et al. 1997a, 77, sprechen von „ambitionierter tour d’horizon“). Darüber hinaus darf er als einer der tonangebenden Protagonisten der vorherrschenden europessimistischen Betrachtungsweise gelten, nimmt im europessimistischen „Lager“eine herausragende Stellung ein und stößt auf erhebliche Resonanz in der Gemeinschaft der Forscher über „European industrial relations“. Er forderte die „Eurooptimisten“auf, nicht nur wohlmeinende, politisch korrekte Bekenntnisse zugunsten einer nicht-nationalistischen, europäischen Zukunft, sondern analytische Gründe für eine optimistische Betrachtung des Integrationsprozesses zu liefern und die Möglichkeit eines Scheiterns nicht zu leugnen. „This paper (…) asks the ‚optimists‘to offer analytical reasons instead of pious hopes and good intentions. It also proposes that real Europeanism may be precisely one that does not refuse to consider the weaknesses of present European constructions, and indeed is willing to entertain the possibility that what should and must come about may fail to do so. That this would be a historical tragedy does not mean that it can be avoided by denying its possibility.“(Streeck 1994a, 175). Streeck prangert die Defizite des „sozialen Europa“aus einer Perspektive heraus an, die als sozialdemokratische Selbstkritik und Desillusionierung gedacht ist, also zunächst nichts mit der neoliberalen Kritik an der Idee selbst eines „sozialen Europa“gemein hat. Streeck fühlt sich den Zielen soziale Demokratie, Gewerkschaftsmacht, soziale Marktwirtschaft etc. verbunden, auch wenn er sich neuerdings explizit von „sozialdemokratischen ‚Weiter so‘-Modernisierungsoptimisten“, die er als aktive Förderer einer Internationalisierung der Produkt- und Faktormärkte betrachtet, distanziert (Streeck 1996b, 38; die schwedischen Sozialdemokraten bezeichnet er als „revisionistisch“Streeck 1998, 404). Auch Heinze kritisiert die Eurooptimisten: „Die deutsche Rechtswissenschaft ersetzt Nachdenken durch proeuropäische Emphase; sie ersetzt Diskussion durch Bekenntnis; schlimmstenfalls ersetzt sie wissenschaftliche Auseinandersetzung durch Diffamierung.“(Heinze 1996, 12). Die eurooptimistische Position hat eine realitätsverleugnende Seite, die europessimistische Position hat etwas Fatalistisches an sich.

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  14. Viele bedauern diese Situation; statt vieler: „Leider steht die Europäische Sozialunion im Schatten der turbulenten Diskussion über die Währungsunion.“(Koenig 1994, 175)

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  15. Leibfried et al. 1996b, 248, die aus unerfindlichen Gründen einen Gegensatz zwischen diesen beiden Zielen — Schutz und europäische Konstruktion — konstruieren, die miteinander vereinbar sind. Ein Generaldirektor der Europäischen Kommission, zuständig für Beschäftigung, Arbeitsbeziehungen und soziale Angelegenheiten, erklärte Sozialpolitik apologetisch für eine wesentliche Voraussetzung der Modernisierung Europas (Larsson 1996, 724).

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  16. Sozialpolitik kann als Fremdkörper kapitalistischer Systeme, als trojanisches Pferd betrachtet werden (Esping-Andersen 1990, 11). Sie ist kein Luxus, den sich nur die reichen Länder leisten können, sondern erfüllt mehrere Funktionen (soziale Kohäsion, soziale Integration, Absicherung gegen Lebensrisiken, Sicherstellung angemessener Arbeits- und Lebensbedingungen, Beschäftigung etc.). Die gängige Auffassung, derzufolge europäische Sozialpolitik nicht gegen die Ausdehnung von Marktbeziehungen schützt, sondern integraler Bestandteil der Konstruktion des Gemeinsamen Marktes ist (cf. neben Leibfried bspw. Schmidt 1998, 246), halte ich für simplifizierend, weil den Widerspruch nach einer Seite hin auflösend.

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  17. Der Begriff „europäisches Sozialmodell“, das näher zu präzisieren ist (cf. Majone 1996, 225), ist doppeldeutig, einerseits deskriptiv verwendbar, andererseits normativ, als Blick auf das zu erreichende Ziel. Werte wie Solidarität, soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit, mit denen der Stellenwert europäischer Sozialpolitik begründet werden kann, bekommen in diesem Modell ihren Stellenwert neben einem ökonomischen Wert wie Effizienz. Cf. ausführlicher Kapitel 5.3. In einem Leitartikel „Was ist heute sozial?“ hebt Roger de Weck hervor: „Zu Recht hat Jacques Delors den Entwurf eines Europäischen Sozialmodells gezeichnet.“ (Die Zeit Nr. 43, 17. Oktober 1997, 1).

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  18. Im europäischen Kontext ist es sinnvoller, von kollektivvertraglichen Beziehungen und Kollektivverträgen zu sprechen als von Tarifverträgen, da es wahrscheinlich in absehbarer Zeit nicht zu Vereinbarungen über Löhne kommt und Entlohnungsfragen weiterhin den Schwerpunkt nationaler Kollektivverhandlungen bilden, da sie sich nach nahezu einhelliger Auffassung nicht dazu eignen, auf europäischer Ebene geregelt zu werden (Bödding 1996, 52). Eine Einschränkung kann für Regionen gemacht werden, in denen annähernd gleiche Lebensverhältnisse herrschen, bspw. Elsaß/Südbaden, und für Branchen. Die bisher unterzeichneten europäischen Kollektivvereinbarungen sind qualitativer Natur und legen Mindeststandards fest. Die Bezeichnung „Tarifvertrag“ weckt Assoziationen an das deutsche Tarifrecht, die nicht beabsichtigt sind. Der Begriff „Tarif wird im folgenden nur beibehalten, wenn es ausdrücklich um Löhne geht oder wenn durch Ersetzen nicht unmittelbar verständliche Wortungetüme entstehen (wie „kollektivvertragliche Lohnsysteme“, „Kollektivvertragsautonomie“). Auf europäischer Ebene ist es sinnvoll, sich „vom überkommenen Begriff des Tarifvertrags“ zu lösen und nach „Abmachungen“ zwischen den sozialen Gegenspieler zu fragen, so Däubler (1992, 330), der einerseits das Fehlen eines EG-Tarifrechts bemängelt, andererseits das Instrumentarium des Maastrichter Sozialabkommen für „überdimensioniert“ hält (Däubler 1992, 331). In den Kommissionsvorschlägen für eine Europäische Aktiengesellschaft spielten europäische Kollektivverträge eine wichtige Rolle. Nach dem Sozialabkommen können die „Vereinbarungen“ der Sozialpartner Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung werden. Es handelt sich somit um Regeln für Dritte, um normative Bestimmungen (Däubler 1992, 333).

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  19. Lange definiert 1992 soziale Dimension als jene Politiken oder Politikvorschläge für die Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten, die den gegenwärtigen, potentiellen und früheren Teilnehmern am Arbeitsmarkt Rechte, Gelegenheiten, Nutzen oder Schutz („rights, opportunities, benefits, or protections“) einräumen oder diese Absicht verfolgen. Er unterscheidet allgemein vier Politikbereiche des Sozialen: Arbeitsbedingungen, Freizügigkeit der Arbeitnehmer, Mitarbeiterbeteiligung und Strukturfonds zur Behebung spezieller Probleme, die sich aus der ökonomischen Integration ergeben (Lange 1992, 229f.). Somit umreißt er einige relevante Politikfelder, klammert jedoch die kollektivvertragliche Seite der Sozialpolitik ebenso aus wie Arbeitsmarktpolitik.

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  20. In Anlehnung an Vogel-Polsky et al. „Illusion, Alibi ou Réalité“ 1991. Dabei ist auch folgenden zentralen Fragen nachzugehen:

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  21. - Welchen Beitrag leistete die Gemeinschaft zu sozialer Gerechtigkeit, „sozialem Fortschritt“ und „Solidarität“ (Präambel des EU-Vertrags), zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der sozialen Exklusion?

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  22. - Unter welchen Bedingungen konzentrierte sich die Gemeinschaft auf die Verwirklichung ökonomischer oder monetärer Projekte, des Binnenmarkts, der Währungsunion, und welche Faktoren können bestimmen, daß die soziale Dimension vorankommt?

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  23. Lenoir 1994 hält diese beiden Ansätze für die einzig möglichen: für ersteren nennt er als Beispiel Caire 1992 oder Dumont 1993, für letztgenannten Magliulo 1991. Zu erwähnen sind ebenfalls die Länderstudien von Hradil et al. 1997.

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  24. Regulative Politik meint zunächst die Setzung von Rechtsnormen, rechtliche Normierungsprozesse (Müller-Jentsch 1986, 251). Schmähl trifft die Unterscheidung redistributiv — regulativ nach dem Kriterium, ob sozialpolitische Instrumente die Budgets öffentlicher Haushalte verändern oder nicht (Schmähl 1997, 15). Larsson als Generaldirektor der GD V stellt einen Gegensatz zwischen Produktivität und Sozialregulierung her, so daß diese als Produktivitätshemmnis erscheint: „We must demonstrate that social policy is a productive factor, not a simplistic matter of spending and regulation.“ (Larsson 1996, 736) Aus stilistischen Gründen ziehe ich den Terminus Regulierung dem amerikanischen „regulation“ vor; das Verb ist somit vom Substantiv ableitbar. Eine nähere Begriffsbestimmung folgt in diesem Kapitel. An dieser Stelle genügt der Hinweis, daß „social regulation“ sich mit dem Arbeits-, Gesundheits-, Umwelt-, Verbraucherschutz und externen Effekten befaßt (cf. Joerges 1991, 251).

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  25. Giandomenico Majone hält ein Zusammenspiel von redistributiven und marktkorrigierenden Verfahren für unmöglich: „Die Vernachlässigung distributiver Fragen bei der ökonomischen und sozialen Regulierung heißt nicht, daß diese Fragen unwichtig sind, sondern nur, daß politische Maßnahmen, die Marktversagen korrigieren sollen, gleichzeitig ungeeignete Instrumente für die Durchführung redistributiver Politik sind.“ (Majone 1993a, 113f.).

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  26. Speziell Einkommenspolitik im Agarsektor. Gerade bei der Gestaltung der gemeinsamen Agrarpolitik wurden sozialpolitische Aspekte stark berücksichtigt (Kleinhenz 1973, 196).

