Zusammenfassung
“Man beurteilt einen Autor mit Recht nur nach dem, was er veröffentlicht hat.”1 Als Böll 1961 diese Feststellung traf, sprach er aus eigener Erfahrung. In der frühen Nachkriegszeit versuchte er sich in nahezu allen literarischen Gattungen; er schrieb Romane und Kurzprosa, Dramen und Hörspiele, verfaßte Gedichte ebenso wie er Rezensionen, Essays und Übersetzungen anfertigte. Nichts von dem hat er veröffentlicht in den Jahren bis 1950, abgesehen von Kurzgeschichten und einer größeren Erzählung (Der Zug war pünktlich). Deshalb galt Böll in der Literaturkritik spätestens seit seiner Erzählungen-Sammlung Wanderer, kommst du nach Spa…, die 1950 publiziert wurde, als Verfasser von Kurzprosa, und es verwundert nicht, daß das Echo auf seine erste Romanveröffentlichung Wo warst du, Adam? im Jahre 1951 merkwürdig zwiespältig war, deutlich beeinflußt von dieser Einschätzung, die für ihn zu einer Art Stigma geworden war. Während die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Kriegsproblematik zwar begrüßt und nahezu vorbehaltlos gelobt wurde, erfuhr die formale Strukturierung des Romans keine vergleichbar wohlwollende Rezeption. Viele Rezensenten begnügten sich mit einer positivistischen Beschreibung der Romanstruktur und charakterisierten den Aufbau als “Sammlung von Kurzgeschichten”2 oder betrachteten den neun Kapitel umfassenden Roman “genau genommen” als “einige große Erzählungen”,3 die Böll allenfalls “recht lose” aneinandergereiht habe.4 Eine klare Deutung und Bewertung dieses auffallend einstimmigen Befundes wurden aber beharrlich vermieden.
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Literatur
“Werkstattgespräch mit Horst Bienek” (1961), INT 14.
Peter E. Pechel: Der Krieg als handelnde Macht, in: Deutsche Rundschau (Stuttgart) 78 (1952), Heft 8, S. 874f. Vgl. auch Kay Hoff: “Neun Kapitel hat Heinrich Bölls Roman, neun Kurzgeschichten sind es eigentlich, in sich ausgeformte pralle Erzählungen, die durch knappe Bezüge von Namen, Daten und Dingen zusammengehalten werden.” (K.H.: Bücher ohne Goldschnitt. Heinrich Böll — eine Stimme der jungen Generation, in: Michael 10, Nr. 19 vom 11. Mai 1952)
Herbert Nette: Panorama des Krieges, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 263 vom 10. November 1951.
Gert Kalow: Wo bleibst du, Adam?, in: Das ganze Deutschland (Detmold), 12. Januar 1952.
Rudolf Krämer-Badoni: Junge deutsche Autoren und ihre Sprache, NWDR (Berlin), 28. April 1952.
Ingeborg Bachmann, [o.T.] in: Wort und Wahrheit. Monatsschrift für Religion und Kultur 7 (1952), Heft 8, S. 623f., hier S. 624.
Alfred Andersch: Christus gibt keinen Urlaub, in: Frankfurter Hefte 6 (Dezember 1951), Heft 12, S. 939–941, hier S. 940.
