Zusammenfassung
Seit dem Frühjahr 1997 hat nun auch Deutschland seine „Kopftuch-Affäre“: In Baden-Württemberg bestand die in Afghanistan geborene Muslimin und Lehramtsanwärterin Fereshta Ludin darauf, während des Referendariats im Unterricht ein Kopftuch zu tragen, das nach ihrem eigenen Bekunden Teil ihrer Persönlichkeit sei. Es brach eine hitzige Debatte um Religionsfreiheit, Unterdrückung von Frauen durch den Islam bzw. die Auslegung des Korans und religiöse Vorherrschaft aus, die quer durch alle politischen Lager ging. Das Ergebnis der Kontroverse war, daß Ludin zwar ihr Referendariat als Hauptschullehrerin absolvieren konnte, in den Schuldienst wurde sie allerdings nicht übernommen.
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Referenzen
Beispielsweise werden hier die Frauenwelt als Hort weiblicher Freiheit beschrieben und die Solidarität unter Frauen beschworen, ohne daß interne Hierarchien auch unter Frauen berücksichtigt werden.
Durch die Überlegungen des Club of Rome („Das Beschäftigungsdilemma und die Zukunft der Arbeit“, vgl. Wichterich 1997) und der bayrischen/sächsischen Zukunftskommission erlebt die Begriffsdiskussion aktuell eine Neuauflage. Ausgehend von der Prognose, daß der nachindustriellen Gesellschaft die Arbeit ausgehe, plädiert man hier für die Ausweitung des Arbeitsbegriffes um die Dimensionen Reproduktionsarbeit und ehrenamtliche bzw. Bürgerarbeit. Aber auch hier ist eine Gleichgewichtung und existenzsichernde Funktion der „neuen“ Arbeitsfelder nicht vorgesehen.
1950 machten mithelfende Familienangehörige noch 32% weiblicher Erwerbstätiger aus (vgl. Gottschall 1989:16). Teilzeitbeschäftigte Frauen stellten 1989 32, 2% (vgl. Maier 1993:270).
Es ist Sieverding allerdings zuzustimmen, daß die in der männlichen Rolle angelegten Zwänge ein noch „weithin unbearbeitetes Feld“ (1992:168) mit weitreichendem Klärungsbedarf darstellen.
Bis in die vierziger Jahre hinein bildete die patrilokale und-lineare Großfamilie die vorherrschende Lebensform in der Türkei. Der Begriff der Großfamilie bezieht sich dabei auf das Zusammenleben mindestens zweier miteinander verwandter Ehepaare in einem Haushalt. Diese Familienstruktur wurde nicht erst durch die Abwanderung vom Land aufgelöst. Bereits die zunehmende Verarmung der Landbevölkerung entzog dieser Lebensform die ökonomische Basis. In der neueren türkischen Literatur wird die Vermutung geäußert, daß es vorrangig wohlhabende Familien mit großen Landbesitz waren, die in großfamilialen Zusammenhängen lebten. Genauer wäre es dann, von „erweiterten“ Familien zu sprechen (vgl. Steinhilber 1994:252).
Im Rahmen einer patrilokalen Familienorganisation gewährleisten Söhne die Altersversorgung der Eltern und bringen durch Heirat zugleich neue Arbeitskräfte ins Haus: die Schwiegertöchter.
Die Arbeitsaufgaben gleichen denen deutscher Frauen, mit einer wichtigen Einschränkung: Für den täglichen Einkauf war lange Zeit der Mann zuständig. Zahlen aus den 80er Jahren zeigen zwar eine Aufweichung, aber noch immer übernehmen nur rund die Hälfte der türkischen Frauen das Einkaufen (vgl. Özbay 1991:141f., geringere Zahlen bei Tekeli 1991:36). Hier zeigt sich die nachhaltige Durchschlagkraft der nach Geschlechtern getrennten Lebenssphären.
Uns lagen hier nur Zahlen aus den 80er Jahren vor, nach denen nur 4, 8% der Ehen auf Grundlage eigener Partnerwahl geschlossen wurden (vgl. Tekeli 1991:35).
Zu den wichtigsten Erneuerungen zählten u.a. die Abschaffung des Kalifats, die strikte Trennung von Staat und Religion, die Säkularisierung sämtlicher Lebensbereiche durch die Einführung des bürgerlichen Rechts nach Schweizer Vorbild sowie die Vereinheitlichung des Bildungssystems und die Einführung eines westlichen Kalenders mit christlicher Jahreszählung und des Lateinischen Alphabets.
Im nachrevolutionären Frankreich — wie auch in Deutschland und in anderen europäischen Ländern — wurden Frauen von politischer Teilhabe ausgeschlossen und erlangten erst im Laufe des 20. Jahrhunderts das Wahlrecht, in der Schweiz auf Bundesebene sogar erst 1971.
