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Generationenzusammenhang und kollektive Prozeß-struktur einer Problemgemeinschaft im gesellschaftlichen Umbruch — Ergebnisse

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Mit uns zieht die alte Zeit

Part of the book series: Biographie und Gesellschaft ((BUG,volume 21))

  • 86 Accesses

Zusammenfassung

Die vorliegenden Biographieanalysen erbrachten ein Spektrum von vier typischen Verlaufsmustern in der biographischen Verarbeitung des gesellschaftlichen Umbruchs in der ehemaligen DDR. Versucht man die strukturelle Beziehung der einzelnen Typen untereinander zu bestimmen, also gleichsam den Angelpunkt der Typologie, dann sind es wohl vor allem zwei Dimensionen, aus denen sich die einzelnen Verlaufsformen konstituieren: Die erste Ebene läßt sich als Spannungsverhältnis von Kontinuität und Diskontinuität innerhalb der biographischen Verläufe im gesellschaftlichen Umbruch bezeichnen. Die zweite Ebene betrifft dagegen das Spannungsverhältnis von Individuum und Gesellschaft. Anschaulicher formuliert könnte man auch sagen, die Typologie ergibt sich gewissermaßen aus zwei ‘Gretchenfragen’, denen sich jeder der jungen DDR-Bürger offenbar im Blick auf seine Biographie nach der Wende gegenübersieht: Wie habe ich dieses gesellschaftliche Erdbeben überstanden? — und: Wie habe ich’s mit dem alten System gehalten?

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Literatur

  1. Mit dem Generationenbegriff stütze ich mich auf einen Vorschlag von Matthes (1985), der Mannheims Konzept (Mannheim 1928) einer zeittheoretischen Deutung unterzieht (vgl. von Wensierski 1990). Matthes will damit die eher prozeßorientierten Ansätze des Generationenkonzepts gegenüber dem seiner Ansicht nach dort eher vorherrschenden “gruppensoziologischen und sozialstrukturell aufgefaßten” Problem hervorkehren. Der Generationenbegriff ist danach weniger für die Identifizierung fester Gruppengestalten brauchbar. Vielmehr zielt er auf ein kulturelles Konstrukt von Zeitlichkeit, das sich als Transmissionsriemen zwischen der Zeitlichkeit der Individuen und der Zeitlichkeit der Gesellschaft und ihres sozialen Wandels verstehen läßt. Nicht mehr Generationengestalten, sondern “generationelle Verhältnisse” stünden im Mittelpunkt: “Generationelle Verhältnisse erscheinen dann als eine Modalität der gesellschaftlichen Regelung von Zeitlichkeit, in der es um die Verarbeitung der Erfahrung von Ungleichzeitigkeit in Erfahrungs-und Erinnerungsbeständen geht, die je für sich Konsistenz und Plausibilität aus dem Umstand ihrer Gleichzeitigkeit gewinnen.” (Matthes 1985, 363) Der Einwand von Matthes scheint insbesondere vor dem Hintergrund der (empirischen) Jugendforschung gerechtfertigt zu sein, hatte das Generationenkonzept Mannheims dort doch nicht nur großen Einfluß, sondern wurde in den Händen seiner Adepten auch allzuoft auf das Maß einer plakativen Chronologisierung jugendkultureller Generationengestalten reduziert (vgl. überblicksartig Jaide 1988, Fend 1988, Nave-Herz 1989), vor der Mannheim übrigens — als “Geschichtstabellensoziologie” — schon selber gewarnt hat (Mannheim 1928, 319).

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  2. vgl. Weber 1988, 190ff.; Gerhardt 1986, 86ff.

