Zusammenfassung
Die ‚Frau um 40‘, die vor den Wechseljahren steht und erste einschneidende ‚psychische Probleme‘ hat, steht im Mittelpunkt eines Buches, das Alfred Dannhauser, Nervenarzt in Stuttgart zeitgleich mit Zacherls Überblickswerk veröffentlicht.178 Der Titel des Buches ‚Die Tragödie der Frau‘ hat programmatischen Charakter. ‚Probleme der reiferen Jahre‘ und im Rückbezug auf Karin Michaelis auch der ‚kritischen Jahre‘ will Dannhauser in seiner leicht verständlichen Darstellung aufzeigen und durch Ratschläge helfend und korrigierend eingreifen. Dieses Buch ist zwar nicht explizit für die betroffenen Frauen selbst geschrieben, kann jedoch von jedem Laien verstanden werden. Eine Vielzahl von Beispielen aus seiner eigenen Praxis verknüpft mit einer eindeutigen ideologischen Position geben Einblicke in die Praxis eines Nervenarztes und den Blick, den dieser auf seine Patientinnen wirft.
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Literatur
ALFRED DANNHAUSER, Die Tragödie der Frau. Das Problem der reiferen Jahre, Stuttgart 1928, vgl. auch zum folgenden.
Ebenda, S. 110. Für die alternde Arbeiterfrau stelle sich die Situation zwar ähnlich,kritisch’ dar; man müsse jedoch entsprechende soziale Unterschiede gesondert in den Blick nehmen. Die Arbeiterfrau altere durch körperliche Anstrengung, harte Arbeit und mangelnde Gelegenheit zur Körperpflege schneller. Der tägliche harte Daseinskampf gebe ihr keine Zeit und Muße, sich mit den,kommenden Veränderungen’ zu beschäftigen.
Ebenda, S. 133. Für FRIEDRICH WOLF (Ders., Der schwache Punkt der Frau. Die wichtigsten Frauenleiden, ihr Wesen, ihre Verhütung, ihre Behandlung. Die Frau im Daseinskampf gesund-kräftig-schön, Stuttgart 1930) sind die,weiblichen Organe eine,Gefahren-und Störungspforte’ — eben der,schwache Punkt der Frau`. Die Wechseljahre bildeten so für die ganze Konstitution und viele Krankheiten einen,Wendepunkt’. „Die meisten gutartigen Geschwüre, wie Polypen, Fibrome und Myome… der Gebärmutter… gehen nach Ausbleiben der Menstruation von selbst zurück... Hatten die Geschwüre dagegen einen mehr bösartigen Charakter… dann wirken die Wechseljahre meist verschlimmernd.“ (ebenda, S.11). Am wirksamsten bekämpfen ließen sich die,zahlreichen Störungen und Leiden’, indem man ihnen durch eine,gewohnheitsmäßige Körperpflege und Hygiene’ vorbeuge.
ELSE CRONER, Die Frauen-Seele in den Übergangsjahren, Langensalza 1928.
Ebenda, S. B. In diesem Sinne baue das Klimakterium auf, kehre die Lebensereignisse nach innen, wecke,tiefe Sehnsucht’ und gewähre,neue metaphysische Erkenntnisoffenbarungen’. Ebenda, S. 46.
Nach Croner setzt sich die Persönlichkeit aus Veranlagung, Schicksal und Selbstarbeit zusammen. „Die reife Frauen-Persönlichkeit ist sich der Schranken ihrer Individualität voll bewußt, aber innerhalb dieser natürlichen Grenzen sich zu kultivieren, erscheint ihr als persönliche Pflicht.” (Ebenda, S. 11).
ANNE-MARIE DURANT-WEVER, Die reife Frau, Berlin 1937.
HELENEFRIEDERIKE STELZNER, Gefährdete Jahre im Geschlechtsleben des Weibes. Beobachtungen und Ratschläge einer Ärztin für die Wechseljahre, München 1931 ).