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  27. Es ist äußerst problematisch, den deutschen Begriff „Mitbestimmung“ im europäischen Kontext zu verwenden, da er die Übertragung, die Transposition, die Verlängerung einer spezifisch nationalen Institution auf die europäische Ebene suggeriert. Ich habe daher Ausschau nach einer überzeugenden Alternative gehalten: Sowohl Neuschöpfungen als auch herkömmliche Begriffe („Mitwirkung“, „Beteiligung“, „Partizipation“ etc.) sind mißverständlich, da vieldeutiger als der Terminus „Mitbestimmung“; sie könnten die Lektüre dieser Studie unnötig erschweren. Nach Abwägung des Pro und Contra erscheint mir der Begriff „Mitentscheidung“ noch am geeignetesten, wobei er sich stets auf den Sachverhalt der Einflußnahme von Arbeitnehmern auf die Entscheidungsfindung im Unternehmen bezieht. In der deutschsprachigen Fachliteratur und in deutschsprachigen Gemeinschaftstexten wird am Begriff „Mitbestimmung“ festgehalten, obwohl er eine Perspektivverzerrung mit sich bringt. (Bei adjektivischen Komposita wie „mitbestimmungsrechtlich“ habe ich den Begriff beibehalten, da eine Änderung verwirrend sein könnte.) Der Begriff „Partizipation“ ist doppeldeutig, da er einerseits im Sinne von (Entscheidungs-) Teilhabe, Mitentscheidung von Arbeitnehmern, andererseits aber — bspw. in Frankreich oder Dänemark — im Sinne von Kapitalbeteiligung, die im folgenden außer Betracht bleibt, benutzt wird.

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  28. Subsidiarität, ein bekannter Begriff aus der katholischen Soziallehre, steht zunächst dafür, Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten im familiären Bereich zu belassen und sie nicht staatlich-administrativen Institutionen zuzuweisen. Im offiziellen Sprachgebrauch der Gemeinschaft bedeutet Subsidiarität Vorrang einerseits der unteren, dezentralen, lokalen, regionalen oder auch nationalen vor der zentralen, europäischen Ebene, andererseits der kollektivvertraglichen vor der legislativen Ebene („doppelte“ Subsidiarität).

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  29. Mäder wählte einen ähnlich umfassenden Ansatz, vernachlässigt jedoch die kollektivvertraglichen Beziehungen und Mitentscheidung: „Der Begriff ‚Sozialpolitik‘ erfaßt die Gesamtheit der öffentlichen Anstrengungen und Maßnahmen zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen, und zwar die strukturellen und die Maßnahmen, die die materiellrechtliche Stellung des Bürgers betreffen. Auf Gemeinschaftsebene umfaßt die Sozialpolitik den Bereich ‚sozialer Beziehungen‘, d.h. die Arbeits-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik im engeren Sinne einschließlich des Gesundheitsschutzes.“ (Mäder 1995, 119f.) Ein ähnlich weit gefaßtes Verständnis von Sozialpolitik vertreten die Gemeinschaftsinstitutionen, die auch Beschäftigungspolitik und Mitbestimmung dazuzählen (cf. Masberg et al. 1982, 51).

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  30. Arbeitnehmerschutz, Arbeitszeitschutz, Betriebs- oder Gefahrenschutz etc., cf. Kohl 1996, 20f.

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  31. Die Regulierung der Binnen- und Außenwanderungsströme, der innergemeinschaftlichen Migration durch nationalstaatliche Gesetzgebung (bspw. Einreise- und Aufenthaltsrecht) einerseits, gemeinschaftsrechtliche Regelungen (bspw. Recht auf Freizügigkeit) andererseits wird hier nur insoweit in die Betrachtung einbezogen, als sie für die Gemeinschaft sozialpolitikrelevant ist, bspw. im Rahmen der Inanspruchnahme der Sozialschutzsysteme oder von Entsendung. Im Vergleich zur Wanderungsbewegung innerhalb der USA ist die Migration innerhalb Europas gering: Nur fünf Millionen Arbeitnehmer nehmen mit ihren Familien die Freizügigkeit in Anspruch (cf. Leibfried et al. 1997b, 1460). Die Sprachenvielfalt in Europa ist sicherlich ein Hemmfaktor.

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  32. Cf. Übersicht über die EG-Rechtsinstrumente zur Berufsbildung bei: Berié 1993, 92f.; cf. Rainbird 1993; cf. die mehrfach modifizierte Verordnung 337/75 des Rates vom 10. Februar 1975 über die Errichtung eines Europäischen Zentrums für die Förderung der Berufsbildung CEDEFOP, ABl L 39 vom 13.2.1975; cf. Conseil de l’Union 1997a, 331, 169ff.

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  33. Wie natürlich auch die Arbeitgeberinnen und Arbeitnehmerinnen, die bei Verwendung der männlichen Form stets mitgemeint sind.

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  34. Aus Gründen stilistischer Varianz und ohne traditionelle ideologische Vorbehalte aufwärmen zu wollen, wird der Begriff „Sozialkontrahent“ hier synonym zu „Sozialpartner“ oder „Sozialverbände“ als Bezeichnung für die Gewerkschaften und Arbeitgeberorganisationen verwendet. Über die inhaltliche Ausgestaltung des Terminus „Sozialpartnerschaft“ besteht kein Konsens (Genosko 1996, 106). Müller-Jentsch vermeidet den Begriff Sozialpartner (Müller-Jentsch 1986), vermutlich wegen seiner ideologischen Konnotation, der Überbetonung des Pazifizierungs- und Integrationsgedankens sowie des Konsens zu Lasten des Konflikts. Mit dem Begriff „Konfliktpartnerschaft“ betont er (Müller-Jentsch 1993) sowohl die Konflikhaftigkeit der Beziehungen zwischen den Sozialkontrahenten als auch die Notwendigkeit eines gewissen Ausmaßes an Kooperation und Partnerschaft. Ich beziehe den Begriff im folgenden vorrangig auf den außer- und überbetrieblichen, nur peripher auf den innerbetrieblichen Bereich, verwende ihn synonym zu konfliktueller Kooperation, einer „Art institutionalisierter ‚Klassenkonflikt‘“, der Differenzen durch Kooperation und Ausgleich zu bewältigen sucht (Genosko 1996, 107). Die Sozialpartnerschaft „findet ihre geistige Grundlage im besonderen in der katholischen Soziallehre“ (Korinek 1993, 123) und in der „protestantischen Sozialethik“ (Genosko 1996, 115), ist also mit bestimmten normativen Vorstellungen verbunden, die in diese Studie nicht unbedingt einfließen. Wegen seiner relativen Unbelastetheit benutze ich häufig den Begriff „Sozialkontrahent“.

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  35. Meint zunächst: Festlegung der „Spielregeln“ zwischen den Sozialkontrahenten. Zu unterscheiden ist zwischen Regeln, die Zwänge festlegen, und solchen, die die Bedingungen zur Erarbeitung solcher Regeln festschreiben, zu unterscheiden. Die Regeln, die einerseits von den gesetzgebenden Organen und staatlichen Exekutiven in Form von Gesetzen, Erlassen und Verordnungen, andererseits von Gewerkschaften und Unternehmern durch Übereinkommen gesetzt werden, sind entweder substantieller Art, enthalten also materielle Normen beispielsweise über die Höhe von Löhnen, die Arbeitszeit oder die Anzahl von Urlaubstagen, oder prozeduraler Art, beziehen sich also auf Verfahren, beispielsweise die Festlegung von Regeln, die bestimmen, wie Kollektivverhandlungen zu führen sind, wie Partizipation zu erfolgen hat, wie Konflikte einer Lösung zugeführt werden. Inhaltsregeln regulieren die Beschäftigungsbedinungen für bestimmte Gruppen direkt, Verfahrensregeln indirekt, indem sie Handlungsalternativen der formalen und informellen Organisation bzw. deren Repräsentanten beeinflussen, z.B. Abmachungen über Verhandlungs- oder Konfliktbeilegungsmechanismen wie Mitentscheidungsregelungen (cf. Keller 1995c, 404). Verfahrensregeln sind dazu gedacht, Institutionen — also stabile und dauerhafte Muster sozialer Beziehungen — herzustellen oder zu verändern (cf. Armingeon 1994b, 11).

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  36. Hier wird davon ausgegangen, daß das Ende der „Arbeitsgesellschaft“ noch lange nicht in Sicht ist (cf. Keller 1995c, 3).

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  37. Internationale Sozialpolitik, die nur einen informellen Verpflichtungsgrad und keine unmittelbare Bindungswirkung hat, ist von supranationaler zu unterscheiden (cf. Schmidt 1998, 243f.).

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  38. In der Fachliteratur herrscht Einigkeit, daß die Gemeinschaft bislang keine Staatsqualität hat (cf. statt vieler: Merten 1993, 64). Auf dem Spannungsbogen zwischen internationaler Organisation und Staatsgebilde ist die EU mit dem Beschluß zur Einführung der Eigenmittel 1970, der Direktwahl zum Europäischen Parlament, der EEA und Maastricht hin zu dem Pol Staat gerückt, ohne ihn jedoch erreicht zu haben (cf. Falkner 1994a, 70f.).

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  39. Däubler spricht von „Staatsfragment EU“ (Däubler 1996a, 151; Däubler 1997b, 110). Analog wird von „quasi-staatlich“, „staatsanalog“, „prästaatlich“ etc. gesprochen.

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  40. G. Erler, nach: Schneider 1991, 44. Das Kriterium zur Unterscheidung zwischen bloßer Staatsähnlichkeit und Staatlichkeit ist die Frage nach der „Kompetenzkompetenz“ (Schneider 1991, 64).

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  41. Lepsius 1997, 950. Lepsius sieht, daß diese segmentate Vergemeinschaftung als bisherige Strategie mit dem Übergang zur EU an Grenzen stößt. In früheren Schriften konstatierte Lepsius einen „Prozeß vom ‚Zweckverband‘ zur ‚Staatsbildung‘“ (Lepsius 1991a, 312).

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  42. Politikfelder wie Arbeitsmarkt-, Renten-, Umweltschutzpolitik etc. (Heinelt 1993, 307), aber auch der Feindifferenzierung bspw. von Sozialpolitik nach kollektivvertraglichem oder legislativem Bereich (cf. Eichener et al. 1994c, 17).

