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Doing Disco Eine Fallstudie zur Alltagskultur aus dem Laboratorium des Verflechtungsprozesses von Berlin mit Brandenburg

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An den Rändern der deutschen Hauptstadt

Zusammenfassung

Nach wie vor bildet die südliche Stadtgrenze von Berlin zu Brandenburg eine scharfe räumliche Markierung. Wer sich aufmacht, den dahinter liegenden Verflechtungsraum der Metropole mit dem Umland zu erkunden, fahrt große Strecken über Land und durch langgezogene dörfliche Gemeinden. Am Dorfeingang von Otterstedt wird er oder sie einem direkt an der Durchfahrtsstraße gelegenen DDR-grauen Gastwirtschaftsgebäude begegnen. Einzig dessen auffällige Beschriftung ist dazu angetan, die Aufmerksamkeit der Durchreisenden auf sich zu ziehen. ‘Club Farfalla‘ prangt in blauer Leuchtschrift über dem weißgetünchten Eingang und vermittelt den Eindruck einer bemüht demonstrierten Weitläufigkeit, die in offensichtlichem Kontrast steht zu dem ansonsten unscheinbaren und wenig einladenden Flachbau. Der unmittelbar gegenüber liegende und weitaus stattlichere Dorfgasthof ‘Zur Linde‘ stiehlt dem Farfalla jedoch nur wochentags die Show. Denn am Samstag tobt hier der Bär: Jeweils über fünfhundert Besucherinnen und Besucher aus der nahen und fernen Umgebung fahren vor, wenn die Dorfdisco der Eintausensechshundert-Seelen-Gemeinde Otterstedt ihre Party steigen lässt. In der Auf bruchstimmung der ersten Nachwendejahre spontan ins Leben gerufen, präsentiert sich der aus einem FDJ-Jugendclub hervorgegangene Club Farfalla als nunmehr seit sechs Jahren erfolgreich geführter suburbaner Diskothekenbetrieb.1

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Literatur

  1. Die dem Beitrag zugrundeliegende Forschung wurde 1997 durchgeführt und im Sommer 1998 abschließend zu Papier gebracht. Sie wurde 2001 leicht überarbeitet und fokussiert.

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  2. Für eine Beschreibung des die Gemeinde Otterstedt strukturierenden Modernisierungsgefälles vgl. die einleitenden Artikel in diesem Band 1.2, II. 1, II.4 sowie IV.2.

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  3. Unsere Unterscheidung von synchroner und diachroner Perspektive orientiert sich an Bourdieus Verwendung dieser Begrifflichkeiten im Rahmen seiner Feldtheorie (vgl. z.B. Bourdieu 1974). Bourdieu zufolge muss die Analyse eines Feldes spezifischer kultureller oder sozialer Praxen zunächst die diachrone Entwicklung der Kräfteverhältnisse innerhalb des Feldes nachzeichnen. In synchroner Erfassung stellt sich ein Feld demgegenüber immer in einem historisch spezifischen Zustand der Stellung der unterschiedlichen Feldpositionen zueinander dar.

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  4. Wir schließen in dieser Zuspitzung an den auf mesostruktureller Aggregationsebene angesiedelten Milieubegriff an, den Matthiesen (1998a) begriffs-und wissenschaftsgeschichtlich herleitet und als sozialwissenschaftlichen Strukturbegriff einführt.

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  5. Methodisch orientierten wir uns bei der Durchführung der lebensgeschichtlich ausgerichteten Interviews an der von Rosenthal (1995) formulierten Adaption des narrativen Interviews, das ursprünglich von Fritz Schütze entwickelt worden ist. Für die Auswertung der Interviews kombinierten wir Methoden der Biographieforschung (Rosenthal 1995: 208 ff.) mit sequentiellen Feinanalysen, wie sie von Oevermann et al. (exemplarisch 1979) entwickelt wurden.

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  6. Die Auswertung der Beobachtungsprotokolle lehnt sich locker an die Verfahren der Grounded Theory an. Vgl. dazu die gut nachzuvollziehende ‘Anleitung ‘zu den Verfahren der Grounded Theory (STRauss; Corbin 1996).

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  7. Zu den unterschiedlichen Formen des soziologischen Erzählens (vgl. Bude 1993).

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  8. Die folgenden Ausführungen beruhen zu erheblichen Teilen auf der solide recherchierten Dorfchronik, die 1996 von der ‘Arbeitsgruppe Historisches Dorf herausgegebenen wurde. Aus Gründen der Anonymisierung sehen wir uns leider gezwungen, auf eine Zitation des den Dorfnamen enthaltenden Titels zu verzichten.