Klaus Jeziorkowski beispielsweise bezeichnet den strukturellen Aufbau des Romans als eine Addition von Kurzgeschichten: “Mit dieser Gliederung [in neun Kapitel] stellt sich der Roman dar als eine Ringkomposition aus neun Kurzgeschichten. Er ist also der Struktur nach eine Vervielfachung derjenigen literarischen Form, mit der Böll sich vor diesem Roman schon einen Namen als Autor gemacht hatte, Kurzgeschichten […].” (K.J.: Heinrich Böll Wo warst du, Adam? (1951), in: Deutsche Romane des 20. Jahrhunderts. Neue Interpretationen, hrsg. von Paul Michael Lützeler, Königstein/Ts. 1983, S. 273–283, hier S. 275.) — Gegenüber der eher wertfreien Umschreibung des Romanaufbaus von Jeziorkowski beurteilt Jochen Vogt die Komposition des Romans als “stilistische Schwäche”, die Bewältigung der “komplexeren Erzählform” sei “nur teilweise” gelungen. Zwar habe der Roman einen Rahmen, der “durch neun Episoden, die zumeist ein abgeschlossenes Geschehnis umfassen und im Grunde nur durch das Auftauchen schon bekannter Requisiten und Figuren […] locker miteinander verkettet sind”, ausgefüllt werde, doch könne man allenfalls “von einer Annäherung an die Romanform als von deren Ausführung sprechen”. (J.V.: Heinrich Böll, 2., neubearb. Aufl., München 1987, S. 40.) — Auch Bernhard Sowinski schließt sich der allgemeinen Einschätzung an, wenn er “das Werk eher [mit] neun verschiedenen Erzählungen als [mit] einem traditionellen Roman” vergleicht. (B.S.: Heinrich Böll, Stuttgart/Weimar 1993, S. 52.) — Eine Ausnahme in der Böll-Forschung stellt James H. Reid dar, der als einziger über ein allgemeineres Statement hinaus eine detaillierte und durchaus zutreffende Beschreibung der Romanstruktur liefert. Doch eine Erläuterung des dem Roman imma-nenten Bauprinzips erfolgt nicht: “Was aber vor allem in Wo warst du, Adam? den MontageefFekt bewirkt, ist die Vielfalt der Personen, aus deren Perspektive berichtet wird; so wird jedes Kapitel aus der Sicht einer anderen Figur erzählt. […] Die Montagetechnik ist eines der modernistischen Merkmale von Wo warst du, Adam?” (J.H.R.: Heinrich Böll. Ein Zeuge seiner Zeit, München 1991, S. 116f.)
Vgl. etwa die Beurteilung des Romans von Andersch.
Seinerzeit unveröffentlicht, wurde Der Engel schwieg aus dem Nachlaß rekonstruiert und erst 1992 publiziert.
Durchbruch bei Roßapfel, in: Frankfurter Hefte 6 (August 1951), Heft 8, S. 565–571.
Ebd. S. 566.
Ebd.
Vgl. unten S. 120.
Vgl. etwa: “Zuerst ging ein großes, gelbes, tragisches Gesicht an ihnen vorbei, das war der General. […] Und obwohl s i e wußten, daß das Kreuz am Halse eines Generals nicht viel bedeutete, so lähmte es s i e doch, daß er nicht einmal das hatte. “(S. 630, Hervorhebungen von mir)
Mit Ausnahme des Oberleutnants.
Zigaretten-verteilende Generäle sind — so suggeriert Bölls fiktionales Werk — Konstanten des Krieges. Vgl. etwa Die Verwundung (RE I, 133): ‘“Da, rauch ein bißchen’, er gab mir eine ganze Packung Zigaretten. Generäle geben meistens Zigaretten.”
Graphisch veranschaulicht hat Böll die annähernd symmetrische Komposition der Kurzgeschichte/des ersten Kapitels in einer Schemazeichnung, die er während der Niederschrift des Romans anfertigte. Mit derartigen Strukturschemata versuchte er stets, die Motiv- und Personenkonstellationen seiner Werke zu koordinieren und zu kontrollieren. Eine Reproduktion des handschriftlichen Diagramms zu Wo warst du, Adam? sowie Erläuterungen des Autors zu seiner Arbeitsweise finden sich in der Reportage von Brigitte Jeremias: “Reich ist, wer nein sagen kann”. Ein Mittagsgespräch mit Heinrich Böll, in: Der Mittag (Düsseldorf), Nr. 50 vom 1. März 1955.
Vgl. S. 674: “Der Mann, der dauernd Bjeljogorsche sagte, hieß Bauer, Hauptmann Bauer, war früher einmal Textilvertreter gewesen, ganz früher Student […].”
Auch in Gruppenbild mit Dame hat Böll die wesentliche Liebesbegegnung zwischen Leni Pfeiffer und Boris Lvovic in der Mitte des Romans plaziert, wodurch dieser Handlungshöhepunkt auch strukturell ins Zentrum rückte.
Herausforderung an die Sprache. Heinrich Böll zur Situation der deutschen Schriftsteller nach dem zweiten Weltkrieg, in: Kölner Stadt-Anzeiger, Nr. 106 vom 8. Mai 1985. — Eine Ausnahme bildete etwa Wolfgang Koeppen, der — allerdings unter dem Namen der Hauptfigur — bereits 1948 Jakob Littners Aufzeichnungen aus einem Erdloch veröffentlichte, einen Bericht, der die grausam-brutale Wirklichkeit der Judenverfolgung und -Vernichtung am Beispiel der Leidensgeschichte Littners schonungslos offenlegt.