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  43. Die Möglichkeit einer „législation négociée“, einer Vereinbarung der europäischen Sozialverbände mit dem Siegel des Rats, überschreitet diese analytischen Grenzen, da sie sich sowohl der legislativen wie der kollektivvertraglichen Seite zuordnen läßt. Legislativ und kollektivvertraglich müssen realiter kein Gegensatz sein. Aus Gründen der Systematik subsumiere ich unter legislativen Bereich die rechtliche Normsetzung, die über die öffentlichen Mächte erfolgt, und ordne die Rechtsetzung durch die Sozialverbände dem kollektivvertraglichen Bereich zu. Die Dreiteilung — legislativ, redistributiv, kollektivvertraglich — soll keine Gleichrangigkeit dieser Bereiche suggerieren, denn insbesondere der kollektivvertraglich ist bislang von untergeordneter Relevanz, während der legislative dominiert.

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  44. Das „Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland über die Sozialpolitik“ ist dem Sozialprotokoll beigefügt und wird fortan abgekürzt als „Sozialabkommen“ bezeichnet.

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  45. „Maastricht“ bzw. „Amsterdam“ stehen fortan als Kürzel für den Europäischen Rat von Maastricht im Dezember 1991 bzw. Amsterdam im Juni 1997, der jeweils Vertragsänderungen auf den Weg brachte.

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  46. Der von der Kommission verwendete Begriff „Sozialschutz“ ist dem deutschen Recht fremd; in der Gemeinschaft wird darunter die soziale Sicherung im weitesten Sinne verstanden, unter Einschluß von Maßnahmen, die nach deutscher Einteilung der Sozialhilfe zugeordnet werden (cf. Schulz 1992, 82). Im folgenden werden die beiden Begriffe „soziale Sicherung“ und „Sozialschutz“ parallel verwendet ohne inhaltliche Akzentsetzung.

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  47. In diese Richtung gehen die bekannten Worte von François Mitterrand: „‚L‘Europe ne se fera pas si elle laisse en cours de route le plus grand nombre, ses producteurs, ses travailleurs, ceux sans lesquels, il n’y aurait pas de constructions véritables...‘ Ces paroles de François Mitterrand, prononcées lors du transfert des cendres de Jean Monnet au Panthéon le 10 novembre 1989, nous rappellent que la construction européenne ne peut se concevoir qu’au travers d’objectifs purement économiques ou financiers oubliant la dimension humaine sans laquelle aucun projet politique ne peut réussir. Car c’est bien là tout le sens de l’Europe sociale.“ (Anne-Marie Lizin, Secrétaire d’Etat à l’Europe 1992, Préface zu: Vogel-Polsky et al. 1991, VII; Kowalsky 1997c, 87). Eine prononcierte sozialpolitische Akzentsetzung läßt sich als Element einer weiteren Europäisierung und Akzeptanzsteigerung begreifen: „Der Integrationsprozeß ist für den einzelnen Bürger Europas am ehesten spürbar in den sozialen Belangen, in den sozialpolitischen Entscheidungen (...). Die Akzeptanz Europas wird nicht nur von der erfolgreich verwirklichten Freiheit für Kapital und Arbeit abhängen, sondern auch von der Politik des Sozialen (...)“ (Henningsen 1989, 78, 80).

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  48. Mit „Sozialpolitik-Arena“ (Schmähl 1997, 14) oder „(Sozial-)Raum“ bezeichne ich einerseits die Sphäre der politischen und sozialen Regulierung, andererseits die Sphäre der Interessenpolitik, in der die Sozialkontrahenten und Lobbies als Akteure hinzutreten (cf. Kapitel 5.1).

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  49. Die Autonomie der Sozialverbände auf europäischer Ebene ist begrenzt, da die Kommission als Akteur den Sozialdialog als Bilateralismus und Tripartismus in Gang setzte, anleitete und Kollektivverhandlungen „induzierte“. Diese Einschränkung ist stets mitzudenken, wenn von „Autonomie“, „Tarifautonomie“ etc. auf europäischer Ebene die Rede ist. Selbst Däubler (1992, 329) spricht von „autonomer Regelung“. (Autonomie meint die faktische Fähigkeit, den nationalen Raum bzw. den Sozialdialog, die Kollektivverhandlungen selbständig auszugestalten; cf. Leibfried et al. 1997b, 1457).

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  50. Mit dem Begriff „Neo-Korporatismus“ sind im folgenden weder faschistische Vorstellungen des „korporativen Staates“ wie im Italien Mussolinis oder im Portugal Salazars verbunden noch die ständestaatlicher Ordnungen vorindustrieller Sozialstrukturen. Der Begriff „Eurokorporatismus“ dient als Oberbegriff für Makro-, Meso-, Mikro- und Interregional-Korporatismus auf europäischer Ebene und zur Abgrenzung von nationalen Formen des Neo-Korporatismus. Er ist auch zu unterscheiden von einem Tripartismus, der lediglich in Informationsaustausch und Diskussion besteht. Auf nationaler Ebene geht es darum, staatliche oder quasi-staatliche Steuerungsleistungen durch Kooptation wichtiger Interessenvereinigung und politisches Bargaining zur Sicherung von Mitarbeit und Loyalität dieser Interessengruppen, insbesondere Kapital und Arbeit, zustandezubringen (cf. Genosko 1996, 108ff.); auf europäischer Ebene wird der Begriff mit einer Akzentverschiebung verwendet: Er bezieht sich auf das Zusammenwirken von Sozialkontrahenten und Gemeinschaftsinstitutionen in der Absicht, Sozialregulierung zu vereinbaren, ist also an die Existenz einer staatlichen Instanz als Voraussetzung nicht gebunden. Somit ist die Problematik, daß die Gemeinschaft kein staatliches Gebilde darstellt, ausgeblendet.

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  51. Für den Sozialbereich gilt die Geschichte von den Blinden und dem Elephant: „The story of the blind men and the elephant is universally known. Several blind men approached an elephant and each touched the animal in an effort to discover what the beast looked like. Each blind man, however, touched a different part of the large animal, and each concluded that the elephant had the appearance of the part he had touched.“ (Puchala 1972, 267).

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  52. Eine ausführliche Präsentation von EGB und UNICE erfolgt in Kapitel 4.

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  53. Europäische Kommission oder kurz „Kommission“ steht für die Kommission der Europäischen Gemeinschaft als Institution und sozialer Akteur.

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  54. Als europäischen Akteure bezeichne ich die Hauptakteure auf europäischer Ebene: Gemeinschaftsinstitutionen (Europäische Kommission, Europäischer Rat, Rat, Europäisches Parlament), Nationalstaaten, Parteien, Spitzenverbände der Sozialkontrahenten.

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  55. Der Begriff des Mehrebenensystems (Leibfried et al. 1995 bzw. Jachtenfuchs et al. 1996, 16; Kohler-Koch et al. 1996) lenkt den Blick auf vertikale Verhältnisse zwischen der Gemeinschaft und ihren nationalen Teilen und macht für horizontale Probleme „tendenziell blind“, bevorzugt die Oben-unten-Rhetorik zu Lasten des Links-rechts-Gegensatzes, der in Europafragen das Hauptkampffeld zwischen wirtschaftsliberalen und interventionistischen Konzeptionen widerspiegelt (Genschel 1998, 55ff.). Die Perspektive des Links-rechts-Gegensatzes rekonstituiert politische Freiheitsräume, indem sie ein Spektrum alternativer Europa-Entwürfe — jenseits des globalen Für oder Wider Europa — in die Diskussion einbringt, zwischen denen Wahlmöglichkeiten bestehen jenseits der vertikalen Perspektive. Diese Anmerkungen sind relevant, da politische Systeme, denen es nicht gelingt, programmatische Alternativen zu entwickeln und präsent zu halten, die Gefahr eingehen, aus scheinbar nichtigem Anlaß in systemdestabilisierende Krisen stützen oder gar in sich zusammenbrechen. Eine Quelle des vielzitierten Demokratiedefizits rührt aus der Unfähigkeit der institutionellen Konstruktion, interne Konflikte und Alternativrepräsentation darzustellen Richtungsdebatten zu führen und Richtungsentscheidungen zur Wahl zu stellen (cf. Genschel 1998, 76f.; Kowalsky 1997c, 104, 113f., 116f., 146ff.).

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  56. Statische Strukturen systematisch zu analysieren ist einfach im Vergleich zur Erfassung der Dynamik eines Beziehungsgeflechts, wie es der europäische Integrationsprozeß darstellt, und seiner interdependenten Entwicklungen, die nicht abgeschlossen sind.

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  57. „Die Theorie der Sozialpolitik der EU gibt es nicht.“ (Dicke 1997, 3)

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  58. Merten zufolge war die ökonomische Integration bislang nicht von „Arkaden sozialer Geborgenheit umgeben“ (Merten et al. 1993, 63). Adamy aus der Abteilung Arbeitsmarktpolitik des DGB-Bundesvorstands schreibt: „Ein gemeinsamer sozialer Nenner ist nicht in Sicht. In keinem Mitgliedsland gibt es ein von allen akzeptiertes gemeingültiges Sozialmodell, an das sich die anderen Länder schrittweise anpassen könnten oder auch wollten.“ (Adamy 1992, 47f.) Die von Adamy anvisierte „Anpassung“ an ein bestimmtes Land ist als europapolitische Zielvorstellung nicht akzeptabel, da sie nichts die Nationalstaaten transzendierendes, nichts eigenes, genuin europäisches hätte, sondern auf die bloße „Überstülpung“ eines nationalen Modells über die anderen Mitgliedstaaten hinausliefe und damit einen imperialistischen Beigeschmack hätte.

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  59. So bspw. Europessimisten wie Streeck oder ein Beitrag wie: „Dans la jungle du grand marché“, in: Le Monde diplomatique vom Sept. 1988 oder Edmond Maire, Le social, faille de l’Europe, in: Le Monde 23. Aug. 1988 (die französischen Beiträge nach: Dehousse 1992a, 1, 1992b, 383).

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  60. So bspw. Thatcher: „We have not succesfully rolled back the frontiers of the state in Britain only to see them re-imposed at a European level, with a European super-state exercising a new dominance from Brussels.“ (The Guardian 21. Sept. 1988, nach: Dehousse 1992a, 1, 1992b, 383; cf. Wise et al. 1993, 197).

