Zusammenfassung
Im Jahre 1897 erschien, zunächst als limitierter Privatdruck und bald darauf „Im Verlage der Blätter für die Kunst“, ein Band mit Gedichten, deren fast dreißigjähriger, noch wenig bekannter Verfasser seine Sammlung mit einem eigenartig dunklen, doch zugleich andeutungsvoll programmatischen Titel versehen hatte: „Das Jahr der Seele.“1 Dieses auf Friedrich Hölderlin weisende Motto klang wohl manchem bei der ersten Wahrnehmung fast biedermeierlich, nach deutscher Innerlichkeit und romantischer Tradition; auch schien das von Melchior Lechter gestaltete Titelblatt mit seinem inmitten eines Blumengartens orgelspielenden Engel in solche Richtung zu weisen. Doch hätte, wer damals oder später die Seelenbetonung des Dichters wie auch das visualisierende Spiel seines Illustrators mit weit zurückreichenden Symbolen (der durch die Kunst sprechende Engel als christianisierter Nachfahr jenes Schmetterlings, der den antiken Griechen die menschliche Seele bedeutete) als selbstbefangenen Innerlichkeitskult auffaßte, beides gründlich mißverstanden. Zwar schwangen, wie oft bei lyrischen Bekundungen, auch in den Versen Stefan Georges persönliche Erfahrungen mit, hier zumal die Liebe zur Bingener Freundin Ida Coblenz und die 1896 erfolgte Trennung von ihr, die einen anderen, den Schriftsteller Richard Dehmel, heiratete. Doch bliebe dergleichen belanglos und George ein Dichter geringer Statur, wäre es ihm nicht gelungen, seine privaten Eindrücke lyrisch vergessen zu machen, das Persönliche in Allgemeineres umzudeuten und in weiters gültige Kunstform zu bannen.
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Anmerkungen
Stefan George, Das Jahr der Seele, Berlin 1897, hier zit. 9. Auflage Berlin 1920.
A.a.O., S. 49.
A.a. O., S.94.
Vgl. Franz Schonauer, Stefan George mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek bei Hamburg 1960, S. 60.
Zit. nach Werner Volke, Hugo von Hofmannsthal mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek bei Hamburg 1967, S. 23.
Vgl. Ernst Johann (Hrsg.), Reden des Kaisers. Ansprachen, Predigten und Trinksprüche Wilhelms II, München 1966, S. 99–103.
Vgl. Johann Georg Prinz von Hohenzollern und Peter-Klaus Schuster (Hrsg.), Manet bis van Gogh. Hugo von Tschudi und der Kampf um die Moderne, Berlin und München 1996.
Vgl. Peter Grupp, Harry Graf Kessler 1868–1937. Eine Biographie, München 1995.
Thomas Nipperdey, Wie das Bürgertum die Moderne fand, Berlin 1988.
Richard Alewyn, Unendliches Gespräch (1954), in: Über Hugo von Hofmannsthal, Göttingen 1963, S.17–44, hier zit. S.44 (Hofmannsthal).
Harry Graf Kessler, Der deutsche Künstlerbund (1904), in: Künstler und Nationen. Aufsätze und Reden 1899–1933, hrsg. von Cornelia Blasberg und Gerhard Schuster, Frankfurt am Main 1988, S. 66–77, hier zit. S.69.
Sigmund Freud, Das Unbehagen in der Kultur, Wien 1930.
Hugo von Hofmannsthal, Der Schwierige. Lustspiel in drei Akten (Uraufführung 1921), in: Gesammelte Werke in Einzelausgaben. Lustspiele II, Frankfurt am Main 1948, hier zit. S. 195.
Edmond und Jules de Goncourt, Tagebuch, Eintragung vom 16. Januar 1867, München 1947, S. 160.
Vgl. Hans Peter Thurn, Der Kunsthändler. Wandlungen eines Berufes, München 1994.
Karl Scheffler, Die fetten und die mageren Jahre. Ein Arbeits-und Lebensbericht, Leipzig und München 1946, S. 54.
Wilhelm Uhde, Von Bismarck bis Picasso. Erinnerungen und Bekenntnisse, Zürich 1938.
Vgl. Hans Peter Thum, Kulturbegründer und Weltzerstörer. Der Mensch im Zwiespalt seiner Möglichkeiten, Stuttgart 1990.
Jakob van Hoddis, Weltende. Gesammelte Dichtungen, Zürich 1958, S. 28.
Hugo von Hofmannsthal, Brief an Marie-Luise Borchardt vom 21.3.1923, in: Hugo von Hofmannsthal/Rudolf Borchardt, Briefwechsel, Frankfurt am Main 1954, S. 174.
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Thurn, H.P. (1997). Zwischen Reform und Restauration. In: Bildmacht und Sozialanspruch. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-93314-0_9
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