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  3. Das Bild von der “Nischengesellschaft” DDR ist vor allem durch das Buch “Wo Deutschland liegt” von Günter Gaus (1983) populär geworden. Im allgemeinen wird diese Metapher dazu benutzt, um die Existenz gegensätzlicher und voneinander abgeschütteter sozialer Welten innerhalb der DDR-Gesellschaft zu beschreiben. Die dabei implizierte Vorstellung, die offizielle DDR-Lebenswelt hätte sich am Eingang zur jeweiligen Nische gleichsam “an der Garderobe ablegen” lassen, trifft m.E. aber die Interdependenzbeziehungen der sozialen Strukturen und Milieus sowie die spezifischen Formen sozialer Kontrolle in der DDR nur unzureichend. Auf die Subjekte bezogen führt dieses Nischenkonzept denn auch regelmäßig zu den Befunden von “Persönlichkeitsspaltung”, “gesellschaftlicher Schizophrenie” (vgl. Schwind 1991, 77) oder “doppelten Identitäten” (Kühnel 1991; Pollack 1992, 276). Huinink versucht dagegen, bei der Berücksichtigung solcher “relativ autonomer Kommunikationsräume” ohne den Begriff Nische auszukommen (Huinink 1992, 236f.).

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  4. Das führte wohl auch zu der eigenartigen Herrschaftsstruktur in einer Gesellschaft, die auf der Basis einer williihrigen Nomenklatura ohne einen ausgeprägten distinktionsfähigen kulturellen sozialistischen Habitus regierte. “So konnte sich eine Gesellschaft der kleinen Leute herausbilden, in der sich keine Untergruppe durch eine exklusive Mobilisierung von Lebensbedingungen und Laufbahnressourcen von den anderen Gruppen abzusetzen vermochte; eine Gesellschaft, in der durch die erst erzwungene, dann aber auch massenhaft individualisierte Nivellierung kultureller Ansprüche Distinktionsstrategien und symbolische Konkurrenzen wohl nicht ganz fehlten — das existentielle Zentrum des Handelns und Denkens bildeten sie jedoch nicht.” (Engler 1992, 65)

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  5. Es ist dies kein besonders origineller theoretischer Befund, allenfalls ein überraschend aktueller empirischer Beleg für das Prinzip, das Orwell in “1984” mit dem “Newspeak” als offizieller Amtssprache Ozeaniens entwarf. “Sie hatte nicht nur den Zweck, ein Ausdrucksmittel für die Weltanschauung und geistige Haltung zu sein, die den Anhängern des Engsoz allein angemessen war, sondern darüber hinaus jede Art anderen Denkens auszuschalten. Wenn die Neusprache erst ein für allemal angenommen und die Altsprache vergessen worden war (etwa im Jahre 2050), sollte sich ein unorthodoxer — d.h. ein von den Grundsätzen des Engsoz abweichender Gedanke — buchstäblich nicht mehr denken lassen, wenigstens insoweit Denken eine Punktion der Sprache ist. Der Wortschatz der Neusprache war so konstruiert, daß jeder Mitteilung, die ein Parteimitglied berechtigterweise machen wollte, eine genaue und oft sehr differenzierte Form verliehen werden konnte, während alle anderen Inhalte ausgeschlossen wurden, ebenso wie die Möglichkeit, etwa auf indirekte Weise das Gewünschte auszudrücken. Das wurde teils durch die Erfindung neuer, hauptsächlich aber durch die Ausmerzung unerwünschter Worte erreicht, und indem man die übriggeblie-benen Worte so weitgehend wie möglich jeder unorthodoxen Nebenbedeutung entkleidete.” (George Orwell “1984”)

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  6. Meuschel sieht in dieser Herrschaftsstruktur eines der grundlegenden strukturellen Modernitäts-und Rationalitätsdefizite, das den ostdeutschen Staat, wie auch andere sozialistische osteuropäische “Gesellschaften sowjetischen Typs”, ausgezeichnet habe (vgl. Meuschel 1992, 24).

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  7. die das Wachregiment des Ministeriums für Staatssicherheit war und nicht, wie Stock/Mühlberg schreiben, dem Innenministerium unterstellt war.

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  8. Empirische Lebenswelt-und Milieustudien, die den sozialen Raum der ehemaligen DDR vor und nach der Wende auf der Basis einer Differenzierung sozialer Milieus beschreiben und analysieren, liegen meines Wissens zur Zeit noch nicht vor. Allerdings gibt es erste Konzeptualisierungsversuche im Rahmen laufender Forschungsprojekte. So identifiziert etwa Ritschel in einer hypothetischen Skizze mehrere DDR-spezifische Milieus: Das “bürgerlich-humanistische Milieu”, das “hedonistische Arbeitermilieu”, das “ländlich-bäuerliche Milieu” sowie ein “subkulturelles Jugendmilieu” (vgl. Ritschel 1992, 299ff.). Eine an Bourdieus Konzept des sozialen Raums angelehnte Differenzierung der DDR-Sozialmilieus versucht auch Vester (1992, 357ff.).

