Zusammenfassung
Wenn wir von Erfahrung sprechen, dann ist mitgegeben, dass sie Zeit braucht. Serien von Ereignissen müssen erlebt und bestanden werden, ehe man von Erfahrung sprechen kann. Aber Erfahrung ist auch mehr als nur ein quasi-statistisches Registrieren, was in unserem Leben häufig ist und was selten vorkommt. Erfahren ist erst derjenige, der sich einen Vers auf die Folge der Ereignisse machen kann, der sie interpretiert und bei seinen künftigen Aktionen berücksichtigt. In der Erfahrung treffen sich zunächst also Zufall und Geist, aber die Menschen lieben nicht das Zufällige, so werden sie versuchen, aus ihren Erfahrungen zu lernen, um neue Erfahrungen zu konstruieren. Damit aber rücken Erfahrungen in den Bereich von Phantasie und Inszenierung. Wer etwas erfahren will, muss Vorkehrungen treffen, das heißt, er muss Zeit, Mittel und Organisation investieren; und ehe wir uns versehen, spielen sich die Erfahrungen in konstruierten Welten ab. Wenn wir neue Erfahrungen machen wollen, so erfordern sie Kraft und Zielstrebigkeit. Das merkt man insbesondere, wenn wir etwas lernen und einüben wollen, wenn es um neue berufliche Erfahrungen geht. Wissenschaftliche Erkenntnisse tragen dazu bei, dass die Voraussetzungen für Erfahrbares genannt werden können. Damit werden Serienerfahrungen in großem Maße organisatorisch beherrschbar. Aber ist es das eigentlich, was wir wollten? Geht darin gerade zugrunde, was wir an Erfahrung mit uns selber und mit anderen suchten? Wo ist noch Platz für Weltleidenschaft? Also noch einmal zurück zur unmittelbaren Objektbeziehung.
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Literatur
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Die sozialpsychologische Ambivalenztheorie habe ich im Zusammenhang mit Umfragen zur gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland 1970 entwickelt. Während bis dahin Einstellungen eindimensional als Affektmenge für oder gegen ein Objekt betrachtet wurden, ging ich von einer Theorie der gemischten Gefühle aus. In jeder Betrachtung eines Gegenstandes schwingen positive und negative Empfindungen mit, wenn auch in einem sehr unterschiedlichen Mischungsverhältnis. Diese grundsätzliche Zwei-Komponenten-Struktur erlaubt die Erklärung, und im Test die Prognose von Meinungs-und Verhaltensänderungen. Abweichend von den bisherigen Annahmen der Einstellungsforschung ergab sich: Die affektive Besetzung eines Objekts bildet in einer Population keine u-förmige Verteilung, sondern ist auf allen Positionen ungefähr gleich stark. Befragte in der Mittelposition sind nicht desinteressiert oder neutral, sondern von widersprüchlichen Gefühlen getragen, also ambivalent, mit einem Gleichstand positiven und negativen „Wissens“. Diese Erkenntnisse wurden von der religionssoziologischen Forschung auf Wahlanalysen, die Untersuchung von Volksentscheiden und auf Motivstudien zur Bücherlektüre übertragen. Quellen zur AmbivalenZtheorie: Eugen Bleuler: Die Ambivalenz. Zürich 1914 (siehe weiter unten S. 139) Gerhard Schmidtchen: Zwischen Kirche und Gesellschaft. Herder, Freiburg i. Br., 1972, 1973, S. 10f. Ders.: A Balance Theory of Object Relationships. AAPOR/ WAPOR Annual Conference 1974. Bolton Landing, N. Y. Rotaprint-Druck. Zusammenfassung unter gleichem Titel in: Public Opinion Quarterly XXXVIII, No. 3, Fall 1974, pp. 472, 473. Ders.: Test of Ambivalence and the Prediction of Political Behaviour. Vortrag auf der AAPOR/WAPOR-Konferenz in Ashevill, North Carolina, USA, Mai 1976. Ders.: Die Entscheidung fällt in der letzten Minute, Ambivalentes Wählerverhalten. Bild der Wissenschaft, Heft 9, September 1976, S. 73–84. Ders.: Was den Deutschen Heilig ist. Religiöse und politische Strömungen in der Bundesrepublik Deutschland. Kösel, München 1979. Hier das Kapitel: Ambivalenztheorie der Beziehungen zur Kirche, S. 91–100. Dens.: Der Mensch — die Orientierungswaise. Probleme individueller und kollektiver Verhaltenssteuerung aus sozialpsychologischer Sicht. In: Lübbe, Köhler, Lepenies, Nipperdey, Schmidtchen, Roellecke: Der Mensch als Orientierungswaise? Alber, Freiburg i. Br. 1982, S. 169–216. Heinz Otto Luthe, Rainer E. Wiedenmann (Hrsg.): Ambivalenz. Studien zum Kulturtheoretischen und empirischen Gehalt einer Kategorie der Einschließung des Unbestimmten. Leske + Budrich, Opladen 1997. Wei-Gong Liou: Ambivalenz als Lebensführung — Lebensführung als.
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Edward A. Tiryakian: Sociological Theory, Values, and Sociocultural Change. Essays in Honor of Pitirim A. Sorokin, The Free Press of Glencoe 1963, S. 91–120
Vortrag von Prof. Bleuler über Ambivalenz“, unter diesem Titel wurde unter Mitteilungen eine thesenartige Zusammenfassung der Vortrages wiedergegeben, den Eugen Bleuler auf der Ordentlichen Winterversammlung des Vereins schweizerischer Irrenärzte und Nervenärzte in Bern am 27. November 1910 gehalten hatte. Psychiatrisch-Neurologische Wochenschrift. Internationales Correspondenzblatt für Irrenärzte und Nervenärzte. Zwölfter Jahrgang 1910/1911, S. 405, 406 Eine ausgearbeitete Fassung des Vortrages findet sich an folgender Stelle: Eugen Bleuler: Die Ambivalenz. Universität Zürich, Festgabe zur Einweihung der Neubauten 18. April 1914. Schulthess, Zürich 1914, S. 94–106
Richard Sennet: Verfall und Ende des Öffentlichen Lebens. Fischer TB, 12. Aufl., Frankfurt/Main 2001, S. 357ff.
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Schmidtchen, G. (2002). Affekt und Erfahrung. In: Die Dummheit der Informationsgesellschaft. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-93265-5_5
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