Zusammenfassung
Das Verhältnis der Jugend zur Gesamtgesellschaft bzw. -kultur ist innerhalb der Jugendforschung ein viel diskutiertes Thema. Ins Blickfeld geraten meistens deviante oder zumindest auffällige Jugendgruppen, -bewegungen oder -gangs.10 Häufig sind es wissenschaftliche oder gesellschaftspolitische Meta-theorien, die eine neue Perspektive auf die Entstehung und Entwicklung solcher Jugendgangs eröffnen. Hierdurch entsteht eine veränderte Bewertung der gesellschaftlichen Bedeutung der Jugendgangs. So changiert in Deutschland ihre Bezeichnung zwischen ‘Jugendsubkultur’11 und ‘Jugendkultur’, womit jeweils eine Neubestimmung ihres Verhältnisses zur Gesellschaft einhergeht.
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Literatur
Schon in den zwanziger Jahren hatte die Chicago School umfassende Untersuchungen zu devianten Jugendbanden durchgeführt (vgl. Thrasher: 1927).
Am Frankfurter Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie bspw. markiert Lothar Voigt die Forschungsperspektive bereits im Titel seiner Untersuchung: “Punks als jugendliche Subkultur” (Voigt 1984).
Der Begriff Jugendsubkultur ersetzte den der Jugendkultur, wie er von Talcott Parsons abgeleitet wurde (vgl. Parson 1964).
In dieser angeblichen gesellschaftspolitischen Bedeutungslosigkeit der Jugendkulturen sieht Sander den Unterschied zu Jugendsubkulturen (vgl. Sander 1995: 48).
Hierbei ist vor allem auf zwei Veränderungen hinzuweisen: Die Einführung der Sekundarbildung für alle Jugendlichen und eine massive Ausweitung der höheren Bildung (vgl. Clarke u.a. 1979:55).
Nach Hebdige fiel die Entwicklung der Mods mit der Entstehung eines ‘britischen Gangsterstils’ zusammen. So führte die Verabschiedung der Glücksspiel-Gesetze 1963 zur Ausbreitung des Glücksspiels und neuen Formen der Bandenkriminalität. Die Mitglieder dieser Banden rekrutierten sich aus den Arbeitervierteln (vgl. Hebdige 1979: 161).
Ein Grund ist sicherlich, daß die Jugendlichen selbst in Banden organisiert und äußerst brutal waren (vgl. Clarke/Jefferson 1977: 155).
Pearson beschreibt, daß selbst die linken Gewerkschaften die asiatischen Einwanderer zu Sündenböcken erklärten (vgl. Pearson 1977).
Angela McRobbie diskutiert ausführlich die wissenschaftstheoretischen Probleme der Cultural Studies, die durch die allgemeinen Pluralisierungstendenzen innerhalb der postmodernen Gesellschaften entstanden sind (vgl. McRobbie 1995: lOOff.).
Hier sei auf die Mead-Freeman-Debatte hingewiesen, in der kulturalistische gegen soziobiologische Ansätze ausgespielt wurden (vgl. Canberra Anthropology 1984).
Einen Überblick über neue ethnologische bzw. kulturanthropologische Kinder- und Jugendstudien gibt Dorle Dracklé (vgl. Dracklé 1996).
Die Intentionen der Kulturanalyse waren jedoch verschieden. So vertrat die US-amerikanische Kulturanthopologie einen ganzheitlichen Kulturbegriff, der auf dem Kulturrelativismus gründete und sich gegen evolutionistische Ansätze richtete. Demgegenüber konzentrierte sich die britische Sozialanthropologie darauf, die Funktion kultureller Institutionen unterschiedlicher Kulturen zu vergleichen, um verallgemeinerbare Mechanismen zu finden (vgl. Girtler 1979).
Parsons geht von drei Systemen aus: das Persönlichkeitssystem sowie das soziale und das kulturelle System. Für Geertz sind sie der Ausgangspunkt seiner Theorie (vgl. Geertz 1995: 99f).
Nach Ortner ist es sein strukturfunktionalisitischer Hintergrund, der ihn vom US-amerikanischen Anthropologen Geertz unterscheidet (vgl. Ortner 1994: 376).
