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Theoretisches Modell: Biographische Kreativität und kulturelle Innovation bei den Otomi im Valle del Mezquital

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Indianische Lokalkultur und gesellschaftlicher Wandel in Mexiko

Part of the book series: Biographie und Gesellschaft ((BUG,volume 29))

  • 47 Accesses

Zusammenfassung

In den vorangegangenen Portraitkapiteln sind die einzelfallspezifischen Biographiemuster herausgearbeitet worden. Mit Hilfe von Auszügen aus strukturellen Beschreibungen und analytischen Abstraktionen ist weiterhin auf die biographischen Dimensionen und die damit verbundenen sozialen Prozesse exemplarisch hingewiesen worden, die den Veränderungsprozeß der untersuchten lokalen Otomi-Gemeinschaften charakterisieren. Die analytischen Kategorien, die aus den besprochenen Einzelfällen exemplarisch herausgearbeitet worden sind, sollen nun systematisch aufeinander bezogen werden und ein theoretisches Mehrebenen-Modell über die biographischen und sozialen Prozesse der kulturellen Veränderung der Otomi-Gemeinden im unbewäss-terten Teil des Valle del Mezquital entwickelt werden. In diese Darstellung der theoretisch verdichteten Themen fließen auch die Ergebnisse aus der biographieanalytischen Untersuchung weiterer Lebensgeschichten und der ethnographischen und gemeindesoziologischen Studien (Kapitel I u. II) mit ein.

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Literatur

  1. Der Begriff der Kommunikationsanomie wurde von Fritz Schütze im Rahmen einer bislang noch unveröffentlichten Studie über Konfirmanden entwickelt. Es handelt sich um eine Erweiterung des Durkheimschen Anomiebegriffs auf die Kommunikationsschwierigkeiten zwischen den sich in der Adoleszenzkrise befindlichen Jugendlichen und ihren Eltern. Der Begriff erweist sich aber auch als besonders tauglich, um die z.T. dramatischen Kommunikationsschwierigkeiten zwischen Eltern und Kindern in der Otomi-Gesellschaft zu beschreiben.

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  2. Relativ ‚wohlhabend‘ heißt für die lokalen Verhältnisse, ausreichend zu essen gehabt zu haben, über einen Landbesitz zu verfügen, der über 20 ha groß ist, finanzielle Mittel für die — wenn auch nur rudimentäre — Schulausbildung der Kinder gehabt zu haben, als Familienökonomie prosperiert zu haben, d.h. im Laufe der Zeit die Lebensverhältnisse im bescheidenen Maße verbessert zu haben. Patricia, die einem Zweig der als wohlhabend angesehenen Familie Corona entspringt, erzählt beispielsweise von ihrer Kindheit, daß sie mit ihren Geschwister, sich eine Decke teilend auf einer Strohmatte auf der Erde schlafen mußte. Als sie mit zwölf Jahren ihre ersten Sandalen bekam, war das ein großartiges Ereignis, das sie bis in ihr Alter nicht vergessen hat.

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  3. Der Begriff „höhersymbolisches Prädikat“ ist von Schütze geprägt worden. In Anlehnung an A. Schütz (Über die mannigfaltigen Wirklichkeiten, Symbol und Realität) drücken die als höhersymbolische Prädikate bezeichneten alltagssprachlichen Begriffe zugleich auf einer abstrakteren Ebene Wesensmerkmale von sozialen und biographischen Prozessen aus, in die der Sprecher verwickelt ist. Die höhersymbolischen Prädikate werden also in „abgegrenzten Sinnbereichen“, die über die Alltagswelt hinausgehen, produziert. Schütze bezeichnet diese abstrakten Begriffe als Prädikate, weil sie innerhalb der „Erzählgrammatik“ von autobiographischen Stegreiferzählungen eine aussagenlogische Funktion haben. (Die wissenschaftliche Abhandlung Schützes zur Erzählgrammatik des biographischen Stegreiferzählens wird veröffentlicht.)

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  4. Vgl. Schütze (1987c: 524 f). Im Anlehnung an H. Blumer (1975) werde ich den Prozeß der kollektiven Definition der sozialen Probleme rekonstruieren, die mit den Modernisierungsprojekten bearbeitet werden sollen.