Stelzner unterscheidet in ihren abschließenden,Leitsätzen` die Hygiene der Seele und des Körpers. Den natürlichen Ausfallerscheinungen könne man durch die eingangs festgeschriebenen Hygieneregeln begegnen. Wirklich,drohende Gefahren’ in dieser Zeit, gutartige (Myome) und bösartige (Krebs) Neubildungen könne man mithilfe von Bestrahlungen und Hormonen bei erstgenannten und Operationen bei letztgenannten entgegentreten.
Um einem möglichen Mißverständnis vorzubeugen: es kann natürlich nicht darum gehen in reduktionistischer Manier eine Linie von Stelzners Buch in die feministisch orientierte Ratgeberliteratur zu ziehen, Das wäre ahistorisch und verfehlt. Stelzners Buch stellt demgegenüber jedoch einen wichtigen Markierungspunkt in der zeitgenössischen Diskussion dar. Eine Alternative für Frauen ist erkennbar, die ihnen eine andere Identifikationsmöglichkeit anbietet. Um die Materialfülle dieses Buches nun einer systematischen Revision und Bewertung zu unterziehen, werden im folgenden Brennpunkte der einzelnen Themenstränge und Argumentationsmodelle in ihrer Herkunft und möglichen Zielrichtung bestimmt.
Aus der,Verarmung des Lebens’ resultiere der Typ der,wohltätigen Frau ebenso wie der,Hausdrachen`. Beides habe jedoch weniger mit dem Klimakterium als vielmehr mit einer angeborenen Veranlagung zu tun. „Eine mit dem Alter kommende Verarmung des äußeren Lebens läßt Gefühle wuchem, die bisher wesensfremd waren, läßt altruistische Strebungen in die Erscheinung treten, die schließlich doch einen egoistischen Kern in sich tragen.… Mag man vom Klimakterium und dem beginnenden Alter denken, wie man will, eine grundlegende Charakterveränderung bringt es in der Regel nicht zustande.“ (Ebenda, S. 10).
Ebenda, S. 43. Nach Stelzner ist diese Wissenschaft von den endokrinen Drüsen und ihren Ausscheidungen, den Hormonen, noch recht jung. Vor dem Ersten Weltkrieg seien nur einige wenige Veröffentlichungen zu diesem Thema erschienen, nach 1918 vermehrt auch im Ausland. Das Zentralblatt für Neurologie habe in den Jahren von 1905 bis 1922 dieses Thema nicht behandelt. Nach 1923 und der grundlegenden Studie von Halban,Zur Klinik des Klimakteriums’ seien entsprechend viele Studien veröffentlicht worden, so nach 1929 auch etliche, die über die Bedeutung der endokrinen Drüsen für die Psychosen geschrieben hätten. Ebenda, S. 59/60.
Stelzner verweist darauf, daß sie als Fürsorge-und Schulärztin eher auch den,normalen` problemlosen Ablauf der Wechseljahre habe beobachten können. Diese Frauen, die keiner ärztlichen Behandlung bedürften, müsse man hinzuziehen, um ein realistisches Bild zu bekommen. (Ebenda, S. 72).
Konstitution ist die durch Beschaffenheit der elterlichen Keimzellen verursachte persönliche Eigenart eines Menschen so zu sein, wie er es in jedem Augenblick seines Lebens gerade ist. Sie wird festgelegt für immer im Momente der Vereinigung von Ei und Samenzellen“. ERNST KRETSCHMER (Ders., Körperbau und Charakter, Untersuchungen zum Konstitutionsproblem und zur Ehre der Temperamente, 1921, zit. nach Stelzner, S. 71.) Kretschmer weise in seinem Buch nach, daß die menschliche Wesensart und Erkrankungsform einer gewissen körperlichen Eigenart entspräche, d. h. eine Abhängigkeit der seelischen Artung von der körperlichen vorhanden ist.
