Zusammenfassung
Wie kaum ein anderer Funktionsträger im Bundestag verfügen die Parlamentarischen Geschäftsführer im formellen wie im informellen Willensbildungs-prozeß ihrer Fraktion und des Gesamtparlaments über eine außerordentliche Fülle an Aufgaben und Kompetenzen. Sie haben damit erhebliche Einfluß-und Gestaltungsmöglichkeiten. Bereits 1969 hat Gerhard Loewenberg auf die „zunehmende Macht der Geschäftsführer“ hingewiesen, „die von der Fraktion niemals ausdrücklich sanktioniert“ worden sei.1 Heute ist wegen der großen Machtfülle der Parlamentarischen Geschäftsführer sogar kritisch vom Geschäftsführer-Parlament die Rede.2 Dabei wird allgemein die Notwendigkeit der Strukturierung und Koordinierung der Fraktions- und Parlamentsarbeit mit dem Ziel von Effizienz und Geschlossenheit anerkannt. Kritik findet dagegen die damit verbundene Tendenz, unkonventionelles Verhalten und innovatorische Ideen der Fraktionsmitglieder als Störung zu empfinden und Kreativität und Lebendigkeit durch Reglementierung zu ersetzen.3
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Literatur
Gerhard Loewenberg: Parlamentarismus im politischen System der Bundesrepublik Deutschland, Tübingen 1969, S. 216.
Diese Bezeichnung zitiert Wolfgang Ismayr: Der Deutsche Bundestag, Opladen 1992, S. 24; vgl. auch Ulrich Lohmar: Das Hohe Haus, Stuttgart 1975, S. 154: „Das eigentliche Entscheidungszentrum der Fraktionen sind jedoch nicht die Fraktionsvorstände in ihrer Gesamtheit, sondern die Vorsitzenden und die Geschäftsführer“.
Vgl. dazu Suzanne S. Schüttemeyer: Fraktionen im Deutschen Bundestag 1949–1994, Habilitationsschrift 1996, (bislang unveröffentlicht), S. 79 und 355; vgl. auch Wolfgang Ismayr, a.a.O., S. 124.
Plenarprotokoll Deutscher Bundestag 10/194, in: Verhandlungen des Deutschen Bundestages/ Steneographische Berichte, Band 136, S. 14628.
Vgl dazu Hildegard Hamm-Brücher: Bürgergesellschaft versus Parteiendemokratie, in: Gunter Hofmann/Werner Perger (Hg.): Die Kontroverse — Weizsäckers Parteienkritik in der Diskussion, Frankfurt/M. 1992, S. 190f; vgl. auch Hildegard Hamm-Brücher: Der freie Volksvertreter — eine Legende?, München 1990.
Art. 63 Abs. 1 GG; Art. 67 GG.
So Werner J. Patzelt in seinem Aufsatz „Wider das Gerede vom ,Fraktionszwang‘!“, in: ZParl/98, S.323.
So Uwe Thaysen in: Parlamentarisches Regierungssystem in der Bundesrepublik Deutschland, Opladen 1976, S. 69ff.
Vgl. dazu Suzanne S. Schüttemeyer, Fraktionen im Deutschen Bundestag, S.22.
Hildegard Hamm-Brücher: Der freie Volksvertreter, S. 21. (1990 bestand der Bundestag noch aus 519 Abgeordneten).
Hildegard Hamm-Brücher: Bürgergesellschaft versus Parteiendemokratie, S.190. Ähnlich rigoros hatte 1992 der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker die Parteien attackiert, als er ihnen attestierte, auf dem Weg von der Machtversessenheit zur Machtvergessenheit zu sein. So in: Richard von Weizsäcker: Im Gespräch mit Gunter Hofmann und ner Perger, Frankfurt 1992, S. 158–164.
Uwe Thaysen zitiert verschiedene Studien in: Parlamentarisches Regierungssystem, S. 75.
Wolfgang Ismayr: Der Deutsche Bundestag, S. 29.
Hübner/H. Oberreuter/H. Rausch (Hg.): Der Bundestag von innen gesehen, München 1969, S. 26.
So Wolfgang Ismayr, Der Deutsche Bundestag, S.533ff; vgl. auch Hildegard Hamm-Brücher: Der freie Volksvertreter, S. 457–482.