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  5. Parallel zu den Paradoxien professionellen Handelns werden hier also auch Paradoxien des Handelns in den sozialen Bewegungen zur Durchführung der Modernisierungsprojekte deutlich. Im Zuge des Institutionalisierungsprozesses übernehmen die „liaison-worker“ auch die Perspektive der Projektträger und der entsprechenden höhersymbolischen Sinnwelt der von außen anzustoßenden Gemeindeentwicklung. Letztere stehen — im übertragenen Sinne der Ausführungen Schützes zu den Paradoxien professionellen Handelns — „in einem paradoxen Verhältnis der Fremdartigkeit gegenüber der alltagsweltlichen Existenzwelt“ der Dorfbevölkerung. (vgl. Schütze 1996: 333–377). Mit den Paradoxien des Handelns in sozialen Bewegungen haben sich auch Wagner (1982) und, bezüglich des Mechanismus, als Jugend-Aktivisten eines peruanischen städtischen Elendviertels von politischen Parteien und NRO als Vermittlungsperson zur Bevölkerung vereinnahmt zu werden, Appel (1990) beschäftigt.

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  6. Ich habe hier die Unterscheidung von zwei entgegengesetzten Typen von Akkulturation, nämlich der „passiv-imitativen“ und der aktiv verarbeitenden bzw. umgestaltenden, durch Berendt (1965) aufgegriffen. In den von mir ausgewerteten empirischen Materialien ist demgegenüber freilich zu sehen, wie in der Praxis beide Formen der Akkulturation miteinander verwoben sind. Für die begriffliche Auftrennung des Akkulturationsprozesses ist die Entgegensetzung gleichwohl dienlich.

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  7. Mehrere Informanten berichten z.B. davon, daß bis in die sechziger Jahre die katholischen Gottesdienste in lateinischer Sprache abgehalten wurden. Der Priester wandte sich während der Messe nicht an die Kirchengemeinde, sondern zum Altar. Die Gemeindemitglieder hätten dann jeder für sich allein gebetet.

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  8. Vgl. Abschnitt zur Geschichte der Otomi. Ein Verdienst des SIL sind sicherlich die durchgeführten ethnolinguistischen Studien über das Otomi. Die — freilich für die Übersetzung der Bibel zu Missionierungszwecken — entwickelte Schriftsprache des Otomi beförderte den Prozeß der Entwicklung einer vereinheitlichten Schriftsprache durch eine Gruppe von Otomi-Lehrern und -Soziolinguisten, die in der sog. Kulturakademie der Hñähñú (Selbstbezeichung der Otomi) beschäftigt sind. Allgemein bedeutet die Entwicklung einer Schriftsprache für die vormals schriftlosen indianischen Sprachen die Aufwertung dieser -insbesondere auch aus der Perspektive der Sprecher. Diese ‚Modernisierung‘ kann also zur Bewahrung der von der Verdrängung bedrohten indianischen Sprachen bzw. zu einem neuen Bewußtsein inrer Wichtigkeit führen.

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  9. Das ist unter anderem der Selbstdarstellung der eigenen Pastoralarbeit durch die Pfarrei in Pedregal in einem Rundbrief der Diözesen-Partnerschaft zwischen Mexiko und Deutschland vom Nov. 1984 und dem Interview mit Priester Leonardo zu entnehmen.

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  10. So kritisieren z.B. die drei von mir interviewten katholischen Priester, das Auftauchen der Pfingstkirchen führe zu einer Aufspaltung der Dorfgemeinschaften. Die hergebrachten Formen der Symbolisierung und wechselseitigen Bekräftigung des Gemeinschaftsgefühls würden etwa durch die Ablehnung der traditionellen Dorfpatronsfeste durch die Pfingstler und die Ausrichtung der Religiosität auf das individuelle Seelenheil geschwächt.

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  11. Ähnliches berichtet auch Cuéllar (1980, zit. in: Zimmermann a.a.O.: 158) bezüglich der lokalgesellschaftlichen Veränderungen durch die Konversion der Seri im Nordwesten Mexikos zum Protestantismus. Neben den Auswirkungen auf die individuelle Lebensführung durch die Abstinenz und die Haltung der Sparsamkeit und Fortschrittsorientiertheit benennt der Autor die Aufwertung der indianischen Muttersprache (die Bibel wurde in das Seri übersetzt) und die Stärkung der Bindekräfte innerhalb der Gruppe durch den religiöse kultische Praxis.

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  12. Loret De Mola (1994: 60) weist allgemein auf die Fähigkeit der Pfingstkirchen hin, sich an unterschiedliche kulturelle und soziale Kontexte anzupassen. Die aus Nordamerika eingeführte Religion forme sich durch den Kontakt mit der lokalen Religion und Kultur um.

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  13. Gestützt auf die Literatur über den synkretischen Katholizismus in Chiapas und die Monographien über die Mames in Chiapas stellt Loret De Mola (a.a.O.) fest: „Zusammen mit der korporierten Gemeinde ist die synkretische katholische Religion in den anthropologischen Studien traditionell mit der indianischen Identität in Verbindung gebracht worden.“ (Übersetzung M.A.)