Turner hat seine Theorien fortlaufend weiterentwickelt, wodurch seine Definitionen häufig mehrdeutig werden. So wird auch sein Kulturbegriff durch die Unterscheidung zwischen sozialem und kulturellem (Kunst) Drama konterkariert. Demgegenüber spricht er im Zusammenhang seiner Prozeßanalyse immer vom soziokulturellen Raum. Es zeigt sich eine Ambivalenz, die das Werk von Turner durchzieht (vgl. Grimes 1995: 154).
Hierdurch setzt sich Turner explizit von der strukturalistischen Symboldefinition ab. (vgl. Turner 1975: 157).
Clifford Geertz bezieht sich meines Erachtens vor allem auf den Verstehensbegriff von Max Weber, da er ein emphatisches Verstehen ausdrücklich ablehnt (vgl. Geertz 1995: 290). Christian Giordano hat den Weber’schen Verstehensbegriff ausführlich erläutert und mit dem emphatischen Verstehensbegriff der “Neokantianer” wie Dilthey, Rickert und Winkelband kontrastiert (vgl. Giordano 1998: 27fT.).
Während dieses frühe Buch einen hohen fächerübergreifenden Bekanntheitsgrad erreichte, wird die Weiterentwicklung seines Konzeptes nur in kleinen Fachkreisen rezipiert.
Turner lehnt sich an den Gemeinschaftsbegriff Bubers an: “…das Beieinandersein einer Vielheit von Personen, die, ob sie auch mitsammen sich auf ein Ziel bewegen, überall ein Aufeinanderzu, ein dynamisches Gegenüber, ein Fluten von Ich und Du erfährt: Gemeinschaft ist, wo Gemeinschaft geschieht” (Buber 1994).
Turner unterscheidet hier zwischen drei Communitasformen: 1. Die existentielle Communitas: Sie ist spontan und von kurzer Dauer. 2. Die normative Communitas: Sie weist rudimentäre Strukturen auf und kann deshalb längere Zeit bestehen. Häufig entwickelt sie sich aus der spontanen Communitas heraus. 3. Die ideologische Communitas. Sie wird getragen von Ideologien und Utopien, deren Umsetzung sie anstrebt (vgl. Turner 1989a).
Dies ist eine idealtypische Trennung, da Turner davon ausgeht, daß sich beide Formen durchdringen und nur in krisenhaften Phasen der Gegensatz zwischen ihnen sichtbar wird.
Hingegen ist Gemeinschaft für Tönnies nicht nur Indikator einer spezifischen sozialgeschichtlichen Entwicklungsstufe, sondern auch die dominierende Struktur von Kleingruppen in komplexen Gesellschaften. In keiner Weise ist sie ihm zufolge jedoch für die heutige Gesellschaft konstituierend (vgl. Bernsdorf 1979: 336ff).
Das Konzept der Liminalität entwickelte van Gennep in Zusammenhang mit seinem Modell der Übergangsriten. Hierbei geht der Autor davon aus, daß die Dynamik des Lebens durch räumliche, zeitliche und soziale Grenzüberschreitungen gekennzeichnet ist. Dabei wechseln die Menschen von einem in einen anderen Status. In traditionellen Gesellschaften dienen Übergangsriten der Kontrolle. Aus diesen Riten leitet van Gennep sein Dreiphasen-Modell ab, in dem Trennungs-, Schwellen- bzw. Umwandlungs- und Anglie-derungsphase einander ablösen. Die Schwellen-/Umwandlungsphase, ist die liminale Phase. Auch bei Übergangsriten stellt sie eine Zeit der Strukturlosigkeit dar, doch ist sie mit der Angliederungsphase verbunden, um soziale Störungen zu vermeiden (van Gennep 1986).
Obwohl Sylvia Schomburg-Scherff zu recht kritisiert, daß Turners Liminalitätskonzept der Tendenz zur Idealisierung erliegt (vgl. Schomburg-Scherff 1986: 249), basiert meiner Meinung nach die heuristische Trennung zwischen liminoider und politisch-ökonomischer Sphäre auf einer realen Grundlage.
Vgl. hierzu Anmerkung 32.
Allerdings gibt es in den Erziehungswissenschaften Bemühungen, kollektive Handlungsweisen bei Jugendlichen als Initiationsriten zu deuten (vgl. Friebertshäuser 1995: 56–70; dies. 1992).