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  61. Habermas 1996, 130, 180, 187. Die Annahme, es handle sich bei der Gemeinschaft um ein internationales Regime (cf. Keohane 1983), kann in diesem Zusammenhang nicht umfassend diskutiert werden. Nur soviel: Die Rubrizierung der Gemeinschaft als Regime ist in der Theorie der Internationalen Beziehungen umstritten, da weitgehende Einigkeit herrscht, daß Regime nur ein Politikfeld umfassen (etwa GATT bzw. seit 1995 WTO, NAFTA, MERCOSUR etc.), während die Gemeinschaft durch dieses Etikett auf einen Aspekt reduziert und somit abgewertet würde (Welz et al. 1993, 160f.; cf. Merkel 1998, 10f., 15). Die Agrarregulation im entsprechenden Sektor der Gemeinschaft wäre mithin ein Regime; die Gemeinschaft selbst ist mehr als ein internationales Regime. (Souveränität meint die alle anderen Autoritäten ausschließende Rechtsetzungsgewalt, cf. Leibfried et al. 1997b, 1457).

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  62. Ausgehend von Habermas’ Begriff der neuen Unübersichtlichkeit (Habermas 1985) sah Andreas Zielcke in der FAZ die sozialpolitischen Gestaltungsspielräume als Folge der „Globalisierung“ dahinschwinden: „Heute, nur eine Dekade später, sind die letzten [sozialstaatlichen] Illusionen verflogen, die Lage ist übersichtlicher denn je. Für Durchblick und Klarheit sorgt vor allem der globale Markt. Wie keine andere politische oder gesellschaftliche Instanz ist er der Wahrheit verpflichtet: einer universellen Wahrheit, die jede regionale Beschönigung unterm Strich entlarvt und jeden nationalen Traum und jeden Sonderweg auszählt. Für den Sozialstaat unerläßliche ökonomische Lebenslügen haben bei ihm gar keine, unkalkulierbare Prinzipien der Hoffnung nur sehr kurze Beine. Bis vor kurzem konnte der Sozialstaat die Regeln des Marktes korrigieren, jetzt regelt der globale Markt die Korrekturmöglichkeiten des Sozialstaates. Die alte Politik der selbstbewußten Intervention weicht der halb protestierenden, halb willigen Einpassung in das jetzt vom Markt kontrollierte Rückkopplungssystem. Die kommende Formel der Sozialpolitik, von der mächtigeren Instanz diktiert, lautet schlicht: self restraint. Mit anderen Worten, wir leisten uns künftig genau die Regulative des Sozialdarwinismus, die der sozialdarwinistische Markt verträgt und bezahlt.“ Der Autor fügt noch das Stichwort „Survival of the fittest“ bei (Zielcke 1996; ähnlich die Stellungnahme der Bruges Group). Selbst Däubler bezeichnete 1997, allerdings aus einer grundlegend anderen Perspektive, staatliche Sozialpolitik als „eine Art Restgröße, die auf das Allernotwendigste beschränkt ist“ (Däubler 1997a, 19). Däubler stellte auch die Behauptung auf, „mindestens 95 Prozent aller Probleme des Arbeits- und Sozialrechts“ würden weiter auf der Grundlage rein nationalen Rechts entschieden (Däubler 1996b, 1, 5). Diese Aussage steht in Kontrast zur Feststellung von Helmut Simon, nahezu 80 Prozent aller Regelungen im Wirtschaftsrecht würden durch Gemeinschaftsrecht festgelegt und fast 50 Prozent aller deutschen Gesetze durch Gemeinschaftsrecht veranlaßt. Delors sprach ebenfalls von 80 Prozent und der französische Conseil d’Etat fand heraus, daß die EU jährlich mehr Regeln in den juristischen Corpus einfügt als die französische Regierung (nach: Kowalsky 1997c, 41).

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  63. Cf. Helleiner 1996; Lütz 1996, 1997. Noch unumwundener als Zielcke (vorige Anmerkung) drückt es Norbert Berthold aus: „Die Globalisierung ist der Bote, der die Nachricht vom Ende des Sozialstaats übermittelt.“ Die Globalisierung bewirke als Katalysator auf dem Arbeitsmarkt die Auflösung des Verbändestaats, das Aufbrechen des „Tarifkartells“ und die Lockerung des im Flächentarifverträgen festgeschriebenen Lohngefüges (nach: FAZ 11. November 1997, 18; cf. Berthold 1997, 42f.). „Der europäische Sozialstaat ist der Prototyp einer sich selbst zerstörenden staatlichen Lösung.“ (Berthold 1997, 11). Ernst-Wolfgang Böckenförde wies darauf hin, daß Globalisierung weder unerwartet noch unerwünscht über die Menschheit kam, sondern das Ergebnis bewußt vorgenommener rechtlicher Entgrenzungen sowohl innerhalb der EU (durch die vier Freiheiten des EWG-Vertrages) als auch international durch die Freisetzung des Kapitalverkehrs und der Geldmärkte, durch die freie Konvertierbarkeit der Währungen, die fortschreitende Abschaffung von Schranken des Handels- und Warenverkehrs sei (nach: FAZ 11. November 1997, 18).

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  64. Die westeuropäischen Industriegesellschaften veränderten sich seit dem Zweiten Weltkrieg in politischer, sozialer, ökonomischer und ideologischer Hinsicht rasant. Die Begriffe zur Erfassung der vielfältigen Facetten dieser Transformation, die alle westeuropäischen Länder in mehr oder minder starkem Ausmaß erfaßte, sind zahlreich und nur einige Chiffren seien ungeordnet und ungewichtet genannt: Modernisierung, Rationalisierung, Internationalisierung und Globalisierung, Postfordismus, Postindustrialismus, Dienstleistungs-, Erlebnis-, Risikogesellschaft, Säkularisierung, Urbanisierung, Mobilität, Individualisierung, Auflösung tradierter Sozialmilieus, Erosion normativer Orientierungsmuster, Pluralisierung von Wertvorstellungen, gesellschaftliche Desintegrations- und Deprivationserscheinungen, Anomie, politische Entfremdung, ökonomische Krise, Zunahme der Interdependenzen, Zusammenbruch des bipolaren Weltsystems und seiner ideologischen Gewißheiten, Herstellung eines Weltmarkts, neue Unübersichtlichkeit etc. Angesichts dieser Begriffsvielfalt ist der Hinweis von Rainer Lepsius in Erinnerung zu rufen, daß die Rede von der beständig zunehmenden Komplexität sozialer Verhältnisse nicht darüber hinwegtäuschen darf, daß „die Formen menschlichen Zusammenlebens begrenzt sind und die Grundprinzipien der sozialen Gestaltungsmöglichkeiten sich nicht unendlich vervielfältigen“ (Lepsius 1990c, 248).

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  65. Diese Auffassung dient nicht der Rundumverteidigung des sozialen Status quo, denn sie präjudiziert nicht, daß die soziale Umverteilung weiterhin der allgemeinen proportionalen Einkommensverbesserung dient: Es gibt gute Gründe, die sozialstaatliche Absicherung auf ihre ursprüngliche Bestimmung zurückzuführen, soziale Mindestsicherungen zu garantieren und damit Teilhabechancen an Freiheitsrechten (cf. Lohauß 1996, 20), mit anderen Worten: umzusteuern von der flächendeckenden Absicherung eines bestimmten Lebensstandards zu gesellschaftlichen Mindeststandards. Die allgemeine Konfrontation von neoliberalen Attacken auf jede Form sozialstaatlicher Regulierung des Kapitalismus und sozial- sowie christdemokratischer Verteidigung aller Strukturelemente des sozialstaatlichen Status quo birgt die Gefahr, das deutsche Konsensmodell zu zerstören (Scharpf 1997, 190).

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  66. „Die Schaffung eines gemeinsamen Marktes ist kein Ziel, das geeignet ist, die Loyalität und die Zuneigung der europäischen Völker zu ihren supranationalen Institutionen hervorzurufen. Hierzu bedarf es auch einer sozialen Dimension.“ (Majone 1996, 225).

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  67. Ralf Dahrendorf bezeichnete als wichtigste Herausforderung für Europa die „intelligente Reform des Sozialstaats“. Es müsse eine neue Verbindung von Gemeinschaftsverpflichtung und individueller Beteiligung gefunden werden, ohne die soziale Kohäsion zu zerstören: „Das ist nun ein wirklich überlebenswichtiges Thema, das bis an die Wurzeln der europäischen Kultur und Lebenswelt reicht.“ (Dahrendorf 1995, 29)

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  68. Eurooptimisten bemühen gerne folgende Analogie: „So wie im nationalen Bereich der Sozialstaat von der Arbeiterbewegung erstritten und gewerkschaftlicher Beitrag zur europäischen Moderne wurde, muß nunmehr die europäische Sozialunion erstritten und gewerkschaftlicher Beitrag für die Fortführung der Moderne in das 21. Jahrhundert werden.“ (Jacobi 1992, 776, cf. Altvater/Mahnkopf 1993, 102). In diesem deklaratorischen Ansatz bleibt „Sozialunion“ Undefiniert und wird von Rahmenbedingungen und Interessenkonfigurationen abstrahiert. Selbst wenn die Ausgestaltung des europäischen Sozialmodells das ureigenste Feld der Gewerkschaftsbewegung ist, heißt das nicht, die Gewerkschaften könnten dem Ziel näherkommen, wenn sie nur aktiver ihre Vorstellungen durchzusetzen versuchten. Zwar wäre eine dynamisierte und stärker europäisierte Gewerkschaftsbewegung in der Lage, mehr zu erreichen als sich gegenwärtig abzeichnet, aber ohne gewichtige Bündnispartner bleibt im gegebenen Feld der Rahmenbedingungen und in der gegebenen Konstellation der Kräfteverhältnisse die Hoffnung auf den sozialpolitischen Quantensprung illusorisch.

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  69. „Es scheint sich am Beispiel der EG das Entwicklungsmuster der Nationalstaaten des 19. und 20. Jahrhunderts zu wiederholen. Auch bei der Entstehung des neuen Wirtschaftsraums EG wurden die sozialen Risiken dieser Entwicklung nicht durch eine integrierte Sozialpolitik aufgefangen. Der (gemeinsame) Sozialstaat folgt dem (gemeinsamen) Markt.“ (Bieback 1993, 172).

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  70. „Die Identifikation des Einzelnen mit der europäischen Idee hängt maßgeblich von einer bürgernahen Einwirkung der Gemeinschaft auf das Sozialleben der Arbeitnehmer ab.“ (Koenig et al. 1995, 149). Cf. insbesondere Lepsius 1997.

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  71. Der Institutionenansatz ergänzt die Betrachtung der Problemseite durch die institutionelle Perspektive.