Es muß eine offene Frage bleiben, wie der Kemalismus die Gratwanderung vollbrachte, einerseits eine Orientierung am europäischen Lebensstil zu betonen und andererseits eine bis dahin nicht existente türkische Identität zu schaffen.
In der osmanischen Frauenöffentlichkeit, die sich aus Frauen der städtischen gebildeten Oberschicht zusammensetzte, wurden Forderungen zur Familienreform, öffentliche Teilhaberechte sowie das Recht auf Bildung und Erwerbstätigkeit diskutiert (vgl. Wedel 1997:288).
Erst 1992 hob das Verfassungsgericht den Art. 159 des Zivilrechts auf, laut dem verheiratete Frauen zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit die Einwilligung ihres Gatten benötigen (vgl. Tekeli 1997:78).
Sie verweist zudem auf die neutralisierende Kraft des „Staatsfeminismus“, der es erlaubte, Frauenorganisationen 1935 mit dem Verweis aufzulösen, daß Frauen einen gleichen Status erreicht hätten und eigene Organisationsformen daher überflüssig seien (vgl. Tekeli 1997:77).
Allerdings wird vielen Frauen der oberen Schichten die Vereinbarkeit durch die Hilfe einer Hausangestellten erleichtert.
In der Folgezeit kehrte sich dieses Verhältnis um, was allerdings nicht durch eine abnehmende Erwerbsorientierung (türkischer) Migrantinnen erklärt werden kann, sondern primär durch Entwicklungen und Strukturveränderungen auf dem Arbeitsmarkt, die für deutsche Frauen einen Zugang zum Erwerbssystem (durch Teilzeitarbeitsmöglichkeiten) erleichterten, für türkische Frauen hingegen erschwerten.
Diejenigen nachreisenden Frauen, die nach dem 30.11.1974 einreisten, erhielten zunächst keine Arbeitserlaubnis und waren je nach Aufenthaltsstatus des Ehemannes ein bis vier Jahre auf den „Beruf“ Hausfrau festgeschrieben.
Die Untersuchung von Schmidt-Koddenberg ist eine der wenigen Studien, die konkret Selbst-und Fremdbilder von türkischen Migrantinnen sowie deutscher Frauen im Vergleich untersucht. Auch wenn unserer Ansicht nach beide Gruppen nur bedingt vergleichbar sind, da sie sich sozialstrukturell wie auch vom Altersdurchschnitt weitreichend unterscheiden und die türkischen Frauen in der Mehrheit nicht erwerbstätig waren, ist die Studie doch gerade hinsichtlich der dezidierten Erfassung der Lebensentwürfe türkischer Frauen sehr aufschlußreich.
Inwiefern dies ein freiwilliger Entschluß ist oder die geplante Übergangslösung aufgrund eines erschwerten Wiedereintritts in den Arbeitsmarkt verlängert wird, kann hier nicht entschieden werden.
Ein Beispiel sind die Kurdinnen und Kurden. Je nach (politischem) Kontext werden sie als „kurdisches Volk“ gesehen oder nach ihrer türkischen, iranischen oder irakischen Staatszugehörigkeit definiert (vgl. auch Abschnitt 2.1).
Vgl. hier auch die Kontroverse über die Ansätze und Konzepte.
Das zeigt, wie wenig zutreffend der Terminus „Inländer mit ausländischem Paß“ für diese Jugendlichen ist; er verklärt eher deren Situation, als daß er darüber aufklärt.
Da es hier rein um die unterschiedlichen Konstruktionsprinzipien geht, soll an dieser Stelle nicht weiter auf die juristische und politische Auseinandersetzung um den Begriff der politischen Verfolgung eingegangen werden. Vgl. hierzu u.a. Münch 1992:28ff, Kommentar zum Asylrecht von Hailbronner 1997:23ff, 56ff.
Das heißt allerdings nicht, daß diejenige oder derjenige, die oder der nach der Flüchtlingskonvention ein Flüchtling ist, auch gleichzeitig Anspruch auf Asyl nach Art. 16 GG hat.
Unter „Wanderungssaldo“ wird der Saldo zwischen Zuzügen und Fortzügen über die bundesdeutschen Grenzen verstanden.
In der Migrationsforschung wird dieser Wandel häufig eher auf Ende der achtziger/ Anfang der neunziger Jahre terminiert (vgl. Hillmann 1997:20).
Asylsuchende aus Rumänien sind beispielsweise Romas, diejenigen aus Bulgarien gehören der türkischen Minderheit an.
Zu berücksichtigen bleibt allerdings: Auch wenn ihre Zahl in Westeuropa und auch Deutschland stark gestiegen ist, flieht die Mehrheit in benachbarte Gebiete ihrer Herkunftsregion (vgl. auch Münch 1992:63).