So schläft beispielsweise der Feldwebel Schneider an einem Tisch sitzend ein, während seine Zigarette auf den Rand fallt, dort weiterglimmt und schließlich, bevor sie verglüht, “eine schmale, schwarze Spur in den Tisch” (S. 669) einbrennt. Am gleichen Tisch sitzt später der Soldat Otten, der ungeduldig auf Feinhals wartet, weil beide gemeinsam umgehend an die Front geschickt werden sollen. (Vgl. S. 703) — Als die Krankenstelle in Skorkarhely wegen Feindesnähe geräumt werden muß, laden die Soldaten alle Gebrauchsgegenstände auf Lastwagen, u.a. eine Kiste mit der Aufschrift “Obit. Dr. Greck” (S. 670). Die hölzerne Kiste gehört dem Oberleutnant, der im ersten Kapitel vorgestellt worden ist, dessen Lebenslauf im Mittelpunkt des vierten Kapitels steht und der schließlich im sechsten Kapitel bei einem gegnerischen Bombardement getötet wird. — Derselbe Oberleutnant Greck setzt sich erstmalig in seinem Leben über eine Vorschrift hinweg, als er seine maßgeschneiderte Hose an einen jüdischen Schneider verkauft. (Vgl. S. 682 und 684) Nicht Greek, sondern der Käufer, ein sympathischer alter Mann, wird daraufhin verhaftet und zusammen mit Ilona ins Konzentrationslager abtransportiert. (Vgl. S. 742)
Ohne daß es den Handelnden selbst bewußt wird, ohne einander zu (er)kennen, kreuzen sich ihre Wege mehrmals. Es sind nicht nur die Wehrmachtsangehörigen, die sich zur gleichen Zeit an den verschiedenen Kriegsschauplätzen aufhalten, sondern auch die Lebenswege des übrigen Romanpersonals überschneiden sich vielfach. Ilona begegnet dem Schneider, dem Greek seine Hose verkaufte; Oberst Bressen erweist sich als Freund des Offiziers, der Finck zum Weinkauf in Feindesland schickte; Feinhals kehrt bei Familie Finck ein, deren Sohn an seiner Seite an der Front ums Leben gekommen ist.
Brief an Paul Schaaf vom 4. Dezember 1949, zitiert nach dem Beitrag von Werner Bellmann, im vorliegenden Band S. 28.
Die Paginierung der entsprechenden Typoskriptblätter stützt die These, daß Böll die Partie über den Kellner und Soldaten Berchem nicht (erst) im konkreten Zusammenhang mit dem Entwurf des neunten Kapitels konzipiert hat, sondern daß er hier auf einen bereits vorhandenen Erzählansatz zurückgriff, den er während der Niederschrift des letzten Kapitels integrierte.
Aus der Korrespondenz ergibt sich, daß Böll schon im Herbst 1950 weitere, bereits vollendete Geschichten über den Krieg vorlagen.
Das Motiv der weißen Fahne basiert — nach eigenem Bekunden des Autors — auf persönlichen Erfahrungen; die Beschießung weißgeflaggter Häuser durch die deutsche Wehrmacht hatte er gegen Kriegsende selbst beobachtet.
H.B.: Klappentextentwurf zu Wo warst du, Adam?, zit. nach: Wo warst du, Adam? Roman. Mit Materialien und einem Nachwort von Jürgen Starbatty, Köln 1989, S. 212.
Ebd.
“Das Verhältnis von weltanschaulich-künstlerischer Position des Autors und Struktur des Prosawerks tritt hier recht klar zutage. Die Beschränkung auf die Wiedergabe einer durch Krieg und Faschismus verursachten seelisch-moralischen Deformierung des Menschen, auf das in Verzweiflung mündende Bewußtsein, unter militärischem Zwang einer ungerechten Sache zu dienen, gibt einer Handlung nur geringen Spielraum.” (Hans Joachim Bernhard: Die Romane Heinrich Bölls. Gesellschaftskritik und Gemeinschaftsutopie, Berlin, 2., durchgesehene und erweiterte Auflage 1973, S. 45)
Klappentextentwurf, s. Anm. 28.
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Schnepp, B. (1995). Die Architektur des Romans. In: Bellmann, W. (eds) Das Werk Heinrich Bölls. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-92512-1_6
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