Zusammenfassung
In den neunziger Jahren erfuhr der auf die klassischen Elitentheorien — namentlich auf Gaetano Mosca — zurückgehende Begriff der politischen Klasse eine interessante Renaissance (vgl. Beyme1993; Arnim 1997, 2000; Borchert 1999). Diesen Terminus, mit dem Mosca die in jeder Gesellschaftsordnung vorhandene dichotome Machtverteilung zwischen einer herrschenden und einer beherrschten Klasse umschreibt (Mosca 1896: 60), verbindet die Politikwissenschaft mit dem heutigen Phänomen der Kartellierungstendenzen der Berufspolitiker nicht zuletzt bei der Sicherung ihrer kollektiven Eigeninteressen. Während Max Weber noch zwei Arten von Berufspolitikern unterschied, indem er darauf hinwies, der Berufspolitiker könne „ein Mann sein der [...] von der Politik und ihrem Getriebe, ihren Einflüssen und Chancen“ lebe, oder „ein solcher der [durch seine Vermögenslage instandgesetzt] für die Politik“ (Weber 1958: 352) tätig sei, steht inzwischen für die Berufspolitiker das Interesse eindeutig im Vordergrund, von der Politik leben zu können. Dieses Berufs- bzw. Versorgungsinteresse bildet das spezifische Merkmal der politischen Klasse, die sich in der einschlägigen Literatur von der politischen Elite unterscheidet, der primär ein Machtinteresse zugeschrieben wird und die jene Personen umfasst, die die effektiven politischen Machtpositionen besetzen. Diese Deutung wird nachfolgend übernommen — bis auf eine wesentliche Ausnahme. Der Beitrag verwendet den Elitenbegriff im Plural, was wie folgt begründet werden kann: Mit dem Begriff der classe politica verfügt die Politikwissenschaft über eine Kategorie, die eine Chance bietet, bislang weitgehend disparate Forschungszweige analytisch zu integrieren. Um eine solche komparative Zielsetzung zu erreichen, muss der Begriff der politischen Klasse in politische Eliten (im Plural) untergliedert werden. Dann reicht es nicht aus, mit Hans Herbert von Arnim von der politischen Elite (im Singular) als Kerngruppe der politischen Klasse zu sprechen oder mit Klaus von Beyme die politische Klasse als ein Kartell der Parteieliten zu bezeichnen — wenngleich der letzten These in diesem Kontext eine besondere Bedeutung zukommt. Für eine am Parlamentarismus orientierte Vergleichende Politikwissenschaft erweist es sich als notwendig, die Parteien-, Parlaments-, Regierungs- und Verwaltungseliten — jeweils im Plural — ins Blickfeld zu rücken und nur deren konkrete Manifestationen in Bezug auf bestimmte Parteien, Parlamente, Fraktionen, auf bestimmte Regierungsgremien und administrative Apparate — jeweils im Singular — zu analysieren.1
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Literatur
Arnim, Hans Herbert von (1997): Fetter Bauch regiert nicht gern. Die politische Klasse — selbstbezogen und abgehoben. München: Kindler.
Arnim, Hans Herbert von (2000): Vom schönen Schein der Demokratie. Politik ohne Verantwortung — am Volk vorbei. München: Knaur.
Benda, Ernst/Maihofer, Werner/Vogel, Hans-Jochen (Hrsg.) (1994): Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland. Berlin.
Beyme, Klaus von (1993): Die politische Klasse im Parteienstaat. Frankfurt a.M: Suhrkamp.
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Hofmann, Gunter/Perger, Werner A. (Hrsg.) (1992): Die Kontroverse. Weizsäckers Parteienkritik in der Diskussion. Frankfurt a.M.: Eichborn.
Katz, Richard S./Mair, Peter (1995): Changing Models for Party Organization and Party Democracy — The Emergence of the Cartel Party. In: Party Politics, S. 5–28.
Maihofer, Werner (1994): Prinzipien freiheitlicher Demokratie. In: Benda, Ernst/Maihofer, Werner/Vogel, Hans-Jochen (Hrsg.): Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland. Berlin, S. 427–536.
Mosca, Gaetano (1896): Elementi di scienza politica. Mailand.
Presse-und Informationsamt der Bundesregierung (Hrsg.) (1997): Bulletin Nr. 33.
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Weber, Max (1958): Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland. In: Weber, Max: Gesammelte politische Schriften. Tübingen: Mohr.
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Röhrich, W. (2002). Die politische Klasse im Blickpunkt der Kritik. In: Süß, W. (eds) Deutschland in den neunziger Jahren. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-93248-8_8
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