Zusammenfassung
Jede Gesellschaft macht sich ein Bild ihrer selbst in den spielerischen Formen der Selbstreflexion, die wir Literatur nennen. Sie tut es durch die stellvertretende Darstellung des handelnden Einzelnen, des Helden — wie wir noch heute in poetologischer Verallgemeinerung einen Sachverhalt kennzeichnen, der streng genommen nur auf das archaische Epos zutrifft. Dort, wo Handeln Kämpfen heißt, wo Welt nicht als objektiv vorhanden erfahren, sondern nur im Handeln/ Kämpfen erkannt und damit überhaupt erst konstituiert wird, wo Handlung Normen setzt und nicht wie immer gearteten ethischen Postulaten folgt, tritt der Einzelne nur im Akt seiner heroischen Selbstbehauptung aus der Menge heraus und wird zum Helden. In der westeuropäischen Feudalgesellschaft des sog. Mittelalters und ihrer im 12. Jahrhundert einsetzenden volkssprachigen Literatur wird dieser unbedingt handelnde Heros mit den Mitteln christlicher Gesinnung und durch ästhetisch wie erotisch bestimmte Formen gesellschaftlicher Ritualisierung gezähmt zum Ritter, der in einer immer schon gedeuteten Welt vorgegebenen Handlungsanweisungen unterworfen wird, die ihm, den noch immer vornehmlich in Waffen Handelnden, unter Umständen auch den Verzicht auf Kampf, die Selbstüberwindung statt der Überwindung des Gegners, auferlegen können.
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Anmerkungen
Ulrich Wyss: Der Narr im schweizerischen Drama des 16. Jhs. Bern 1959, S. 30f.
Gustav Bebermeyer: Narrenliteratur. In: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, Bd. 2, 2. Aufl. Berlin 1965, S. 592.
Barbara Könneker: Wesen und Wandlung der Narrenidee im Zeitalter des Humanismus, Wiesbaden 1966, S. 1.
Barbara Könneker: Sebastian Brant, Das Narrenschiff. München 1966, S. 71.
Barbara Könneker: Wesen und Wandlung..., S. 136, A. 7.
Vgl. Ulrich Gaier: Studien zu Sebastian Brants Narrenschiff, Tübingen 1966.
Leo Kofler: Zur Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft, Neuwied und Berlin 1966, S. 179.
Literaturhinweise
Die noch immer gültige kritische und kommentierte Ausgabe des ‚Narrenschiffs’ stammt von Friedrich Zarncke, Leipzig 1854. Unveränderter Neudruck Darmstadt 1964. Den Originaltext liest man in der Ausgabe von Manfred Lemmer: Das Narrenschiff. Nach der Erstausgabe (Basel 1494) mit den Zusätzen der Ausgaben von 1495 und 1499 sowie den Holzschnitten der deutschen Originalausgaben. Zweite, erweiterte Auflage, Tübingen 1968. Ich zitiere die Übersetzung in der Ausgabe des Reclam-Verlages: Sebastian Brant, Das Narrenschiff. Übertragen von H.A. Junghans. Durchgesehen und mit Anmerkungen sowie einem Nachwort neu herausgegeben von Hans-Joachim Mähl. Stuttgart 1964 u.ö.
Von den unzähligen Ausgaben des ‚Lobes der Torheit ‘nenne ich nur die zweisprachige Ausgabe von Alfred Hartmann im zweiten Band von: Erasmus von Rotterdam, Ausgewählte Schriften. Ausgabe in acht Bänden. Lateinisch und Deutsch. Herausgegeben von Werner Welzig. Darmstadt 1975; und die jüngste (hier zitierte Übersetzung) von Uwe Schultz: Erasmus von Rotterdam, Das Lob der Torheit. Mit den Randzeichnungen von Hans Holbein dem Jüngeren. Frankfurt am Main 1979 (= insel taschenbuch 369).
Die Hauptwerke Thomas Murners sind ediert in der Ausgabe: Thomas Murners Deutsche Schriften mit den Holzschnitten der Erstdrucke herausgegeben unter Mitarbeit von G. Bebermeyer, E. Fuchs, P. Merker, V. Michels, W. Pfeiffer-Belli und M. Spanier von Franz Schultz. Band I–IX. Berlin und Leipzig 1918–1931. Greifbare neuere Übersetzungen gibt es nicht. Die neuhochdeutsche Form der Zitate verantworte ich.
Gustav Bebermeyer: Narrenliteratur. In: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte. Begründet von Paul Merker und Wolfgang Stammler. Zweite Auflage... herausgegeben von Werner Kohlschmidt und Wolfgang Mohr. Zweiter Band. Berlin 1965, S. 592-598.
Michel Foucault: Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft. Frankfurt a. Main 1969 (= suhrkamp taschenbuch Wissenschaft 39).
Ulrich Gaier: Studien zu Sebastian Brants Narrenschiff. Tübingen 1966.
Barbara Könneker: Wesen und Wandlung der Narrenidee im Zeitalter des Humanismus. Brant–Murner–Erasmus. Wiesbaden 1966.
Dies.: Sebastian Brant, Das Narrenschiff. Interpretation. München 1966 (= Interpretationen zum Deutschunterricht).
Leo Kofler: Zur Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft. Versuch einer verstehenden Deutung der Neuzeit. Neuwied und Berlin 1966 (= Soziologische Texte 38).
Wolfgang Promies: Die Bürger und der Narr oder das Risiko der Phantasie. Sechs Kapitel über das Irrationale in der Literatur des Rationalismus. München 1966 (= Literatur als Kunst).
Jürgen Schutte: „Schympff red“. Frühformen bürgerlicher Agitation in Thomas Murners „Großem Lutherischen Narren ‘(1522). Suttgart 1973 (= Germanistische Abhandlungen 41).
Ulrich Wyss: Der Narr im schweizerischen Drama des 16. Jahrhunderts. Bern 1959 (= Sprache und Dichtung N.F.4).
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Frey, W., Raitz, W., Seitz, D. (1981). Narrendichtung. In: Einführung in die deutsche Literatur des 12. bis 16. Jahrhunderts. Grundkurs Literaturgeschichte. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-91930-4_7
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
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Online ISBN: 978-3-322-91930-4
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