Peter Glotz: Entscheidungsteilung. Gegen das Hindenburg-Syndrom der deutschen Politik, in: G. Hofmann/W. Perger: Die Kontroverse, Weizsäckers Parteienkritik in der Diskussion, Frankfurt/M 1992, S. 172.
Vgl. auch Hans Apel: Die deformierte Demokratie, Parteienherrschaft in Deutschland, Stuttgart 1991, S. 166.
Wolfgang Zeh: Gliederung und Organe des Bundestages, S. 412.
In der 13. Legislaturperiode kam der Bundestag zu 248 Plenarsitzungen mit 10.745 Redebeiträgen einschließlich der Kurzinterventionen zusammen, beriet in 1. Lesung 923 Gesetzentwürfe, beschäftigte sich mit 156 Großen und 2071 Kleinen Anfragen sowie mit 18443 mündlichen und schriftlichen Abgeordnetenfragen und produzierte 11972 Drucksachen. (Quelle: Deutscher Bundestag, WD 4, Juli 1999).
Im 13. Bundestag gibt es 4 Fraktionen (CDU/CSU, SPD, Bündnisgrüne, FDP) sowie die Gruppe der PDS, die mit 30 Abgeordneten den Fraktionsstatus verfehlte, und 22 ständige Ausschüsse.
Stand Frühjahr 1997, incl. Teilzeitstellen, nach den Haushaltsplänen der Fraktionen.
Hinzu kommen die Mitarbeiter in den Wahlkreisen, deren Zahl in der 13. Legislatur-Periode um rund 2 440 schwankt.
Quelle: Einzelplan des Bundestages 1996.
Quelle: Haushaltsplan des Bundes 1996.
Ausführlich dazu Wolfgang Zeh in: Parlamentarismus, Historische Wurzeln — Moderne Entfaltung, 4. Aufl., Heidelberg 1987, S. 100 ff; ebenso Wolfgang Zeh: Parlamentarisches Verfahren, in: Josef Isensee und Paul Kirchhof: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, S. 432ff.
Wolfgang Zeh: Parlamentarismus, S. 100.
Vgl. Wolfgang Ismayr: Der Deutsche Bundestag, S. 83ff.
16. Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes (Fraktionsgesetz), BGBl. I. vom 19.3. 1994.
Hans Meyer: Die Fraktionen auf dem Weg zur Emanzipation von der Verfassung, in: Herta Däubler-Gmelin (Hg.) Gegenrede — Aufklärung — Kritik — Öffentlichkeit, Festschrift für Ernst Gottfried Mahrenholz, Baden-Baden 1994, S. 320ff.
§53 Fraktionsgesetz.
§ 47, 1 Fraktionsgesetz.
§ 46, 1 Fraktionsgesetz.
BVerfGE vom 13.6.1989, 2 BvE 1/88, S. 40; BVerfGE 20, 5776 (104); 62 (202); vgl. auch Wolfgang Ismayr: Der Deutsche Bundestag, S. 836.
Wolfgang Zeh: Gliederung und Organe des Bundestages, in: Josef Isensee und Paul Kirchhof: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, S. 395.
GOBT § 10, Abs. 1.
GOBT § 10, Abs. 1.
GOBT § 10, Abs.4.
In einem Organstreitverfahren hatte die PDS beim Bundesverfassungsgericht über ihre Einstufung als „Gruppe“ geklagt. In seinem Beschluß vom 17. September 1997 (Az: 2 BvE 4/95) wies das Gericht die Klage zurück. Es erkannte als zulässig an, der PDS die Stellung von Ausschußvorsitzenden zu verweigern. Auch die Mitwirkungs-Einschränkungen in Untersuchungsausschüssen sowie der Ausschluß vom Vermittlungsausschuß und zweier weiterer Gremien erkannte der Zweite Senat als rechtens.
Anhang zur GO-SPD-Bundestagsfraktion vom 19.5.1992.
§ 4 der AO-CDU-Bundestagsfraktion vom 22.11. 1994.
In den meisten Fraktionen sind die Obleute zugleich die Arbeitsgruppen-Vorsitzenden.
Bei der Unionsfraktion etwa Arbeitnehmer, Vertriebenen, Frauen, Junge Gruppe.