Die absolute Zahl der anerkannten Asylberechtigten ist seit Beginn der siebziger Jahre zwar auch gestiegen, die Anerkennungsquote hingegen sackte bis 1993, also noch vor der Asylrechtsänderung, dramatisch ab (vgl. die Übersichtstabelle bei Mintzel 1997:475).
Diese sind sowohl in Deutschland als auch in fast allen anderen westeuropäischen Aufhahmeländern spürbar.
Vgl. zu den langfristigen negativen Folgen von Segregationsprozessen in Wohngebieten großer deutscher und westeuropäischer Städte für die sozialen Chancen von Eingewanderten und ihren Familien Musterd/ Ostendorf/ Breebaart 1997.
Dabei handelt es sich um eine Untersuchung von Diskriminierungsmustern auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland, durchgeführt vom Zentrum für Türkeistudien in Essen im Auftrag des International Labour Office (ILO).
Die Ergebnisse der Wahltagsbefragungen von Infratest, Forschungsgruppe Wahlen oder FORSA zu Wählerinnen-und Wählerstruktur weisen zwar Abweichungen untereinander auf, sie ändern jedoch nichts an den Relationen.
Vgl. auch den Längsschnittvergleich von ALLBUS-Erhebungen und der Daten des Eurobarometers für den Zeitraum von 1980 bis 1992 bei Willems 1993:25ff.
Die Dimension der ethnisch motivierten Fremdenfeindlichkeit enthält die Statements: „Es geht zu weit, wenn sich Ausländer auch noch an deutsche Mädchen und Frauen heranmachen“ und „Ausländer sollten so schnell wie möglich Deutschland verlassen“.
Dieses Item erfreut sich in Einstellungsuntersuchungen gewisser Beliebtheit. Es muß dabei jedoch berücksichtigt werden, daß es Durchführungsanweisungen zum § 19 AFRG gibt, nach denen es bevorrechtigte und nicht bevorrechtigte Arbeitnehmer bei der Arbeitsvermittlung und bei Einstellungen durch einen Arbeitgeber gibt. Bevorrechtigte Arbeitnehmer sind Deutsche, Staatsangehörige aus EU-Mitgliedsländern sowie Ausländerinnen und Ausländer, die Anspruch auf eine besondere Arbeitserlaubnis haben und über bestimmte Aufenthaltstitel verfugen. Die Voraussetzungen erfüllen hier fast ausschließlich nur Türkinnen und Türken. Die genannte Reihenfolge in der Dienstanweisung bestimmt darüber hinaus das Ranking, oder besser: die Hierarchie, unter den bevorrechtigten Gruppen von Arbeitskräften. Arbeitgeber, die dem Arbeitsamt ein Stellenangebot unterbreitet haben, sind sogar dazu verpflichtet nachzuweisen, „daß Bemühungen, bevorrechtigte Arbeitnehmer zu gewinnen, über einen angemessenen Zeitraum erfolglos geblieben sind“. Erst dann haben sie die Möglichkeit eine ausländische Arbeitskraft einzustellen, die keinen bevorrechtigten Status hat. Die Frage ist also, was mit dem oben genannten Item eigentlich gemessen wird. Fällt es unter die Dimension Fremdenfeindlichkeit, dann bedeutet das, daß hier die Akzeptanz institutionalisierter Fremdenfeindlichkeit und Praxis abgebildet wird. So kann man das Ergebnis auch anders lesen und schlußfolgern, daß immerhin rund drei Viertel der Befragten diese normierte Ausgrenzung nicht befürworten.
Kreckel thematisierte zu Beginn der achtziger Jahre diese horizontale Ungleichheit mit seiner Zentrum-Peripherie-These (vgl. Kreckel 1983).
Vgl. zur Konstruktion und zu konstruierenden Merkmalen des „Weiblichen“ und „Männlichen“ die grundlegenden Ausführungen von Hagemann-White (1984).
Hagemann-White verweist in diesem Zusammenhang auf Untersuchungen von Kessler/ McKenna aus den siebziger Jahren zur Transsexualität, die eben diese binäre Geschlechteridentifikation durchbricht. Sie merkt dabei aber auch kritisch an, daß solche Phänomene u.U. die Zweigeschlechtlichkeit auch wieder fundieren können (vgl. 1984:81; auch Gildemeister 1988:496).
Vgl. zu diesem Zusammenhang die theoretischen Ausführungen von Gottschall 1995a.
Auffällig ist, daß im öffentlichen Diskurs diese Gruppen in aller Regel mit Begriffen wie „Asylanten“ beschrieben werden, die recht unkonkret, wenig personifizierend sind.
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© 1999 Leske + Budrich, Opladen
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Birsl, U., Ottens, S., Sturhan, K. (1999). Geschlecht und Ethnizität im Kontext sozialer Ungleichheit. In: Männlich — Weiblich Türkisch — Deutsch. Europa- und Nordamerika-Studien, vol 7. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-92307-3_2
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