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  9. Die politische Bedeutung der “Ausreiser” für die Wende und die revolutionären Ereignisse im Herbst ′89 war unter den DDR-Bürgern, wie auch meine Interviews zeigen, keineswegs unumstritten. So kam es selbst noch während der Protest-und Demonstrationsphase des Herbstes, die schließlich in den Kollaps der DDR mündete, zu einer unüberbrückbaren Spannung zwischen Ausreisewilligen und solchen, die “mit ihrer politischen Demonstration auf eine Veränderung der Verhältnisse im eigenen Land abzielten.” (Ronge 1990, 40) Dabei lassen sich die Anteile der beiden Gruppen (Aussiedler und Demonstranten) an den politischen Veränderungen in der DDR wohl kaum sinnvoll voneinander trennen. Insofern trifft das technische Bild vom Katalysator (“ein Stoff, der, ohne im Endprodukt zu erscheinen, die Geschwindigkeit einer Reaktion oder deren Ablauf in eine bestimmte Richtung ändert.”; Brockhaus) meines Erachtens die Funktion der Übersiedler ganz gut. Dabei ist die Spekulation müßig, ob die Wende und der folgende politische Prozeß ohne Ausreiser anders verlaufen wären. Andererseits stellen die massenhaften deutsch-deutschen Übersiedler bereits ein frühzeitiges Indiz für die eigentliche Richtung dieser “nachholenden Revolution” dar: go west, young men. Damit läßt sich aber wohl auch nur unter Absehung dieser stets in großen Teilen der Bevölkerung präsenten Westorientierung von einer “Wende in der Wende” sprechen, so als habe sich die “zunehmende Orientierung auf die Bundesrepublik” erst im Herbst ′89 herausgebildet (vgl. Meuschel 1992, 316ff.; Reißig 1993, 60).

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  10. Daraufhin verlassen im September rund 33.000, im Oktober 57.000 die DDR. Seinen Höhepunkt fmdet diese Fluchtwelle im November: 133.000 Bürger kehren ihrem Land den Rücken (vgl. Ronge 1990, 40). Insgesamt verließen 1989 rund 344.000 Übersiedler die DDR in Richtung Bundesrepublik (vgl. Behnen 1990, 8).

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  11. Neben der West-Berichterstattung war es wohl auch die geradezu hysterische Reaktion der politischen Führung und der DDR-Medien, die der DDR-Bevölkerung schon frühzeitig den Ausnahmecharakter der Ereignisse dieses Sommers signalisierte: Die Medien präsentierten “Entführungsopfer”, die angeblich unter Betäubung in den Westen verschleppt worden waren. In Dresden kam es zu gewalttätigen Tumulten auf den Bahnsteigen, als Ostdeutsche auf die aus Prag kommenden Züge mit Flüchtlingen aufspringen wollten, und Honnecker diffamierte die Ausreisewilligen als solche, denen man keine Träne nachzuweinen brauche. Alle diese Vorkommnisse und Medienereignisse werden auch in den Interviews vom Sommer ′89 erinnert.

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  12. DDR-Jargon für den Begriff “Asoziale”, mit dem im DDR-Alltag unterschiedslos alle Formen sozialer und kultureller Auffälligkeit sowie die verschiedenartigsten Formen sozialer Probleme benannt wurden.

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  13. Zur Chronologie und zum Prozeßverlauf der Wende vgl. Maier 1990, Schüd-dekopf 1990, Glaeßner 1991, Opp 1993

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  14. Zum Konzept der Kontinuitätsidealisierungen des “und so weiter” und “ich kann immer wieder”, vgl. Schütz/Luckmann 1979, S. 29ff.

