Zusammenfassung
Das bisher wohl umfassendste empirische Projekt der Cultural Studies, bei dem die Medienaneignung in der häuslichen Welt untersucht wurde, ist das von Eric Hirsch, David Morley und Roger Silverstone durchgeführte HICT-Projekt (“The Household Uses of Information and Communication Technologies”). In diesem Projektzusammenhang wurde in den frühen 90er Jahren an der Brunei Universität die Mediennutzung in 20 englischen Haushalten ethnographisch untersucht, wobei es Ziel war, ethnographische Portraits der einzelnen Haushalte zu erstellen. Auch wenn das HICT Material bis heute nicht vollständig ausgewertet ist (vgl. Moores 1993/1995, S.101), bieten die bisher veröffentlichten Teilergebnisse — inbesondere die Fallstudie von Eric Hirsch zur “Simon Family” (Hirsch 1992) — dennoch einen tiefen Einblick in die Prozesse der Medienaneignung in der häuslichen Welt. So kann Hirsch zeigen, daß Medienaneignung unauflöslich als konstitutiver Teil des häuslichen Konsums aufgefaßt werden muß:
The acts of appropriation that constitute consumption and the social relationships thereby sustained and constructed are two sides of the same coin. Both are shaped by the particular moral character of the relationships involved. These in turn are based on different time frames expressive of the reciprocal aspects of the relationship themselves. (Hirsch 1992, S.210)
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Anmerkungen
Es ist jedoch nicht möglich, die häusliche Welt mit diesem Interaktionssystem gleichzusetzen. So umfaßt die häusliche Welt auch den Haushalt, verstanden als eine materielle Größe (vgl. Wallmann 1984, S.21; Saunders & Williams 1988, S.82; Silverstone 1994, S.45).
Wie bei den übrigen Transkripten, so wurden auch hier die Namen der Personen durch Pseudonyme ersetzt.
Da in dem Kindergarten, in dem Maria arbeitet, die Team- und Elternbesprechungen am Abend stattfinden, ist es üblich, daß Maria einen Abend pro Woche arbeiten geht. Einen weiteren Abend ist Rainer deshalb alleine zu Hause, weil Maria sich mit ihren Freundinnen zum Skatspielen trifft. Mittwochs arbeitet Maria bis 16:30 Uhr.
Die folgenden Angaben stützen sich auf die Aussagen, die die Schmelzers in dem mit ihnen durchgeführten offenen Interview gemacht haben (zur Materialerhebung vgl. Kap. 1.3). Gegenstand des Interviews waren sowohl Fragen zu ihrem typischen Tagesverlauf als auch zum Fernsehkonsum der einzelnen Familienmitglieder.
In dem mit Schmelzers durchgeführten offenen Interview äußert sich Rainer wie folgt: “Ich hab mich also nie dahin gesetzt nur um den Film zu gucken, also da muß immer was anders sein, also das kann ich nicht, da hab ich überhaupt keine Ruhe für.”
Seitdem die Kinder geboren sind, schauen Rainer und Maria die TAGESSCHAU nur noch selten an, da sie zu einer Zeit ausgestrahlt wird, in der sie damit beschäftigt sind, die Kinder ins Bett zu bringen.
Bereits ein dreiviertel Jahr nach der Aufnahme lassen Rainer und Maria Angela aber abends regelmäßig eine halbe Stunde Kinderfilme auf Video sehen, was als Ersatz für das Erzählen von Gute-Nacht-Geschichten dient.
Im weiteren werden ‘Gender’ und ‘Geschlecht’ weitgehend synonym verwendet, wobei beide als soziale Konstruktionen begriffen werden, die kommunikativ an spezifische Körpermerkmale gebunden sind und als solche tradiert werden. Damit schließt sich die Argumentation dem Stand einer Genderforschung an, die versucht, einen neuen Zugang zu den Bedingungen der Geschlechterdifferenz zu finden. Zum Verhältnis von Gender Studies, Cultural Studies und Kommunikationswissenschaft vgl. Angerer & Dorer 1994.
Mit dem Ausdruck des Managements werden in der Konversations- und Gesprächsanalyse zumeist solche kommunikativen Aktivitäten bezeichnet, die der Klärung oder Reparatur einer als ‘kritisch’ zu betrachtenden Gesprächsphase dienen. Ich möchte den Begriff des kommunikativen Managements aber an die Überlegungen von Klaus Brinker und Sven Sager anlehnen, die mit “regionalem Management” die unproblematische interaktive Absicherung größerer kommunikativer Einheiten bezeichnen (vgl. Brinker & Sager 1989, S.156f.).