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  9. Sämtliche Interviewzitate sind im Interesse einer besseren Lesbarkeit sprachlich leicht geglättet worden. Längere Interviewzitate sind mit einer Klammer versehen, welche die folgenden Informationen enthält: Die erste Ziffer in der Klammer bezeichnet, aus welchem Interview das Zitat stammt (Interview mit Peter und Paul: 1; lebensgeschichtliches Interview mit Peter: 2; lebensgeschichtliches Interview mit Paul: 3), die zweite Zahl verweist auf die Seitenzahl im entsprechenden Interviewtranskript.

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  10. Den Begriff der Lebenskonstruktion (vgl. Bude 1987). meint im Gegensatz zur erzählten Lebensgeschichte jenes Verweisungsganze, das sämtliche Lebensäußerungen eines Individuums, gewissermaßen unintendiert, in einen in sich kohärenten Zusammenhang fügt und damit das „tragende Regelgerüst eines individuellen Lebens“ (ebd.: 76) darstellt.

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  11. Die Ü bernahme des in der DDR von staatlicher Seite hochgehaltenen und nach Rutschky (1995) Teilen der Bevölkerung offenbar wirksam vermittelten Bildes vom ‘dekadenten Westen ‘durch den Wessi Peter kann als weiteres Indiz für seine außergewöhnliche Assimilationsbereitschaft gelesen werden.

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  12. Dass es sich bei der nachfolgend interpretierten Passage um eine dem soziologischen Beobachter (und Zuhörer) erzählte und durch diesen wiederum nacherzählte Geschichte handelt und nicht um eine unmittelbar beobachtete Lebenspraxis, macht das Geschäft der Deutung um einiges komplizierter. Unsere Interpretation zielt denn nicht so sehr auf den ‘wirklichen’ sachverhalt des Ereignisses ab, vielmehr gehen wir davon aus, dass sich in Peters Art der Selbstdarstellung wesentliche Charakteristika seines Selbstverständnisses bündeln. Dieses in der Darstellung ‘versteckte’ selbstverständnis zu explizieren ist unser Ziel.

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  13. Die im folgenden wiedergegebene Deutung stellt eine geraffte und auf die wesentlichen Ergebnisse hin zugespitzte Darstellung unserer Analyse dar. Der Kürze und der besseren Lesbarkeit zuliebe wird die in der ausführlichen Interpretation befolgte Sequentialität der Passage an dieser Stelle aufgebrochen.

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  14. Um diese dem induktiven Schluss innewohnende konstitutive Unsicherheit plausibel zu machen, zitiert Jo Reichertz (1988) B. Rüssel mit einem frappierenden Beispiel: „Wir alle wissen, dass diese groben Erwartungen einer Gleichförmigkeit leicht in die Irre führen. Der Mann, der das Huhn tagtäglich gefüttert hat, dreht ihm zu guter Letzt das Genick um und beweist damit, dass es für das Huhn nützlicher gewesen wäre, wenn es sich etwas subtilere Meinungen über die Gleichförmigkeit der Natur gebildet hätte“ (ebd.: 353).

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  15. Zu den der Krise eigenen Kreativitätspotentialen vgl. Oevermann 1991. Matthiesen (1998a) verdeutlicht die Fruchtbarkeit der ‘Krisenperspektive ‘für den milieutheoretischen Ansatz: „Milieus — traditionell eher als Horte der Redundanz, der begründungsarmen Habitualisierung und Verhaltenskontinuitäten eingeführt — geraten damit (mit der Krisenperspektive, d. Verf.) in eine interessante neue, wenn man so will, strukturell dramatisierte Beleuchtung“ (ebd.: 72).

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  16. Dazu Paul: „Also wenn du keen Jefühl für n ‘Rhythmus hast, brauchst du dich och nicht vor zwee Plattenspieler zu stellen“, und dieses Gefühl „des muss von — von dir drinnen heraus irjendwo schon kommen“ (3/40).

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  17. Der Name ‘Farfalla ‘ist eine der wenigen verbliebenen Reminiszenzen an eine Italianità, die in der allerersten Zeit zum Programm des Clubs werden sollte. Noch heute gehört der italienische Magenbitter ‘Ramazotti ‘zu den Lieblingsgetränken der Farfalla-Insider. Die ursprünglich vorgesehene mediterrane Ausrichtung des Musikprogramms hat sich dagegen nie durchgesetzt.