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  72. Die Politikfeldanalyse macht Beschreibung und Erklärung des politischen „outputs“ von (Sozial-) Politik zum Gegenstand der policy Analyse. Je nach Bereich sind die drei Aspekte policy, polity und politics unterschiedlich zu gewichten. Dabei wird mit Hypothesen über Funktions- und Wirkungszusammenhänge institutioneller Strukturen operiert, wobei auf unterschiedliche, möglichst kompatible theoretische Annahmen zurückzugreifen ist. Policy Analyse, Analyse der Rahmenbedingungen, Strukturen, Institutionen und Akteure (Polity Dimension), der Prozeßab-läufe, Zyklen werden dabei miteinander verknüpft. Es stellen sich drei Fragenkomplexe: 1. Welche Besonderheiten struktureller Art kristallisieren sich in der gemeinschaftlichen Sozialpolitik heraus? Wie steht es um die Steuerbarkeit und Dynamik der sozialpolitischen Entwicklung? 2. Wie verändert sich der Prozeß der sozialpolitischen Willensbildung und Entscheidungsfindung sowie die Einbindung der sie tragenden Akteure? 3. Welche Veränderungen inhaltlicher Art sind mit den sozialpolitischen Entwicklungen verknüpft?

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  73. „Kontraktuell“ steht fortan als Kurzbezeichnung für kollektivvertragliche Beziehungen und als Gegenbegriff zur legislativen Form der Regulierung. Die „législation négociée“ stellt eine komplexe Mischung beider Verfahren dar.

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  74. „Aus politikwissenschaftlicher Sicht hat kürzlich Hans-Peter Schwarz die Ansicht geäußert, der Prozeß der europäischen Integration habe eine Qualität erreicht, in der die beteiligten Staaten ihre Wirtschafts- und Sozialpolitik — ‚die Zentralelemente moderner Souveränität‘ — nicht mehr autonom bestimmen könnten. Eine Analyse der Interdependenz von europäischem und nationalem Sozialrecht bestätigt diesen Befund.“ (Schulte 1990b, 76) Die Mitgliedstaaten verlieren faktisch und normativ an souveräner Handlungsautonomie. So wurde etwa das Bundeskartellamt zu einer der Kommission „nachgeordneten“ Behörde, die Obersten Gerichte sind an die Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofes gebunden, mit der Währungsunion verliert die Bundesbank ihre Kompetenz für eine selbständige Geld- und Kreditpolitik (cf. Lepsius 1997, 949).

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  75. „Deutsche lassen sich von anderen Europäern in der Intensität ihres Engagements für die europäische Einigung schwerlich überbieten. Es ist leicht zu erkennen, wieso das so ist. Keine andere Nation hat von der europäischen Einigung mehr profitiert als die deutsche. Die ökonomische Seite der Sache ist dabei nicht einmal die wichtigste. In der Europäischen Gemeinschaft (...) fand Deutschland aus der vollständigen politischen Isolation heraus“ und zwar in nur gut zwölf Jahren (Lübbe 1994, 7).

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  76. Die klassischen Gestaltungsmittel europäischer Politik und damit europäischer Sozialpolitik sind: 1. Verordnungen, die unmittelbar anwendbar sind und keiner Umsetzung mehr bedürfen, 2. Richtlinien, die Gestaltungsspielräume lassen, um den Besonderheiten der nationalen Rechtsordnungen (bei der Wahl der Form und Mittel) Rechnung zu tragen, 3. Beschlüsse (Décisions sui generis im Unterschied zur décision im Sinne von Entscheidung), die Einzelfälle betreffen und verbindlich sind (cf. Artikel 189 des EG-Vertrags). Nicht im Vertrag vorgesehen sind Entschließungen, Schlußfolgerungen, Erklärungen, Empfehlungen, die keine rechtliche Bindungswirkung haben, Mitteilungen, mit denen die Kommission die Diskussion in den Mitgliedstaaten beeinflussen und einen Beratungsprozeß einleiten kann, und Stellungnahmen.

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  77. Die ursprünglichen Motive hinter den europäischen Einigungsimpulsen waren: 1. Lösung der „deutschen Frage“, 2. Eindämmung der Macht nationaler Schwerindustrien, 3. Bewältigung des wirtschaftlichen Wiederaufbaus, 4. Notwendigkeit einer Aussöhnung zwischen den Völkern, 5. Antwort auf die militärische Bedrohung durch den Warschauer Pakt (cf. Adam 1995; cf. Simonis 1998, 189f.). Einige dieser Motive — Nr. 3, 5 — wurden hinfällig, andere — Nr. 1,2- erfuhren einen Bedeutungswandel.

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  78. Politische Verantwortungsträger werden sich zunehmend dieser Gefahr bewußt: „Die Populisten scharen alle um sich, die Angst vor Veränderungen haben. Das wird noch gefährlicher, solange unsere Eliten nur Globalisierung im Kopf haben, während die Bürger mit ihren Füßen im Dreck der alltäglichen Nöte stecken.“ (Delors 1996)

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  79. Mit Mittelmeerländer sind die Teilnehmer der Europa-Mittelmeer-Außenministerkonferenzen gemeint, die nicht Mitglieder der EU sind. Der Begriff ist verkürzend, da er die nördlichen Anrainerstaaten der EU und der Adria ausklammert, Libyen als südlicher Anrainerstaat ausgeschlossen war und der Teilnehmerstaat Jordanien gar nicht an das Mittelmeer angrenzt (cf. Nienhaus 1997, 12).

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  80. Die Diskussion um die ausufernde und weitgehend parallel verwendete Terminologie — Sozialpolitik, Sozialunion, Sozialraum, soziale Dimension, sozialer Dialog, soziale Kohäsion, soziale Flankierung, Sozialcharta, welfare policy etc. -, um „sozialpolitische Leitbilder“ (Thomas Schulze, der ebenfalls ein „Theoriedefizit“ konstatiert, in: Ermer et al. 1990, 5, 169), die Benennung von sozialen Konstruktionsprinzipien und -merkmalen, um defmitorische Abgrenzungsprobleme wird im Anhang II ansatzweise nachgezeichnet. In die Begrifflichkeit gehen Interessen, Wertmaßstäbe, politische Auseinandersetzung ein. Die Begriffe Europa und europäisch sind vom Inhalt her nicht unmittelbar eindeutig. Hinsichtlich der Etymologie stehen mehrere Auffassungen nebeneinander, die von philologischem Interesse sind, aber für den gegenwärtigen Europabegriff kaum Bedeutung haben (Sattler 1964, 82). Europa ist ein Terminus, dessen sich die Geographie als beschreibende Wissenschaft bedient, um einen der fünf Erdteile zu bezeichnen, doch schon die historischen Vorstellungen greifen weit über den geographischen Begriff hinaus und bezeichnen eine historische Größe (Sattler 1964, 82f.). Für die Sozial- oder Politikwissenschaft existiert Europa ausschließlich als „konstruierter Begriff“ (Hobsbawn 1996).

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  81. „Westeuropa ist als territoriale Einheit soziologisch amorph, als Erkenntnisobjekt nicht mehr evident, gewissermaßen ‚natürlich‘ gegeben. ‚Westeuropa‘ konstituiert sich heute (..) durch neue Regimebildungen, die sich territorial überlagern, durchschneiden und ergänzen.“ (Lepsius 1991a, 311). Insbesondere die neuen Regimebildungen und Regulierungsformen im Sozialbereich stehen im Zentrum meines Interesses.

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  82. Im Gegensatz zum Ansatz der Pariser „école de la régulation“ (um R. Boyer, Alain Lipietz etc.), der die vielfältigen Dimensionen sozialen Handelns ausblendet, also einer reduktionistischen Verkürzung erliegt (Mahnkopf 1988), soll hier speziell die soziale Handlungsdimension mit erfaßt werden.

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  83. Bode et al. 1994, 11, 123. Genereller meint Deregulierung Entfesselung der Marktkräfte, Freisetzung der nationalstaatlich zivilisierten kapitalistischen Ökonomie, die insofern einem Entzi-vilisierungsschub gleichkommt, als keine kompensatorische — europäische, internationale — Re-zivilisierung erfolgt. Rogowski et al. (1997, 3ff., 12) situieren den Begriff Deregulierung im Sinne von Sinzheimers Idee der „sozialen Selbstbestimmung im Recht“ als Wiederbelebung der Selbstregulierungskräfte.

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  84. Gerechtigkeit ist eine umfassende sozialethische Kategorie. Als Wert basiert Gerechtigkeit auf unabdingbaren Axiomen, die nicht weiter begründet werden können. Die Kategorie „soziale Gerechtigkeit“ bezeichnet den Anspruch auf Durchsetzung des Gleichheitsprinzips in sozialökonomischen Verhältnissen, nicht Gleichmacherei, Nivellierung oder Egalitarismus, sondern eher schützende Gerechtigkeit, eine komplementäre Beziehung von Gleichheitsprinzip und Gerechtigkeit (Zinn 1989). Giddens geht von der Annahme aus, daß „Staat“ durch „soziale Gerechtigkeit“ bestimmt wird und in der Definition des modernen Staates Eingriffe in die Wirtschaft enthalten sind (Giddens 1997, 186).

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  85. Flexibilität ist stets im Zusammenhang mit Rigidität und in hochentwickelten Gesellschaft nur als komplexes Mischungsverhältnis beider zu denken, da ein hochentwickelter Organismus im Unterschied zu einer Meduse Zusammenhalt findet und aufrecht erhalten wird durch eher rigide Strukturen.

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  86. Die Verfechter von Regulierung finden prominente Unterstützung in Joseph Stiglitz, Vizepräsident und Chefvolkswirt der Weltbank in Washington seit Februar 1997, der angesichts der Krise in Südostasien betonte: „Ich würde über diesen speziellen Fall hinaus sagen, daß einige Länder heute in Schwierigkeiten stecken, weil sie über zuwenig Regulierung verfügten und nicht etwa zuviel.“ (Die Zeit Nr. 43 vom 17. Oktober 1997, 32). Lütz arbeitete heraus, daß selbst im Sektor der Finanzmärkte nicht die Rückkehr einer reinen Marktherrschaft, sondern paradoxerweise die des Nationalstaates, der auch unter den Bedingungen zugespitzter Internationalisierung zentrale Funktionen für die nationalen Ökonomien übernimmt, konstatierbar ist (Lütz 1997, 491f.).