Hier wäre auch die von Ien Ang & Joke Hermes diskutierte “gender-interaction” zu verorten (vgl. Ang & Hermes 1991, S.120).
Ähnlich argumentieren aber bereits Peter Berger & Hansfried Kellner bzw. Louis Zürcher (vgl. Berger & Kellner 1965; Zürcher 1977).
Aushandeln ist hier in einfache Anführungszeichen zu setzen, da Beziehungsrollen nicht zwangläufig ausdiskutiert, sondern im alltäglichen Handeln mitunter schweigend austariert werden (vgl. Kaufmann 1994, S.223–226).
Die Idealtypologie stützt sich auf ähnliche Gegenüberstellungen John Fiskes (vgl. Fiske 1987, S.179–223).
Die Formulierung ‘einen guten Körpereinsatz zu machen’ entstammt dem Jargon, wie ihn Fußballmoderatoren verwenden, aber auch Zuschauer im Stadion.
Dieses ‘Mitreden-Können’ scheint überhaupt für Kinder und Jugendliche ab einem gewissen Alter wichtig zu sein, wie auch Marie Gillespie am Beispiel der Fernsehaneignung von Pandschab-Jugendlichen zeigt (vgl. Gillespie 1995, S.113–115).
Rainer kommentiert das Foulspiel Selbstgesprächshaft mit der Äußerung °da hat er aber gut draufgetreten° (B172f.), mit der er eine starke Anteilnahme an dem Gesehenen manifestiert, die vermutlich ebenfalls durch seine eigenen Erfahrungen beim Fußballspielen geprägt ist.
Ein anderes, hier nicht interpretiertes Beispiel wäre eine Sequenz, in der Rainer auf Stefans Nachfrage erklärt, daß es beim Fußball durchaus schon vorgekommen ist, daß der Torwart sein Tor verlassen und sogar selbst ein Tor geschossen hat (vgl. B115–117).
Stefan versteht das BITTE¿ (B103) seines Vaters in dem Sinne, dieser habe akustisch nicht verstanden, was Angela gebrabbelt hat, wodurch die Seitensequenz in Block 104 zu erklären ist.
Die Seitensequenz, in der Rainer äußert, daß Schmelzers gewöhnlich nicht viel fernsehen und der betreffende Abend eine Ausnahme sei (vgl. B 124f.), ist vermutlich durch die Aufhahmesituation bedingt. Rainer ist versucht, mit der an einen potentiellen Hörer des Bandes gerichtete Äußerung zu verhindern, daß ihnen als Familie das negative Image der Vielseher zugewiesen wird.
Eine Interpretation, Stefan würde durch die Verwendung der Personendeixis et (= ‘es’) eine abfällige Beziehung zu seiner Schwester manifestieren, indem er sie als Sache behandelt, würde jedoch zu weit gehen. Et wird im moselfränkischen Dialektraum üblicherweise auch zur Bezeichnung von Kindern, Jugendlichen und jüngeren Frauen verwendet.
Stefans Handeln entspricht hier ganz der Rolle des älteren Sohnes, der sich fürsorglich, aber auch bevormundend um die kleine Schwester kümmert.
Ob sich Rainers vorangegangene, leise gesprochene Äußerung °hm ne blöde Spielerei jetz° (B155) auf das Fußballspiel oder auf die Spielerei der Kinder bezieht, ist nicht mit Sicherheit zu sagen.
Vermutlich ist auch seine Äußerung hoffentlich zieht se sisch aus (B49f.) in diesen Kontext des ‘Mehr-von-der-Kranken-Sehen-Wollens’ einzuordnen, zumindest ist ein anderer Grund, warum Stefan die LiNDENSTRAßE-Figur nackt sehen will, nicht ersichtlich.
Darauf, daß dies passieren wird, hat bereits kurz zuvor Maria hingewiesen. Vgl. dazu die Interpretation des Beispiels 43.
Vgl. auch dazu die in Beispiel 43 analysierte Gesprächssequenz, in der Maria dieses Hintergrundwissen rekonstruiert.
Ob es sich bei dem Gegenstand, den Maria Angela auf ihre Frage ma ka kau willt (B59) gibt, um deren gefüllte Rasche handelt, ist nicht mit Sicherheit zu rekonstruieren. Dies ändert jedoch nichts an der Interpretation des Geschehens im Hinblick auf die Frage, wie Maria kommunikativ mit Störungen ihrer Fernsehrezeption umgeht.
