Zusammenfassung
Sich heute mit Anderschs Werk auseinandersetzen, bedeutet nichts weniger als die eigenen Vorstellungen, möglicherweise sogar die eigenen Verblendungen zu hinterfragen: Als ich mich vor vierzehn Jahren auf meine Andersch-Reise begab, die mich immerhin vier Jahre in Anspruch nahm, schien es keinen Anlaß zu geben, Anderschs Selbstverständnis, so wie es sich ästhetisch niederschlug, in Zweifel zu ziehen. In der Nachkriegsszene galter — nicht nur mir — als moralische Instanz. Autobiographische Schriften, ob sie sich als Erzählung oder Bericht ausgaben, schienen auf vertrauenswürdige Weise über Kindheit und Jugend bis zur Kriegs- und Nachkriegszeit Auskunft zu geben. Obwohl schon Anfang der achtziger Jahre bekannt war, daß Andersch nichts unversucht gelassen hatte, bereits in den Kriegsjahren zu publizieren2, konnten diese von ihm selbst so lang zurückgehaltenen Informationen seiner oppositionellen Haltung während der Hitler-Zeit nichts anhaben: die Arbeit des Jungkommunisten, seine KZ-Inhaftierung und die Desertion waren und bleiben Fakten, die für sich sprechen. Als allerdings die Umstände bekannt wurden, wonach Andersch seine jüdische Frau und sein Kind der mörderischen Willkür der Rassengesetze ausgeliefert, ja 1943 — auf dem Höhepunkt der Endlösung — auf einer Scheidung bestanden habe, wurde mein Andersch-Bild hart auf die Probe gestellt.
Zu dieser Formulierung regte mich der Aufsatz von Erhard Schütz an, vgl. „Erschriebenes Leben.“ Autobiographie eines Autors. In: Zu Alfred Andersch — Interpretationen, hrsg. von Volker Wehdeking, LGW 64. Stuttgart 1983, S. 132–142.
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Anmerkungen
Vgl. Alfred Andersch: „Der Seesack“ (1977). In: Das Alfred Andersch Lesebuch, hrsg. von Gerd Haffmans. Zürich 1979, S. 83.
Seit dem „Literaturstreit“ ist jeder namhafte Schriftsteller als virtueller Kollaborateur des DDR-Regimes verdächtig. Neuerdings werden auch die Akten der führenden Mitglieder der Gruppe 47 „neu” gesichtet. Vgl. Axel Vieregg: Der eigenen Fehlbarkeit begegnet - Günter Eichs Realitäten 1933–1945. Eggingen 1993. Vgl. im Zusammenhang mit A. Andersch W.G. Sebald: „Between the Devil and the Deep Blue Sea“. In: Lettre International, Frühjahr 1993, S. 80–84. Eine Polemik gegen diese Ansätze: Vgl. Lothar Baier: „’Literaturpfaffen’. Tote Dichter vor dem moralischen Exekutionskommando.” In: Freibeuter 57, 1993, S. 14–45.
Stephan Reinhardt: Alfred Andersch. Eine Biographie. Zürich 1990.
Alfred Andersch: „Böse Träume“. In: Der Rabe 22, Dez. 1988, 5.186.
Karl Jaspers: Die Schuldfrage. Von der politischen Haftung Deutschlands. München 1965. Jaspers unterscheidet zwischen „politischer“, „moralischer” und „metaphysischer“ Schuld.
Alfred Andersch: „Notwendige Aussage zum Nürnberger Prozeß“. In: Der Ruf. Eine deut- sche Nachkriegszeitschrift, hrsg. von Hans Schwab-Felisch. München: dtv 1962, S. 26–29.
Alfred Andersch: „Ein Techniker“. In: Erinnerte Gestalten. Frühe Erzählungen. Zürich 1986. Vgl. Volker Wehdeking: Erinnerte Gestalten: Ein unbekannter Alfred Andersch der Jahre im Dritten Reich. In: Sprache im technischen Zeitalter, Jg. 27, 1989, H. 112.