Auch die These der Inkongruenz bei Clifford Geertz verweist auf einen eher statischen Begriff des Rituals (vgl. Geertz 1995: 125).
Die Wahl des Gegenstandes ist nicht willkürlich, da es sich um einen für die Situation wichtigen Gegenstand handeln muß. Damit die Verbrennung des Wehrpasses zu einem bedeutungsvollen Ritual avancieren konnte, waren die Veranstalterinnen der Demonstrationen später bemüht, keine weiteren vergleichbaren Handlungen zuzulassen, bspw. wurde die Verbrennung der Fahne unterbunden (vgl. Kertzer 1988: 121).
Turner sieht eine enge Beziehung zwischen dem sozialen und dem kulturellen Drama, die im liminoiden Bereich entstehen. Bspw. Theaterstücke und Tragödien seien die Fixierung einstiger sozialer Dramen, deren Aufführungen grundlegende Widersprüche einer Gesellschaft reproduzieren (vgl. Turner 1985: 292).
Zwischen Handeln und Bewußtsein gibt es keinen Dualismus: “ein Handelnder mag sich zwar bewußt sein, was er tut, er kann sich aber nicht seines Bewußtseins bewußt sein, sonst kommt es zu einer verhaltensbedingten kognitiven Unterbrechung des Rhythmus’“(Turner 1989: 89).
Zur Communitas werden Gruppen jedoch erst, wenn sie in Krisenzeiten öffentlich an Bedeutung gewinnen und für ihre Mitglieder zum zentralen Lebensinhalt werden (Turner 1988: 45ff.).
Die sozialen Strukturen definiert Turner in Anlehnung an Sally F. Moore. Die Notwendigkeit, Strukturen permanent zu bestätigen, läßt einen Freiraum für Umdeutungen, die schließlich zu Veränderungen der Strukturen führen können (Processes of situational adjustment). Der Übergang von Struktur zu Kultur ist deswegen fließend, so daß Turner in bezug auf das soziale Drama nur noch vom soziokulturellem Feld spricht (vgl. Turner 1985: 184).
Turner unterscheidet zwischen drei Möglichkeiten: (1) Die soziale Ordnung wird in ihrer alten Form wieder hergestellt. (2) Es entstehen unüberwindbare Gegensätze, die zu Revolutionen oder Bürgerkriegen führen können. (3) Die soziale Ordnung wird in veränderter Form wieder hergestellt (vgl. Turner 1985: 292). Turner selbst betont, daß sein Modell ein idealtypisches sei, das die realen Verhältnisse nicht genau widerspiegelt.
Kraft ist für Dilthey der “kategoriale Ausdruck für ein Erlebbares” (vgl. Dilthey 1981: 249).
Turner stellt einen Zusammenhang zwischen Diltheys Definition und seiner Vorstellung des sozialen Dramas her: “Here I want to make tentative linkages between Dilthey’s model and the processual structure of social drama. Like Erlebnisse, social dramas are open-ended, not hermetically sealed: they refer to antecedent dramas, and their denouments are never quite conclusive.” (Turner 1985: 215)
Marshall Sahlins wirft Clifford auch eine ethnozentristische Perspektive vor: “When Europeans invent their traditions — with the Turks at the gates — it is a genuine cultural rebirth, the beginnings of a progressive future. When other peoples do it, it is a sign of cultural decadence, a factitious recuperation, which can only bring forth the simulacra of a dead past.” (Sahlins 1994:381)
Nach Hannerz organisiert sich das Bedeutungsgeflecht der Kultur durch die Vernetzung unterschiedlicher Kontexte wie Alltag, Ökonomie, Staat und sozialen Bewegungen (vgl. Hannerz 1992: 46ff).
Die bestehende Differenz zeigt sich am deutlichsten am unterschiedlichen Wahl verhalten. So tendieren ca. ein Drittel der Ostdeutschen dazu, ihre Stimmen entweder der PDS oder rechtsextremen Parteien zu geben. In Westdeutschland sind diese Parteien auf Länderebene zur Zeit bedeutungslos.
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Groffmann, A.C. (2001). Kulturelle Transformationen in einer sich globalisierenden Welt. In: Das unvollendete Drama. Forschung Soziologie, vol 129. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-92253-3_3
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-92253-3_3
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