Die meisten Frauen könnten nach Stelzner durchaus ohne ärztliche Hilfe ihre Wechseljahre überstehen. Das Reden über dieses Thema im Kreise älterer Frauen schaffe erst Halbkranke und hypochondrische Frauen. Eine Pathologisierung des Klimakteriums, auch von Seiten der Mediziner, lehnt sie ab. Z.T. höchst belustigt und ironisierend verfährt sie mit der entsprechenden zeitgenössischen medizinischen Fachwelt, äußert sich aber ebenso über modehungrige Frauen und Männer, die allerlei,Bizarrerien` huldigten.
Der Unterschied zwischen den Wechseljahren einer gesunden und denen einer nervenschwachen Frau läßt sich kurz wie folgt zusammenfassen. Die eine ist imstande, etwaigen Störungen den festen Willen zur Gesundheit gegenüberzustellen, die andere übertreibt seelische und körperliche Leiden bewußt oder unbewußt und hat gar nicht die Absicht, um das Gut des Gesundbleibens zu kämpfen, sich gegen die Mücken. oder vielleicht auch Wespenstiche der klimakterischen Jahre zu wehren.“ (Ebenda, S. 102).
Festzustellen bleibt, daß das Klimakterium des Mannes erst etwa Ende des vergangenen Jahrhunderts als naturbedingte Erscheinung gebucht wurde, daß es die Neigung hat, wie bei der Frau, gewisse Störungen im Gesamtorganismus hervorzurufen.“ (Ebenda, S. 144). Auch das Klimakterium des Mannes sei keineswegs als eine Krankheit anzusprechen, sondern es sei lediglich Ausdruck,gewisser Abbauverhältnisse im Körper’, die sich in diesem Alter bemerkbar machten.
Nicht weiter verwunderlich erscheint es Stelzner, daß diese Frauen, ebenso wie jüngere Frauen, eine starke oft übertriebene Empfänglichkeit für die Mode entwickeln würden, erhofften sie sich doch von jeder neuen Mode eine Verjüngung. Die Modemacher als die,letzten Psychologen der Weiberseele bestimmen den Rhythmus dieser scheinbaren Verjüngung. Gerade ältere Frauen würden dazu neigen, in Übertreibungen zu schwelgen und das wirke sich in einer Zeit, die,Fülligkeit` verachte, als Mißgriff katastrophal aus. Zeichen der Zeit sei es, daß es in der Kleidung keine Unterschiede mehr gäbe zwischen,Mädchen, Frauen, Matronen und Greisinnen’. Prinzipiell seien die Errungenschaften der Mode in ihrer Zeit mit Blick auf die Vergangenheit positiv zu werten — ermöglichten sie es doch der Frau, relativ,natürlich` Sport, Schlaf und tägliches Leben zu bewältigen. Auch sei es nicht weiter problematisch, wenn Frauen,Modetorheiten` begingen. Das sei auch das gute Recht der Matrone, wenn sie sich dieser Mode,mit Geschmack` bediene.
ANNE-MARIE DURANT-WEVER, Die reife Frau, Berlin 1937.
HELENE DEUTSCH, Psychologie der Frau, Bern 1954, S. 310ff., vgl. auch zum folgenden.
SIMONE DE BEAUVOIR, Das andere Geschlecht, Sitte und Sexus der Frau, Reinbek bei Hamburg 1968 (erstmals in Deutschland 1951 erschienen), S. 551–558.
Lediglich C.G. Jung setzt sich in seinem Konzept der zweiten Lebenshälfte intensiver mit dem,Lebensübergang` Klimakterium auseinander. CARL GUSTAV JUNG, Die Lebenswende, Zürich 1931.
SIMONE DE BEAUVOIR, Der Lauf der Dinge, Reinbek bei Hamburg 1970 (erstmals 1966 ).
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Panke-Kochinke, B. (1998). Die Psychologie der Frau. In: Die Wechseljahre der Frau. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-93278-5_4
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