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  87. Unter dem Begriff „intermediäre Organisationen“, der dem nationalstaatlichen Gesellschaftsbild entstammt — im Französischen häufig: pouvoirs intermédiaires, also intermediäre Mächte -, werden Gewerkschaften, Verbände, Vereine, kurz: unabhängige Körperschaften und öffentliche Institutionen, die eine Mittlerrolle einnehmen, subsumiert (cf. Streeck 1987, 472ff.). Müller-Jentsch (1986, 63) zufolge sind moderne Gewerkschaften intermediäre Organisationen, für die nicht die ungebrochene Vertretung der Mitgliederinteressen konstitutiv ist, sondern deren „Vermittlung bzw. Mediatisierung“. Als stabilste Form der Interessenvermittlung bezeichnet er die Kooperation (Müller-Jentsch 1986, 65). In westlichen Systemen leisten Parteien, Verbände, Bürgerbewegungen, Medien, Kirchen die Aggregation und Integration gesellschaftlicher Interessen. Sie strukturieren als kollektive Träger dieser Interessen die Beziehungen zwischen den Regierenden und den Regierten, sind Vermittlungsinstanzen zwischen der Gesellschaft und den staatlichen Entscheidungsarenen (cf. Merkel 1998, 22).

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  88. Aus integrationstheoretischer Perspektive sind vier Aspekte des Nationalstaats, die es auf europäischer Ebene „aufzuheben“ gilt, von besonderem Interesse und Lepsius bezieht in diesem Zusammenhang explizit die soziale Komponente ein: 1. die Institutionenordnung, die Interessenkonflikte institutionalisiert und kollektive Arbeitsbeziehungen regelt, 2. die Legitimationsbeschaffung durch Parlament, Opposition, Tarifparteien, Berufsverbände, Kirchen, öffentliche Meinung, 3. die Konstitution einer Vorstellung von kollektiver Solidarität, durch die Ungleichheiten über Verteilungs- und Umverteilungsentscheidungen ausgeglichen werden, 4. die Sicherung der Binnenautonomie im ethnisch-kulturellen Bereich. Wie ist es um diese Problemfelder auf europäischer Ebene bestellt? Die kollektiven Arbeitsbeziehungen und die Regulierung von Interessenkonflikten sind bislang nur ansatzweise und punktuell in institutionelle Formen (Sozialdialog, Eurobetriebsräte, Kollektivverhandlungen) gegossen; die Legitimationsbeschaffung reicht über die Tätigkeit des direkt gewählten Europäischen Parlaments, das nur begrenzte Wirkungen in den einzelnen Nationalstaaten entfalten kann, und die Öffentlichkeitsarbeit der Kommission kaum hinaus; die Ausgleichsfonds wirken als soziale Palliative, die — abgesehen vom Agrarfonds — ebenfalls nur einen eingeschränkten Wirkungskreis haben; die Sicherung der kulturellen Autonomie steht weitgehend aus, da die kulturelle Dimension im Integrationsprozeß bislang vernachlässigt oder nur aus ökonomischer Perspektive betrachtet wurde (bspw. Preisbindung für Bücher); kurzum: die von Lepsius benannten Felder sind bislang kaum europäisiert. Allerdings ergibt ein Blick auf diesen Ausschnitt ein unvollständiges und damit verzerrtes Bild, da supranationale Institutionen existieren, die eigenständig eine gemeinschaftliche (Sozial-)Politik betreiben.

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  89. Ein Überblick über nationale Implementierung europäischer Gesetze findet sich in: Soziales Europa. Beiheft 4/1996, 53–64.

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  90. Der Objektbereich der „industrial relations“ wurde in der Bundesrepublik erst seit den 70er Jahren systematisch analysiert. Industrielle Beziehungen steht für „die Gesamtheit der Beziehungen zwischen Unternehmen und abhängig Beschäftigten“ (Fuchs-Heinrits 1994, 100f.).

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  91. Der zur Präzisierung vorgeschlagene Terminus „Lokalisierung“ (Junne 1996, 514) birgt ebenfalls Mißverständnisse, da er bereits eine eigene Bedeutung transportiert.

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  92. Exportrate von durchschnittlich 12,9 Prozent. Ceteris paribus gilt seit jeher: Je größer ein Land, desto niedriger die Exportrate. Die Direktinvestitionen von 1913 oder 1929 zeigen, daß auch in diesem Bereich schwerlich von etwas völlig Neuem die Rede sein kann. Die Handelsraten von 1913 übertrafen die von 1973 (Hirst et al. 1996, 27).

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  93. Im Jargon der Gemeinschaft steht einzelstaatlich synonym zu nationalstaatlich und im Gegensatz zur Gemeinschaft.

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  94. Das Insistieren auf einem europäischen Sozialmodell ist weder unzeitgemäß noch abwegig. Die Vereinten Nationen organisierten nicht zufällig — nach ihrem Umweltgipfel von Rio de Janeiro 1992, ihrer Weltbevölkerungskonferenz von Kairo 1994 — einen Weltsozialgipfel in Kopenhagen 1995, um nach dem Zusammenbruch der globalen Bipolarität und in Zeiten beschleunigter Internationalisierung eine Neubestimmung der sozialen Entwicklung zu initiieren und Vorschläge zur Bekämpfung von Armut, Arbeitslosigkeit, sozialer Ausgrenzung und zur sozialen Gestaltung der Weltwirtschaft, sogar zur Schaffung eines Weltsozialstaates zu unterbreiten. Der damalige UN-Generalsekretär Boutros-Ghali plädierte dafür, einen „Sozialpakt“ abzuschließen, um Eckpfeiler eines sozialen und ökologischen Handlungsrahmens und damit Umrisse einer Weltsozialpolitik durchzusetzen, ein globales soziales Sicherheitsnetz, um Exklusion, Marginalisierung und weitere gesellschaftliche Desintegrationsfaktoren wie die Überbewertung der Marktregulierung zu konterkarieren (Coméliau 1995). Die vorgeschlagenen Minimal-Regularien (Grundschulbildung für alle, eine elementare Gesundheitsversorgung etc.) sind in Westeuropa kein Thema mehr und es wäre sinnvoll gewesen, die Meßlatte für hochentwickelte Industrienationen höher zu hängen, also zu differenzierten, abgestuften Sozialstandards zu gelangen.

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  95. Der Begriff „Sozialmodell“ ist nicht zu verwechseln mit dem umfassenderen Terminus „Gesellschaftsmodell“, der eine umfassende soziopolitisch-ökonomische Bezeichnung für einen Typus von Gesellschaften darstellt. „Sozialmodell“ ist einerseits deskriptiv verwendbar, also zur Beschreibung der Realität, andererseits normativ, als Blick auf das zu erreichende Ziel (cf. Kapitel 2.3.6 und insbesondere Kapitel 5.3).

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  96. Jungk 1986, 36; cf. Hauff 1982, 3 („ausgesprochenes Theoriedefizit“). Jungk kritisiert weiter, daß die Implementationsproblematik „nahezu völlig außer acht“ gelassen, Sozialpolitik „wesentlich als Einkommensverteilungspolitik“ betrachtet, die Möglichkeit allgemeiner Arbeitslosigkeit nicht in Betracht gezogen und aus Arbeitskräftewanderung resultierende sozialpolitische Probleme nicht wahrgenommen wurden (Jungk 1986, 36). Die Kritik trifft mittlerweile nur noch bedingt zu.

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  97. Eine Referierung von Integrationstheorien in extenso erscheint mir nicht sinnvoll, da es in dieser Studie um einen bestimmten Aspekt von Integration geht, den die meisten Theorien vernachlässigen. Die Geschichte der Forschung läßt sich unter dem Blickwinkel wissenschaftsinterner Entwicklungsdynamik als Aufeinanderfolge analytischer Schwerpunktverlagerungen beschreiben, in der ein zunehmend adäquateres Verständnis von Institutionen der kooperativen Problembearbeitung und Konfliktregelung zum Ausdruck kommt (Rittberger 1994, 84). In grober Annäherung lassen sich drei Phasen der politikwissenschaftlichen Europaforschung unterscheiden (cf. Jachtenfuchs 1996, 214ff.): 1. Die erste Phase umfaßt Entstehung und Entwicklung der europäischen Institutionen. Sie ist durch die Dominanz des Funktionalismus gekennzeichnet, beginnt mit dem bahnbrechenden Werk von E. Haas über „The Uniting of Europe“ und erstreckt sich bis zum Anfang der 70er Jahre. Die gesellschaftlichen Akteure, deren Interessen von den europäischen Institutionen besser befriedigt werden können als von den Nationalstaaten, spielen die Hauptrolle. Integration ist in dieser Sichtweise ein Phänomen, das sich nicht auf bewußte integrationspolitische Strategien stützt, sondern gleichsam hinter dem Rücken der Beteiligten wirkt. Auch wenn sich zentrale Erwartungen des Funktionalismus nicht erfüllten, bietet das inzwischen verfeinerte neofunktionalistische Analysemodell eine Alternative zu Ansätzen, die die Integration ausschließlich als Resultat bewußter Aushandlungsprozesse von Staaten verstehen. 2. Die zweite Phase beginnt mit der Hinwendung führender neofunktionalistischer Theoretiker zu neuen Forschungsgebieten (Regimetheorie, Neokorporatismus) und dauert vom Anfang der 70er bis zum Ende der 80er Jahre. Zahlreiche deskriptive Einzelfallstudien entstehen, eine systematische Theoriebildung findet nicht statt. 3. Ein erneutes Interesse an übergreifenden theoretischen Fragestellungen entwickelt sich Ende der 80er Jahre, vor allem aus der Perspektive der Theorie der Internationalen Beziehungen, aber auch des politökonomischen Ansatzes. Die theoretischen Präferenzen hängen mit der Entwicklung des Integrationsprozesses selbst zusammen: Das funktionalistische Paradigma „Form folgt der Funktion“ lenkte das Augenmerk in den 50er und 60er Jahren auf sich gleichsam automatisch aus dem Entwicklungsprozeß ergebende Anpassungsleistungen. Die Konzepte zur theoretischen Einordnung waren vielfältig: „unvollendeter Bundesstaat“, „Staatenbund“, „internationales Regime“. Die nordamerikanische Politikwissenschaft dominierte in dieser Zeit den theoretischen Diskurs zur europäischen Integration (cf. Merkel 1998, 2). Auf die funktionalistische Euphorie der Gründerjahre folgte mit dem „Luxemburger Kompromiß“ 1966 ein nachhaltiger Spill-back, eine zwanzigjährige Stagnationsphase und ein Paradigmenwechsel hin zur Brille eines nüchternen Realismus. Die Ratifizierung der EEA Mitte der 80er Jahre und die durch das Binnenmarktprojekt freigesetzte neue Integrationsdynamik machten funktionalistische und neofunktionalistische Vorstellungen wieder aktuell (cf. Schneider et al. 1989, 409ff.). Erst seit Mitte der 80er Jahre kann in der Bundesrepublik Deutschland von einer anspruchsvollen und theoriegeleiteten politikwissenschaftlichen Integrationsforschung die Rede sein (cf. Merkel 1998, 2). Als durchgängiger neuerer Trend der Theorieentwicklung ist zu beobachten, daß die Analyse sich vermehrt dem „Regieren ohne Staat“, „supranational governance“ zuwendet.