Bei der SPD etwa der „mitte-rechts“ stehende „Seeheimer-Kreis“ oder die „Parlamentarische Linke“, bei der FDP der sozial-liberale „Freiburger Kreis“ (der zugleich auch eine Parteigruppierung ist) oder der konservative „Schaumburger Kreis“.
So etwa bei der CDU der Wirtschaftsrat, der Parlamentskreis Mittelstand, die Sozialausschüsse der Christlich-Demokratischen-Arbeitnehmerschaft (CDA) oder die Frauenvereinigung. Bei der SPD die Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA) oder die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (ASF).
Vgl. durchgehend Hans Apel: Die deformierte Demokratie, oder auch Hildegard Hamm-Brücher: Der Politiker und sein Gewissen.
Gerhard Loewenberg: Parlamentarismus im politischen System der Bundesrepublik, S. 216.
Will Rasner: Herrschaft im Dunkeln? Aufgabe und Bedeutung des Ältestenrats, in: Hübner/Oberreuter/Rausch: Der Bundestag von innen gesehen, S. 99–133.
GOBT § 6 Abs.l.
GOBT § 6 Abs. 2.
GOBT § 62.
Siehe auch Wolfgang Ismayr a.a.O. S. 184.
GOBT §12.
Nach GOBT § 57, Abs. 2 ist letzteres Sache der Fraktionen.
In der 12. Wahlperiode (1990–1994) beantragten die Oppositionsparteien 83 von insgesamt 103 Aktuelle Stunden, das sind 80, 58 Prozent. Die oppositionsinterne Aufschlüsse-lung sieht so aus: SPD 51, PDS 21 und Bündnis90/Die Grünen 11. Quelle: Chronik Deutscher Bundestag, 12. Wahlperiode 1990 – 1994, Bonn 1996, S. 493 ff.
So im Gespräch mit dem Autor.
Nach einer von Werner J. Patzelt a.a.O. zitierten Deutschen Abgeordnetenstudie von 1994 unterstellen 53 Prozent der befragten Abgeordneten, daß in anderen Parteien als der eigenen ein Fraktionszwang existiert.
Vgl. Heinz Rausch: Der Abgeordnete — Idee und Wirklichkeit, 4. A., München 1980, S. 115 ff.
Heinz Rausch, ebd..
Ausführlich dazu Werner J. Patzelt in seinem Aufsatz „Wider das Gerede vom ,Fraktionszwang‘! Funktionslogische Zusammenhänge, populäre Vermutungen und die Sicht der Abgeordneten“, in: ZParl 2/98, S. 323–347.
So die CDU/CSU in § 16 Abs. 1 Arbeitsordnung, die SPD-Fraktion im Anhang zu ihrer GO vom 19. 5. 1992, die FDP in § 1 Abs. 6 ihrer GO, die Gruppe der PDS formuliert in § 1 Abs. 3 GO so: „In der PDS-Bundestagsgruppe gibt es keinen Fraktionszwang. Esesoll aber versucht werden, in wichtigen politischen Fragen Übereinstimmung herzustellen, damit die Bürgerinnen und Bürger mit der Bundestagsgruppe eine bestimmte politische Ausrichtung und Zielstellung verbinden können“.
Vgl. Wolfgang Zeh: Gliederungen und Organe des Bundestages, S. 398.
Schlußbericht der Enquete-Kommission, S. 78.
§ 14a Arbeitsordnung CDU/CSU-Fraktion.
So Burkhard Hirsch im Gespräch mit dem Autor.
Vgl. dazu Thomas Saalfeld: Parteisoldaten und Rebellen. Eine Untersuchung zur Geschlossenheit der Bundestagsfraktionen CDU/CSU, SPD und FDP 1949–1990, Opladen 1995. Darin stellt Saalfeld eine statistisch höhere Wiederwahlquote von Abweichlern fest.
Vgl. dazu auch Suzanne S. Schüttemeyer: Die Fraktionen im Deutschen Bundestag, S. 282f.
So Heinz Rausch: Der Abgeordnete — Idee und Wirklichkeit, S. 121.
Hildegard Hamm-Brücher: Der freie Volksvertreter, S. 19.
Hamm-Brücher: a.a.O., S. 38.
Ebenda.
Vgl. Hans Apel: Die deformierte Demokratie, und Dieter Lattmann: Die Einsamkeit des Politikers, München 1977.