Biologie und Tennis. Dramatische Reportage in einem Prolog und vier Bildern. 1950. Gesendet wurde das Hörspiel im Südwestfunk, zum letzten Mal am 2.8.1992. Dramaturgie: H.B. Schlichting, Regie: H. Kirste. Dem Leiter des Archivs W. Hempel danken wir für seine Genehmigung, das Manuskript zu kopieren.
S. Nachlaß im Marbacher Literaturarchiv, wo auch die erste Niederschrift (1950) deponiert ist (Signatur: 78.4752). Begonnen wurde das Hörspiel Mitte Januar 1950, beendet 23. Februar 1950. Es enthält 74 Blätter.
Im gleichen Sinne seine Verteidigungen von Ernst Jünger. Vgl. „Amriswiler Rede“ und „Achtzig und Jünger”. In: Öffentlicher Brief an einen sowjetischen Schriftsteller, das LÍberholte betreffend. Zürich 1977, S. 71–107. Vgl. Irene Heidelberger-Leonard: „Alfred Anderschs Beziehung zu Ernst Jünger: Ein Wunschbild und seine Korrektur.“ In: Littérature et Culture allemandes. Hommage à Henri Plard, hrsg. von R. Goffin, M. Vanhelleputte, M. WeyemberghBoussart. Bruxelles 1985, S. 395–405.
Vgl. vor allem das „Nachwort für Leser.“ In: Der Vater eines Mörders. Eine Schulgeschichte. Zürich 1980, S. 129 ff.
Vgl. Ruth Klüger-Angress: „A’Jewish Problem’ in German Postwar Fiction.“ In: Modern Judaism V (1985), S. 215–233.
Vgl. Martin Walser: „Über den Leser - soviel man in einem Festzelt darüber sagen soll.“ In: Versuch, ein Gefühl zu verstehen, und andere Versuche. Frankfurt 1982, hier aus Universalbibl. Nr. 7824, Reclam, S. 79.
Vgl. Alfred Anderschs Rezension „Wie man widersteht“. In: Öffentlicher Brief,s. Anm. 17.
Vgl. Alfred Anderschs Aufsatz zu Jean Améry: „Anzeige einer Rückkehr des Geistes als Person.“ In: Alfred Andersch: Die Blindheit des Kunstwerks. Zürich 1979, S. 125–144. Vgl. Irene Heidelberger-Leonard: „Schein und Sein in Efraim. Eine Auseinandersetzung von Alfred Andersch mit Jean Améry.” In: Zu Alfred Andersch, hrsg. von Volker Wehdeking, s. Anm. 1.
Brief an Jean Améry (24.7.1967), befindet sich in Amérys Nachlaß im Marbacher Literaturarchiv.
Vgl. Jean Améry: „Efraim–oder die kluge Skepsis.“ In: Über Alfred Andersch. Zürich 1980, S. 123–127.
Alfred Andersch: Efraim. Zürich 1967, S. 168. Vgl. auch Alfred Andersch: „Das Buch als Glücksspiel, in dem der Autor mit sich selber pokert - ich habe auf diese Eigentümlichkeit literarischer Produktionsweise schon in dem Roman Efraim hingewiesen, der ja auch eine Autobiographie ist, wenn auch eine fiktive.“, aus„Mr. Blumenfeld’s Inferno.” In: Offentlicher Brief,S. 186.
Vgl. Dan Diner: „Zwischen Aporie und Apologie. Über Grenzen der Historisierbarkeit des Nationalsozialismus.“, S. 62–73, und „Negative Symbiose. Deutsche und Juden nach Auschwitz.”, S. 185–197. In: 1st der Nationalsozialismus Geschichte Zu Historisierung und Historikerstreit, hrsg. von Dan Diner. Frankfurt 1987.
Mit den Namen Benn und Brecht, Jünger und Thomas Mann, Sartre und Beckett steckt Andersch das Spannungsfeld ab, das sein Lebenswerk von jeher kennzeichnet. Vgl. Irene Heidelberger-Leonard. „Andersch: Meister der Koexistenz.“ In: Alfred Andersch: Die ästhetische Position als politisches Gewissen. Frankfurt 1986, S. 280 ff.
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Heidelberger-Leonard, I. (1994). Erschriebener Widerstand?. In: Heidelberger-Leonard, I., Wehdeking, V. (eds) Alfred Andersch. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-91663-1_4
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