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  98. Rittberger 1994, 77f.; Bellers 1984b, 354f. Als Hauptexponenten für die föderalistische Theorie sind Carl J. Friedrich („Europa. Nation im Werden“, Bonn 1972), für die funktionalistische David Mitrany („A Working Peace System“, Chicago 1943) und Ernst B. Haas („The Uniting of Europe“, London 1958) zu nennen (cf. Bellers 1994, 149f.). Kohler-Koch et al. (1996c, 158f.) ordnen Mitrany dem Funktionalismus und Haas der kritischen Reflexion und Überarbeitung funktionalistischer Annahmen, die zum neofunktionalistischen Ansatz führte, zu (ebenso: Bellers 1994, 151). Zentraler Ausgangspunkt des Neofunktionalismus ist die Annahme pluralistisch verfaßter Gesellschaften.

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  99. Der institutionalistische Ansatz betont die Bedeutung organisatorischer Strukturen, formaler Regeln und dominanter Steuerungsmechanismen (Héritier 1993, 434). Institutionen sind Regelsysteme; Institutionalisierung ist der Prozeß der Regelbildung, -anwendung und -interpretation. Institutionen befinden sich entgegen dem mit ihnen assoziierten Bild der Stabilität und Beständigkeit in ständiger Entwicklung. Indem sie Regeln interpretieren und anwenden, modifizieren sie diese und konstituieren deren Bedeutung (cf. Stone Sweet et al. 1997, 310).

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  100. Jachtenfuchs et al. 1996, 9. Eine andere, komplexere Einteilung schlägt Hix (1994, 23) vor: I. International Relations Paradigms: 1. Pluralist Approaches: a) transactions or communications approach, b) theory of neofunctionalism, c) interdependance, 2. Realist Approaches: a) Intergovernmentalism, b) Preference-Convergence, c) Elite-Bargaining, 3. Structuralist Approaches: a) Marxist school, b) constructivist school, 4. Institutional Approaches: a) functionalism, b) federalism; II. Comparative Politics: 1. Pluralist Approaches: a) Pluralism, b) Post-Pluralism, c) Neo-Corporatism, 2. Rational Choice Approaches, 3. Sociological Approaches, 4. ‚01d‘ and ‚New‘ Institutional Approaches. Diese fein ziselierte Ausdifferenzierung erfaßt sozialpolitische Fragen nur marginal und ist daher aus sozialpolitischer Perspektive unergiebig. Kohler-Koch et al. (1996c, 156f.) bezeichnet den von K. Deutsch ausgehenden kommunikationstheoretischen Ansatz auch als transaktionistisch bzw. pluralistisch. Diesem Ansatz zufolge konstituieren gemeinsame Kommunikationsmuster (Transaktionen) nationale und internationale Gesellschaftsbildungen (Bellers 1994, 152).

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  101. In der marxistischen Version handelt es sich um eine Bestandssicherungsstrategie für das kapitalistische System durch regulative Intervention, in der systemtheoretischen um eine Funktion der ökonomischen, technologischen, politischen Umwelt, letztlich eine Folge von (System-)Notwen-digkeiten.

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  102. Cf. Armingeon 1994b, 17. Die konflikttheoretische Schule als Konglomerat marxistischer und neomarxistischer Ansätze geht von der Annahme aus, daß die Entwicklungsdynamik aus strukturbedingten gesellschaftlichen Widersprüchen resultiert (Rittberger 1994, 81; als Beispiel: Bieling 1995, 133ff.).

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  103. Ein kontrovers diskutiertes, aber zentrales Konzept des (Neo-)Funktionalismus ist „spillover”. Ich fasse spillover nicht als Automatismus auf, sondern als komplexen Prozeß von Interaktion und Interdependenz, in dem auch Lernprozesse einen wichtigen Stellenwert einnehmen (cf. Kim 1997, 23). „Spillover“ weist mindestens drei Dimensionen auf: „functional spillover“ als Aufgaben- und Funktionsausweitung, „political spillover“ als Ausrichtung oder Ausweitung politischer Aktivitäten von der nationalen auf die supranationale Ebene, „geographical spillover“ als geographische Ausweitung. „Spillover“ läßt sich konzeptualisieren als drei verschiedene Wege oder Mechanismen der Funktions- oder Aufgabenausweitung: „functional spillover“ durch Verbindungen zwischen auftauchenden Problemen aufgrund inhärenter Charakteristika, durch sachlogische Verknüpfung, „cultivated spillover“ durch freiwillig von den politischen Akteuren hergestellte Verknüpfungen, „political spillover“ durch Redefinition oder Neuorientierung politischer Aktivitäten oder Ausrichtungen durch politische Akteure (cf. Welz et al. 1993, 145ff.). Die (neo-) funktionalistische Ansicht, daß die Gemeinschaft graduell, aber zunehmend den Nationalstaat in seinen Funktionen ersetzt, ist problematisch. Die Anhänger der Denkfigur, die sich von der Überwindung nationalstaatlicher Begrenzungen eine höhere Problemlösungskapazität supranationaler Institutionen verspricht, ignorieren das Gegenbeispiel des Agrarbereichs, in dem die Produktion suboptimaler Resultate auf Kosten der Verbraucher systematisiert wurde.

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  104. Pinder 1968, 90ff., lieferte die klassische Definition: „negative“ Integration als „the removal of [non-tariff] discrimination“ und „positive“ Integration „as the formation and application of coordinated and common policies in order to fulfil economic and welfare objectives other than the removal of discrimination“. Die Bezeichnung „negative Integration“ ist nicht als Wertung des Integrationsprozesses mißzuverstehen (Wieland 1991, 430).

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  105. Der hohe Stellenwert negativer Integration hat theoretische Gründe: „Die Liberalisierung der internationalen ökonomischen Transaktionen und der Abbau von Diskriminierungen sind mit Erweiterungen des außenhandelstheoretischen Instrumentariums erfaßbar und modellhaft formalisierbar.“ (Jungk 1986, 38) und praktische: Integrationsprozesse beginnen in der Regel mit Maßnahmen negativer Integration, da positive Integrationsmaßnahmen politisch weniger konsensfähig sind. Zudem sind manche Akteure wie transnationale Konzerne oder nationale Regierungen zwar an negativer, aber nur bedingt an positiver Integration interessiert.

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  106. Hix ordnet den „constructivist approach“ ebenso wie die marxistische Schule dem Strukturalismus zu (Hix 1994, 9f.), obwohl Akteure eine entscheidende Rolle spielen. Hix bestätigt, daß der europäische Integrationsprozeß in das konstruktivistische Rahmenwerk paßt, doch bemängelt er das Fehlen eines Konzepts für politische Konflikte auf europäischer Ebene. Mir scheint es relevant, politische Prozesse und damit auch Konflikte nicht als eindimensionale zu betrachten, so als handelten und positionierten sich die Akteure auf einem Kontinuum zwischen „mehr“ und „weniger“ Integration (cf. Hix 1994, 15), die als ideologisches Neutrum quer zu den üblichen politischen Konfliktlinien läge, wohingegen doch die Frage von mehr oder weniger Integration selten an sich interessiert, sondern nur in dem Maße, in dem sie Politikinhalte beeinflußt (Genschel 1998, 55).

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  107. Hix zufolge akzeptieren die „rational choice approaches“ wie alle „comparative politics approaches“ das Gemeinschaftssystem als gegeben und stellen Fragen nach der Natur politischen Verhaltens innerhalb und zwischen den Gemeinschaftsinstitutionen (Hix 1994, 15). Damit verschließen sie den Blick vor „Neukonstruktionen“, die durch Vertragsrevisionen entstehen. Hix plädiert vehement für komparative Ansätze, bleibt aber in der naheliegenden Frage der Referenzpunkte der Komparatistik vage. M.E. lassen sich die von Hix benannten Klippen auch mit einer Kombinatorik vermeiden.

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  108. Reflexivität bezieht sich auf den Gebrauch von Informationen über die Bedingungen der Tätigkeit, um zu Neuordnungen und Neubestimmungen zu gelangen. Sie ist sowohl Voraussetzung als auch Ergebnis der posttraditionalen Gesellschaft (Giddens 1997, 126f.).

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  109. „single market without a single state“, „supra-national market-making without supra-national state-building“ (Streeck 1994a, 156).

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  110. Cram 1993, 143: „Policy-making as a learning process“.

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  111. „Regieren“ im Sinne der „bewußten Setzung von allgemein verbindlichen Handlungszielen und Maßnahmen zu ihrer Realisierung“ (cf. Kohler-Koch et al. 1996, 537f.). Regieren ist in diesem Sinne also nicht die Bezeichnung für die Tätigkeit einer Regierung.

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  112. Die alte Bodinsche Sicht von Souveränität als einem fixem Quantum wird mit der Konzeption exklusiver „governmental powers“, auf der sie basiert, obsolet: Wenn eine (staatliche oder nichtstaatliche) Agentur an Souveränität gewinnt, muß dieser Gewinn nicht auf Kosten anderer Agenturen gehen (Jean Bodin, On Sovereignty, 1576, nach: Hirst et al. 1996, 155; Bodin 1981, 205ff.).

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  113. „In some sectors, the competence to govern is held exclusively by the Community; in others, national institutions are the primary sites of policy-making; and, in many domains, the transfer of power from the national to the supranational level has been only partial. Within the same policy sector, the answer to the question, ‚who governs?‘, has changed over time.“ (Stone Sweet et al. 1997, 299).

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  114. Cf. die Auflistungen bzw. Abdrucke solcher gemischter Rechtsakte in: Conseil 1997a, 73 („Résolution du Conseil et [sic!] des Ministres du Travail et des Affaires Sociales, réunis au sein du Conseil“), 143 („Résolution du Conseil et [sic!] des Représentants des Gouvernements des États Membres réunis au sein du Conseil“), 161f., 276–279, 329, 334, 348.