Hans Maier im Vorwort zu Hübner/Oberreuter/Rausch: Der Bundestag von innen gesehen, S. 11. Die von Maier und anderen geäußerte — und parlamentsintern voll geteilte — Kritik war mit Anstoß dafür, die Fraktionsdienste erheblich auszubauen und Abgeordneten-Mitarbeiter einzuführen.
Friedrich Schäfer: Der Deutsche Bundestag, Opladen 1967, S. 154.
Hans Apel, a.a.O., S. 222.
Ebenda.
Günther Müller: Dreiklassenparlament in Bonn? Zur Stellung der Abgeordneten im Bundestag, in: Hübner/Oberreuter/ Rausch (Hg.), Der Bundestag von innen gesehen, S.42–56.
Vgl. dazu Dieter Lattmann: Die Einsamkeit des Politikers, S.15; vgl. auch Dieter Lattmann: Chancengleichheit für Abgeordnete? FAZ Nr.248 vom 25. 10. 1978.
§ 3 GO-SPD-Fraktion.
So etwa die SPD-Fraktion in § 6 Abs.4 GO.
Bei der SPD ist dies nach § 6 Abs. 2 GO die zuständige Arbeitsgruppe; die Bündnisgrünen verzichten zwar auf eine ausdrückliche Zustimmung der Fraktion, verlangen aber die Unterschrift des Parlamentarischen Geschäftsführers.
So in §2 Abs.1 der GO-SPD-Fraktion; § 17 Abs.1 GO-CDU/CSU-Fraktion; § 1 Abs. 4 GO-FDP-Fraktion; § 3 Abs. 1 GO-Bündnisgrüne.
§ 17, Abs. 2 b GO-CDU/CSU-Fraktion.
§ 1 Abs. 5 und 6 GO-SPD-Fraktion.
§ 13 Abs. 2 GOBT.
Fehlt ein Abgeordneter an einem Sitzungstag, werden nach § 14 Abs.l AbgG 90 DM , trägt er sich nicht an einem Plenarsitzungstag in die Anwesenheitsliste ein, 150 DM von der Kostenpauschale einbehalten. Die Nichtteilnahme an einer namentlichen Abstimmung „kostet“ nach §14 Abs.2 AbgG den Abgeordneten 75 DM.
So Wolfgang Ismayr: Der Deutsche Bundestag, S. 43f.
Hans Apel: Die deformierte Demokratie, S. 221.
Karl Carstens im Bundestag nach seiner Wahl zum Bundestagspräsidenten im Dezember 1976, Siehe Plenarprotokoll 8/1.
So Burkhard Hirsch im Gespräch mit dem Autor.
Hildegard Hamm-Brücher: Freiheit ist mehr als ein Wort, Köln 1996, S. 476f. Siehe dazu auch Wolfgang Ismayr: Der Deutsche Bundestag, S. 538. Er schreibt: „Die Geschäftsführer befürchten, Regelungen zur Erweiterung des Spielraums einzelner Abgeordneter könnten zu unkalkulierbaren Abläufen führen und die notwendige Geschlossenheit und Unterstützung der Fraktions- bzw. Regierungspositionen gefährden.“
Einige von ihnen sind bei Wolfgang Zeh: Parlamentarismus, S. 114ff aufgeführt. Zeh führt an, daß:- der Bundestag sich in der Gesetzgebung mit zu vielen Detailregelungen befaßt und die Parlamentarier über ihrer fachlichen Spezialisierung die politischen Grundprobleme aus dem Auge verlieren;- die politischen Entscheidungen sich zu stark in die — nicht öffentlichen — Ausschüsse und Arbeitskreise verlagern, während in der Plenarberatung keine echte politische Willensbildung stattfindet;- der Bundestag zu wenig auf die Öffentlichkeit meinungsbildend wirke und seinerseits in hohem Maße abhängig sei von der öffentlichen Meinung.
Hildegard Hamm-Brücher: Freiheit ist mehr als ein Wort, S. 478.
Uwe Thaysen: Parlamentarisches Regierungssystem, S.98.
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Petersen, S. (2000). Das Betätigungsfeld: Fraktion und Parlament. In: Manager des Parlaments. Forschung Politikwissenschaft , vol 67. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-93222-8_2
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