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  15. vgl. in diesem Sinne auch die Fallanalysen von Angelika, Claudia, Lutz, Sabine

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  16. Meuschel hält einen solchen Gestus für eine typische Reaktion der ehemaligen DDR-Intellektuellen nach der Wende: “Seither (..) sind, von Ausnahmen in der Bürgerrechtsbewegung abgesehen, die Intellektuellen in ‘unüberhörbares Schweigen’ versunken, wenn sie nicht in Nostalgie den verlorenen Errungenschaften des realen Sozialismus nachtrauern oder die imaginierten Potenzen eines künftigen ‘wahren’ beschwören. In der kulturellen Sphäre ist bislang insoweit wenig von Aufbruchstimmung zu beobachten, als die vormals etablierte Intelligenz den Umbruch vielfach nicht als Befreiung, eher als Bedrohung, Gefährdung und Identitätsverlust erlebt.” (Meuschel 1992, 334)

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  17. Nach Vester setzt sich dieses Protestmilieu vor allem aus zwei Gruppen zusammen: Den Angehörigen des links-alternativen Spektrums sowie den jugendlichen Subkulturen (vgl. Vester 1992, 359; ähnlich auch Ritschel 1992, 303). Unsere Biographieanalysen weisen darüberhinaus gerade diese beiden Gruppen als diejenigen aus, die zugleich mit der Richtung des Einigungsprozesses die größten Probleme haben.

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  18. Diese politische Desillusionierung angesichts enttäuschter Reformhoffnungen insbesondere im Umfeld der Bürgerbewegungen spiegelt sich auch auf der Ebene des institutionellen Zusammenhangs und der politischen Durchsetzungskraft der ehemaligen DDR-Opposition wider, die nach dem Schock der Volkskammerwahl vom März 1990 zu einer relativen politischen Marginalisierung führte. Alle Organisationen dieser Bürgerbewegungen hatten nach der Märzwahl einen “rapiden Mitgliederrückgang” zu verzeichnen (vgl. Wielgohs, Schulz 1993, 238ff.). Während die Skizze von Wielgohs/Schulz zur Entwicklung der DDR-Bürgerbewegung eher die strukturellen Defizite dieser Gruppierungen aufzeigt, aus denen heraus sich auch ihr beschränkter Gestaltungsspielraum auf die DDR-Wende erklären läßt, sieht Reißig demgegenüber eine “Zäsur” innerhalb des Umbruchs — eine “Wende in der Wende”. Danach habe letztlich die Öffnung der Mauer und die nachfolgende Hegemonie der “bundesdeutschen Parteien-und Medienlandschaft” gewissermaßen zu einer politischen Enteignung der ostdeutschen Initiativen geführt (vgl. Reißig 1993, 59ff.).

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  19. Die Verkennung der unaufhebbaren Diskrepanz in den Zeithorizonten zwischen der Zukunftsperspektive damaliger Gegenwart und der Zukunftsperspektive einer vergegenwärtigten Vergangenheit ist ja nicht nur in privaten und biographischen Kontexten von Bedeutung, sondern ist im Rahmen der deutschen Vereinigung auch ein beliebter Gegenstand in den politischen Auseinandersetzungen, der eine beliebige gegenseitige Illegitimisierung früherer Handlungsmuster erlaubt.

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  20. Es sei denn, man ließ sich auf den schmerzlichen und langwierigen Prozeß eines Ausreiseantrags ein.

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  21. Zur theoretischen Konzeptualisierung der Begriffe ‘Legitimitätsglaube’ und ‘Loyalität’ vgl. Meuschel 1991

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  22. “Die Wende als biographischer Einbruch”

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  23. der allerdings keine sichere Gewähr für solche Ausschließlichkeit auch über das hier befragte Sample hinaus geben kann.

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© 1994 Leske + Budrich, Opladen

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von Wensierski, HJ. (1994). Generationenzusammenhang und kollektive Prozeß-struktur einer Problemgemeinschaft im gesellschaftlichen Umbruch — Ergebnisse. In: Mit uns zieht die alte Zeit. Biographie und Gesellschaft, vol 21. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-92521-3_11

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  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

  • Print ISBN: 978-3-322-92522-0

  • Online ISBN: 978-3-322-92521-3

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