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  115. Transaktionen gestalten sich einfacher unter einer europäischen Regelung als unter fünfzehn nationalen, und daher sind viele Protagonisten durchaus geneigt, sich an eine europäische Regelung anzupassen.

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  116. Ein Beispiel: Die Regierungen mehrerer Mitgliedstaaten sträubten sich gegen die Liberalisierung des Telekommunikationsbereichs, aber im Schatten der Urteile des Europäischen Gerichtshofs und der Fähigkeit der Kommission, mit Artikel 90 Richtlinien am Rat vorbei zu lancieren, einigten sie sich auf eine schnellere, weitreichendere und koordiniertere Deregulierung, als irgendein Mitgliedstaat zu irgendeinem Zeitpunkt ursprünglich beabsichtigte (cf. Stone Sweet et al. 1997, 308, 311f.). Die intergouvernementalistische Theorie ist nicht in der Lage, solche unvorhersagbare Dynamik zu erklären, da sie Regierungen als Vermittler zwischen nichtstaatlichen nationalen Akteuren und Gemeinschaftspolitiken betrachtet und als Herren des Integrationsprozesses, die die Richtung angeben und die Grenzen abstecken, doch der Integrationsprozeß ist nicht auf Verhandlungen (bargaining) zwischen Regierungen reduzierbar. Die Interessen der Gemeinschaftsinstitutionen, der transnationalen Akteure und der sich herausbildenden transnationalen Zivilgesellschaft gewinnen zunehmend an Einfluß. Die Zunahme von Gemeinschaftsregeln und Urteilen des Europäischen Gerichtshofs läuft auf eine relative Stärkung der transnationalen Akteure hinaus.

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  117. In vielen Arbeiten über kollektive Arbeitsbeziehungen spielt der Staat nur eine randständige Rolle. Da grundlegende prozedurale Regelungen der Arbeitsbeziehungen meist das Ergebnis staatlicher Normensetzung sind, halten manche Autoren eine Rehabilitierung des Staats als eines Hauptakteurs für fällig (Armingeon 1994b) bzw. auf europäischer Ebene die der staatsähnlichen Agenturen. Auf die Frage, ob auf europäischer Ebene ein Staat notwendig ist, um Sozialpolitik in nennenswerter Weise voranzubringen, komme ich zurück (cf. Kapitel 5.1.1).

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  118. Der wissenspolitologische Ansatz kritisiert am Neokorporatismus, daß es bloß darum gehe, „die strukturellen Asymmetrien auf der Verbandsebene ausfindig zu machen, die die Verwirklichung eines vollkommenen Interessengruppenliberalismus verhinderten, um die Realitätsferne des Idealtyps ‚freier Interessenkonkurrenz‘ aufzuzeigen“ statt den politischen Prozeß im Gefolge von Weber als „Summe intentional gesteuerter Akte“ zu begreifen (Nullmeier et al. 1993, 37f.). Diese pauschale Kritik läßt außer acht, daß die Vorausssetzungen für ein Tauschgeschäft auf gleichberechtigter Grundlage durch die wachsende internationale Abhängigkeit und die zunehmenden exogenen Gefährdungen der nationalen Volkswirtschaften seit den 80er Jahren spürbar erodiert sind. Der erklärende Rückgriff auf Machtkonstellationen darf nicht zu Verkürzungen fuhren: In der „Gruppentheorie“ der Politik ist staatliches Handeln die Resultante der Druckausübung organisierter sozialer Gruppen, wobei von einer prinzipiell gleichen Organisations- und Konfliktfähigkeit gesellschaftlicher Interessen ausgegangen wird, die für die Organisation von Arbeits- und Kapitalinteressen besonders umstritten ist. Als weitere problematische Grundannahme kommt die einer weitgehenden Neutralität des Staates hinzu (cf. Armingeon 1994b, 163).

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  119. Tömmel 1992, 204. Im Unterschied zu Wessels (1992, 40), der eine Fusion nationaler und europäischer Strukturen vermutet, hebt Tömmel den fraktionierten und offenen Charakter des Integrationsprozesses hervor (Tömmel 1992, 202f.). Soziale Belange werden — so Tömmel — durch den direkten Einbezug der Marktkräfte wirksam aus dem Integrationsprozeß ausgeklammert, was den funktionalen, effektiven Charakter des Systems stärkt (Tömmel 1992, 205). Diese These läßt sich in dieser Allgemeinheit nicht mehr halten, wie ich im folgenden aufzuzeigen versuche.

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  120. Zwei Ausgangspunkte der wissenschaftlichen Betrachtung europäischer Sozialpolitik sind denkbar (cf. Keller 1995c, 4): - Von den Problemen oder Politikfeldern ausgehend zu fragen: Welche (transnationalen, grenzüberschreitenden) Probleme bieten sich für eine europäische Lösung an? In einem zweiten Schritt wäre zu klären, welche Akteure diese Probleme bearbeiten können, und in einem dritten Schritt, ob für diese Akteure eigentlich Institutionen existieren und ob diese umzugestalten sind. - Von der Institutionenstruktur ausgehend: Welche Institutionen zur Problemverarbeitung sind vorhanden? In einem weiteren Schritt wäre dann zu fragen, ob diese sinnvoll für die zu lösenden Probleme zugeschnitten sind, und schließlich, wie welcher Bereich regelbar wäre.

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  121. Die Erosion traditioneller sozialstaatlicher Regulierungsmuster manifestiert sich in vielfältigen Formen: Dazu gehören die Reduzierung arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen, die Rücknahme von Sozialleistungen, flankiert von der Zurückdrängung des „Normalarbeitsverhältnisses“ (Mückenberger 1985), die Individualisierung der Arbeitsverhältnisse sowie der Trend zur Dezentralisierung und „Verbetrieblichung“ der kollektiven Interessenvertretung, der partiell von einer Vernetzung der Betriebe begleitet ist.

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  122. Cf. Hauser 1995a, 237ff. Pieters trifft keine Unterscheidung, für ihn reicht der Begriff Harmonisierung von Konvergenz und Koordinierung bis zur partiellen und totalen Vereinheitlichung der Sozialversicherungssysteme (Pieters 1991, 180). Ihm zufolge ersetzte die Kommission bloß den Begriff Harmonisierung durch Konvergenz. „Häufig endet der Versuch einer Begriffsbestimmung darin, ein Wort durch ein anderes zu ersetzen: Für Harmonisierung werden dann Ausdrük-ke wie Angleichung, Annäherung, Anpassung, Egalisierung, Gleichmacherei, Gleichschaltung, in Einklang bringen, Abstimmung, Koordinierung, Nivellierung, Uniformierung, gemeinsames Vorgehen usw. benützt.“ (Domsch 1973, 7).

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  123. Cf. Schulz 1996, 154. Mindeststandards sollen nicht das jeweils niedrigste Niveau fixieren, sondern das tragbarste höchste Niveau. Sie können Fortschritte selbst bei den sozialen Spitzenreitern der Gemeinschaft bewirken: Die Richtlinie über Arbeitszeitgestaltung 93/104 bringt in Westdeutschland etwa 200.000 meist weiblichen Arbeitnehmern einen Mindesturlaub von vier Wochen an Stelle der gesetzlich vorgeschriebenen drei Wochen; die Richtlinie über Bildschirmarbeit 90/270 betritt völliges Neuland und verpflichtet Deutschland, rechtsverbindliche Arbeitsschutzregeln festzulegen; der Arbeitsschutz reicht weiter als das deutsche Arbeitsschutzkonzept, da es psychische Belastungen durch Streß, Arbeitsmonotonie, schlechte Arbeitsorganisation berücksichtigt (Schulz 1996, 154f.).

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  124. Die Vermeidung negativer Externalitäten visiert die Nebenwirkungen, negativen Folgen des eigenen Handels in Termini von Schadensbegrenzung an.

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  125. Zu deren Konsum der Staat das Individuum verpflichtet wie bspw. zur Schulausbildung.

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  126. ABl L 22 v. 29.1.1996; cf. Chassard et al. 1995, 778. — Der Haushalt 1995 betrug 75,1 Mrd. ECU und 1997 82,3 Mrd. ECU (ABl L 44 vom 14. Februar 1997, 7).

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  127. Diese Definition, die Sozialregulierung zu einem Kernbestandteil moderner Wohlfahrtsstaaten deklariert, hat zur Folge, daß die These, der bundesdeutsche Sozialstaat bilde „im Kern“ einen Sozialversicherungsstaat, ein nationales „System der versicherungsförmig organisierten sozialen Sicherung“ (Olk et al. 1994, 9), dahingehend differenziert werden muß, daß der Wohlfahrtsstaat neben diesem einen weiteren Kern besitzt, den der sozialen Regulierung in einerseits gesetzlicher, andererseits kollektivvertraglicher Form.

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  128. „Der Prozeß der europäischen Integration wurde in den letzten Jahren wieder verstärkt zum Gegenstand sozialwissenschaftlicher Forschung.“ (Kohler-Koch et al. 1996, 537).

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  129. Es befaßte sich vorrangig und systematisch mit Integrationstheorie (Schneider 1992, Wessels 1992, Zellentin 1992), mit Akteuren und Interessen (u.a. Windolf 1992, Niedermayer 1992), mit der Europäisierung von Politikfeldern und schließlich der politischen Organisation Gesamteuropas.

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  130. Er verficht die These, daß „die vielbeklagte Politikverdrossenheit der Bürger zentral mit dem Funktionsverlust und der gleichzeitigen Überforderung der Nationalstaaten zu tun hat“ (Loth 1994, 3f.). Diese Auffassung läßt sich dahingehend deuten, daß das Sozialdefizit — neben dem Legitimitäts- und Demokratiedefizit (Weiler 1988; Kowalsky 1997c) — ein Kernproblem der weiteren Gemeinschaftsentwicklung ist: „die Frage, wie die zivilisatorischen Errungenschaften des nationalen Wohlfahrtsstaats in eine wie auch immer strukturierte und ausdifferenzierte europäische Gemeinschaft hinübergerettet werden können“ (Loth 1994, 6). Die „Forcierung der Diskussion über ein europäisches Gesellschaftsprojekt“ (l.c.) hält er von daher zu Recht für zwingend geboten.

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Kowalsky, W. (1999). Relevanz — Erkenntnisinteresse — Aufbau der Studie. In: Europäische Sozialpolitik. Grundlagen für Europa, vol 4. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-93329-4_1

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