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Verbeamtung als österreichischer Zivilisationsprozeß

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Book cover Autorität, Staat und Nationalcharakter

Part of the book series: Figurationen. Schriften zur Zivilisations- und Prozesstheorie ((FIG,volume 2))

  • 85 Accesses

Zusammenfassung

Die österreichische bürokratische Haltung, die sich zum Sozialcharakter verdichtet hat, wird in einem fast klassischen Beispiel von Doderer sichtbar, der seinen „Amtsrat Zihal“ bei einer im Grunde ganz amtsfremden Beschäftigung schildert und dabei in das für einen Beamten kennzeichnende, sein innerstes Wesen ausdrückende Amtsdeutsch verfällt:

Demnach ergab sich als zum Entscheid stehend die notwendige Heranbringung eines Tisches, welcher geeignet schien, auf seiner Platte Raum zu bieten für den Beobachtungsstuhl sowie etwa für ein davor zu postierendes niederes Taburett als Schwenkbasis des kurzen Dreibeins: hiezu konnte das seinerzeit so lärmende Rauchtischlein als geeignet angesehen werden, wenngleich seit damals Mißtrauen gegen dieses Möbelstück bestand. Die darauf befindlichen Requisiten wären vorher zu entfernen und wegzuschließen, und zwar a) wegen gänzlicher Überflüssigkeit, b) wegen des damals erzeugten Krawalles in Verbindung mit Wiederholungsgefahr bzw. Rückfälligkeit, also strafweise. Vielleicht konnte in.dieser Weise gleich unter einem mit dem Entzuge der Bewilligung für Herrn Wänzrich vorgegangen werden, was in Anbetracht der nun zu treffenden Anstalten als unbedingt angezeigt erschien. (Doderer. 1995, S. 98)

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Anmerkungen

  1. Doderers Schreibweise wurde gelegentlich. als “spätrealistisch” eingestuft (vgl. Weber, D., 1963, S. 7), eine solche Art des Humors von Magris (Magris, 1988, S. 186f.) als typisch österreichisch und “selbstverstümmelnd” bezeichnet. Doderers eigene Theorie des Schreibens ging von “zwei Wirklichkeiten” aus, wobei die zweite eine von konkreten Details gereinigte, gewissen holistischen Formprinzipien genügende, sehr stark begrifflich erfaßte Wirklichkeit darstellte. Vgl. Doderer, 1959-,für seine eigene Theorie des Romans, sowie den Aufsatz von C. Magris in dem Band zum Symposium anläßlich des 80. Geburtstages, 1976; vgl. auch Weber, D., 1987 für eine Doderer-Biographie. Die beiden Doderer-Zitate beruhen auf einer Kunst der “Menschenbeobachtung”, die nicht einzelne Situationen und Interaktionen genau wiedergibt, sondern das Typische an einer ganzen Reihe von Situationen und Persönlichkeiten zu erfassen versucht.

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  2. Der Realismusgrad der Gesellschaftsbeschreibung ist wohl als hoch anzusetzen, selbst wenn_ die grotesken Entstellungen von Orts-und Eigennamen in der Londoner Ausgabe sowie jene Recherchierfehler in Abzug gebracht werden, die seine Biographen schnell herausgefunden haben. (wie R.F. Arnold und G. Winter in der vorliegenden Werksausgabe, Sealsfield, 1972 ). Was an Postl-Sealsfields Wahrnehmungen zu Österreich seiner reflektiert erlebten Jugend und was davon dem Abstand des Amerikareisenden zuzuschreiben ist, ist wohl schwer zu klären. Grundsätzlich in Rechnung zu stellen ist auch seine politisch-liberale Einstelhmg, die sich den westlichen Konstitutionalismus zum Vorbild nimmt und englische Freiheit, französische Revolution (auch Napoleon wird von ihm sehr positiv gezeichnet) sowie den bereits fiihlbaren Geist Amerikas als Meßschablone für den österreichischen Despotismus verwendet — in einer Zeit, in der Österreich in Deutschland noch immer nahezu allmächtig gewesen sei. Von den Zeitgenossen, aber auch von späteren Kritikern wird Sealsfields Schrift oft als “Pamphlet” bezeichnet — als eine Brandfackel gegen Absolutismus und Fürstenwillkür, und in der Tat macht er es seinen Lesern nicht schwer zu erraten, wo seine Sympathien liegen.

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  3. Als Christoph Mylius, ein deutscher Englandreisender um 1753, die englischen Zöllner erlebte, waren sie wohl recht brutal-pedant (“Hier kamen die Visitatoren an Bord und visitierten uns alle auf eine barbarische Art, indem sie uns unter die Westen und Bnusttiicher, unter die Achseln,, in die Taschen und sogar in die Hosen fiihlten.” Mylius, in: Maurer (Hg.), 1992, S. 135), aber von höfischen Formen ist da nicht wie auch sonst nirgends die Rede.

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  4. Die Tiroler — ein altes Privileg — dürfen ihren Kaiser gar duzen. und Franz gibt ihnen eine zwar inhaltlich scharfe, in der Form aber biedere Antwort auf ihre von einer Abordnung vorgebrachten Fordenmgen. Er interveniert auch zugunsten eines niederösterreichischen Weinbauern (den er ‘in Audienz empfangen hat) bei seinen eigenen Beamten (Sealsfield, 1972, S. 91), wobei die bürokratische Maschinerie auch dem Kaiser gewisse Grenzen setzt.

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  5. Für einen Vergleich des Schweizer mit dem siiddeutsch-schwäbischen Habitus siehe Parin/Parin-Matthèy, 1976, die insbesondere eine gewisse sprachliche Unbeholfenheit der Schweizer in Verbindung mit Familie und früher Sozialisation bringen.

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  6. Die Geschichte des Handkussses in Österreich wäre eine genauere Bearbeitung wert. Heute ist davon nur mehr die Gnißformel: “Kuß’ die Hand, gnä Frau” übriggeblieben, und diese wird praktisch nur mehr von wenigen Angehörigen der gehobenen Schichten verwendet. Noch seltener wird dann auch tatsächlich der Handkuß praktiziert. Diese Sitte hat mit hoher Wahrscheinlichkeit höfische Ursprünge und war nicht auf die Galanterie von Männern gegenüber Frauen beschränkt. Interessant ist deren Entwicklung zu einem galanten Ritual ebenso wie ihr Stellenwert in Österreich und Ungarn — ein Indikator für die große Machtposition von Frauen in der höfisch-aristokratischen Gesellschaft, die dann auch auf die bürgerliche Salonkultur abfärbte. Während “Grüß Gott” die katholische Gegenreformation in einer alltäglichen Gnißformel konserviert, ist “Kuß’ die Hand” ein eindeutig höfisches Erbe.

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© 2000 Leske + Budrich, Opladen

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Kuzmics, H., Axtmann, R. (2000). Verbeamtung als österreichischer Zivilisationsprozeß. In: Autorität, Staat und Nationalcharakter. Figurationen. Schriften zur Zivilisations- und Prozesstheorie, vol 2. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-93206-8_8

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-93206-8_8

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

  • Print ISBN: 978-3-8100-2967-6

  • Online ISBN: 978-3-322-93206-8

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