Vgl. dazu Kap. 2.2, wo ich ausführlicher auf den Stilbegriff Michel de Certeaus eingegangen bin.
Wie zentral die Kategorie des Stils bei der Untersuchung von Aneignungsprozessen ist, zeigen auch die Jugendstudien der Cultural Studies (vgl. Clarke et al. 1979, Willis et al. 1991 und Winter 1996b). Aber auch in der Kultursoziologie ist Stil eine verbreitete Analysekategorie (vgl. beispielsweise Luckmann 1986 und Soeffner 1986).
Verwiesen sei hier insbesondere auf die Arbeiten Dell Hymes’ (Hymes 1974; Hymes 1978), Deborah Tannens (Tannen 1984), Barabara Sandigs (Sandig 1986) und Ulrich Püschels (Püschel 1983;Püschel 1986; Püschel 1991; Püschel 1995).
Einen ähnlichen Begriff des Aneignungsstils entwickelt auch Jan-Uwe Rogge (vgl. Rogge 1987, S.3f.).
Angela Keppler greift in ihrer gesprächsanalytischen Betrachtung von Tischgesprächen die Überlegungen Deborah Tannens auf und unterscheidet zwischen “Individualstilen” (= Gruppenstilen) und “Personalstilen” innerhalb von Tischgesprächen (vgl. Keppler 1994a, S.115f.).
In dem mit der Familie geführten Interview berichtet Rainer davon, daß er bereits in seiner Kindheit Werbung geraten hat.
Daraufhin nennt der Sohn nochmals den Namen des Naturheilmittelherstellers abtei (B13), vermutlich um deutlich zu machen, daß er seine vorangegangene Identifizierung als einen ersten Punkt für sich in Anspruch nimmt (vgl. B13).
In diesem Kontext ist auch sein Aufmerksamkeitsmarker =guck mal= (B149) zu verorten.
Dabei handelt es sich um einen Hersteller von elektronischen Spielen und Spielkonsolen.
Zur Rahmung von sozialem Handeln und dabei auftretenden Rahmungsstreitigkeiten vgl. Goffman 1977, insbes. S.352–368.
Diese scheint allgemein für Kinder im Alter zwischen sieben und zehn Jahren typisch zu sein, wie David Buckingham in seiner Studie zur Fernsehaneignung von Kindern gezeigt hat (vgl. Buckingham 1993, S.254–258).
Die Show wird von Marijke Amado moderiert und freitags zwischen 20:15 und 21:15 auf dem Sender RTL ausgestrahlt. Innerhalb der MINI PLAYBACK SHOW treten verschiedene Kinder im Alter zwischen ca. fünf und zwölf Jahren auf, die den Auftritt von Größen der Musik- und Showszene imitieren, während deren Hits als Playback eingespielt werden. Die Leistungen der jungen Show stars’ werden dann von einer Jury bewertet, die selbst aus mehr oder weniger bekannten Persönlichkeiten der Musikszene besteht. An dem betreffenden Abend sind dies das Soul-Duo Weather Girls und die Schlagersängerin Ireen Sheer.
Die Show wird samstags auf dem Sender RTL zwischen 20:15 und 22:00 Uhr ausgestrahlt und von Ulla Kock am Brink moderiert. Dabei handelt es sich um eine ‘Action-Show’, bei der vier Kandidatenpaare unterschiedliche Aufgaben lösen müssen. Der Sieger hat die Chance, 100.000 DM zu gewinnen.
Daß ein Kind bei der MINI PLAYBACK SHOW etwas live vorträgt, kommt zwar durchaus vor, stellt aber eine Ausnahme dar. Die regulären Auftritte innerhalb der Show werden, wie ihr Name schon sagt, zu Liedern vorgeführt, die aus dem Off als Playback eingespielt werden.
In der Begrifflichkeit von Roland Barthes könnte man diese Form des Vergnügens als Plaisir charakterisieren. Zur den Überlegungen Roland Barthes zum Vergnügen bzw. seiner Unterscheidung von Plaisir und Jouissance vgl. die Darlegungen in Kap. 6.
Vermutlich hat der Wrestler einen anderen Namen, jedoch war nicht rekonstruierbar, wen Stefan mit petula genau meint.