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  14. Das geht aus Ramirez (1972) und dem Experteninterview mit Manuel Rojas, der Mitglied einer Pfingstkirche in der Untersuchungsregion ist, hervor.

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  15. In diesem Sinne äußert sich auch Tranfo (a.a.O.: 124:-125), der Anfang der siebziger Jahre eine Untersuchung über ein Otomi-Dorf in der bewässerten Zone, nahe Ixmiquilpan durchführte: „Außerdem neigt der Mann dazu, seine Ehefrau zu entmutigen, ihre Freundschaften mit anderen Frauen weiterzuführen (Freundschaften mit Männern sind unvorstellbar), weshalb das Leben der Frau durch die Umfriedung um Haus und Hof begrenzt ist.“ (Übersetzung, M.A.)

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  16. Tranfo (a.a.O.: 123) beschreibt, daß das Bild von der allumfassenden Herrschaft des Mannes bereits Anfang der siebziger Jahre als lokalgesellschaftliche Idealisierung verstanden werden mußte. Bereits damals lenkten die Frauen i.d.R. faktisch den familiären Bereich. So beobachtete der Autor, daß viele Frauen die finanziellen Ressourcen der Familie allein verwalteten. Dennoch war die ‚Ideologie‘ von der Vorherrschaft der Männer im lokalgesellschaftlichen Diskursuniversum noch weitgehend intakt.

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  17. Ich verdanke diesen Hinweis Veronika Kugel und einer mündlichen Information meines Interviewpartners Pedro Petate.

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  18. Es geht mir hier um die Darstellung einer m. E. zentralen Dimension der Generationslagerung der älteren Befragten. Die Protagonisten nutzen die sie erfassende Strömung einer an der Entwicklungslogik der Industrieländer orientierten Politik in Gestalt der von außen kommenden Entwicklungsprojekte als biographische Chance für sich. Damit soll allerdings nicht der dahinterstehenden Fortschrittsideologie das Wort geredet werden. Historisch hat sich das Konzept längst überlebt, konnte doch die Verbesserung der Lebenssituation der Armen damit nicht erreicht werden. Wie Hamel (a.a.O.) und Sierra (a.a.O.) aufzeigen, hat die Entwicklungspolitik der fünfziger und sechziger Jahre vielmehr zu einer sozialen Differenzierung innerhalb der indianischen Lokalgesellschaften beigetragen. Während die Mehrheit der Bevölkerung von den Maßnahmen nicht profitieren konnte, ermöglichten sie nur einem kleinen Teil wirtschaftliche Vorteile. So profitierten vom Straßenbau in erster Linie diejenigen Dorfbewohner, die sich als private Transportunternehmer betätigen. In dem hier dargestellten Argumentationszusammenhang spielt das zunächst aber keine entscheidende Rolle und soll deshalb nur am Rande erwähnt werden. (Auf die kollektiven Wirkungen der Modernisierungsprojekte bin ich bereits oben — Kapitel IV, 2.1.6 — näher eingegangen.)

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  19. Waren die Kinder nicht entbehrlich, wurden sie selbstverständlich nicht zur Schule geschickt. Wie ein Informant berichtete, konnte das auch so aussehen, daß einer der Geschwister als helfende Hand Zuhause bleiben mußte, während die anderen Geschwister zur Schule gehen durften. Heutzutage hat sich die Einhaltung der Schulpflicht allgemein durchgesetzt. Nicht nur, weil sie von den Schulen rigider überwacht wird, sondern auch weil die Eltern zunehmend die zukünftigen Lebenschancen ihrer Kinder in erster Linie durch die Schulbildung gewahrt sehen.

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  20. Es ist klar, daß die Befragten mit dieser Aussage sich sozusagen metakommunikativ auf die in ihrem Dorf bestehenden Differenzen aufgrund der Religionszugehörigkeit beziehen. Eine neue Dimension des Verständnisses von Individualität scheint sich allerdings in der direkt übersetzten Wortwahl der „Privatangelegenheit“ abzuzeichnen. Im hergebrachten Orientierungssystem der Otomigesellschaft ist nämlich die Vorstellung von einer Privatsphäre im westlichen Sinne unbekannt. (Diesen Hinweis verdanke ich Veronika Kugel).

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© 2001 Leske + Budrich, Opladen

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Appel, M. (2001). Theoretisches Modell: Biographische Kreativität und kulturelle Innovation bei den Otomi im Valle del Mezquital. In: Indianische Lokalkultur und gesellschaftlicher Wandel in Mexiko. Biographie und Gesellschaft, vol 29. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-93268-6_6

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-93268-6_6

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

  • Print ISBN: 978-3-8100-3179-2

  • Online ISBN: 978-3-322-93268-6

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