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  18. Pauls Transformation vom Wander-DJ zum Diskothekenbetreiber ist ganz nebenbei ein schönes Beispiel für die mit der in der Nachwendezeit forciert einsetzenden Automobilisierung breiter Bevölkerungsschichten der ehemaligen DDR einhergehende Inversion von Mobilität und Sesshaftigkeit: Während zu DDR-Zeiten die Disco ins Umland zu ihrem Publikum fuhr, verhält es sich nun gerade umgekehrt; aus dem ganzen Umland reisen die mittlerweile automobilisierten Jugendlichen zu den einschlägigen Ö rtlichkeiten.

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  19. Vgl. zu der spezifischen Modernisierungsressource, die in DDR-typischen Gemeinschaftlichkeitsformen steckt den Aufsatz von Hradil (1995). Entgegen der populären Modernisierungsvorstellung einer Rückständigkeit von Denk-und Verhaltensweisen in Ostdeutschland argumentiert Hradil, dass u. a. gerade diese Gemeinschaftlichkeitsstrukturen zahlreiche Anknüpfungspotentiale für postindustrielle Gesellschaften bergen. Wir kommen zum Schluss noch einmal kritisch auf diese These zurück.

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  20. Genau diese gewissermaßen ‘intrinsisch ‘motivierte Handlungsorientierung gehört mit zu den Randbedingungen erfolgreicher milieuspezifischer Selbstorganisationskapazitäten.

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  21. Vgl. zum Typus des DJ-Künstlers Poschardt (1995).

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  22. Vgl. dazu Marshalls (1991) Studie zur Skinheadkultur im britischen Kontext.

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  23. Dies bestätigt auch folgende Interviewäußerung von Peter. Auf die Frage nach seiner Einschätzung des Anteils rechtsradikaler Jugendlicher am Publikum des Farfalla gibt er zur Antwort, „…et is so ne riesen Clique und die kennen sich wirklich alle so untereinander, da sitzt dann der letzte Kiffer, in deren Augen, der halt überhaupt nich in ihr Ideal passt, der hängt mit denen auch rum, weißte, also die harn selber auch nich so ne Abgrenzung, wo se sagen, na a, det is jut, det is böse, sondern det is einfach, ehh, ne riesen Clique…#x201C; (2/18 f.).

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  24. Obwohl es sich unserer Ansicht nach um ein sozusagen intentionalistisches Missverständnis handeln würde, die Situation im Farfalla als Resultat einer breit angelegten und erfolgreichen Strategie rechtsextremer Gruppen zur Eroberung alltagskultureller Räume zu begreifen, sei in diesem Zusammenhang doch darauf ingewiesen, dass sich die Strategiediskussionen in der organisierten rechtsextremen Szene in den letzten Jahren an entsprechenden Kulturkampfkonzepten orientieren. Vgl. dazu Wagner (1994)

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  25. Zu einer Re-Analyse dieser Fallminiatur „Nordisch by Nature“, nun für typenbildende Zwecke im Rahmen der Untersuchung des Eigenen und des Fremden unter Transformationsbedingungen, vergleiche den Abschnitt über „Rechtsradikale Hybridbildung“ in VII.2.

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  26. Die folgenden Ausführungen sind der These verpflichtet, dass mit dem Blick auf körperliche Bewegungsmuster, wie sie sich z.B. auf einer Tanzfläche darbieten, in gewisser Weise die Oberflächenebene von Lifestyle-Typiken durchstoßen wird. Im Tanzen offenbart sich ein Körperschema, das — wie Bourdieu deutlich gemacht hat — als „Depositorium einer globalen, die innersten Dimensionen des Individuums wie seines Leibes umfassenden Weltsicht“ (Bourdieu 1982: 347) gelten kann. Körperliche Performan-zen stehen also in engem Zusammenhang mit einem Habitus als einem Ensemble einverleibter sozialer Strukturen und Erfahrungen.

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  27. In der Perspektive der Entwicklung der verschiedenen Stilrichtungen der Popmusik erscheint die Rhythmik von Techno als nahezu vollständige ‘Ent-Afroamerikanisierung‘; die für die afroamerikanische Traditionslinie in der Popmusik charakteristischen rhythmischen Elemente wie Synkopen und Off Beats wurden weitgehend eliminiert.

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Ulf Matthiesen

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© 2002 Leske + Budrich, Opladen

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Schmidt, R., Schumacher, C. (2002). Doing Disco Eine Fallstudie zur Alltagskultur aus dem Laboratorium des Verflechtungsprozesses von Berlin mit Brandenburg. In: Matthiesen, U. (eds) An den Rändern der deutschen Hauptstadt. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-92261-8_19

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-92261-8_19

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