Ob es sich bei dieser scherzhaften Anmerkung um ein Spiel mit dem Künstlernamen Weather-Girls handelt oder — was wahrscheinlicher ist — sich Maria auf das zum Zeitpunkt der Aufnahme herbstliche Wetter bezieht, muß wohl offen bleiben. Dies ändert aber nichts daran, daß der Modus ihrer Äußerung als scherzhaft zu charakterisieren ist.
An einem solchen Beispiel wird deutlich, daß das bloße Auftreten von Menschen anderer Hautfarbe innerhalb von Medien wie dem Fernsehen noch lange nicht zu einem anderen Wirklichkeitsverständnis führen muß, sondern auch als Material für eine Wirklichkeitsunterhaltung verwendet werden kann, die die eigenen Vorurteile bewertend bestätigt.
Die Weather Girls scheinen in seinem sich anschließenden Phantasieren fast wie aus einem Märchen entlehnt zu sein. Zu Motiven von Märchen als einer Form der “Volkspoesie” vgl. Bausinger 1968, S.154–169.
Zuvor hat Rainer bereits alleine die TAGESSCHAU (ARD) gesehen.
Beim AKTUELLEN SPORTSTUDIO handelt es sich um eine Magazinsendung, die an diesem Abend von Wolf-Dieter Poschmann moderiert wird. Innerhalb der Sendung werden Kurzberichte wichtiger Sport- und vor allem Fußballereignisse des Tages gezeigt und zwischen diesen Berichten im Studio einzelne Sportler oder Funktionäre interviewt. Die Sport-Magazinsendung wird im ZDF samstags zwischen 22:20 und 23:40 Uhr ausgestrahlt.
Natürlich spielt dabei auch eine Rolle, daß es sich bei dem Spielbericht des AKTUELLEN SPORT-STUDIOS nicht um eine Live-Übertragung handelt. Auch wenn man dies berücksichtigt, fällt auf, daß eine gemeinsame Begeisterung für das Gesehene nicht aufzukommt. Dies ist insofern bemerkenswert, als Maria Fußball zumindest ein grundlegendes Interesse entgegenbringt, wie an Beispiel 54 deutlich wird, in dem sie Rainer nach dem Ergebnis des Spiels von Kaiserslautern fragt.
Der Fußballer ist zum Zeitpunkt der Aufnahme aber nicht 27, wie Rainer vermutet, sondern 24 Jahre alt.
Als einen Hinweis auf Rainers Desinteresse an den Interviews kann bereits seine abfällige Bewertung der Äußerungen von Matthias Hagner gewertet werden. Vgl. dazu die Analyse des Beispiels 56.
Während des Zwei-Wochen-Querschnitts wurden die Mitglieder der Familie Schmelzer angehalten, nicht über die Fernbedienung des Fernsehers, sondern die des installierten Videorecorders umzuschalten. Dies war nötig, um eine Aufzeichnung aller von ihnen rezipierten Sendungen zu ermöglichen. In Momenten, in denen Schmelzers umschalten, thematisieren sie diese ‘Unannehmlichkeiten’ hin und wieder kurz im Gespräch, wofür die Blöcke 48–50 ein Beispiel sind.
Bei WIE BITTE?! handelt es sich um eine Show des Senders RTL, bei der rechtlich fragwürdige und unverständliche Erlebnisse von Bürgern mit staatlichen Institutionen oder Firmen in Sketchen nachgespielt werden. Auf diese Weise werden die Probleme der Bürger öffentlich thematisiert und diesen so — zumindest nach Intention des Moderators Geert Müller-Gerbes — zu ihrem Recht verholfen. Ausgestrahlt wird die Show samstags zwischen 22:00 und 23:00 Uhr.
Wigald Boning ist festes Mitglied des RTL Samstag Nacht-Ensembles.
Dieser ist, wie Wigald Boning, festes Ensemblemitglied von RTL Samstag Nacht.
Ähnlich argumentiert auch Ernst Leisi, wobei er auf das von Paul Watzlawik aufgestellt Theorem Bezug nimmt, es sei unmöglich, nicht zu kommunizieren. Ernst Leisi stellt fest: “Auch eine scheinbare Nicht-Kommunikation, zum Beispiel ein Nichtreden in einem bestimmten Augenblick, wird vom Partner irgendwie interpretiert” (Leisi 1993, S.138).
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Hepp, A. (1998). Fernsehaneignung und häusliche Welt. In: Fernsehaneignung und Alltagsgespräche. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-91650-1_9
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
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