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Ekstatische Geschwisterliebe in Robert Musils Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“: Entzug von Differenz und Geschlechtlichkeit — oder ein „Anderer Weg“ zu Liebe und Erkenntnis?

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Part of the book series: Beiträge zur psychologischen Forschung ((BPF,volume 40))

Zusammenfassung

Karl Corino (1988) weist in seiner Musil-Biographie daraufhin, daß der Titel des II. Bandes zum „Mann ohne Eigenschaften“ — er lautet „Ins Tausendjährige Reich“, mit dem Untertitel „Die Verbrecher“ — beim Erscheinen des Bandes 1932 Anlaß zu Mißverständnissen gab, obwohl als sicher gelten könne, daß Musil politische Anspielungen, in diesem Fall auf den aufkommenden Nationalsozialismus, fem lagen. Vielmehr wollte er bereits im Titel auf — im geläufigen Wortsinn durchaus verbrecherische — Neigungen seiner beiden Protagonisten, der Geschwister Ulrich und Agathe, hinweisen, etwa auf einen Betrug und eine Fälschung, die sie gemeinsam an dem Testament des Vaters vornehmen, und auf den Vollzug des Inzests im Verlauf der „Reise ins Paradies“ (1988, 387). Karl Corino schreibt dazu:

„Es gehört zu den großen Rätseln der Musil-Forschung, warum es dem Autor nicht möglich war, die Entwürfe jenes Inzests, die seit ca. Mitte der zwanziger Jahre vorlagen, ins reine zu schreiben und sie definitiv in die Romanhandlung zu integrieren, also auch Ankündigungen wie die vorstehende einzulösen. Trotz der bereits in gedruckten wie ungedruckten Texten objektivierten Kräfte, die das Geschwisterpaar der privaten Katastrophe (und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs) zuftihrten, wehrte sich Musil bis zu seinem eigenen Tod, das vorgezeichnete Schicksal seiner Figuren zu vollziehen.“ (387)

„Aber wer das, was zwischen diesen Geschwistern vorging, nicht schon an Spuren erkannt hat, lege den Bericht fort, denn es wird darin ein Abenteuer beschrieben, das er niemals wird billigen können: eine Reise an den Rand des Möglichen, die an den Gefahren des Unmöglichen und Unnatürlichen, ja des Abstoßenden vorbei, und vielleicht nicht immer vorbei führte; ein,Grenzfair, wie das Ulrich später nannte, von eingeschränkter und besonderer Gültigkeit, an die Freiheit erinnernd, mit der sich die Mathematik zuweilen des Absurden bedient, um zur Wahrheit zu gelangen.“

(Musil 1978, 1984, 761)

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Lahme-Gronostaj, H. (2000). Ekstatische Geschwisterliebe in Robert Musils Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“: Entzug von Differenz und Geschlechtlichkeit — oder ein „Anderer Weg“ zu Liebe und Erkenntnis?. In: Lahme-Gronostaj, H., Leuzinger-Bohleber, M. (eds) Identität und Differenz. Beiträge zur psychologischen Forschung, vol 40. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-91619-8_14

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-91619-8_14

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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